13

Ihr Kopf schmerzte, als sie erwachte. Hätte sie nur nicht so viel getrunken, wo sie Alkohol nicht gewohnt war. Widerwillig öffnete sie die Augen. Die Bettseite neben ihr war leer. Wie spät mochte es sein? Die Schlafkammer musste nach Norden oder Westen hinausgehen, denn trotz des wolkenlosen Himmels, den sie durch das kleine Fenster sehen konnte, herrschte noch düsteres Licht im Raum. Sie ließ sich wieder in die Kissen fallen. Nur langsam kamen ihre Gedanken in Schwung, und wie aus milchigem Morgennebel tauchten Bilder des vergangenen Tages auf: der letzte Moment in ihrer leer geräumten Kammer am Holzmarkt, die ausgelassene Menschenmenge vor der Kirche, der betrunkene Priester, der schnarchend im Lehnstuhl lag, johlende Männer, die sie ins Schlafzimmer begleiteten, und dann plötzlich ein gestochen scharfes Bild: Christoph, der sie mit hastigen Zärtlichkeiten bestürmte. Sie schüttelte den Kopf und sprang auf. Nein, sie war nicht mehr das kleine Mädchen, das sich in Tagträumen verlor. Wo war Michael? Fast kam ein wenig Schadenfreude in ihr auf, dass dieser vermeintliche Stier von einem Mann seine Hochzeitsnacht verschlafen hatte.

Nachdem sie sich gewaschen und angezogen hatte, ging sie in den Esssaal, wo ein üppiges Frühstücksmahl mit frischem Weißbrot, Käse und Obst auf sie wartete. Vor ihrem Gedeck stand eine Vase aus Rauchglas mit einem Strauß roter Rosen. Gertrud, das Hausmädchen, brachte ihr warme Milch.

«Der gnädige Herr lässt Ihnen ausrichten, dass er in der Werkstatt ist. Wenn Ihr fertig seid, werde ich ihn holen.»

Catharina nickte und ließ es sich schmecken. Freundlich schien die Sonne durch die drei Fenster, die die ganze Längsseite des Raums einnahmen. Sie gingen zur Straße hinaus, leise konnte man Stimmen und das Rumpeln der Wagen auf der Großen Gasse hören. Dieser Raum war ganz offensichtlich zum Repräsentieren gedacht, so kunstvoll, wie er eingerichtet war. In der Ecke sorgte ein lindgrüner Kachelofen im Winter für Wärme. Die mächtigen Deckenbalken waren mit Blattwerk bemalt, die Wände von oben bis unten holzgetäfelt, der Fußboden mit rötlich schimmernden Tonfliesen bedeckt. Wie leicht musste so ein Boden zu pflegen sein. Wenn sie da an die Dielenbretter der Gasträume in Lehen dachte, in deren Ritzen sich immer Schmutz und Essensreste festsetzten! Ganz abgesehen von den Estrichböden in den anderen Zimmern, die kaum sauber zu halten waren. Sie wollte gerade das Geschirr zusammenräumen, als Gertrud sie aufhielt.

«Lasst nur, lasst, ich mache das schon.»

Dies war keineswegs freundlich gemeint, und Catharina betrachtete erstaunt Gertruds zusammengekniffene Mundwinkel. Da sah sie Michael im Türrahmen stehen. Etwas verlegen kam er auf sie zu und küsste sie.

«Ich dachte, ich lass dich noch etwas schlafen», sagte er, und etwas leiser, mit einem Seitenblick auf die Magd, die das Geschirr hinaustrug: «Du musst dich daran gewöhnen, dass du hier Herrin bist.»

Catharina zuckte die Schultern. «Soll ich denn jetzt den ganzen Tag herumsitzen?»

«Kannst du es nicht einfach genießen, dein neues Leben als meine Ehefrau?»

Sie konnte sich nicht verkneifen, wegen der vergangenen Nacht zu sticheln. «In unserer Hochzeitsnacht hast du mir jedenfalls nicht viel Gelegenheit zum Genießen gegeben.»

Sie spürte seinen Unwillen.

«Gütiger Gott», brummte er. «Bist du etwa bisher nicht auf deine Kosten gekommen?»

War sie das? Versöhnlich nahm sie seine Hand.

«Sei nicht böse, es war nicht so gemeint. Zeigst du mir jetzt das Haus?»

Bisher hatte sie nur einen Bruchteil des Bantzer’schen Anwesens kennen gelernt, und sie kam aus dem Staunen über den Platz und die Bequemlichkeit des Hauses nicht mehr heraus. Im Erdgeschoss befanden sich gleich neben dem Durchgang zum Hof ein Lager- und ein Verkaufsraum. Durch den Verkaufsraum gelangte man in eine Art Kontor, ein winziges Zimmer, das voll gestopft war mit Papieren und schweren Büchern. Am Stehpult stand ein hagerer, etwas krumm gewachsener Mann mittleren Alters, dem die strähnigen Haare fettig ins Gesicht hingen.

«Das ist Hartmann Siferlin», stellte Michael ihr den Mann vor, der zu ihrer Begrüßung stumm mit dem Kopf nickte und sich dann wieder in seine Schreibarbeit vertiefte. «Er war gestern nur kurze Zeit auf dem Fest, wahrscheinlich erinnerst du dich nicht. Er führt nicht nur die Rechnungs- und Haushaltsbücher, sondern hat auch den Umbau in der Werkstatt mitgeplant. Er ist sozusagen meine rechte Hand, ohne ihn geht nichts.» Obwohl der letzte Satz ein großes Lob bedeutete, zeigte Siferlin keine Regung.

Sie verließen das Kontor durch eine Hintertür und standen in einem schmalen Stiegenhaus, in das nur wenig Licht durch kleine unverglaste Luken fiel.

«Das ist die Stiege für das Personal. Als junger Bursche hab ich sie häufiger benutzt als die Haupttreppe.»

«Und was ist das für eine niedrige Tür dort?»

Michael öffnete die Tür. «Die Badstube. Die kennst du bereits.»

Catharina schaute noch einmal kurz in den ganz mit Holz verkleideten Raum, von dem sie am Vortag so begeistert gewesen war. Bis zu ihrer Hochzeit hatte sie nicht gewusst, dass es Häuser mit eigenem Baderaum gab. In dem in die Mauer eingelassenen Kamin wurde das Wasser erhitzt und dann in den kreisrunden Holzbottich gefüllt. Von ihrem gestrigen Bad strömte die Stube immer noch Feuchtigkeit und Wärme aus.

Sie gingen die enge Stiege hinauf und gelangten von dort in die Küche. An einem riesigen klobigen Tisch saß die Köchin und schnitt Gemüse. Sie hatte ein gutmütiges Gesicht mit Grübchen in den dicken Wangen und lächelte erfreut, als sie eintraten.

«Barbara ist die beste Köchin Freiburgs. Sie verdient es eigentlich, im Roten Bären zu kochen statt in unserem bescheidenen Haushalt.» Michael kniff sie in den fleischigen Unterarm.

«Na, na», sagte sie nur, und es war unklar, ob sie damit Michaels Kompliment oder seine Berührung meinte. Neben dem Herdfeuer stand eine Anrichte mit Kesseln, Töpfen und Pfannen, alles aus bestem Gusseisen, darüber hingen von einem Wandbord die verschiedensten Koch- und Backwerkzeuge. Catharina erkannte auf den ersten Blick, dass diese Küche besser ausgestattet war als die des Lehener Gasthauses.

«Komm, ich zeige dir den ganzen Stolz meines Vaters.» Er nahm Catharina beim Arm und führte sie durch den Esssaal zu einer prächtigen messingbeschlagenen Tür, die ihr bisher noch gar nicht aufgefallen war. Sie betraten einen gemütlichen holzgetäfelten Raum. In einem Lehnstuhl, demselben, den man gestern für den Priester in den Hof geschleppt hatte, saß der alte Bantzer und las. Er erhob sich langsam und legte den Arm um Catharina.

«Guten Morgen, meine Liebe, oder besser: guten Tag, denn es ist schon reichlich spät. Ich hoffe, du hattest eine wunderbare Hochzeitsnacht in deinem neuen Heim.»

Dabei zwinkerte er albern seinem Sohn zu.

«Danke, ich habe herrlich geschlafen», gab Catharina ernst zurück.

Michael sah aus dem Fenster und beobachtete die Aufräumarbeiten im Hof.

«Meine Güte, die Kerle da unten bewegen sich, als würden sie schlafwandeln. Ich muss gleich nochmal hinunter.»

«Schick doch Hartmann», lächelte Michaels Vater. «Kümmere du dich lieber noch ein bisschen um deine hübsche Frau.»

Das Verhalten des Alten ihr gegenüber missfiel Catharina zusehends. Sie wandte sich zur Seite. Vor ihr erhob sich ein breites Regal, das vom Boden bis zur Decke mit Büchern bestückt war. So viele Bücher auf einmal hatte sie noch nie gesehen.

«Darf ich mir die einmal in Ruhe ansehen?» Sie strich vorsichtig über die prächtigen Ledereinbände.

Der alte Bantzer stellte sich neben sie. «Natürlich – solange du keine Seiten herausreißt.»

«Vater, Catharina kann lesen.»

«Ach ja? Umso besser, schadet schließlich nichts, wenn Frauen ein bisschen Bildung haben. Solange die anderen Fähigkeiten nicht darunter leiden.»

Dann setzte er sich mit seinem Buch wieder in den Lehnstuhl.

Sie gingen weiter das Treppenhaus nach oben, wo sich die Schlafkammern befanden.

«Neben unserem Zimmer ist die ehemalige Kammer meiner Schwester. Sie steht jetzt leer. Dahinter schläft mein Vater, und hinter unserer Kammer ist noch ein Raum, wo manchmal Gäste übernachten.» Sie durchquerten die kleinen Kammern, wo die Hochzeitsgeschenke gestapelt waren, und standen schließlich wieder auf der dunklen Holzstiege für das Dienstpersonal.

«Bleib hier», sagte er und hielt sie am Arm fest, als sie die Stiege zum Dachboden hinaufklettern wollte. «Da oben gibt es nichts zu sehen, nur Gerümpel und die Kammern von Gertrud und Barbara.»

Sie zeigte auf die Aborttür neben dem Aufgang zum Dachboden. «Stimmt es, dass die beiden Frauen den Abort im Hof benutzen müssen?»

Statt einer Antwort küsste er sie in den Nacken.

«Was für ein unnütz weiter Weg. Ehrlich, Michael, mich würde es nicht stören, wenn …»

Er küsste sie auf den Mund und ließ seine Hand unter ihren Rock gleiten.

«Kümmere dich nicht so viel um das Dienstpersonal, es gibt Wichtigeres.»

Er hob sie hoch und trug sie auf das Bett ihres Schlafzimmers. Ein wohliger Schauer durchfuhr Catharina, als er ihr das Kleid hochschob und die Innenseite ihrer Schenkel küsste, erst sanft, dann immer nachdrücklicher. Das Spiel seiner Lippen und seiner Finger entfachten eine Lust, die ihren ganzen Körper zum Glühen brachte. Bitte lass ihn nicht aufhören damit, dachte sie und stöhnte auf, als sich ihr Unterleib plötzlich in heftigen Wellen wieder und wieder zusammenzog. Erst nachdem Michael längst in sie eingedrungen war und seine Stöße schneller wurden, ebbte dieses berauschende Gefühl ab. Dann kam auch er, und mit einem heftigen Aufschrei sank er auf sie nieder.

«Es war wunderschön», flüsterte sie und küsste seine Hand, die ihr eben noch so viel Vergnügen bereitet hatte.

«Du sollst doch zufrieden sein mit deinem Mann», gab er lächelnd zurück. Dann stand er auf und ging an den Waschtisch, wo er sorgfältig Hände und Geschlecht reinigte.

«Führst du mich gleich noch durch die Werkstatt?»

«Ein andermal. Dort herrscht noch solch ein Durcheinander, du würdest einen ganz falschen Eindruck bekommen. Schau dir erst einmal die Geschenke an. Du wirst staunen, es sind richtige Schätze dabei.»

«Ach, daran liegt mir nicht viel. Versprichst du mir, dass wir bald einmal nach Italien reisen?»

«Versprochen!»

Sie kuschelte sich wohlig in das warme Kissen. «Was für ein riesiges Haus wir bewohnen.»

Er grinste breit. «Ich gebe mir alle Mühe, es mit vielen Kindern zu bevölkern.»


Trotz gelegentlicher Anfälle von Dickköpfigkeit war Anpassungsfähigkeit eine von Catharinas hervorstechendsten Eigenschaften. Immer, wenn sich ihre Lebenssituation grundlegend geändert hatte, fand sie sich ohne große Mühe in die neuen Gegebenheiten ein. Zumindest war das bisher so gewesen, doch jetzt beschlichen sie Zweifel, ob sie sich jemals an dieses neue Leben gewöhnen würde. Der Alltag in dieser angesehenen und wohlhabenden Bürgersfamilie erschien ihr fremdartiger, als es das Leben einer Magd auf einem Einödhof im Schwarzwald gewesen wäre. Jedenfalls dachte sie das, als sie in den ersten Tagen Haus und Hof noch einmal auf eigene Faust erkundete. Der alte Bantzer war für eine Woche verreist, und Michael arbeitete ohne Unterlass, da die Umbauarbeiten in der Werkstatt bis Monatsende abgeschlossen sein sollten. So schlenderte sie durch die blank geputzten Zimmer und Kammern, zog Schubladen auf und öffnete Schranktüren. Sie bemerkte, wie sie bei ihren Erkundigungen von den misstrauischen Blicken des Hausmädchens verfolgt wurde.

«Hat eigentlich mal jemand gezählt, wie viele Zinnteller und Leuchter und Schüsseln es hier im Haus gibt?»

Nur widerwillig, das spürte Catharina, gab Gertrud Auskunft.

«Als die werte Herrin, Gott hab sie selig, gestorben war, wurde ein Inventar erstellt. Aber jetzt ist durch Eure Hochzeit ja wieder einiges hinzugekommen.»

«Dann werden wir uns nächste Woche einmal zusammensetzen und ein neues erstellen.»

Kaum hatte Catharina den Satz ausgesprochen, wunderte sie sich selbst über ihren Vorschlag. Ihre neuen Besitztümer interessierten sie eigentlich überhaupt nicht, nur verspürte sie plötzlich den Drang, irgendeine Aufgabe zu übernehmen und nicht alles dieser mürrischen Frau zu überlassen. Sie ließ Gertrud ohne ein weiteres Wort stehen und beschloss, sich Bantzers Bücher anzusehen. Enttäuscht stellte sie fest, dass die Tür zum Bücherkabinett verschlossen war. Vielleicht hatte Michael einen Schlüssel.

Als sie das Tor zur Werkstatt öffnete, schlug ihr beißende Hitze entgegen. Etwa zehn Männer standen an den Werkbänken oder an einer der beiden offenen Feuerstellen. Sie arbeiteten an einem zweiflügeligen Eisentor. Catharina wusste von Michael, dass es sich um einen großen Auftrag für das Archiv des Kaufhauses handelte. Das leise metallische Hämmern, das man im Haus den ganzen Tag über hörte, wurde hier zu ohrenbetäubendem Lärm, und die Männer konnten sich nur schreiend verständigen. Michael war nicht zu sehen. Sie ging nach nebenan in das Material- und Werkzeuglager, wo es etwas ruhiger zuging. Ein junger Mann, schlank und nur wenig älter als sie, packte eine Kiste mit Eisenplatten aus.

«Ihr sucht sicher Euren Mann. Er ist drüben im Kaufhaus.» Der Mann wischte sich die Hände an der Lederschürze ab und reichte ihr seine Rechte, an der der Zeigefinger fehlte. Er hatte ein offenes Gesicht mit strahlenden Augen, von denen eines braun, eines tiefblau war.

«Wir haben uns zwar beim Hochzeitsfest schon kurz gesehen, aber ich denke, ich sollte mich noch einmal vorstellen. Ich bin Benedikt Hofer, seit vielen Jahren Bantzers Geselle.»

Catharina war völlig gebannt von seinen Augen.

«Wisst Ihr, ob mein Mann länger ausbleibt?»

«Ich denke, er wird gegen Mittag zurück sein.»

Sie bedankte sich und ging hinaus in den Hof, wo sie sich für einen Moment an den Brunnenrand lehnte. Nach der Hitze in der Werkstatt musste sie erst einmal Luft schnappen. Plötzlich hatte sie das Gefühl, beobachtet zu werden. Verunsichert sah sie sich um, aber der Hof war leer. Dann sah sie einen Schatten am Fenster des Kontors, der gleich wieder verschwand. Sie ging ins Haus zurück.

«Ihr solltet als Frau nicht allein in die Werkstatt. Das ist zu gefährlich.»

Catharina fuhr herum. Sie hatte Hartmann Siferlin nicht kommen hören. Für einen Mann hatte er eine unangenehm hohe und dünne Stimme. Doch mehr noch überraschte sie die Kälte, die von ihm ausging, eine spürbare Kälte, die sie frösteln ließ, als hätte sie einen Keller betreten.

«Danke für den Hinweis, aber ich denke, es gibt gefährlichere Orte für eine Frau», sagte sie und ging die Treppe hinauf.

Beim Mittagessen fragte Catharina Michael nach dem Schlüssel für die Bibliothek, doch er hatte auch keinen.

«Ich finde es unerhört, dass dein Vater die Bibliothek abschließt, wenn er weg ist.»

«Du musst ihn verstehen. Es sind sehr wertvolle Bände darunter.»

«Und ich könnte sie stehlen?»

«Unsinn, du natürlich nicht. Wenn du willst, frage ich ihn, ob wir einen Schlüssel nachmachen können.»

Catharina ärgerte sich ein wenig, dass Michael nicht allein darüber entscheiden konnte. So ehrgeizig und erfolgreich er sonst war, benahm er sich seinem Vater gegenüber wie ein Kind.


Catharina stellte bald fest, dass ihrer Selbständigkeit Schranken gesetzt wurden. Sie deutete nach der Hochzeit an, dass sie wieder im Gasthaus helfen wollte, zumindest so lange, bis die Wirtsleute einen Ersatz für sie gefunden hätten. Als Michael das hörte, wurde er so wütend, wie sie ihn noch nie erlebt hatte.

«Meinst du, ich mache mich zum Gespött der Leute? Eine Bantzerin als Schankfrau – ich glaube, du bist vollkommen verrückt geworden!»

Sie erfuhr, dass er schon Tage vor der Hochzeit mit Berthold und Mechtild alles Nötige abgesprochen und ihnen eine Abfindung für ihr Ausscheiden gezahlt hatte. Auch davon hatte sie wieder einmal nichts gewusst.

Als Nächstes geriet sie mit dem Hausmädchen aneinander. Catharina war es nicht gewohnt, bedient zu werden, und so war es für sie nur selbstverständlich, ihr Zimmer selbst in Ordnung zu halten oder das Geschirr in die Küche zu tragen. Einmal verschüttete sie beim Frühstück Milch auf den Boden und kroch unter den Tisch, um die Lache aufzuwischen.

«Ich sehe», hörte sie Gertruds Stimme über sich, «dass ich hier langsam überflüssig werde. Dann kann ich ja meine Stellung aufkündigen.»

Catharina entschuldigte sich und versuchte ihr zu erklären, dass sie sich keineswegs in ihren Zuständigkeitsbereich einmischen wolle, aber es half nichts: Von diesem Moment an wurde ihr Verhältnis noch frostiger.

Abends im Bett beklagte sie sich bei Michael.

«Ich wohne hier in einem goldenen Käfig. Diese Gertrud behandelt mich wie einen hergelaufenen Eindringling, du hast Arbeit bis zum Hals und ich soll den ganzen Tag Däumchen drehen.»

«Warte nur ab, bis wir Kinder bekommen. Dann hast du genug Aufgaben.» Er drehte sich zur Seite und gähnte. «Und mit Gertrud werde ich morgen reden.»


Doch Michael schob das Gespräch mit dem Hausmädchen immer wieder hinaus, und es änderte sich zunächst nichts. Catharina machte eine völlig neue Erfahrung: Sie langweilte sich und fühlte sich oft allein. Manchmal war sie nahe daran, Moses zu sich zu holen, verwarf den Gedanken aber wieder, denn der Hund wäre den ganzen Tag im Hof eingesperrt. Die einzigen Lichtblicke waren Lenes Besuche und der tägliche Gang über den Markt. Das Einkaufen der Lebensmittel ließ sie sich von Gertrud nicht nehmen: Sie liebte es, zwischen den Buden und Ständen zu schlendern, die je nach Jahreszeit mit dem ganzen Reichtum aus den Flüssen, Feldern und Gärten der Umgebung bestückt waren, zwischen den Gerüchen nach Fisch, frischem Brot oder Gewürzen, hier ein Schwätzchen, dort ein Schwätzchen haltend und ganz nach eigenem Gutdünken zu entscheiden, welches Obst oder Gemüse oder Fleisch im Hause Bantzer auf dem Küchentisch landen würde. Was daraus letztlich zubereitet wurde, überließ sie nach wie vor der Köchin.

Gleich bei ihrem zweiten oder dritten Marktgang traf sie Mechtild vom Schneckenwirtshaus. Sie sah müde aus, strahlte aber, als sie Catharina erblickte.

«Schön, dich zu sehen, du fehlst uns sehr.»

Catharina seufzte. «Ich würde so gern bei euch weiter arbeiten, wenigstens ab und zu. Aber mein Mann ist dagegen, wie ihr wisst. Er hat mich euch ja regelrecht abgekauft.»

«Na ja, ein bisschen kann ich ihn verstehen. Eine Schankstube ist nicht mehr die rechte Umgebung für dich.»

Als Catharina nach Berthold fragte, stieg der Wirtsfrau eine leichte Röte ins Gesicht.

«Stell dir vor, er ist seit vorgestern im Turm, für fünf Tage ‹gefänglich eingesetzt›, wie es in der Amtssprache heißt. Das war eine schöne Aufregung!»

Sie erzählte, dass Berthold einen Stammgast, der in der Predigervorstadt wohnte, in der Schankstube hatte übernachten lassen, weil er nach einem Streit mit seiner Frau sturzbetrunken gewesen war. Irgendwer hatte diesen Gast dann zu früher Morgenstunde angeblich mit einem Mädchen herauskommen sehen und das sofort an die Stadtwächter weitergetragen. Ob das der Wahrheit entsprach, war nicht zu beweisen, in jedem Fall aber hatte Berthold Unrecht begangen, denn ein Erlass zum Schutz vor Kuppelei verbot es den Wirtsleuten, Bürger, die eine eigene Wohnung in der Stadt hatten, zu beherbergen.

«Und wie geht es ihm jetzt?»

Mechtild musste lachen. «Weißt du, er kennt den Turmwärter gut, und sie sind den ganzen Tag am Würfeln und Kartenspielen. Erzähl das aber nicht weiter.»

Beim Abschied versprach Catharina, sie bald einmal zu besuchen.


Lenes Besuche hingegen wurden im Laufe des Herbstes immer seltener. Erst nach Wochen erfuhr Catharina den Grund dafür: Ihre Base hatte einen Mann gefunden. Dieses Mal war es wohl keine Spielerei. Dass der Auserwählte kein Bursche aus dem Dorf war, sondern ein Hauptmann in habsburgischen Diensten, passte zu Lene.

«Raimund ist einfach ein Wunder von einem Mann», schwärmte sie. «Er sieht nicht nur gut aus – du müsstest ihn mal in seiner Festtagsuniform sehen –, sondern hat auch Hirn im Kopf. Und er weiß, was er will. Er ist gerade erst zum Truppenführer ernannt worden. Dummerweise ist er in Ensisheim stationiert.»

«Werdet ihr heiraten?»

«Ja natürlich. In zwei Wochen schon.»

«Und dann?» Eigentlich war diese Frage überflüssig, denn Catharina ahnte die Antwort.

«Dann werde ich zu ihm nach Ensisheim ziehen.»

Ensisheim war Sitz der vorderösterreichischen Regierung und für Catharina so weit weg wie die Neue Welt, von der ihr Vater immer erzählt hatte. Sie kämpfte mit den Tränen. Wenn sie auch längst nicht mehr so viel zusammen waren wie zu Lehener Zeiten, so war Lene doch ihre einzige Freundin und Vertraute.

«Bist du denn schwanger, dass ihr so schnell heiratet?»

«Bis jetzt hoffentlich noch nicht. Aber er ist ein richtiger Bock, und wann immer es geht –» Sie unterbrach sich und lachte. «Das kennst du ja sicher, dein Mann wirkt auch nicht gerade wie ein Siebenschläfer.»

Catharina zuckte zusammen. Lene lag mit ihrer Vermutung völlig falsch. Fast drei Monate war sie schon verheiratet, und es schien, dass Michael jetzt, wo sie seine Frau war, kein Interesse mehr an ihr hatte. Seit jenem Morgen nach der Hochzeit hatten sie erst zweimal miteinander geschlafen, und für Catharina war es keine Erfüllung gewesen, denn er hatte anscheinend vergessen, welche Berührungen ihr Lust bereiteten. Zunächst hatte sie es seiner Erschöpfung durch die viele Arbeit zugeschrieben, aber inzwischen war der Umbau in der Werkstatt abgeschlossen, und Michael fand wieder Zeit, sich mit Bekannten zu treffen oder Zunftversammlungen zu besuchen. Catharina fühlte sich vernachlässigt, obwohl sie ansonsten keinen Grund zum Klagen hatte: Er behandelte sie, von kleinen Streitereien hin und wieder abgesehen, liebevoll und zuvorkommend und machte ihr keine Vorschriften über die täglichen Ausgaben und Einkäufe. Manchmal, vor allem wenn Gäste da waren und er ein bisschen getrunken hatte, konnte er sogar richtig verliebt wirken. An solchen Abenden hoffte sie darauf, dass er sich ihr näherte, aber nach dem üblichen Gutenachtkuss legte er sich auf die Seite und schlief sofort ein. Danach blieb sie oft lange wach und überlegte, was sie womöglich falsch machte.

Catharina überwand ihre alte Schüchternheit in diesen Dingen und fragte Lene um Rat.

«Ach, Cathi.» Sie schien sichtlich enttäuscht über Catharinas Schilderung. «Und ich dachte, dieser Mann macht dich glücklich.»

Dann fragte sie in ihrer direkten Art, ob Michael vielleicht eine Geliebte habe.

Catharina schüttelte den Kopf.

«Ich glaube nicht. Das hätte ich gemerkt.»

«Vielleicht solltest du ihn im Bett ein bisschen mehr reizen. Manche Männer mögen es, wenn die Frau die Zügel in die Hand nimmt.»

Catharina war der Meinung, dass sich der Reiz zwischen Mann und Frau in geschlechtlichen Dingen von ganz allein entwickeln sollte, und der Gedanke, einen Mann willentlich zu verführen, war ihr fast peinlich. Dennoch machte sie sich an diesem Abend besonders hübsch, zog ein frisches, mit Spitzen besetztes Nachthemd an und kuschelte sich von hinten an Michael, nachdem sich dieser wie gewohnt zum Einschlafen auf die Seite gedreht hatte. Vorsichtig strich sie ihm über Schenkel und Bauch und nahm dann sein Glied in die Hand, das unter ihren Berührungen rasch größer wurde.

«Dich hat ja heute der Hafer gestochen», lachte er – ein Lachen, das sie eher befremdete als freute. Aber sie hatte Erfolg: Er drehte sich zu ihr um, fasste ihre beiden Handgelenke und legte sich der Länge nach auf sie.

«So gefällt mir das», stöhnte er und drang in sie ein. Nach wenigen Stößen kam er. Mit einem befriedigten Grunzen rutschte er von ihr herunter und schlief ein.

Catharina schlüpfte unter die Decke. Zweifelnd fragte sie sich, ob es wirklich das war, was sie wollte. Aber vielleicht war sie in diesen Dingen einfach zu ungeduldig.

Die Hexe von Freiburg
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