23
Diesen Mann hat sie nicht verdient.» Catharina hörte deutlich das Bedauern in Elsbeths Stimme. «Hast du beobachtet, wie grau sie im Gesicht geworden ist? Ich hab sie seit Ewigkeiten nicht mehr lachen sehen.»
Catharina stand an der angelehnten Küchentür und wollte schon eintreten, als sie Barbara sagen hörte:
«Sie sieht auf einmal richtig alt aus, dabei hat sie noch keine vierzig Jahre auf dem Buckel. Ihr Mann wird sie so lange quälen, bis sie zusammenbricht. Dann erst ist er zufrieden.» Die Köchin senkte die Stimme: «Wenn du mich fragst: Der hat den Teufel im Leib. Ich wünsche niemandem den Tod, aber wenn Bantzer sterben würde, wäre das eine Erlösung für die Stadellmenin.»
Seufzend wandte sich Catharina ab und ging zurück in die Stube. War sie wirklich alt und grau geworden? Mehr denn je sehnte sie sich nach ihrer Jugend auf dem Land zurück. Wie viele Freiheiten hatte sie damals genossen, ohne dass sie sich dessen bewusst gewesen wäre. Jetzt, in ihrem vierzigsten Jahr, sah sie ihr Leben dem Ende zugehen, ohne dass sich ein einziger ihrer Träume erfüllt hätte: Weder zog sie Kinder groß, noch führte sie eine zufriedene Ehe. Ihre zahlreichen Fähigkeiten verkümmerten, ihr Alltag wurde immer stumpfsinniger, und sie fühlte sich oft genug einsam, denn einzig und allein Margaretha Mößmerin war ihr als Freundin geblieben. Zu Lene und Christoph hatte sie kaum oder keinen Kontakt, und von den Zwillingen Carl und Wilhelm wusste sie nicht einmal, ob sie noch in der Gegend lebten.
In letzter Zeit wurde sie nachts von Albträumen heimgesucht, aus denen sie schweißgebadet erwachte. Die Szenen wiederholten sich: Tante Marthe mit aufgerissener Brust, Johann, der sie bedrohte, Christoph, der sie in Benedikts Bett überraschte. Nur von Michael oder Marthe-Marie träumte sie nie. In manchen dieser Albträume erschien der blinde rote Zwerg, dem sie als Kind beim Bischofskreuz begegnet war, und beobachtete schweigend ihre Leiden. Eines Morgens wusste sie plötzlich wieder, was der alte Bartholo ihr damals prophezeit hatte: dass sie nach einer unseligen Ehe wieder glücklich sein würde wie in ihren Kindertagen, dass dieses Glück jedoch bedroht sei. «Hüte dich vor den Nachbarn», waren seine letzten Worte gewesen, dessen war sie sich jetzt ganz sicher. Würde sich ihr Leben doch noch ändern? Und wieso sollten ihre Nachbarn eine Bedrohung darstellen?
Catharinas persönlicher Kummer schien sich in der Stimmung der Bürger widerzuspiegeln, die zunehmend trostloser wurde. Bei allem Auf und Ab waren die Freiburger immer ein lebenslustiges Volk gewesen, das zu jeder Gelegenheit ausgelassen zu feiern wusste. Doch jetzt verabschiedete der Stadtrat eine Verordnung nach der anderen und schränkte die Bürger in ihrer Freiheit ein. Auf den Straßen durfte nicht mehr getanzt oder musiziert werden, Gauklern und fahrendem Volk wurde der Eintritt in die Stadt verwehrt, und selbst auf Feiern im eigenen Haus erschienen die Stadtwächter, um nach dem Rechten zu sehen. Kein Fremder durfte sich mehr in der Stadt niederlassen. Die Bewohner waren angehalten, ihre Mitmenschen zu beobachten und Auffälligkeiten anzuzeigen, und die geringsten Vergehen wurden hart bestraft. Von den Kanzeln prasselten Drohungen von Fegefeuer und ewiger Verdammnis auf die eingeschüchterte Gemeinde nieder. Im Rahmen ihrer Erneuerung und ihres Kampfes gegen die Protestanten scheute die katholische Kirche keine Mittel, um ihre Schäfchen in ihre Schranken zu verweisen, und der Magistrat schien in seiner Härte mit der Kirche wetteifern zu wollen. Die Frauenhäuser wurden geschlossen, in den öffentlichen Bädern durften Frauen und Männer nur noch getrennt baden, Kupplerinnen und Huren standen mit geschorenen Köpfen am Pranger. Die städtischen Hebammen mussten jede Schwangerschaft melden, und einer Frau, deren Leibesfrucht vorzeitig abging, drohte der Prozess wegen Abtreibung oder Kindstötung. Erneut saß eine der Zauberei beschuldigte Frau im Christoffelsturm und wartete auf ihre Verurteilung – zum ersten Mal handelte es sich nicht um jemandem aus dem einfachen Volk, sondern um eine angesehene Kaufmannsfrau.
Jede öffentliche Bestrafung, jede Hinrichtung stellte eine willkommene Abwechslung dar, und die wenigen von der Kirche zugelassenen Feste wie Fastnacht oder die Passionszeit waren für die verdrossenen Bürger die einzige Möglichkeit, aus den engen Grenzen des Alltags auszubrechen. An solchen Tagen floss der Alkohol in Strömen, und die Menschen schüttelten ihre Hemmungen und Zwänge ab wie lästige Kleidungsstücke. Die weltlichen und geistlichen Herren der Stadt drückten dabei nicht nur beide Augen zu, sondern mischten kräftig mit.
Die Vorbereitungen zur Fronleichnamsprozession und den daran anschließenden Passionsspielen waren in vollem Gange. Jede der zwölf Freiburger Zünfte hatte eine Szene aus der Heilsgeschichte aufzuführen, etwa «Josef und Maria mit dem Kinde in Ägypten» oder «Pilatus führt Christus, gekrönt und gegeißelt». Wer bei diesen Darstellungen eine Rolle bekam, war von Stolz erfüllt und studierte in den Zunftstuben mit Feuereifer seinen Text ein. In den Werkstätten wurden die notwendigen Requisiten hergestellt und die vom Vorjahr vorhandenen ausgebessert. Fast alle in der Stadt beteiligten sich auf irgendeine Weise an den Vorarbeiten.
Wie jedes Jahr war es im Vorfeld der Feierlichkeiten zu Streitereien gekommen. Die Rebleute, ohnehin die Zunft mit dem geringsten Ansehen und vom Magistrat längst als Sammelbecken für Knechte, Tagelöhner und Bettler benutzt, beschwerten sich, dass ihnen zum wiederholten Mal die undankbarste Szene zugeteilt worden sei, nämlich die Darstellung des Teufels mit den verdammten Seelen. Böses Blut löste auch wieder die Diskussion aus, ob an der Spitze der Prozession die Stadtoberen oder die Regenten der Universität marschieren sollten.
«Wieso lässt man sie nicht einfach nebeneinander gehen?», schlug Catharina vor.
«Was verstehst du schon davon», wies Michael sie zurecht. Er hatte mit den Vorbereitungen alle Hände voll zu tun, war kaum noch zu Hause, und Catharina genoss die Ruhe.
Schon in den Morgenstunden des Fronleichnamstages wurde an jeder Straßenecke Wein und Bier ausgeschenkt, und als zur Mittagsstunde die Spiele auf dem Münsterplatz begannen, war kaum einer der Mitspieler oder Zuschauer noch nüchtern. So nahm es nicht wunder, dass den meisten der notwendige heilige Ernst für die Aufführung fehlte. Bei dem geringsten Anlass brach die Menge in Gelächter aus: Da hatte der Darsteller der Maria Magdalena in der Eile vergessen, sich zu rasieren, und jetzt schimmerten unter weißer Schminke die dunklen Barthaare durch. Am Abendmahlstisch, der von einem Ochsengespann über den Platz gezogen wurde, kippten zwei der Apostel hintenüber und fielen vom Wagen. Als der Teufel dem Judas den Bauch aufschlitzte und Milch, Kutteln und rote Grütze auf das Pflaster spritzten, kam eine Horde Straßenköter angerannt und machte sich schwanzwedelnd über die unverhoffte Mahlzeit her. Einzig bei der Kreuzigungsszene, als Böllerschüsse von der Burghalde den Himmel donnern ließen, schwiegen die Leute andächtig.
Michael hatte Catharina gebeten, ihn zur Aufführung der Spiele und dem anschließenden Fest vor dem Münster zu begleiten. Besorgt beobachtete sie, wie er von Dünnbier zu Wein und schließlich zu Selbstgebranntem wechselte. Als die Schatten der umstehenden Häuser länger und die Luft kühler wurde, war er betrunken. Seinen rechten Arm hatte er um den Stadtschreiber gelegt, den linken um eine junge Frau, die Catharinas Vermutung nach seine neue Geliebte war, und grölte mit den anderen am Tisch lauthals Trinklieder. Er trank ein Glas ums andere, und seine Hand zitterte bereits. Auf seinem Wams breiteten sich Flecke von verschüttetem Branntwein aus.
Catharina zog sich ihr wollenes Tuch fester um die Schultern. Ihr war kalt, und sie wollte nach Hause. Außerdem ertrug sie kaum noch den Anblick ihres betrunkenen Mannes. Als er sich zu seiner Nebensitzerin hinüberbeugte und sie küsste, stand Catharina entschlossen auf und ging nach Hause. Sollte sie sich vor aller Augen von Michael demütigen lassen? Nein, dachte sie, einen kleinen Rest Stolz besitze ich noch.
Als sie den Fischmarkt erreichte, sah sie Marx Sattler, einen Studenten, vor dem Haus des Jacob Baur herumschleichen. Von Margaretha wusste sie, dass Marx der neue Liebhaber ihrer Tochter Susanna war und Jacob ihm verboten hatte, auch nur in die Nähe seines Hauses zu kommen. Dass er sich hier zur Abendstunde herumtrieb, würde dem Geschwätz der Leute wieder neue Nahrung geben. Vielleicht sollte sie ihn wegschicken?
Da ging ein Fenster im ersten Stockwerk auf, und Susanna beugte sich heraus. Als sich ihre und Catharinas Blicke trafen, streckte sie Catharina die Zunge heraus und schlug die Fensterflügel wieder zu. Kopfschüttelnd ging Catharina weiter. Margaretha war um ihre Familienverhältnisse auch nicht gerade zu beneiden.
Das Haus zum Kehrhaken wirkte wie ausgestorben. In der Werkstatt arbeitete schon seit gestern niemand mehr, und die beiden Hausmägde hatten frei. Catharina war die Stille fast unheimlich. Sie ging im Bücherkabinett auf und ab und wusste nicht so recht, was sie mit sich anfangen sollte. Draußen verfärbte sich der Himmel glutrot. Sie setzte sich in den Lehnstuhl und starrte gedankenverloren in das dunkle Zimmer.
Plötzlich fuhr sie zusammen. Eine Tür knallte, dann rumpelte es, wieder knallte eine Tür. Einbrecher, dachte sie sofort, denn sie wusste, dass an Festtagen, wenn sich alle Welt auf den Straßen herumtrieb, die leer stehenden Häuser eine leichte Beute für Räuber und Tagediebe darstellten. Doch dann trampelte jemand die Treppe herauf. Das konnte nur Michael sein.
«Die gnädige Frau hat wohl keine Lust zu feiern.» Verschwitzt und mit schwerem Atem, der nach Branntwein stank, baute sich Michael vor ihr auf. Catharina schwieg.
«Antworte gefälligst, wenn ich mit dir rede», schnauzte er sie an und zog sie mit hartem Griff aus ihrem Sessel hoch.
«Lass mich los, du tust mir weh.»
«Jetzt hör gut zu, was ich dir zu sagen habe: Das machst du nicht nochmal, sonst vergesse ich mich.»
«Was soll ich nicht nochmal machen?» Catharina riss sich los.
Da fing er an zu brüllen. «Glaubst du, ich lasse mich von dir behandeln wie ein hergelaufener Hund? Ohne ein Wort aufzustehen und mich einfach sitzen zu lassen. Weißt du, was die Leute am Tisch gesagt haben? ‹Na, Bantzer, deine Frau sucht sich jetzt wohl ihr eigenes Vergnügen.› Nein, das machst du nicht nochmal.»
«Soll ich etwa in Ruhe mit ansehen, wie du dich zum Hurenbock machst?», entfuhr es Catharina. Im selben Moment bereute sie ihre Bemerkung, aber es war zu spät. Michael schlug zu. Einmal, zweimal und noch einmal. Ihre Unterlippe platzte auf, und sie stolperte mit der Stirn gegen die Pultkante. Dann sank sie zu Boden.
Ungerührt blickte er auf sie herunter. «Damit du Bescheid weißt: Ich komme heute Nacht nicht nach Hause.»
Catharina spürte keinen Schmerz, nicht einmal mehr Hass auf ihren Mann. Erschöpft schloss sie die Augen und wünschte sich einen kurzen Moment lang nichts sehnlicher, als zu sterben.
So fanden sie kurze Zeit später Elsbeth und Barbara.
«Heilige Notburga, die Stadellmenin ist überfallen worden», schrie Elsbeth entsetzt auf und kniete sich neben Catharina, unter deren Kopf sich eine Blutlache ausgebreitet hatte. Wie aus weiter Ferne hörte Catharina die Stimmen der beiden Frauen und richtete sich langsam auf.
«Schnell, wir müssen sie in die Küche bringen», sagte Barbara. Behutsam setzten sie Catharina auf die Küchenbank und legten ihre Beine auf einen Hocker. Während die Köchin die Platzwunden an Stirn und Lippe versorgte, flößte Elsbeth ihr einen Becher Zwetschgenwasser ein.
«Es geht schon wieder, vielen Dank.»
«Seid Ihr überfallen worden? Habt Ihr den Einbrecher erkannt?»
«Es war mein Mann.»
Barbara und Elsbeth sahen sich an.
«Wenn Euch Euer Mann noch einmal schlägt, müsst Ihr vor die Zunftversammlung gehen», sagte Barbara. Das Entsetzen war ihr deutlich anzusehen. «Und wenn Ihr es nicht tut, werde ich gehen, und wenn es mich meine Stellung kostet.»
Michael ließ sich erst am übernächsten Tag wieder blicken.
«Pass in Zukunft besser auf, was du tust oder sagst – dann muss ich nicht zu solchen Mitteln greifen», war alles, was ihm beim Anblick von Catharinas zerschundenem Gesicht einfiel. Hasserfüllt sah sie ihn an. Er wich ihrem Blick aus und wollte sich abwenden, da geschah etwas, womit sie niemals gerechnet hätte: Michael fiel vor ihr auf die Knie und verbarg sein Gesicht in den Händen. Sie verstand kaum, was er sagte.
«Was hab ich nur getan? Ich brauche dich doch, du bist der einzige Mensch auf der Welt, der zu mir gehört. Catharina, meine liebe Frau.»
Die restlichen Worte gingen in Schluchzen unter. Ein kleines Häufchen Elend war das, was da vor ihr auf dem Fußboden kauerte, doch Catharina hatte kein Mitleid mehr mit Michael. Ohne sich weiter um seinen Gefühlsausbruch zu kümmern, ließ sie ihn allein.
Wegen ihrer Verletzungen wagte sie sich tagelang nicht aus dem Haus, und als eines Nachmittags Margaretha Mößmerin vorbeischaute, fiel es Catharina schwer, ihrer Freundin zu erzählen, was vorgefallen war, denn sie schämte sich.
Margaretha streichelte ihre Hand. «Arme Catharina», murmelte sie. «Was sind das bloß für Zeiten.»
Catharina spürte sofort, dass auch Margaretha etwas auf dem Herzen hatte. So bedrückt hatte sie schon lange nicht mehr gewirkt. Auf Catharinas Drängen hin begann sie zu erzählen, was geschehen war.
«Ich weiß nicht mehr, wo mir der Kopf steht. Ein Unglück folgt dem nächsten. Du weißt doch, dass unser Sohn sich endlich entschlossen hat zu studieren. Dabei macht er uns aber nur Kummer, denn er treibt sich herum und wirft Jacobs Geld zum Fenster hinaus. Zudem ist Susannas Mann schon wieder im Schuldturm gelandet, und wir mussten ihn mit einer hohen Summe auslösen. Und vorgestern sind Susanna und der Sattler Marx wegen Buhlerei und Beleidigung verhaftet worden.»
Sie berichtete, wie ein Stadtknecht die beiden nach Einbruch der Dunkelheit in der Toreinfahrt bei eindeutigen Handlungen erwischt hatte. Er wollte sie zur Rede stellen, da drehte Susanna ihm den Rücken zu, hob den Rock und streckte ihm ihren nackten Hintern entgegen.
«Das ist aber noch nicht alles.» Verstohlen wischte sich Margaretha die Tränen aus den Augenwinkeln. «Jacob zieht sich immer mehr in sich zurück, seine Gesundheit ist angegriffen. Vielleicht hat dir dein Mann ja erzählt, dass er schon seit zwei Wochen nicht mehr im Stadtrat war.»
Catharina schüttelte den Kopf. Von Michael erfuhr sie überhaupt nichts mehr.
«Einerlei – jedenfalls erschien gestern eine Frau aus Herdern vor Gericht und sagte aus, Jacob Baur habe sich umgebracht, da er es nicht mehr ertragen habe, mit einer Hexe verheiratet zu sein. Sie habe mich und ein paar andere Bürgersfrauen, die sie mit Namen nannte, bei einem Hexensabbat beobachtet.»
«Wie bitte?» Catharina riss erschrocken die Augen auf. «Diese Behauptung ist doch völlig unsinnig!»
«Natürlich, aber als der Gerichtsbote bei uns zu Hause erschien, um zu sehen, was an dieser Behauptung von Jacobs Tod dran sei, brach Jacob vor Aufregung zusammen. Gott sei Dank geht es ihm wieder besser, aber heute Morgen hat er seinen Rücktritt vom Magistrat eingereicht.»
Catharina konnte das alles kaum glauben. «Und was geschieht mit dieser Frau?»
«Sie wird wohl wegen Verleumdung verurteilt werden. Aber verstehst du, Catharina, auch wenn das eine Verrückte war: Es wurde ein Protokoll aufgenommen, und jetzt steht mein Name im Zusammenhang mit Hexerei in den Gerichtsakten.»
«Mach dir deswegen keine Sorgen», versuchte Catharina sie zu beruhigen. «In den Akten wird schließlich auch vermerkt, dass es sich um eine bösartige Verleumdung handelt. Und dein Mann sollte sich das mit dem Rücktritt nochmal überlegen.»
Doch Jacob Baur blieb bei seinem Entschluss. Böswillige Zungen behaupteten, mit seinem Rückzug aus dem öffentlichen Leben gestehe er ein, dass es in seiner Familie tatsächlich nicht mit rechten Dingen zugehe. Obwohl zunächst nur wenige Bürger von den Vorfällen im Hause Baur wussten, dauerte es nicht lange, bis die übliche Gerüchteküche in Gang kam: Margaretha Mößmerin und ihre Tochter Susanna hätten Baur in den Ruin getrieben, hieß es, und gewiss seien da böse Mächte mit im Spiel. Zwar wagte niemand, Beschuldigungen in dieser Richtung offen auszusprechen, doch die beiden Frauen wurden von aller Welt geschnitten. Erschienen sie auf dem Markt, verstummten sofort die Gespräche in ihrer Nähe, zu den Feierlichkeiten oder Festessen in den Bürgerhäusern wurden sie nicht mehr eingeladen.
Nur wenige Monate nach Baurs Rücktritt aus dem Stadtrat wurde Margaretha erneut als Hexe denunziert. Der Ballierer Friedlin Metzger, ein stadtbekannter Querulant, suchte das Gespräch mit dem Münsterpfleger Wetzel und eröffnete dem erstaunten Mann, er könne die Mößmerin jetzt endgültig der Hexerei überführen, er habe handfeste Beweise. Und als Folge müsse der Stadtrat neu besetzt werden, denn die Mößmerin habe fast alle Ehefrauen dieser ehrwürdigen Ratsherren in den Sumpf des Bösen hineingezogen.
Dummerweise war Friedlin an einen der wenigen Freunde geraten, die Jacob Baur noch geblieben waren, und so erfuhren Margaretha und ihr Mann umgehend von diesen infamen Anschuldigungen. Wetzel veranlasste sofort, dass Friedlin wegen Verleumdung verhaftet wurde, was weiter keine Schwierigkeiten bereitete, denn der Ballierer hatte wegen Diebstahl, Schulden und Sachbeschädigung schon etliche Male im Turm gesessen. Doch hartnäckig verbreitete er selbst im Gefängnis weitere Lügengeschichten über Margaretha. Über zwei Monate lang lag er angekettet im Martinstor, dann erst gab er auf. Nachdem er seine Anschuldigungen widerrufen hatte, wurde er entlassen und musste zum Zeichen seiner Sühne eine Pilgerreise nach St. Jakob de Compostela antreten.