12
Lene erfuhr als Erste von Catharinas Glück. Sie kam am übernächsten Morgen zu Besuch und sagte ihr, kaum dass eine halbe Stunde vergangen war, auf den Kopf zu:
«Du hast einen Mann kennen gelernt.»
Catharina strahlte und erzählte von Michael. Überschwänglich nahm Lene sie in den Arm und rief:
«Wie ich mich für dich freue! Ich dachte schon, du bleibst eine alte Jungfer.»
Wenige Tage später wusste rund um den Holzmarkt jeder, dass sich das hübsche Schankmädchen vom Schneckenwirtshaus einen gut betuchten Bürgerssohn geangelt hatte. Dafür hatte die Köchin gesorgt und dabei in der Darstellung der Ereignisse maßlos übertrieben.
«Ich werde mir wohl ein neues Heim suchen müssen, wenn das so weitergeht», erzählte sie jedem, der es hören wollte. «Nacht für Nacht geht es über mir so laut her, dass man glauben könnte, eine ganze Zunftversammlung bricht ins Frauenhaus ein. Ich kann kein Auge mehr zutun. Und das alles ohne Gottes Segen.»
Dabei trafen sich die beiden höchstens ein-, zweimal die Woche. Eines Abends suchte Mechtild, die Wirtin, das Gespräch mit Catharina.
«Du musst auf die Hochzeit drängen, das geht sonst nicht gut.»
Ganz offensichtlich traute sie dem Schlossermeister nicht ganz. Doch Catharina war längst dabei, Druck auf ihren Bräutigam auszuüben, denn sie hatte Angst, schwanger zu werden. Was Michael jedoch vor sich herschob, war weniger der Zeitpunkt der Hochzeit als vielmehr der Moment, in dem er Catharina seinem Vater vorstellen musste. Mal war dieser angeblich krank, mal ließ ihm ein wichtiger Auftrag keine Zeit für eine Zusammenkunft.
«Wahrscheinlich hast du Angst, dass er mich für ein zu kleines Licht hält, unwürdig für seinen viel versprechenden Sohn», warf sie ihm eines Abends vor. Ihr war längst aufgefallen, welch große Stücke er auf seinen Vater hielt. Bei jeder Gelegenheit kam die Rede auf den alten Bantzer, während über seine Mutter nie ein Wort fiel.
«Was redest du für einen Unsinn. Ich hab keineswegs Angst vor meinem Vater.»
Zum ersten Mal stritten sie. Schließlich drohte sie, dass er sie nicht mehr besuchen dürfe.
Zwei Tage später holte er sie ab, um sie in sein Elternhaus zu führen. Catharina hatte sich den ganzen Tag freigenommen und war schon am frühen Morgen im Schwabsbad gewesen, um ein heißes Bad zu nehmen und sich die Haare waschen und schneiden zu lassen. Sie ging ungern in die öffentliche Badestube, und wenn, dann am frühen Morgen, wo sie hauptsächlich von Frauen und Kindern besucht wurde. Denn sie mochte die oft schlüpfrige Ausgelassenheit der Badegäste nicht, auch wenn in letzter Zeit die Obrigkeit verstärkt ein Auge darauf hielt, dass in den Bädern Anstand und Sitte gewahrt blieben.
«Du siehst schön aus», sagte Michael zur Begrüßung und küsste sie auf das duftende Haar. Als sie die Große Gasse hinuntergingen, vorbei an den hölzernen Lauben der Metzger und Bäcker, grüßte er nach rechts und links. Jeder hier schien ihn zu kennen. Vor dem Haus zum Kehrhaken, einem dreistöckigen Fachwerkbau mit einem mächtigen Erdgeschoss aus Stein, blieb er stehen.
«Mein Vater ist manchmal etwas bärbeißig, lass dich davon nicht beirren. Halte dich am besten ein bisschen zurück und sei nicht so kratzbürstig wie mit mir», versuchte er zu scherzen, doch seine Unruhe war ihm deutlich anzumerken.
Ein älteres Dienstmädchen öffnete ihnen die schwere eisenbeschlagene Tür.
«Ihr Herr Vater wartet schon oben im Essraum», sagte sie zu Michael. Catharina nickte sie kühlen Blickes zu.
Als Catharina hinter Michael die knarrenden Stufen hinaufstieg, spürte sie, wie ihr Herz klopfte. Noch nie war sie in einem so vornehmen Haus gewesen. Zwar war das Anwesen in Lehen auch großzügig und in ihren Augen fast schon herrschaftlich, doch wurde dort jede Kleinigkeit von Zweckmäßigkeit bestimmt. Hier aber gab es Schmuck und Verzierung. Entlang der Tannenholztreppe führte ein kunstvoll geschnitztes Geländer, die Fensternischen in der Diele waren mit kostbaren Kacheln besetzt, und die Türen trugen Klinken aus blitzblankem Messing.
Catharina blinzelte, als sie das helle Esszimmer betrat. Dann sah sie die Umrisse eines großen, kräftigen Mannes am Fenster stehen.
«Vater, das ist Catharina Stadellmenin.»
Catharina deutete einen Knicks an, als der alte Bantzer auf sie zukam. Bis auf seine Größe und die gebogene Nase hatte er keinerlei Ähnlichkeit mit seinem Sohn. Seine Gesichtszüge waren viel grober, beinahe aufgeschwemmt, und die tief liegenden Augen waren von wässrigem Hellgrau. Die Haare, graubraun und schütter, reichten ihm bis in den Nacken, ein Spitzbart bedeckte sein breites Kinn und betonte unvorteilhaft seine hängende Unterlippe, die eine gelbe Zahnreihe den Blicken preisgab.
«Schön, dass ich dein Mädchen endlich kennen lerne.» Ein Vorwurf schien in dieser Bemerkung mitzuschwingen, doch Catharina kümmerte sich nicht darum, schließlich war es nicht ihre Schuld, dass sie sich jetzt erst begegneten. Der Alte betrachtete sie eine Weile von oben bis unten, dann deutete er zum Tisch.
«Nehmt Platz, das Essen wird gleich aufgetragen.»
Sie setzten sich an die riesige Tischplatte aus poliertem Nussbaum, die auf zierlichen gedrechselten Säulen ruhte: der Vater am Kopfende, Catharina und Michael mit etwas Abstand zu seiner Rechten und Linken. Eine dicke Frau erschien mit einem Kessel Fischsuppe und füllte die zinnernen Teller. Catharina staunte, denn auch die zierlichen Löffel waren aus kostbarem Zinn.
«Du bist also die Tochter des Marienmalers, der vor ein paar Jahren gestorben ist», begann der alte Bantzer das Gespräch. «Ich habe deinen Vater ein paar Mal getroffen, er hat im Auftrag unserer Zunft einen Bildstock gefertigt. Ein begabter Mann.» Er schenkte ihnen Rotwein ein. «Ich habe gehört, dass du einige Jahre in diesem großen Gasthaus in Lehen gewohnt hast. Dann kennst du dich ja mit Haushaltsführung aus.»
«Ich weiß nicht recht, was Ihr mit Haushaltsführung meint, ich habe vor allem in der Gaststube bedient und abgerechnet. Und dann habe ich mich mit meiner Tante um Bestellungen und Einkäufe gekümmert.»
«Auch gut, auch gut. Falls ihr heiratet, wirst du natürlich in dieser Vorstadtschenke kündigen. Was bringst du mit in die Ehe?»
«Aber Vater», mischte sich Michael Bantzer ein, «ich habe dir doch bereits erzählt, dass …»
«Nein, Michael, lass nur.» Catharina sah dem Alten offen ins Gesicht. «An Hausrat besitze ich so gut wie nichts, aber von dem Erbe meines Vaters und durch meine Arbeit habe ich über zweihundert Gulden gespart.»
Catharina war stolz auf ihren Reichtum, doch Michaels Vater schien diese Summe nicht zu beeindrucken. Mehr wollte er von ihr nicht wissen, stattdessen erzählte er, während eine silberne Platte mit Braten, Fisch und Geflügel nach der anderen aufgetragen wurde, in aller Breite von seiner Familie und der Schlosserei. Jedes Gedeck brachte neue Köstlichkeiten, und als Catharina schließlich keinen Bissen mehr herunterbrachte und sich den Mund am Ärmel abwischen wollte, fing sie einen warnenden Blick von Michael auf. Sie entdeckte die Stoffservietten, die in der Mitte der Tafel lagen, und säuberte sich das Gesicht. Hoffentlich habe ich mich bisher nicht allzu sehr danebenbenommen, dachte sie. In jeder anderen Situation wäre ihr das gleichgültig gewesen, doch jetzt hing ihre Zukunft von dem Eindruck ab, den sie bei diesem selbstzufriedenen alten Mann hinterließ.
Beim Nachtisch fragte Bantzer seinen Sohn: «Wann wollt ihr heiraten?»
«Wenn Ihr einverstanden seid, Vater, so bald wie möglich.»
«Du kannst es wohl kaum erwarten, deine schöne Braut zu Bett zu führen», entgegnete er und lächelte anzüglich.
Catharina mochte seine Art nicht. Sie hatte einmal gehört, dass im Alter die Söhne ihren Vätern ähnelten, und hoffte inständig, dass Michael eine Ausnahme bilden möge.
Der Alte erhob sich.
«Gut, dann gebe ich euch meinen Segen für eure künftige Ehe. Das müssen wir mit einem besonders guten Tropfen begießen.»
Aus einem abschließbaren Eichenschrank holte er drei zierliche Gläser und eine Flasche.
«Portwein, direkt aus Portugal. Schaut euch diese Farbe an, wie Bernstein. Das verrät sein Alter und seine Qualität.»
Catharina hatte noch nie Bernstein gesehen. Sie nahm das gefüllte Glas entgegen, das er ihr reichte, und gab es an Michael weiter.
«So ist es recht, immer erst an die anderen denken», sagte der Alte wohlwollend. «Catharina, du gefällst mir. Hier, nimm das andere Glas. Auf eure Verlobung.»
Schmatzend nahm er einen Schluck, verdrehte verzückt die Augen und küsste Catharina auf beide Wangen. Seinem Sohn schlug er auf die Schultern. Dann legte er die Hände der Brautleute zusammen, murmelte etwas auf Lateinisch und trank sein Glas aus. Damit schien die Angelegenheit für ihn erledigt.
Erleichtert wandte sich Catharina zur Tür, nachdem er sich von ihnen verabschiedet hatte. Michael brachte sie hinaus. Er war in bester Stimmung.
«Du hast dich großartig verhalten», lächelte er. «Sei mir nicht böse, wenn ich dich nicht heimbegleite. Vater und ich werden gleich alles Notwendige für die Hochzeit besprechen.»
Dämmerung legte sich über den lauen Septemberabend. Langsam ging das Hochzeitsfest dem Ende zu. An der langen Tafel saßen nur noch Michaels engste Freunde, sein Vater und Catharinas Lehener Verwandtschaft. Der Priester, für den man einen Lehnstuhl unter den einzigen mickrigen Baum im Hof gestellt hatte, schnarchte mit offenem Mund vor sich hin, Spuren von eingetrocknetem Bratensaft auf dem fleischigen Doppelkinn. Überall waren Essensreste und Knochen über den Boden verstreut, von den beiden Wildschweinen am Spieß hing nur noch ein kümmerlicher Rest über der erloschenen Glut. Das Dienstmädchen steckte die Fackeln an, die an den Hauswänden befestigt waren. Für Marthe und ihre Familie war dies das Zeichen zum Aufbruch, denn die Tore schlossen bei Dunkelheit. Der alte Bantzer überredete sie jedoch mit einem Seitenblick auf Lene, die mit einem der Gesellen kokettierte, noch zu bleiben. Er habe mit dem Stadtwächter gesprochen, der ließe sie auch später noch hinaus.
Catharina, der der Kopf schwirrte, schloss für einen Moment die Augen. Was war das für ein aufregender Tag gewesen! In der Nacht zuvor hatte sie ein letztes Mal in ihrem Häuschen an der Mehlwaage geschlafen. Früh am Morgen hatten ihr dann die Wirtsleute geholfen, ihre Sachen ins Haus zum Kehrhaken zu schaffen. Dort waren die Vorbereitungen schon in vollem Gange, und der sonst so schmucklose weiträumige Hinterhof war bald nicht mehr wieder zu erkennen. Etliche Holztische und Bänke standen aneinander gereiht, und darüber errichteten die Schlosser eine girlandengeschmückte Laube aus Holz und Sacktuch. Die Wände und Mauern rund um den Hof wurden mit bunten Bändern und Papierblumen geschmückt.
Für Catharina stand in der kleinen Badstube im Erdgeschoss eine Wanne mit heißem Wasser bereit. Der Kirchgang war zum Mittagsläuten vorgesehen, sie musste sich also beeilen. Das Dienstmädchen rieb sie mit herrlich duftendem Rosenöl ein und half ihr, das hellblaue hochgeschlossene Samtkleid mit der kleinen Halskrause und den weit gebauschten Ärmeln anzulegen, das sie sich letzte Woche hatte schneidern lassen. Dann holte Michael sie ab. Wie immer war er ganz in Schwarz gekleidet, hatte aber zur Feier des Tages weiße Seidenstrümpfe und eine weit ausladende gestärkte Halskrause angelegt. Als sie vor das Haus traten, wartete schon eine fröhliche Menschenmenge, um sie zum Münster zu begleiten. Die Trauung im Seitenschiff, die ein fetter, kurzatmiger Priester vornahm, verging erstaunlich schnell, und Catharina konnte kaum den Worten folgen. Sie warf einen Blick auf Marthe, die zusammen mit dem Zunftmeister der Schmiede Trauzeuge war: Dicke Tränen der Rührung liefen ihr über die Wangen.
Unter dem verwitterten Relief vom Gottvater, der Adam und Eva die Hände ineinander legt, gelobten sich Catharina Stadellmenin und Michael Bantzer ewige Treue, und der Priester erklärte sie mit dem Segen der Kirche und den Worten «Quod Deus conjunxit homo non separet» zu Mann und Frau. Es folgte eine kurze lateinische Messe, dann traten sie Arm in Arm aus der Kirche auf den sonnenbeschienenen Vorplatz. Lene fiel ihr um den Hals, die ausgelassene Menge bewarf sie mit Getreidekörnern, dem Symbol der Fruchtbarkeit, und die Schlosser hatten einen dicken Holzstamm und eine Säge bereitgestellt. Jetzt musste Michael seine Muskelkraft beweisen und den Stamm, ohne abzusetzen, zersägen. Mühelos gelang ihm das, und die Leute klatschten.
«Pass auf, Catharina, vor dem Mann hast du keine Nacht Ruhe», rief einer von ihnen. Vater Bantzer lächelte stolz.
Da entdeckte Catharina etwas abseits in der Menge Christoph mit Frau und Kind. Ihr Herz klopfte schneller. Bis gestern hatte es so ausgesehen, als würden nur Lene, die Zwillinge und ihre Tante kommen, aber dann hatten sie es sich offensichtlich anders überlegt und das Gasthaus geschlossen. Catharina wusste nicht, ob sie sich darüber freuen sollte. Seit ihrem letzten Besuch in Lehen vor drei Jahren hatte sie Christoph nicht mehr gesehen. Die kleine Sofie musste demnach schon vier Jahre alt sein. Von Lene wusste sie, dass Christophs Frau vor ein oder zwei Jahren eine Fehlgeburt gehabt hatte, ein Junge wäre es geworden, und heute sah man deutlich die Rundung ihres Bauches unter dem glatten Stoff. Die Vorstellung, dass diese Frau immer wieder von Christoph schwanger wurde, versetzte Catharina einen Stich. Unsicher ging sie auf die beiden zu. Sofie umarmte sie auf ihre behutsame Art, und Christoph drückte ihr zwei flüchtige Küsse auf die Wangen. Das kleine Mädchen überreichte ihr Feldblumen, die sie auf dem Weg in die Stadt gepflückt hatte, und Catharina nahm es zum Dank herzlich in den Arm. Wie zerbrechlich war dieses Kind, es hatte so gar nichts von seinem Vater.
«Ich soll dich von Schorsch grüßen», sagte Christoph und vermied ihre Augen. «Er ist gerade Vater geworden.»
Catharina freute sich aufrichtig über diese Nachricht. Eine große Familie, das hatte sich Schorsch immer gewünscht.
Der alte Bantzer rief zum Aufbruch. An die hundert Menschen fanden sich im Hinterhof ein, darunter auch Mechtild und Berthold vom Schneckenwirtshaus, etliche Nachbarn, Zunftangehörige und die gesamte Mannschaft der Schlosserei. Der alte Bantzer scherte sich, wie übrigens die meisten Ratsmitglieder, einen Kehricht um die neue Polizei-Ordnung, die jegliche Feierlichkeiten streng reglementierte und Verstöße mit teilweise empfindlichen Geldstrafen ahndete. So hätten zu einer Meisterhochzeit wie im Hause Bantzer höchstens siebzig Gäste geladen werden und die Menüfolge sechs Gänge nicht übersteigen dürfen, doch die zu erwartenden Strafgulden hatte der Alte von vornherein einkalkuliert.
Unmengen von Wein, Starkbier und Branntwein flossen die durstigen Kehlen hinunter, und die Dienstmädchen und Lehrlinge hatten alle Hände voll zu tun, bei den Speisen für Nachschub zu sorgen. Michael führte seine frisch getraute Ehefrau herum und stellte sie jedem seiner Bekannten vor, bis Catharina sich schließlich keinen einzigen Namen mehr merken konnte. Dann spielte die Musik auf, und Catharina durfte keinen Tanz auslassen. Rundum wurde die Stimmung ausgelassener, und zur Gaudi der Kinder beteiligten sich immer mehr Erwachsene an ihren übermütigen Spielen wie Sackhüpfen und Bockspringen. Selbst der alte Bantzer gab sein vornehmes Gehabe auf, balancierte ein Glas Wein auf dem Kopf, hüpfte wie ein Tanzbär herum, rülpste und rotzte sich in den Ärmel wie seine Gesellen. Zu fortgeschrittener Stunde kamen die unvermeidlichen Pfänderspiele an die Reihe, und Michael musste zur Auslösung seines Pfands auf dem Tisch tanzen. Er packte Lene bei den Hüften, hob sie auf den Tisch und legte einen so stürmischen Tanz mit ihr hin, dass etliche Gläser zu Bruch gingen.
Catharina kam ein kleiner Seufzer über die Lippen. Erschöpft und fast ein wenig schwermütig betrachtete sie das Flackern der Fackeln in der zunehmenden Dunkelheit. Jetzt also war dieser Tag, der vielleicht wichtigste ihres Lebens, beinahe vorüber. Vom Bestellen des Aufgebots bis zur kirchlichen Trauung, vom Verpflichten der Spielleute bis zur Festlegung der Speisenfolge – alles hatten Michael und sein Vater in die Wege geleitet. Wie sie selbst sich diesen Festtag gewünscht hätte, danach hatte niemand gefragt. Eine große Überraschung sollte es werden, hatte Michael vorher zu ihr gesagt, und sie musste zugeben, dass er und sein Vater sich nicht mehr Mühe hätten geben können. Aber das unbefriedigende Gefühl, von allem ausgeschlossen worden zu sein, bestand fort. Catharina beschlich eine leise Ahnung, wie ihr Leben an der Seite dieses Mannes verlaufen würde.
In der Gruppe um Michael ging es inzwischen laut her. Einer seiner Freunde hob das Glas.
«Lieber Michael, darf ich dir noch einen guten Rat für deine Ehe geben? Also hör zu:
Wer seine Frau lässt gehen zu jedem Fest,
sein Pferd aus jeder Pfütze trinken lässt,
hat bald eine Mähr’ im Stall
und eine Hur’ im Nest!»
Die Männer brachen in Gelächter aus, auch Michael. Catharina fand diesen Spruch so unpassend wie einen Schweinsfuß in Seidenpantoffeln. Da stand Michael auf.
«Ich weiß auch eine gute Geschichte: Am spanischen Hof sagte ein Edelmann zu seiner angebeteten Dame zur Begrüßung: ‹Ich küsse Ihre Hände und Füße, Madame.› Da erwiderte sie: ‹Mein Herr, in der Mitte finden Sie das Beste. Warum nicht dort?›»
Mit einer anzüglichen Gebärde deutete er bei dem letzten Satz auf seinen Hosenlatz.
Wieder großes Gelächter. Nun also ging die Zotenreißerei los. Catharina fing einen Blick von Christoph auf. Er nickte ihr unmerklich zu, erhob sich und ging Richtung Vorderhaus davon. Nach einem kurzen Moment folgte sie ihm. Als sie den Hof durchquert hatte, stieß sie auf Wilhelm, Christophs jüngeren Bruder. Er grinste, ein allwissender Ausdruck lag auf seinem hübschen Gesicht.
«Christoph steht in der Hofeinfahrt.»
Catharina legte den Zeigefinger auf ihre Lippen, und Wilhelm nickte verständnisvoll. Wie ähnlich Wilhelm seinem älteren Bruder sah. War er nicht genauso alt wie Christoph damals, als sie sich in ihn verliebt hatte?
Sie huschte in die dunkle Hofeinfahrt, wo Christoph unruhig hin und her schritt.
«Ich wollte dich noch einmal allein sehen», sagte er leise. «Du bist mir so fremd in dem schönen Kleid, in dieser Umgebung, neben diesem stattlichen Mann. Bist du glücklich?»
Sie zögerte mit einer Antwort und dachte an die düsteren Gedanken, die ihr eben noch durch den Kopf gegangen waren.
«Ich weiß nicht, es ist alles so anders. Ich glaube, meine glücklichste Zeit war bei euch in Lehen, und die ist jetzt eben vorbei. Andererseits –», sie schob mit der Schuhspitze einen Stein weg, «bis in alle Ewigkeit als Schankfrau arbeiten?» Und dir ein Leben lang nachtrauern, dachte sie bei sich. «Nein», sagte sie laut, «so ist es schon besser, ich bin zufrieden.»
Sie kickte den Stein weg. «Und du? Du bist sicher glücklich mit deiner Familie. Wo ihr doch bald euer zweites Kind erwartet.»
«Ach, Cathi, was weißt du schon. Sofie ist ein herzensguter Mensch, aber so zart. Wie ein Windhauch oder eine Eisblume, so ganz anders als du. Mit dir konnte ich lachen und albern sein, wir hatten immer so viel Spaß miteinander.»
Da näherten sich Schritte. Christoph zog sie ins Treppenhaus. Regungslos warteten sie, bis die Schritte vorüber waren. Dann zog er sie heftig an sich und küsste sie. Als würde sie aus einem langen düsteren Traum erwachen, spürte sie die alte Leidenschaft für ihn wieder aufflammen. Nur war sie jetzt kein kleines Mädchen mehr, und so erwiderte sie bereitwillig seine ungestümen Zärtlichkeiten. Christoph hatte schon die Hand unter ihr Mieder geschoben, als ihr plötzlich die Unmöglichkeit dieser Situation vor Augen trat. Jederzeit konnten sie hier im Treppenhaus überrascht werden – unvorstellbar, was dann geschehen würde! Sie trat einen Schritt zurück und glättete ihr Kleid.
«Wir sind verrückt geworden. Wir müssen sofort zu den anderen.»
«Du hast Recht.» Unglücklich sah er sie an. «Weißt du, was ich immer wieder denke? Dass mein Leben verpfuscht ist. Wäre ich damals, als ich nach Villingen ging, nur geduldiger gewesen und hätte auf die Rückkehr nach Lehen, auf die Rückkehr zu dir gewartet! Wären wir nur hartnäckig genug gewesen – meine Mutter hätte bestimmt in unsere Heirat eingewilligt. Aber es war einzig und allein meine Schuld: Ich wollte mir unbedingt beweisen, dass ich ein richtiger Mann bin und eine Frau erobern kann. Jetzt habe ich eine Familie, die mich liebt und die mich braucht und die ich nicht mehr verlassen kann. Wenn du wüsstest, wie oft ich davon geträumt habe, in deinen Armen zu liegen und –» Er stockte und wandte sich ab. Mit hängenden Schultern ging er in den Hof zurück.
Catharina sah ihm nach. Am liebsten hätte sie sich in einen stillen Winkel verkrochen und geheult wie ein kleines Kind. Aber was nützte das alles, jetzt war es zu spät, um zu jammern. Sie riss sich zusammen und ging ein paar Schritte in der Einfahrt auf und ab. Als sie in den Hof zurückkam, hatte sich inmitten der lärmenden Hochzeitsgesellschaft die Gruppe um Marthe zum Aufbruch fertig gemacht. Nachdem Catharina von allen Seiten herzlich umarmt worden war, küsste auch Christoph sie auf die Stirn, nahm seine schlafende Tochter auf den Arm und ging voraus, ohne sich noch einmal nach ihr umzudrehen.
Marthe nahm sie auf die Seite.
«Pass auf dich auf, meine Kleine. Und denk nicht immer zurück, was hätte sein können. Das hat uns Menschen noch nie weitergebracht.»
Der alte Trotz stieg in Catharina auf. Ihre Tante hatte gut reden, schließlich war sie es gewesen, die sich in ihr Schicksal eingemischt hatte. Oder hatte Christoph doch Recht, wenn er die Schuld bei sich suchte? Nachdenklich begleitete sie ihre Verwandten auf die menschenleere Gasse hinaus und sah ihnen nach. Da legte sich eine schwere Hand auf ihre Schulter.
«Was schaust du so traurig, meine liebe Tochter», sagte der alte Bantzer mit vom Alkohol schwerer Zunge. «Das ist doch kein Abschied, das ist ein Anfang. Komm, trink noch einen Krug Wein mit mir.»
Eingezwängt zwischen Michael und seinen Vater versuchte sie, keine Spielverderberin zu sein, und hielt, so gut es ging, mit bei der nächtlichen Zecherei. Schließlich hatte sie selbst diese Hochzeit gewollt. Als die ersten Vögel mit lautem Zwitschern den Morgen ankündigten, waren sämtliche Männer und die wenigen Frauen, die noch ausgeharrt hatten, betrunken. Michael stand schwankend auf.
«Jetzt schreiten wir zur Tat, meine wunderschöne Frau und ich.»
«Los, Bantzer, du musst sie über die Schwelle tragen, wenn du das noch schaffst.»
«Ich schaff noch ganz andere Sachen heute Nacht», lachte Michael dröhnend und hob seine Frau auf die Arme. Wie eine Kuhherde folgten ihm die Gäste ins Treppenhaus bis vor die Schlafzimmertür. Ein paar Männer huschten durch die Tür und nahmen Aufstellung neben dem Bett.
«Raus hier», brüllte Michael. «Die Zeiten sind Gott sei Dank vorbei, wo man Zeugen brauchte für die erste Liebesnacht.»
Nachdem er mit sanfter Gewalt die letzten Gäste hinausgeschoben und die Tür hinter sich verriegelt hatte, ließ er sich mit einem wohligen Seufzer auf das prächtigste Federbett fallen, das Catharina je gesehen hatte.
«War das ein herrliches Fest!» Er wandte ihr den Kopf zu. «Na, wie gefällt dir unser nächtliches Reich?»
Die kunstvoll geschnitzten Eichenholzpfosten trugen einen mit rotem Leinen bezogenen Himmel, von dem schwere Brokatvorhänge herabfielen, die ebenfalls tiefrot schimmerten. Vor dem Bett bedeckten zwei weiche Schaffelle den groben Dielenboden. An weiteren Möbeln befanden sich nur noch eine eisenbeschlagene Truhe, die sehr wertvoll aussah, und ein zierlicher Waschtisch im Raum. Für ihre Kleider gab es eine eigene kleine Kammer, die durch einen nachtblauen Vorhang abgetrennt war. Die Einrichtung zeugte sicher von erlesenem Geschmack, doch Catharina wäre in diesem Moment lieber in ihrem bescheidenen Schlafzimmer an der Mehlwaage schlafen gegangen. Sosehr sie bisher die Stunden im Bett mit Michael genossen hatte, so wünschte sie sich jetzt nichts sehnlicher, als dass er sie heute Nacht nicht berührte. Wie selbstgefällig er sich den ganzen Abend über benommen hatte! Aber wahrscheinlich tat sie ihm unrecht, wieso sollte er anders sein als die meisten Männer, die sie bei solchen Festen beobachtet hatte? Je mehr sie getrunken hatten, desto törichter wurden sie und ergossen sich mit Vorliebe in anstößigen Reden über Frauen oder Geschichten über sich selbst.
Tiefes Schnarchen riss sie aus ihren Gedanken. Michael war tatsächlich eingeschlafen. Vorsichtig zog sie ihm die Schuhe aus und legte sich neben ihn. Als sie die gemeinsame Decke über sich zog, wälzte er sich auf die Seite und drehte ihr den Rücken zu. In ihre anfängliche Erleichterung über Michaels tiefen Schlaf mischte sich ein leiser Hauch von Enttäuschung.