16.

Die Hitze drückte auf die Dächer wie das Mahlwerk der Ölmühlen auf einen dieser Maischesäcke, in die man das zerquetschte Olivenfleisch einfüllt. Heraus tropfte ein goldfarbenes Licht, in dem alles flach und schwer erschien: Die Olivenbäume, deren silbriges Laub in der Mittagssonne flirrte; die bläulichen Kräuter, die sich an die rote Erde drückten; die grauen Felsen, die über den Wiesen im Dunst schwammen; die Mauersteine, die Dachziegel; die Tiere, die sich in den kreisrunden Schatten unter den Bäumen zusammendrängten.

Eine einzelne Frau lief durch die Gassen von Pertuis. Niemand sonst war unterwegs. Sie mied die breiteren Hauptstraßen und hielt sich an die engen Gassen, wo es ein wenig Schatten gab. An der Place de l’Ange hielt sie inne. Grell und weit lag sie vor ihr, ein Brutofen, ein körperliches Hindernis, das es zu überwinden galt. Sie holte kurz Luft und fuhr sich mit dem Ärmel über die Stirn, bevor sie rasch den menschenleeren, glühenden Platz überquerte, und atmete auf, als sie die Hahnengasse erreichte. Die Pforte von Sainte Douceline lag in der Sonne. Ungeduldig betätigte sie den Ring des Türklopfers.

Drinnen schreckte Alix von ihrem Schemel hoch, auf dem sie den Mittag verschlief. «Ja, ja! Ja! Was ist denn!», rief sie unwirsch.

Das Klopfen hörte nicht auf. Alix rappelte sich hoch und öffnete das Guckfensterchen. «Hör schon auf! Du reißt uns ja noch den Klopfer ab!»

«Schnell, lass mich ein! Hier verbrennt man ja!»

Schnaufend öffnete Alix die Tür. Die Magd atmete erleichtert auf, als sie sich an ihr vorbei in die Kühle des Torhauses schob.

«Catherine Vidal schickt mich! Ich soll die Infirmaria holen!»

«Da lang geht’s ins Hospital. Jeanne! Für dich!», schrie Alix und folgte der Frau, um zu erfahren, warum solche Eile nötig war. «Was gibt’s denn?»

Die Infirmaria erschien in der Tür zum Hospital.

«Schwester Jeanne! Kommt rasch! Meine Herrin bekommt ihr Kind, und die Hebamme ist nicht aufzutreiben!»

«Schwester Auda ist Hebamme!»

«Umso besser! Kann sie gleich kommen? Domina Laura hat Schmerzen, und der Herr ist in großer Sorge!» Aufgeregt rieb sich die Magd die Hände.

«Schmerzen? Du meinst, sie hat Wehen? Das ist normal. Ist das Fruchtwasser schon abgegangen?»

«Nein, ich glaube nicht!»

«Dann haben wir noch ein wenig Zeit!»

«Ich weiß nicht, Mestra Catherine sagt, es ist nicht, wie es sein soll. Die Wehen gehen schon seit heute Nacht, und sie sind sehr unregelmäßig und ungewöhnlich schmerzhaft. Die Herrin schreit und weint!»

«Es ist eben ihr erstes Kind. Sie weiß nicht, wie das ist, und da ängstigt es sie eben über die Maßen. Geh du schon vor und sag Herrn Marius, dass wir kommen. Und Laura soll sich beruhigen. Wir kommen gleich. Lass schon Wasser aufs Feuer setzen, eine große Menge, und reine Tücher zurechtlegen!»

Die Magd rannte davon.

Jeanne rief nach Auda, die bei den Kranken geblieben war. Sie packten einen Korb mit Pomaden, Essenzen und den notwendigen Instrumenten und machten sich auf den Weg. Danielle beobachtete ihren Weggang mit beunruhigter Miene. Juliana wiederum beobachtete Danielle.

«Vermutest du, dass es schlechtgehen könnte mit Laura?», fragte sie.

«Wie kann ich das wissen? Ich fürchte allerdings, dass sie ein wenig zart und schmal ist. Aber das muss nichts heißen …» Abrupt wandte sie sich ab und ging in die Küche, um Annik bei Auftragen zu helfen. Beim Abendessen drehten sich alle Gespräche um Laura und ihr erstes Kind.

«Es wird schon gutgehen. Auda soll sehr geschickt sein, hat Jeanne gesagt.»

«Ich war auch erst vierzehn bei meinem ersten Kind. Es war eine Viecherei, ja, das war es. Aber die nächsten sechs gingen besser», erzählte Manon.

«Sie war so sicher, dass es ein Sohn wird!»

«Dann wird es einer. Frauen spüren so etwas.»

«Das kann man nicht ahnen.»

«Immer wenn ich Rückenschmerzen hatte in der Schwangerschaft, dann ist es ein Mädchen geworden. Meine Söhne haben mir nie solche Schwierigkeiten gemacht.»

«Man soll es beeinflussen können: Wenn man einen Jungen will, dann soll man in der Schwangerschaft viel Salziges essen, wenn man ein Mädchen will, dann soll man Süßes essen.»

«Ich habe gehört, wenn ein Mann einen Sohn will, dann soll er den getrockneten Magen und die getrocknete Vulva einer Häsin zerstoßen und in Wein auflösen und davon trinken, bevor er mit seiner Frau Verkehr hat», sagte Annik mit wichtiger Miene.

«Das ist ja lächerlich!», sagte Danielle. «Lass Jeanne das nicht hören!»

«Egal, was es wird, Mestre Marius wird den kleinen Engel nach Strich und Faden verwöhnen. Und ein Engel muss ein Kind von unserer Laura ganz gewiss werden.»

«Gebba, hast du das Wickeltuch schon fertig, das wir Laura für ihr Baby schenken wollten?»

«Ja, es ist fertig, und kein Königskind müsste sich dessen schämen!»

Sie beteten gemeinsam für Laura und ihr Kind.

Doch am Abend kam Jeanne erschöpft und niedergeschlagen zurück.

«Die arme Laura! Das Kind will einfach nicht heraus! Sie hat sich den ganzen Tag gequält. Auda ist bei ihr geblieben. Und sie haben einen Arzt gerufen.»

«Carolus?»

«Nein, Doktor Renzi, den Leibarzt von Herrn Bonnefoy.»

Juliana warf Danielle einen prüfenden Blick zu, doch die drehte sich um und machte sich mit verschlossener Miene im Garten zu schaffen. Am anderen Morgen lief Jeanne noch einmal zum Haus der Vidal. Erst nach Stunden kam sie wieder. Die Beginen liefen zusammen und befragten sie aufgeregt, doch sie schüttelte nur stumm den Kopf. Eine nach der anderen schlichen die Schwestern wieder davon und an ihren Arbeitsplatz. Sie murmelten Gebete. Eine bedrückte Stille lag über dem Hof. Am Abend gab es immer noch keine besseren Nachrichten.

«Es dauert viel zu lange!», sagte Jeanne. «Beim ersten Mal ist es immer schwerer, aber so etwas habe ich noch nie erlebt. Und der Arzt – ich fürchte, er hat alles nur noch schlimmer gemacht. Er hat die arme zarte Laura hin und her gerollt, um das Kind in die richtige Lage zu bringen, und hat ihr ein Abführmittel gegeben, der Idiot! Kann man sich so etwas vorstellen?! Jetzt hat sie noch mehr Schmerzen, und ich fürchte um das Kind.»

Juliana konnte keinen Schlaf finden. Etwas nagte an ihr. Da war ein Gedanke, der wie eine Motte am Rand ihres Verstandes entlangtaumelte. Sie versuchte ihn einzufangen, aber er entkam ihr. Endlich, gerade als der Schlaf sie überkam, da stand plötzlich ein Bild ganz klar in ihrem Geist. Sie öffnete die Augen und stand auf. Leise tappte sie durch das Scriptorium, wo Anne auf der Bank unter dem Fenster schlief.

«Anne!»

«Was …» Schlaftrunken richtete die Schreiberin sich auf.

«Nimm ein Licht und komm mit mir!»

Anne rappelte sich hoch und saß einen Moment benommen auf dem Bettrand. Juliana zündete zwei Öllampen an und gab Anne eine davon. Anne folgte ihr in den Hof.

«Wohin willst du? Was ist?»

«Psst!» Juliana legte den Finger auf die Lippen. Sie winkte Anne, ihr zu folgen, über den Hof und durch den Garten. Silbrig schimmerten die Heilkräuter, Fledermäuse sausten durch die Luft. Juliana ging am Brunnen vorbei, entlang an Ataregia und Feniculum, die in der Nacht süßer und intensiver dufteten als bei Tag. Eine Siebenschläferfamilie turnte im Apfelbaum und glotzte mit ihren großen schwarzen Perlaugen auf sie herunter. Sie waren daran gewöhnt, nachts den Garten für sich allein zu haben.

«Mir ist etwas eingefallen», sagte Juliana. Sie öffnete die Tür zur Weberei. Die ledernen Türriemen knarrten. Wie Walgerippe tauchten die hölzernen Gestelle aus dem Dunkel auf, voller Spinnweben und Fetzen. Anne stolperte über einen Korb mit Rohwolle und schrie leise auf.

«Aie!»

«Hier! Sieh es dir genau an! Was für ein Stab ist das, den die Figur hält?» Juliana beugte sich über Danielles Webteppich und hielt die Lampe daran. Anne fügte ihr Licht dazu.

«Es ist ein Hirtenstab mit einer Ranke, nein! Das ist eine Schlange!»

«Eine Schlange, die sich um einen Stab windet …»

«Viertes Buch Mose, Vers 21», flüsterte die schriftkundige Anne. «‹Da sprach der Herr zu Mose: Mache dir eine eherne Schlange und richte sie zum Zeichen auf.› Glaubst du, man soll Laura von einer Schlange beißen lassen?»

«Dafür, dass du so belesen bist, bist du manchmal ungewöhnlich begriffsstutzig, meine liebe Anne!», sagte Juliana. «Denk nach. Die Schlange am Stab ist ein viel älteres Symbol! Griechisch ‹as›, die Schlange, und ‹klepi›, sich um etwas ringeln.»

«Der heidnische Gott der Heilkunde?»

«Richtig. Die Schlange wird Asklepios zugeordnet. Sie ist ein uraltes Zeichen der Heilkunde. Und nun schau auf die Pflanzen, die Danielle gewoben hat: Weinraute?»

«Man gibt sie Frauen, die in die Jahre kommen, gegen Hitzewallungen und gegen andere Störungen, die in dieser Zeit kommen. Ich bekomme sie zu den Mahlzeiten von Jeanne.»

«Ja, das habe ich beobachtet und mich daran erinnert, dass auch ich sie genommen habe und meine Mutter vor mir, als wir die Schwelle von der Frau zur alten Frau überschritten. Und da habe ich mich bei Jeanne erkundigt, welches die anderen Kräuter sind, die Danielle in ihr Bild gewebt hat. Und siehe da, es sind alles Kräuter, die Frauen nützen. Sieh hier!», sie wies mit einem knochigen Finger auf eine hellviolette Blüte. «Betonienkraut. Das sei gut gegen zu starke Monatsblutungen, sagt Jeanne. Und hier: Liebstöckel – gegen die Beschwerden davor. Und Johanniskraut – gegen die Traurigkeit nach Fehlgeburten. Goldkamille – Schwangere müssen sie meiden! Dieser Blumenkranz ist das reinste Kompendium der Frauenheilkunde!»

«Du glaubst, sie ist Hebamme?»

«Wenn nicht sogar Ärztin.»

«Eine Ärztin? Das gibt es doch gar nicht.»

«Doch. Es gibt eine einzige Schule für Heilkunst, in der auch Frauen ausgebildet werden – und die liegt in der Nähe von Neapel! Hat nicht Magdalène gesagt, dass Danielle wie ein Neapolitaner spricht?»

«Und du glaubst …»

«Allerdings. Und ich bin mir auch sicher, dass sie der ‹Engel› war, der Magdalène geheilt hat. Aber lass sie uns selbst fragen.»

Kopfschüttelnd folgte Anne ihrer Meisterin. Leise gingen sie durch den Speiseraum und hinauf in den ersten Stock, wo die Schwestern auf ihren Strohsäcken schliefen – bis auf eine. Danielle hatte mit offenen Augen gelegen und an die Decke gestarrt, wie sie es oft tat. Sie sah sie kommen, stand wortlos auf, zog sich ein Kleid über den Kopf und folgte ihnen. Einige der Schwestern murmelten schlaftrunken oder legten sich einen Arm vor die Augen, um sich vor dem Licht zu schützen, das durch ihre Lider drang.

Im Scriptorium stellten Anne und Juliana ihre Öllämpchen auf den Tisch.

«Wir haben diesen Bildteppich angeschaut», begann Anne.

«Hast du uns nichts zu sagen?», fragte Juliana.

«Habt ihr also mein Geheimnis herausgefunden», sagte Danielle. «Es war an der Zeit. Aber das ändert nichts. Ich werde nie wieder Kranke behandeln!»

«Warum?»

«Man hat mich wegen Kurpfuscherei verurteilt. Ich habe kein Recht, diesen Beruf auszuüben.»

«Und hast du dir etwas zuschulden kommen lassen?», fragte Juliana.

«Nein.» Danielle kam ihnen kein Stück entgegen.

«Aber du bist Ärztin. Ausgebildet in der berühmtesten Medizinschule unserer Zeit!»

«Das spielt keine Rolle mehr. Ich darf den Beruf nicht ausüben. Meine Hände sind gebunden, genauso, wie ich es auf dem Bild dargestellt habe.»

«Warum hast du dann Magdalène geholfen?»

«Ich konnte ihr nicht mehr Schaden zufügen, als bereits vorhanden war.»

Ungeduldig packte Anne Danielle an der Schulter und rüttelte sie.

«Hör auf mit diesen Ausflüchten. Ich kenne dich inzwischen besser! Tu nicht so unbeteiligt! Warum hast du so lange gewartet, um Magdalène zu helfen, wenn du es doch besser wusstest?!»

Danielle, die bislang Annes Blick ausgewichen war, sah ihr direkt in die Augen: «Ich hatte Angst, kannst du das nicht verstehen? Angst um mich, ja – und Angst, Magdalène zu schaden! Und wie hätte ich denn Jeanne und Carolus durch mein Eingreifen bloßstellen können. Jeanne ist erfahren, Carolus ist ein guter Arzt! Ich wollte ihnen nicht ins Handwerk pfuschen!»

«Bis es fast zu spät war!»

«Sie ist gesund und hat den Arm behalten.»

«Das war Gottes Wille.»

«Du liebst Magdalène.»

«Ja.»

«Und solltest du Laura nicht ebenso lieben? Willst du ihr nicht helfen?»

«Wer sagt denn, dass ich es kann?», rief Danielle heftig. «Ist nicht der beste Medicus der Stadt bei ihr, ein Mann, der Grafen und vornehme Leute behandelt für viel Geld? Er ist berühmt, reich, anerkannt – eine Autorität!»

«Aber diese Männer, diese Ärzte verstehen nichts vom weiblichen Körper, Danielle, ist es nicht so?»

Sie lachte grimmig.

«Meist ist es so. Sie kennen nur die Genitalien und den Uterus von Schweinen und meinen, das genüge schon. Es handelt sich ja nur um Weiber.»

Juliana hieb mit der flachen Hand auf den Tisch. «Wenn du das weißt, wie kannst du hier so ruhig sitzen, während die kleine Laura leidet? Soll sie etwa für deinen verletzten Stolz büßen? Kann sie etwas dafür, dass man dir ein Unrecht angetan hat? Ich appelliere an deine Pflicht als Ärztin, an dein Gewissen, an deinen Glauben an Gott und die Fähigkeit, die er dir geschenkt hat! Hilf ihr, versuche es wenigstens!»

«Und weißt du auch, was geschieht, wenn sie mir unter den Händen stirbt? Man hat mir unter Androhung der Todesstrafe verboten, je wieder zu praktizieren! Und selbst wenn mir mein eigenes Leben unwichtig wäre – was es ist –, denke darüber nach, was es für dieses Haus bedeuten würde! Man würde diesen Konvent der freien Frauen schließen, euch in alle Winde zerstreuen, als Mägde adliger Klosterfrauen oder prügelnder Ehemänner unterbringen gegen euren Willen, oder bei Familien, die nichts von euch wissen wollen! Das wäre das Ende von Sainte Douceline!»

Juliana nickte.

«Das will ich riskieren. Und ich bin sicher, alle anderen Schwestern auch.»

Danielle stand da mit hängenden Armen und geballten Fäusten. Ärger, Trotz, Trauer und Angst wechselten sich auf ihrem Gesicht ab.

«Quacksalberin! Kurpfuscherin! Verbrecherin! Wer weiß, wie du dir dieses angebliche Zeugnis, diese sogenannte Lizenz verschafft hast! In Neapel mag so etwas angehen. Aber wir sind in Paris. Hier herrscht Ordnung!»

«Ich habe niemandem geschadet und vielen geholfen. Fragt meine Patienten!»

«Da ist eine Patientin von dir.»

Sie zerrten sie vor den Richterstuhl, eine Frau in mittleren Jahren, die einmal hübsch gewesen sein mochte. Jetzt war sie bleich und gekrümmt vor Angst und Schmerzen.

«Die da hat mich zu der Abtreibung überredet. Ich wollte es nicht, aber die da hat gesagt: Mach es doch weg. Es ist ganz einfach! Eingeredet hat sie es mir. Fünf Goldstücke hat sie mir dafür abgenommen!»

«Sie lügt. Ich habe ihr den Eingriff verweigert und auch davon abgeraten. Ich habe den Eid des Hippokrates geschworen, der es Ärzten ausdrücklich untersagt, die Leibesfrucht einer Frau abzutöten. Diese Frau lügt. Fragt sie, wer sie dazu angestiftet hat.»

«Das haben wir schon getan. Und noch dazu haben wir Aussagen von diesen guten Doctores dort, dass es eine Stümperei war, was du gemacht hast. Du wirst nie wieder einem Menschen schaden. Dafür werden wir sorgen. Deine sogenannte Lizenz wird eingezogen, ebenso dein Vermögen. Wenn du dich noch einmal erwischen lässt, dass du dich als Ärztin, Hebamme oder Baderin betätigst, dann wird dir die rechte Hand abgeschlagen.»

«Also gut», sagte sie schließlich. «Die Heilige Jungfrau stehe mir bei! Aber das bitte ich mir aus: Ihr müsst darüber schweigen. Und es muss das einzige Mal bleiben. Danach will ich für immer Danielle bleiben dürfen, eine einfache Begine und Gärtnerin.»

«Wie du wünschst», antwortete Juliana. «Anne, wecke Jeanne. Sie soll Danielle begleiten.»

Danielle ging ins Hospital und suchte mit sicherer Hand Instrumente und Kräuter zusammen. Jeanne, noch etwas verschlafen, kam herein.

«Ich brauche ein Pflaster von Artemisia, um es ihr auf den Bauch zu legen. Außerdem einen Trank aus drei Drachmen Kaneelblüten, zerstoßen, eine Unze Bohnenkraut, eine Unze Ysop und den Saft von Zitronenmelisse. Ich habe alles gefunden bis auf den Melissensaft. Hast du welchen?»

Jeanne stand wie versteinert da und starrte sie an: «Das stand in dem Buch! Wie kannst du das wissen?»

«Was für ein Buch?»

Jeanne zog es aus ihrem Umhang und hielt es Danielle hin: «Hier, das ist ein wunderbares Kompendium der Frauenheilkunde, vor drei Tagen erst habe ich es bekommen …»

Danielle lachte bitter auf. «Ich habe es selbst geschrieben. Und ich bin dafür angefeindet und angezeigt worden. Du behältst es besser für dich. Und jetzt rasch: Hast du Melissensaft?»

«Ich habe gleich welchen gemacht, als ich davon gelesen habe.» Jeanne suchte in einem Schränkchen und warf in ihrer Hast allerlei um. Es klirrte. «Da ist es!» Sie hielt Danielle ein braunes, bauchiges Fläschchen hin.

Danielle zog den Stopfen heraus und roch daran. «Er ist gut! Wir müssen die anderen Zutaten zusammen mit dem Saft und viel Zucker aufkochen, sobald wir dort sind. Das erleichtert die Geburt und stößt die Nachgeburt aus. Als Erstes aber geben wir ihr ein wenig Schlafmohn.»

«Warum denn das?»

«Sie hat sich schon so lange gemüht und Schmerzen gehabt, dass ihr Beckengürtel sicher versteift ist. Wir müssen zuerst dafür sorgen, dass sie sich entspannt. Wir werden sie wärmen und ihren Unterleib mit Thymianöl massieren. Vermutlich ist sie in Panik und völlig verkrampft. Man muss sie beruhigen, wärmen und tief atmen lassen. So. Ich habe alles zusammen!»

Die beiden Frauen hasteten durch das nächtliche Pertuis. Ihre Schritte hallten in den engen Häuserschluchten, durch die Rue Saint Jacques, am Kornspeicher vorbei.

«Was tust du, wenn sie gerissen ist?»

«Sie mit ihrem eigenen Haar nähen. Darauf gibt man ein Pulver aus getrockneten Wermutblüten, Rosen und den Blüten des wilden Granatbaums. Ich vermute aber, dass wir ganz andere Sorgen haben werden mit ihr.»

Eine Nachtwache hielt sie auf: «Wohin?!»

«Zum Haus von Mestre Marius de Vidal. Seine Frau liegt in den Wehen.»

«Ich habe gehört, sie sei tot», sagte der Mann. «Der Arzt ist nach Hause gegangen.»

«Du hast zu lange gezögert! Warum hast du dich nicht früher entschlossen?», rief Jeanne vorwurfsvoll.

«Ich habe Angst gehabt! Du kannst nicht wissen, wie das ist, was mir geschehen ist! Da möchte ich einen sehen, der da noch helfen will!», rief Danielle, aber sie drängte sich an dem Mann vorbei, rannte über die Place Saint Nicolas und zu dem schönen dreistöckigen Palais der Vidal. «Komm schnell, vielleicht ist es nicht wahr!» Sie betete halblaut. ‹Bitte, lass es nicht zu spät sein! Wenn du mich ihr helfen lässt, dann will ich fortan wieder als Ärztin arbeiten, auch wenn es mich mein Leben kosten sollte. Gib mir ein Zeichen. Lass sie leben, ich bitte dich!›

Im zweiten Stock brannte Licht. Sie riss am Türklopfer. Jeanne war ihr gefolgt, so schnell sie konnte. Eine heulende Magd machte ihnen auf.

«Ihr kommt zu spät! Sie liegt im Sterben!», schluchzte sie. Aber sie ließ sie hinein. Das bleiche Gesicht von Catherine erschien oben am Treppenabsatz. «Du?!» Sie stellte sich ihnen in den Weg. «Was will die denn hier?», wandte sie sich wütend an Jeanne. «Die darf nicht zu meiner Schwester hinein!»

«Aber sie ist Ärztin! Sie kann ihr helfen!»

«Ärztin, die? Diese hergelaufene Bettlerin? Niemals! Sie ist eine Lügnerin und Betrügerin! Eine Hexe! Auf keinen Fall lasse ich zu …»

Marius kam aus dem Zimmer, in dem Laura lag.

«Was ist hier los? Mit wem sprichst du, Catherine?» Er erblickte Jeanne. «Lass sie doch durch!»

Mit einem anklagenden Finger wies Catherine auf Danielle. «Jeanne darf hinein, aber die da nicht! Dass sie sich überhaupt traut, ihr Gesicht in diesem Haus zu zeigen!»

«Ich weiß nicht, was ihr mir vorzuwerfen habt, Mestra Catherine», versuchte Danielle sie zu beruhigen, «aber ich versichere Euch, dass ich tatsächlich eine ausgebildete Ärztin bin, spezialisiert auf Frauenleiden und Geburtshilfe.»

«So plötzlich? Das glaube ich nicht!», schrie Catherine voller Hass. «Eine Kurpfuscherin bist du. Und eine Hexe! Meinen Verlobten hast du mit deinen Zauberkünsten umgarnt, ihn von mir weggelockt! Und jetzt willst du auch noch meine Schwester umbringen, die dir nichts getan hat?»

Marius schob Catherine beiseite. «Was redest du da? Lass sie durch! Bist du wirklich Ärztin, dann geh zu ihr und hilf ihr, wenn du kannst. Und du schweig still, Catherine! Geh in deine Kammer, wenn du dich nicht nützlich machen willst. Über alles andere reden wir morgen. Jetzt ist nicht die Zeit!»

«Wenn meiner Schwester etwas zustößt, dann wirst du es bereuen!», schrie Catherine Danielle hinterher, drehte sich um und stürmte davon.

Jeanne ging mit der Magd in die Küche, um den Trank und das wärmende Pflaster zu bereiten.

Danielle lief hinter Marius die Treppe hinauf. Er führte sie in das Geburtszimmer. Dort lag Laura auf dem Bett, ihre Augen waren geschlossen, das Gesicht vom Weinen geschwollen und rot von geplatzten Äderchen, das Haar schweißverklebt. Das Zimmer sah verwüstet und trostlos aus. Tränke, Öle und Decken lagen überall verstreut. Der Geburtsstuhl stand nutzlos in einer Ecke. Die alte Auda war in einer Ecke zusammengesunken und schnarchte leise. Danielle beugte sich über Laura und horchte auf ihren Atem. Sie schlug die Decke zurück. Verächtlich riss sie den Geburtsgürtel aus roten Sardersteinen ab und warf den Eselshuf weg, den man ihr auf den Venushügel gelegt hatte. «Fort mit diesem abergläubischen Kram!» Sanft befühlte sie Leib und Muttermund.

«Das Kind bewegt sich. Es lebt», verkündete sie. «Es ist aber so, wie ich gedacht habe: Das Kind liegt richtig, der Kopf ist ins kleine Becken eingetreten. Aber es ist zu groß, und sie ist zu schwach, um es herauszupressen. Es gibt nur einen Weg: Ich muss einen Dammschnitt machen.»

Auda war aufgewacht. Sie bekreuzigte sich. «Was ist das für ein Hexenwerk?»

«Das ist keine Hexerei, es ist ganz normal. Ich habe diesen Eingriff schon oft vorgenommen. Schnell jetzt! Eines noch, Herr Marius: Wenn ich nur einen von beiden retten kann: Willst du das Kind opfern oder die Mutter?»

«Das Kind», sagte Marius bleich. «Rette Laura.»

Danielle nickte. Sie schob ihn hinaus und schloss die Tür.

«Die Kirche verlangt es anders. Sie wollen, dass man die Mutter sterben lässt und dann aus ihrem toten Leib das Kind herausschneidet, damit sie es taufen können», hörte Marius Auda sagen, doch Danielles Antwort entging ihm. Er begann zu beten.

Jeanne kam mit der Magd und brachte, was Danielle in Auftrag gegeben hatte. Die Frauen huschten in das Zimmer und wieder heraus. Die Magd war sehr blass, als sie herauskam, und musste sich übergeben.

Marius saß auf dem Treppenabsatz, die Ellbogen auf die Knie gestützt, das Gesicht in den Händen. Wenn von drinnen ein Geräusch zu hören war oder Laura gar stöhnte, dann zuckte er zusammen, als hätte man ihn geschlagen. Nach einer Weile wurde es drinnen sehr still. Marius sprang auf. «Laura!»

Plötzlich hörte er von drinnen den ersten Schrei seines Kindes. Es hatte eine kräftige, tiefe Stimme. Die Tür öffnete sich. Auda brachte ihm den Säugling heraus, einen roten, faltigen kleinen Menschenwurm, seinen Sohn. Er nahm ihn, überaus vorsichtig, andächtig. Winzige rote Fingerchen schlossen sich um seinen Zeigefinger. Ein Paar veilchenblauer Augen, riesig in dem kleinen Gesicht, schauten glasig durch ihn hindurch. Marius lachte, hob das Bündel hoch in die Luft, sah es wieder an, wiegte es in seinen Armen und weinte und lachte gleichzeitig.

«Und Laura?», fragte er plötzlich. «Was ist mit Laura?»

«Sie lebt und ist den Umständen entsprechend erschöpft. Aber sie wird sich erholen. Danielle wird Euch eine Diät für sie aufschreiben, die ihr rasch wieder auf die Beine hilft. Wartet noch einen Augenblick, ehe Ihr hineingeht. Wir müssen noch ein wenig aufräumen. Es ist kein Anblick für einen Mann.»

Als sie wieder hineinkam, hatte Danielle die Wunde genäht und versorgt.

Eine Magd half ihnen, Laura zu waschen, sie in ein frisches Hemd zu kleiden und das Laken zu wechseln, bevor sie Marius zu ihr hineinließen. Laura war schläfrig, aber bei Bewusstsein, als ihr Mann hereinkam und ihr das Kind an die Brust legte. Aller Schmerz, alle Angst waren vergessen. Ihr Gesicht war immer noch gerötet und geschwollen, doch Danielle dachte bei sich, dass Laura nie schöner ausgesehen hatte. Als die Beginen die jungen Eltern verließen, schlief Laura, und Marius hielt beseligt sein Kind im Arm.

Catherine stand an der Tür. Sie schien das Glück der Eheleute nicht recht zu teilen. Die Haare hingen ihr wirr um den Kopf, und ihre Miene war finster. Die Augen folgten Danielle, bis die Tür hinter ihr ins Schloss fiel.

«Das hätte ich nicht gedacht, dass ich in meinem Alter noch was lernen kann», sagte Auda, als die drei Frauen zum Beginenhof zurückgingen. Es begann hell zu werden, das kühle blaue Licht des Morgens wanderte am Himmel empor. Über dem Glockenturm von Saint Nicolas zogen hauchdünne gelbe Schleierwolken auf, die von unten sanft zu leuchten begannen. Die Glocken der nahen Benediktinerabtei riefen zum Morgenlob.