32. KAPITEL


Thistledown City

 

Aus Gründen, die nur ihm selbst und seinem Advokaten klar waren, hatte der Präsident beschlossen, nicht in den offiziellen Nexuswohnräumen unter der Kuppel Quartier zu beziehen. Statt dessen wählte er zeitweilige Unterkunft in einem kleinen, schlicht ausgestatteten Apartment in einem Gebäude aus dem Fünften Jahrhundert neben dem Arboretum, einen Kilometer von der Kuppel entfernt. Vier Stunden nach Mirskys Aussage hielt Farren Siliom dort Audienz ab mit Korzenowski, Mirsky, Olmy und Lanier. Er verhielt sich streng formal. Er schien Ärger zurückzuhalten.

»Entschuldigen Sie meine Offenheit!« piktographierte er an Korzenowski. »Ich habe niemals während meiner Existenz im Weg und jetzt nahe der Erde einen so verräterischen Meinungswechsel bei einem angesehenen Bürger des Hexamons erlebt.«

Korzenowski machte eine leichte Verbeugung mit steifer Miene. Er sagte: »Ich stelle diese Forderungen widerstrebend und unter Druck. Das sollte deutlich sein.«

»Ich bin sicher, daß der ganze Nexus eine Talsitsitzung braucht«, sagte Farren Siliom und drückte auf seine Nasenwurzel. Der Präsident blickte auf Lanier, der ihn mit einem lässigen Blinzeln abzufertigen schien, und richtete seine Aufmerksamkeit dann auf Mirsky. »Das Hexamon hält sich für eine fortgeschrittene Gesellschaft, was auch immer unsere selbstgemachten Beschränkungen… Aber ich finde es sehr hart zu glauben, daß unsere Arbeit so weitreichende Konsequenzen haben könnte.«

»Sie stecken in einer Zwickmühle«, sagte Mirsky.

»Das behaupten Sie. Wir sind aber nicht ganz so harmlos. Ich erinnere mich gut an Olmys Hinterlist gegenüber den Geshels vor einigen Jahren, als er den Ingenieur zu uns zurückbrachte. Er hat allen echten Naderiten einen Dienst erwiesen. Aber ist dies eine andere Art von Täuschung oder Manipulation?«

»Die Wahrheit meiner Geschichte sollte offenkundig sein«, sagte Mirsky.

»Nicht so offenkundig für jemanden, der die letzten zehn Jahre um Sympathie für Wiederöffnung gekämpft hat. Der mit dem Ingenieur neben mir gekämpft hat, obwohl das jetzt schwer glaublich erscheint.«

Lanier schluckte und fragte: »Darf ich mich setzen?«

»Ohne weiteres«, sagte Farren Siliom. »Meine Verärgerung schadet meinem guten Benehmen.« Der Präsident ließ einen Sessel für Lanier formen und befahl dann auch noch Sessel für alle. »Wir werden einige Zeit zu reden haben«, sagte er zu Korzenowski.

»Ich bin ein recht praktischer Mann«, fuhr Farren Siliom fort, »so praktisch wie ein Politiker sein kann, der einer Nation von Träumern und Idealisten vorsteht. Das ist es, wofür sich das Hexamon hält und schon seit Jahrhunderten gehalten hat. Aber wir sind auch dickköpfig gewesen, stark und eigenwillig. Wir haben die Herausforderung des Weges einmal angenommen. Aber wir haben gegen die Jarts fast verloren; und die hatten inzwischen Jahrzehnte, um ihre Taktik zu verfeinern. Wir alle glauben, daß sie den ganzen Weg in Besitz genommen haben – oder nicht?«

Lanier war der einzige, der sich der Zustimmung enthielt. Er fühlte sich hier wie ein Zwerg unter Riesen, wieder alt und als fünftes Rad am Wagen.

»Verstehen Sie meine Konfusion?« fragte Farren Siliom Korzenowski.

»Jawohl, Ser Präsident.«

»Dann machen Sie es für mich klar! Sie sind überzeugt worden, aber schwören Sie mir bei dem Guten Mann, bei Sternen, Schicksal und Geist, daß Sie nicht in ein Komplott zur Wiederöffnung Ihrer Schöpfung verwickelt sind und diese ganze Episode nicht völlig fabriziert haben?«

Korzenowski sah den Präsidenten einige Sekunden lang mit gekränktem Schweigen an. »Ich schwöre es.«

»Ich bedauere, daß ich Ihre Integrität angezweifelt habe, Ser Korzenowski. Aber ich muß absolut sicher sein. Sie hatten keine vorherige Kenntnis von der Rückkehr Ser Mirskys?«

»Ich habe etwas dieser Art halb erwartet. Ich kann nicht sagen, daß ich glaubte, es würde passieren. Nein, ich hatte keine vorherigen Kenntnisse.«

»Sie sind überzeugt, daß der Weg diesen Schaden angerichtet hat?«

»Keinen Schaden, Ser Minister«, sagte Mirsky. »Obstruktion.«

»Was auch immer. Sind Sie überzeugt?« Er starrte Korzenowski scharf an.

»Ja.«

»Ihnen ist klar, daß die meisten Würdenträger und Senatoren hohe Achtung für Sie empfinden, daß aber Ihre Motive in diesem Falle verdächtig sind. Sie haben einen großen Teil Ihres Lebens damit verbracht, die Maschinerie der sechsten Kammer und den Weg zu schaffen. Sie müssen einen berechtigten Stolz darüber gefühlt haben, daß Sie den Verlauf der Geschichte von Thistledown verändert haben. Es wäre verständlich, wenn Sie den Eindruck hätten, Ihr Status wäre seit Ihrer Reinkarnation und der Zerstörung gesunken. Persönlich glaube ich durchaus, daß Sie nichts mit der Ermutigung unserer Neo-Geshels zu tun gehabt haben.« Jetzt ruhiger, rieb der Präsident die Hände und setzte sich zu ihnen. »Wenn wir den Weg öffnen, werden wir dann mit den Jarts im Kriege stehen, Ser Olmy?«

»Das nehme ich an.«

Das ist es, dachte Lanier.

»Wenn wir den Weg nicht aufmachen, Ser Mirsky, und Vorbereitungen treffen, ihn auf unserer Seite zu schließen, werden wir dann die fernen, edlen Bemühungen unserer Nachkommen blockieren?«

»Von den Nachkommen aller intelligenten Kreaturen in unserem Universum – Ser Präsident. Ja.«

Farren Siliom lehnte sich in seinem Sessel zurück und schloß die Augen. »Ich kann Teile Ihrer Aussage noch einmal abspielen. Ich bin sicher, daß die meisten Würdenträger und Senatoren das jetzt auch tun.« Er schnitt eine Grimasse. »Die Prozedur der Abstimmung hierüber wird sehr schwierig sein. Man hat uns nie zu einem vollständigen Plebiszit des Hexamons aufgerufen. Verstehen Sie die Probleme?«

Mirsky schüttelte den Kopf.

»Lassen Sie mich sie aufzählen. Abstimmungen auf Thistledown und in den orbitalen Bezirken sind ganz anders als auf der Erde. Die meisten Erdenbürger stimmen physisch ab. Es würde Monate dauern, für eine solche Stimmabgabe Einrichtungen zu treffen. Wir sind einfach nicht darauf vorbereitet.

Jeder Bürger im Weltraum muß ein spezielles Partial in eine mens publica in das City-Gedächtnis eingeben. Die Partiale werden zu einem einzigen Ganzen verbunden nach Methoden, die in der Verfassung des Hexamons genau festgelegt sind. So können die Partiale binnen zwei oder drei Sekunden über jedes Thema abstimmen; haben aber laut Gesetz mehr Zeit für eine solche Entscheidung zur Verfügung. Bürger können ihre Partiale einmal täglich auf einen neuen Stand bringen, wenn sie es wünschen, um wechselnde persönliche Einstellungen auszudrücken. Die Partiale können aber keine eigenen Meinungen entwickeln.

Das sind die technischen Überlegungen. Als ein Problem öffentlicher Politik angesehen, verärgern wir jene, die den Weg geschlossen halten und Konflikte mit den Jarts vermeiden wollen, falls wir den Weg nur öffnen, um ihn zu zerstören. Gewiß wollen wir denen, die den Weg wieder erobern möchten, keinen Gefallen tun. Und die Jarts werden sich unseren Bemühungen zweifellos wütend widersetzen. Vielleicht steht für sie im Weg jetzt mehr auf dem Spiel als das, was wir jemals getan haben. Die Jarts schienen in ihren Plänen eigenartiger zu sein. Habe ich recht, Ser Olmy?«

»Ja.«

Farren Siliom faltete die Hände. »Ich weiß nicht, wie Ihre Terrestrischen Bürger dieses Problem sehen werden. Oder auch ob sie fähig sind, jetzt darüber zu urteilen. Für die meisten Alten Eingeborenen ist der Weg bestenfalls ein sehr unklarer Begriff. An die Erde gebundene Bürger haben noch keinen direkten Zugang zu umfangreichen Speichern und Bibliotheken der City. Ich befürchte aber, daß die Neo-Geshels die Gesetze der Restauration anrufen und die Erde gänzlich vom Stimmrecht ausschließen werden… Das wäre höchst widerlich.«

»Die Senatoren der Erde würden jeden Schritt des Weges dagegen kämpfen«, sagte Lanier.

»Die Restaurationsgesetze sind einige Zeit nicht angewandt worden, haben aber immer noch Gültigkeit.« Farren Siliom hob mit verzerrtem Gesicht die Hände. »So wie ich jetzt die Stimmung des Hexamons verstehe, sind die Befürworter der Wiederöffnung ungefähr gleich an Zahl mit deren Gegnern. Bei einer solchen Spaltung sind soziale Verdichtungen und Zusammenschlüsse keineswegs unwahrscheinlich. Schnelle Bildung von Machtgruppen… vielleicht sogar einer Neo-Geshel-Herrschaft im Nexus. Die Neo-Geshels könnten mich zwingen, ihre Beschlüsse auszuführen oder zurückzutreten und sie eine neue Regierung bilden zu lassen. Das sind nicht gerade Ihre Probleme, meine Kameraden. Aber Sie bringen sie zu mir; und ich kann nicht sagen, daß ich Ihnen dafür dankbar bin. Ebensowenig kann ich sagen, wie die Abstimmung ausfallen wird. Wir stehen vor einer Anzahl von Problemen und Entscheidungen – und das jetzt, wo der Geist endlich wieder aus seiner Flasche gekrochen oder explodiert ist…«

Farren Siliom stand auf und ließ eine Frage auf dem Monitor der Wohnung erscheinen. »Falls Sie noch ein paar Minuten hier bleiben könnten, habe ich veranlaßt, daß noch ein Alter Eingeborener zu uns kommt. Ser Mirsky dürfte sich an ihn erinnern. Sie waren Kameraden als Soldaten während der Invasion von Thistledown durch Streitkräfte der Sowjetunion, vor der Zerstörung… vor dem Tod. Er ist nach der Zerstörung zur Erde zurückgekehrt und hat in einem Gebiet gelebt, das wir jetzt als Anatolien bezeichnen.«

Mirsky nickte mit beherrschter Miene. Lanier versuchte, sich an die überlebenden Russen zu erinnern, die mit und um Mirsky gearbeitet hatten, und fand nur wenige Gesichter, die mit Namen in seinem Gedächtnis verknüpft waren. Der scharfe, bittere Zampolit Belozersky… der selbstsichere, verlorene Vielgorsky, Oberingenieur Pritikin.

Der Monitor leuchtete auf, und Farren Siliom befahl, die Tür zu öffnen. »Meine Herren, dies ist Ser Viktor Garabedian«, sagte er mit einem Ausdruck triumphierender Erwartung. Er glaubte, daß er Mirsky entlarven wird, dachte Lanier.

Garabedian trat ein, weißhaarig, mager, leicht gebeugt. Seine Hände trugen schreckliche Narben. Die Augen waren halb geschlossen und tränten. Lanier konnte seinen Zustand fast sofort erkennen: Talsitbereinigte Strahlenschädigung… Er mußte vor Jahrzehnten versucht haben, in die Sowjetunion zurückzukehren.

Garabedian sah sich in dem Zimmer um. Er war offenbar nicht auf diese Zusammenkunft vorbereitet. Seine Augen erhellten sich bei Mirsky, und ein ironisches Lächeln flog über sein Gesicht. Mirsky schien verblüfft zu sein.

»Genosse General«, sagte Garabedian.

Mirsky stand auf und ging auf den alten Mann zu. Sie standen einen Augenblick getrennt da; und dann breitete Mirsky die Arme aus und drückte ihn an sich. »Wie ist es dir ergangen, Viktor?« fragte er auf Russisch und hielt den Alten auf Armeslänge.

»Das ist eine lange Geschichte. Ich habe einen anderen alten Mann erwartet. Man hat mir nicht gesagt, daß du noch genau so aussehen würdest. Ser Lanier, ihn erkenne ich wieder, aber er sieht gesetzt aus, nicht wie ein junger Bursche.«

Farren Siliom verschränkte die Arme. »Wir haben etliche Stunden gebraucht, um Ser Garabedian aufzufinden.«

»Ich lebe so nahe bei Armenien, wie ich kann«, sagte Garabedian zu Mirsky. »Die Heimat wird in einigen Jahren gesäubert sein, und ich kann zurückkehren. Ich habe als Polizist in den Sowjetischen Bergungskräften gearbeitet… Ich habe in der Armenischen Befreiung gegen das Hexamon gekämpft… Kein großer Krieg, mehr wie Kinder, die mit Stöcken gegen ihre Ärzte und Lehrer kämpfen. Als der niedergeschlagen war, wurde ich Bauer. Wo bist du gewesen, Genosse General?«

Mirsky sah sich mit Tränen in den Augen im Raum um. »Freunde, Viktor und ich müssen miteinander sprechen.«

»Sie wollen, daß ich dir einige Fragen stelle«, sagte Garabedian.

»Ja, aber allein. Bis auf Sie, Garry. Wollen Sie mit uns kommen? Wir brauchen einen Raum.« Er schaute auf den Präsidenten.

»Sie können einen meiner Arbeitsräume benutzen«, sagte Farren Siliom. »Natürlich werden wir Ihre Begegnung aufzeichnen…«

Lanier bemerkte die Veränderung in Mirskys Miene.

Er wirkte schärfer, weniger heiter, viel mehr wie der Pavel Mirsky, den er vor vierzig Jahren im Stein kennengelernt hatte.

Korzenowski sagte: »Ich möchte gern einen Augenblick mit Ser Lanier sprechen, dann wird er zu Ihnen kommen.«

Die beiden Männer verließen den Raum. Der Präsident geleitete sie in einen anderen Teil seines derzeitigen Quartiers.

»Ser Lanier?« fragte Korzenowski.

»Er ist Mirsky«, sagte Lanier.

»Hatten Sie Zweifel?«

»Nein«, sagte er.

»Aber dies ist ein zusätzlicher Beweis?«

»Für den Präsidenten«, sagte Lanier. »Es muß das entscheidende Argument sein.«

»Der Präsident hat noch reichlich Zweifel«, sagte Olmy ruhig. »Ihnen kommt nur noch politische Berechnung gleich.«

 

Der Präsident ging in der weiten zylindrischen Eingangshalle an Lanier vorbei und nickte ihm zu. Ungemütlich. Lanier folgte Mirsky und Garabedian ins Arbeitszimmer und trat neben sie. Ein kleiner runder Tisch hob sich aus dem Fußboden, umgeben von einigen Freiform-Sesseln. Der Raum roch leicht nach sauberem Schnee und Kiefern. Ein Rest früheren Milieus, wie Lanier vermutete.

Garabedian musterte, die Mütze in knorrigen, rötlich weißen Händen, seinen alten Kameraden mit den kindlichen Augen von jemandem, der alt und müde war – Augen, die jeder Emotion bar waren bis auf eine Art erstaunter Verwunderung.

»Garry, Viktor war bei mir, als die Weltraumstoßtrupps in die Kartoffel – Thistledown – einbrachen«, sagte Mirsky. »Er war bei mir, als wir uns ergaben; und er beriet mich während der schlimmen Zeiten danach… Ich habe ihn zuletzt gesehen, ehe ich als Freiwilliger mit den Geshel-Bezirken loszog. Du hast harte Zeiten durchgemacht, Viktor.«

Garabedian behielt mit schlaffem Mund seinen starren Blick bei. Dann wandte er sich an Lanier. »Sir«, sagte er in unsicherem Englisch, »Sie sind nicht jugendlich geblieben. Andere aber doch. Aber Genosse General Mirsky…«

»Nicht mehr General«, sagte Mirsky ruhig.

»Er hat sich überhaupt nicht verändert, außer…« Garabedian zwinkerte wieder Mirsky zu und sagte auf Russisch: »Seit man Sie erschoß, Sir, haben Sie sich verändert. Sie sind entschlossener geworden.«

»Ich habe seitdem eine lange Reise gemacht.«

»Die Leute, die mich hierher gebracht haben… sieht man selten in Armenien. Sie kommen, um unsere Kleinkriege zu beenden, unsere Seuchen zu heilen, unsere Geräte zu reparieren. Wir waren wie Kinder. Wir haßten sie so sehr. Wir wünschten, in Ruhe gelassen zu werden.«

»Ich verstehe«, sagte Mirsky.

»Diesmal haben sie mich nicht gefragt. Pavel.« Er benutzte den Vornamen des alten Mannes, um ihn zu reizen. »Sie kamen und sagten, ich würde gebraucht. Sie sagten, ich wäre ein Zeuge. Sie waren wie Polizisten in alten Zeiten.« Er erhob die Stimme. »Wie können sie uns so wie Kinder behandeln? Wir haben gelitten. So viele sind gestorben.«

»Wie hast du gelitten, Viktor? Sag es mir!«

Lanier sah, daß Mirskys Gesicht wieder ausdrucksvoll und aufnahmebereit wurde. Ein Schauder ließ ihn die Zähne zusammenbeißen. Mirsky legte seine Arme Garabedian um die Schultern. »Sag es mir!«

Garabedian sagte: »Nichts ist so, wie es war. Nichts wird es je wieder sein. Das ist gut und schlimm. Es scheint, als ob mein ganzes Leben durcheinander gewesen ist. Ich habe dies gesehen und bin dann zurückgekehrt in die Dörfer, wo meine Vorfahren gelebt haben. Ich habe gegen das Hexamon gekämpft, habe verloren…«

»Ja?«

Garabedian hielt die Hände hoch. »Wir sind in vergiftete Gebiete gekommen. Der Boden war wie eine Schlange geworden. Er hat uns gebissen. Wir wurden von Engeln des Hexamons herausgeholt. Sie entschuldigten sich, daß sie uns keine neuen Körper gaben. Ich konnte nicht nach Hause. Da gab es nichts. Ich zog nach Armenien… Man nennt es jetzt Nordanatolien. Sie sagen: keine Nationen, keine Parteien. Nur Bürger. Ich wurde Bauer und zog eine Familie groß. Die wurde in einem Erdbeben getötet.«

Lanier hatte die vertraute Empfindung, daß in der Magengrube sich etwas senkte. Man konnte nicht alle retten.

»Ich habe Pferde gezüchtet und bin zum Schutz gegen die Türken einer armenischen Kooperative beigetreten. Dann machten die Türken Frieden, und wir kämpften gemeinsam gegen einwandernde iranische Bauern, die Opium herstellten. Auch das Hexamon kam dort hinzu und verjagte uns… Dann gaben sie den Menschen etwas, das Opium nutzlos machte.«

Mirsky sah Lanier an.

»Eine Art von Immunreaktion, Blocker…«, sagte Lanier. Er wußte sehr wenig über diese Seite der Wiederherstellung. Mirsky nickte.

»Fahr fort!«

»Es ist ein langes Leben gewesen, Pavel. Ich habe gelitten und viele sterben sehen, aber bis jetzt habe ich viel von dem Schmerz vergessen. Ich sehe dich so jung. Bist du es wirklich?«

»Nein«, sagte Mirsky. »Nicht derselbe, den du kennst. Ich habe viel länger gelebt als du, Viktor. Ich selbst habe viel durchgemacht, Triumph und Versagen.«

Garabedian lächelte matt und schüttelte den Kopf.

»Ich erinnere mich an Sosnitsky. Er war ein guter Mensch. Ich habe oft daran gedacht, wie wir ihn in Armenien hätten brauchen können… Ich, ein Armenier, denke so über einen Weißrussen! Alles ist auf den Kopf gestellt, Pavel, und so ist es geblieben. Ich habe die Türken gehaßt und bin jetzt mit einer Türkin verheiratet. Sie ist klein und braun und hat langes graues Haar. Sie ist keine Stadtpflanze, nicht wie meine erste Frau; aber sie hat mir eine schöne Tochter geschenkt. Ich bin jetzt Bauer und züchte besondere Pflanzen für das Hexamon.«

Lanier dachte an die Frantfarmer auf Timbl, der Heimatwelt der Frants, wie er durch ihre Felder gegangen war, wo biologisch veränderte Arten für den Export in den Weg wuchsen.

»Ist es dies, was du wolltest?« fragte Mirsky.

Garabedian zuckte die Achseln und lächelte ironisch. Er sagte: »Man kann so leben.« Er ergriff Mirskys Linke mit seiner Hand und stieß ihn mit einem vernarbten Finger an. »Du, jetzt mußt du mir erzählen!«

Mirsky sah Lanier mit dummem Gesicht an und sagte: »Diesmal werde ich es in Worten erzählen. Garry, Sie müssen jetzt zu den anderen zurückgehen. Viktor, sag Ser Lanier, bin ich Pavel Mirsky?«

»Du erklärst, daß du nicht genau er bist«, sagte Garabedian. »Aber ich denke, du bist es. Jawohl, Ser Lanier. Dies ist Pavel.«

»Sag es dem Präsidenten!«

»Das werde ich tun«, versicherte Garry.

Mirsky lächelte breit. »Jetzt setz dich hin, Viktor, denn ich bezweifle, daß du glauben wirst, was diesem Jungen aus einer ukrainischen Stadt alles passiert ist…«

Ewigkeit
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