«Und was soll das darstellen?»
«Es ist gar nicht schlecht angelegt. Schau, wie sorgfältig sie die Kettfäden unten mit Tonscheiben beschwert hat, nicht zu viele zusammengebunden, damit das Gewebe keine Lücken bekommt … recht ordentlich. Das hätte ich nicht besser machen können», sagte Manon und befühlte mit Daumen und Zeigefinger sachkundig die Handbreit Stoff, die am oberen Rand des Hochwebstuhls bereits entstanden war. «Und seht nur, wie geschickt sie die Schussfäden angelegt hat, sodass die Knoten immer hinten landen. Sehr gut. Sehr gut!»
«Aber was soll das werden», nörgelte Gebba.
Die Weberinnen und Kämmerinnen und die Garnspinnerin standen alle um Danielles Webrahmen herum, der in der hintersten Ecke gegen eine Wand lehnte.
«Ich weiß noch nicht so genau.» Unbemerkt hatte Danielle den Raum betreten. Ein wenig schuldbewusst fuhren die anderen Frauen auseinander.
«Ich weiß nicht, ich weiß nicht!» Giftig ahmte Gebba Danielles unentschlossenen Tonfall nach. «Wie ich es leid bin, das ständig von dir zu hören, Schwester! Man muss doch wissen, wohin man will, wenn man ein Werk beginnt.»
«Ich denke, ich werde eine Frau in einem Blumengarten machen», antwortete Danielle ruhig. «Ich muss mich ja auch danach richten, welche Farben ihr mir im Restekorb lasst.»
Gebba hatte den anderen den Rücken zugewandt und war zurück zu ihrem Webstuhl gegangen, wo man sie ärgerlich mit den Schäften klappern hörte.
«Tatati und tatata! Alles Unsinn!» – «Rrrapp», schnarrte ihr Schwert, das den Schussfaden gegen die Gewebekante drückte. «Verschwendung, wenn ihr mich fragt!» – «Rrrapp!» und «Klipp-klapp!» Damit hoben und senkten sich Tritte und Schäfte.
Guilhelme ging näher an den Bildteppich heran: «Also, ich kann schon etwas erkennen. Das ist der Himmel, nicht wahr, Danielle? Hübsch – mit der unregelmäßig gefärbten Wolle sieht es aus wie von Wolken durchzogen. Und da sehe ich eine grüne Ranke mit Blättern. Und da in der Mitte, das ist der Scheitel eines Kopfes, oder?»
«Ja, richtig. Das wird der Kopf», sagte Danielle und wühlte im Korb mit den Wollabschnitten, die beim Abketteln fertiger Gewebe übrig geblieben waren.
«Sie hat braune Haare, wie du», stellte Manon fest
«Schon möglich», gab Danielle gleichmütig zurück. «Von der ungefärbten dunkelbraunen Wolle ist am meisten da. Was ich brauche, sind helle Fäden für die Haut und ein wenig einfach gefärbten Krapp für Wangen und Mund.»
«Mich brauchst du gar nicht anzusehen! Ich webe sparsam und überlege mir vorher, was es werden soll. Bei mir bleibt nicht viel übrig», ertönte es aus Gebbas Ecke.
Aber Manon hatte schon etwas gefunden: «Hier, Danielle, ich habe noch ein kleines Knäuel rosa Fäden in meinem Kasten aufgehoben, das kannst du haben. Das reicht dann noch für ein paar Rosen in deinem Garten, wenn du willst.» Und Guilhelme rief: «Ich bin gleich fertig mit meinem Stoff. Da fällt jede Menge hellbraunes Garn ab.»
Danielle setzte sich vor den Webrahmen, knüpfte einige Längen Garn zusammen und setzte ihr Bildwerk fort. Es ging langsam voran. Entweder war sie abends zu erschöpft, oder es fehlten die richtigen Farben. Der Himmel war von einem blassen grünlichen Blau. Welche Pflanze dafür verwendet worden war, wusste sie nicht. Sie hätte lieber ein dunkleres Blau gehabt. Nun hatte sie einige Längen Hellbraun, Blaugrün, rötliches Braun und Ockergelb. ‹Es ist wie im Leben›, dachte sie. ‹Da muss man auch die Farben nehmen, die der Herrgott einem zur Verfügung stellt und schauen, was man daraus macht. Viel habe ich bisher nicht vorzuweisen, scheint mir.› Sie wickelte einen hellbraunen Faden auf eine kleine Spindel und begann mit dem Gesicht. Dann kam ein Stück Dunkelbraun für das Haar und dann wieder mehr Blaugrün für den Himmel.
«Wir hatten das ganze Haus voller Wandteppiche, feinste flandrische Ware, mit Landschaften, schönen Rittern und Burgen darauf! Nicht solche klobigen Dinger wie das da», lästerte Gebba.
Niemand antwortete ihr.
«Schade um die gute Wolle!» – Sie betätigte die Tritte lauter und energischer als notwendig. – «Na ja, so tragen die einen zum Erhalt dieses Hauses bei, und die anderen spielen mit Fädchen.»
«Dein letzter Ballen Seidengewebe ist übrigens durchgefallen, Gebba», bemerkte Manon. «Es fehlte ein Stück an der Breite. Das kannst du nur unter der Hand verkaufen, und da wird es keinen so guten Preis erzielen.» Die Schäfte ihres Webstuhls gingen so flink wie eine Getreidemühle: klipp, klapp, klapp.
«Ach was! Eine Gemeinheit war das!» Heftig schnurrte das Schwert an den Kettfäden entlang. «Dahinter steckt doch bloß die Wollweberzunft. Die haben den Amtsdiener bestochen, damit er die besten von unseren Stoffen durchfallen lässt», murrte Gebba.
«Schon möglich», gab Manon zu. Sie verkniff sich die Bemerkung, dass Gebbas Stoffe weit häufiger beanstandet wurden als ihre eigenen. Gerade an diesem Tag hatten die Weberinnen von Sainte Douceline ihre Waren zur Prüfung vorlegen müssen. Alle Stoffe wurden dabei peinlich genau vermessen, ob sie die vorgegebenen Maße hatten. Die Fadendichte wurde gezählt, die Stoffe gewogen. Erst dann bekamen sie das Bleisiegel der Stadt und durften nach auswärts verkauft werden.
Gebba legte Schiffchen und Kamm aus der Hand und streckte sich. «Ich fühle mich ein wenig schwach. Ich glaube, ich werde vor dem Essen noch ein wenig ruhen und erbauliche Literatur lesen.» Sie stand auf und ging hinaus.
«Ein wenig schwach, so so», kicherte eine der Kämmerinnen. «Ein wenig faul eher.»
«Übe Nachsicht, Schwester. Sie hat schlechte Laune, die hätte wohl jede von uns, wenn ihr Werk derart zurückgewiesen worden wäre. Schau hier, Danielle, das ist ein schönes Dottergelb. Kannst du damit etwas anfangen?» Manon wickelte das Garnende zu einem kleinen Ball und warf ihn Danielle zu.
Aber Danielle musste ihre Arbeit bald schon wieder unterbrechen, denn sie hatte Küchendienst.
«Ich bin schon wieder hungrig», bemerkte Manon mit einem listigen Blick zu ihr.
«Ich weiß schon», sagte die. «Wenn etwa zufällig ein Pastetchen herunterfallen sollte und zerbricht, dann bringe ich es dir.»
Im Hof vor dem Kücheneingang lag eine Pyramide aus hellgrünen Kugeln, die einen wunderbaren, zartsüßen Duft verbreiteten. Anniks Sohn war mit dem Fuhrwerk gekommen und hatte ein Ladung Melonen gebracht, frisch vom Feld.
Annik schoss wie ein aufgescheuchtes Insekt in ihrer Küche herum und versuchte gleichzeitig in einem Suppenkessel zu rühren, der über dem Kaminfeuer stand, den Brotteig zu Zöpfen zu flechten und Fliegen von der Speckseite zu vertreiben, die zum Aufschneiden auf dem Tisch lag.
«Oh! Endlich kommt mir jemand helfen! Ich kann mich doch nicht zerreißen! Da, schneide mir ein paar Scheiben Speck herunter, das wirst du ja wohl können! Mestra Laura kommt heute zum Abendessen, da muss es etwas Gutes geben! Nein, rühr mir den Teig bloß nicht an, sonst fällt er wieder zusammen. Du hast kein Geschick dafür! Manche Leute brauchen einen Brotteig nur anzuschauen, und er wird sauer oder fällt zusammen. Der Speck! Der Speck!»
Danielle machte sich ans Werk. Das Messer war stumpf, und sie sah sich in der Küche nach einem Schleifstein um. Es war ein großer, gewölbeartiger Raum mit einer Fassdecke aus Ziegeln und einem gewaltigen Kamin, dessen Schlot den anschließenden Speisesaal und die gemeinschaftlichen Schlafräume im ersten Stock beheizte. Doch so groß die Küche auch war, so vollgestellt war sie mit Tischen, Vorratsregalen, Wasserkrügen, Kornsäcken, Körben, Töpferwaren, Butterfass, Hackblock und Brothafen. Einige der Gerätschaften waren mit Seilen an den Dachbalken angebracht, von wo aus die winzige Küchenfrau sie sich bei Bedarf herunterlassen konnte. Danielle hatte einen Schleifstein entdeckt und schärfte das Messer. Annik sah ihr über die Schulter: «Ja, gut so. Merkwürdig für eine Frau bist du schon: Du kannst weder kochen noch backen, noch Käse machen, aber handwerkliche Dinge fallen dir ganz leicht. Und bei den Schultern, die du hast, da könntest du glatt ein Schmied sein! Aber du bist ein guter Kerl!» Im Vorüberhasten klopfte sie Danielle auf den Rücken. «Wenn du mit dem Speck fertig bist, dann bring ihn in die Vorratskammer. Häng ihn an einem Haken auf und schlag ihn gut in Leinen ein, hörst du – dass mir die Fliegen nicht drankommen! Und bring gleich einen reifen Käse mit, einen aus Kuhmilch, von den großen gelben. Nein, lass das lieber, ich muss ja doch selber schauen, welcher gut ist – du weißt das ja nicht. Danach könntest du die Melonen aufschneiden und entkernen. Die müssen bald gegessen werden, die gibt’s zum Nachtisch!»
Sie schoss wieder zur Feuerstelle und rührte die Suppe um, dass sie überschwappte und die Tropfen in der Glut zischten. Schon war sie wieder am Tisch, nahm den Speck, den Danielle abgeschnitten hatte, und steckte ihn auf einen Spieß, um ihn über dem Feuer zu rösten. Auf dem Kaminrost legte sie Brotscheiben aus, um das herabtropfende Fett aufzufangen.
Magdalène kam hereingeschlendert und schnappte sich eine in Wein gekochte Feige aus einer Schüssel. Annik schlug ihr auf die Finger: «Hier wird nicht genascht! Du kannst anfangen, die Tische zu decken, du verfressenes Ding!» Aber sie lachte dabei, und kaum hatte sie den Rücken gekehrt, langte Magdalène noch einmal in die Schüssel.
«Ooooh, du …», schrie Annik, die es aus den Augenwinkeln bemerkt hatte. Magdalène ergriff einen Stapel Geschirr und floh aus der Küche. Annik warf ihr einen zusammengeknüllten Lumpen hinterher und zeterte: «Du sollst nicht stehlen!» Magdalène verschwand kichernd.
Danielle trug die Speckseite in die Vorratskammer. Sie lag zwischen Küche und Außenmauer zur schattigen Straße hin und hatte nur ein paar winzige Oberlichter. Im Halbdunkel stieß Danielle gegen einen mannshohen Ölkrug, tastete nach einem freien Haken und hängte gerade das Fleisch daran, als sie aus der Küche einen gellenden Schrei vernahm. Sie ließ das Leintuch fallen und rannte zurück in die Küche.
Annik hatte sich mit kochender Suppe den Arm verbrüht, von der Hand bis zum Ellbogen. Jammernd und weinend griff sie nach der Ölflasche, goss sich Öl auf die krebsrote Haut und wollte schon Mehl darauf stäuben. Danielle riss es ihr weg.
«Was tust du da?! Doch kein Öl und auch noch Mehl dazu! Das macht es nur noch schlimmer. Das verschmutzt die Wunde, und sie entzündet sich! Kühlen musst du es!»
Sie zog die heulende Annik hinter sich her zu einem Krug mit Brunnenwasser.
«Da steckst du den Arm hinein und lässt ihn drin, bis ich wiederkomme!»
Annik hockte sich widerborstig hin und hielt den verbrühten Arm ins kalte Wasser.
«Aber das haben wir immer so gemacht! Öl und Mehl gehören drauf! Wasser! Was soll Wasser denn helfen?!» Aber sie wagte es nicht, Danielles Anweisungen zuwiderzuhandeln. Sie hatte mit solcher Autorität gesprochen, dass sie gehorsam sein musste.
Wie ein Mistral fegte Danielle ins Hospital.
«Jeanne! Rasch! Hast du Ringelblumensalbe? Nein?»
«Salbe nicht, aber geläutertes Schafsfett und getrocknete Ringelblumen. Wofür …?»
«Annik hat sich in der Küche den Arm böse verbrüht!», rief Danielle. Sie ergriff das Bündel getrockneter Ringelblumen, das Jeanne ihr reichte, und stürmte zurück in die Küche. Dort zerdrückte sie das Kraut in einem Steinmörser, goss es mit ein wenig kochendem Wasser auf und wickelte es in ein sauberes Leintuch. Sie schwenkte es mit geübter Hand, um es abzukühlen.
«Zeig her, den Arm», sagte sie ruhig zu Annik. «Na, so was tut erst mal ordentlich weh, aber das Kühlen hat gutgetan, oder?» – «Ja», nickte Annik und betrachtete mit aufgerissenen Augen den geröteten Arm. Danielle betrachtete die Stelle genau und berührte sie vorsichtig mit einer Fingerspitze. «Es ist nicht so schlimm. Die Flüssigkeit hat nicht mehr gekocht. Die oberste Hautschicht wird sich lösen, und danach wird die Stelle ein paar Tage dünn und empfindlich sein.» Vorsichtig legte sie das nasse Leintuch mit den Kräutern auf die Wunde. «So. Das lässt du drauf, bis du zu Bett gehst, dann wird dir Jeanne zur Nacht einen Verband mit Salbe machen. Wenn du Schmerzen hast, trink Weidenrindenaufguss. Morgen schon wird es besser sein.»
Erstaunt und dankbar schaute Annik sie an: «Woher hast du das gewusst? Ich glaube gar, du bist eine Apothekerin.»
Danielle stutzte einen Augenblick: «Nein», wehrte sie dann ab. «Nein, eine Apothekerin bin ich nicht gewesen. Das mit der Salbe muss ich irgendwo aufgeschnappt haben.»
Jeanne war Danielle in die Küche gefolgt und hatte alles mit angesehen.
«Na, in der Not weißt du ja doch zuzupacken. Das war ganz richtig mit den Ringelblumen. Ich hätt’s nicht besser machen können.»
«Von mir aus», sagte Danielle. «Aber eine Apothekerin war ich nicht, und im Hospital will ich trotzdem nicht arbeiten. Alles, nur das nicht.»
«Schade», sagte Jeanne.
Danielle ergriff einen Stapel Schüsseln und ging die Tische decken. Man hörte, wie sie das Geschirr auf den Tisch knallte.
«Eh bèh!», bemerkte Annik. «Warum wird sie denn gleich so heftig?»
«Ich hab sie ein paar Male gedrängt, mit mir zu arbeiten, weil mir schien, sie habe das Mitgefühl und das Geschick dafür. Sie hatte wohl Sorge, dass ich wieder davon anfange», meinte Jeanne. «Na ja; sie wird es tatsächlich irgendwo aufgeschnappt haben. Gut für dich, dass sie es wusste, Annik! Mehl und Öl! So was!»
Zufällig kam wenig später ein junger Arzt vorbei, der gelegentlich im Hospital half. Er wurde von Jeanne in die Küche geführt. Annik saß auf einem Schemel und hielt ihren verbrühten Arm still. Danielle und Magdalène bemühten sich, nach ihren Anweisungen das Abendessen fertigzustellen.
«Danielle, das ist Carolus», sagte Jeanne. «Er macht ohne Bezahlung und aus reiner Nächstenliebe Krankenbesuche und gelegentlich Operationen – alles, was ich nicht kann. Carolus: Das ist unsere neue Schwester Danielle. Sie hat ihr Gedächtnis verloren.»
«Interessant», sagte Carolus. Danielle schaute vom Tisch hoch, wo sie gerade Zwiebeln schnitt. Ihre Augen tränten, und es wurde ihr im selben Augenblick bewusst, dass sie zweifellos eine rote Nase hatte. Sie fuhr sich mit der Hand über die Augen, um die Tränen fortzuwischen, was es natürlich noch verschlimmerte. Da stand sie nun mit laufender Nase und geschwollenen Lidern und hätte sich selbst ohrfeigen mögen, weil sie auch noch rot wurde. Und dabei war dieser Carolus der anziehendste Mann, den sie je gesehen hatte. Wütend drehte sie sich weg und verbarg ihr Gesicht in ihrer Schürze.
«O verflixt, das brennt sicher ganz scheußlich! Lasst mich …», sagte Carolus. Er hatte ein Leintuch genommen, es in den Wassereimer getunkt und leicht ausgewrungen. Nun kam er um den Tisch herum, zog Danielle die Schürze weg und tupfte ihr behutsam Augen und Nase ab.
«Na, ist es besser?»
Danielle nickte, öffnete die Augen und blickte direkt in sein amüsiertes Gesicht. Sie vergaß zu atmen, sie vergaß, wo sie sich befand. Plötzlich war es ganz mucksmäuschenstill in der Küche. Man hörte das Herdfeuer knacken und die Schaben in den Wänden rascheln. Endlich riss Danielle ihren Blick los. «Ja, es ist schon gut. Danke», murmelte sie und wandte sich rasch wieder dem Tisch und ihrer Arbeit zu.
Jeanne hatte die Augenbrauen in die Höhe gezogen. Annik stand der Mund offen. Magdalène hatte die Arme in die Seiten gestemmt, den Kopf schief gelegt und grinste breit.
Carolus räusperte sich, drehte sich um und ging, um Anniks Verband zu überprüfen.
«Ausgezeichnet. Ringelkraut war hier das einzig Richtige», sagte er in sachlichem Ton. «Und wenn die Wunde sich geschlossen hat?»
«Beinwell», flüsterte Danielle.
«Genau: Beinwell – dann wird es prächtig heilen und nicht einmal eine Narbe hinterlassen.»
«Tè!», machte Annik in vielsagendem Ton.
Der Vorfall machte die Runde. «Aha! Ich hab’s euch ja gleich gesagt. Das passt doch.» Gebba hegte die schlimmsten Befürchtungen. «Eine Apothekerin war sie, und ganz sicher hat sie sich vertan und jemanden umgebracht.» Das Letzte sagte sie mit einem lauernden Blick zu Danielle, die weiter schweigend den Tisch deckte. «Man sollte sie lieber nicht in der Küche hantieren lassen. Wer weiß, was sie uns unter die Suppe mischt, wenn Annik gerade nicht hinschaut.»
Mit einem lauten Knall stellte Magdalène den Teller vor Gebba hin, sodass diese zusammenzuckte.
«Aus Versehen, meinte ich doch», sagte sie scheinheilig. «Das kann doch vorkommen. Aber ich finde, wenn einem ein Felhler unterlaufen ist, dann sollte man ihn auch zugeben.»
«Jetzt halt aber dein loses Maul, sonst stopfe ich es dir», zischte Magdalène und warf Gebba einen bösen Blick zu. Gebba lächelte, offenbar zufrieden mit sich.
Maestra Laura erschien wie immer in Begleitung ihrer Schwester Catherine. Catherine war so still, wie Laura lebhaft war, deren Schwangerschaft jetzt für alle deutlich zu sehen war.
«Sie ist so jung und so schmal gebaut», bemerkte Danielle leise zu ihrer Freundin.
«Ja, meinst du, sie wird Schwierigkeiten haben? Ach, aber es heißt doch, dass junge Frauen leichter gebären als ältere, weil sie noch stark und biegsam sind.»
«Mag sein», erwiderte Danielle, doch sie betrachtete Lauras schmale Hüften ein wenig besorgt. «Ich wünsche es ihr auf jeden Fall. Sie ist ein so ein freundliches kleines Ding.»
Beim Essen plauderte Laura munter und berichtete über einen Fall von Erbbetrug, der sich vor kurzem zugetragen hatte. Ihr Ehemann Marius war Rechtsgelehrter und versah in der Stadt den Dienst eines Notars.
«Und stellt euch vor, da wird mein Marius gestern Abend spät zu einem Sterbebett gerufen – ich werde euch nicht verraten zu wem, das könnt ihr euch ja selbst zusammenreimen – und da sind auch richtig alle Verwandten um das Bett herum versammelt. Der alte Mann war ja schon lange krank, und so hat sich mein Marius zunächst nicht gewundert, dass er trotz der Hitze in Decken eingehüllt war, die Schlafmütze tief in der Stirn. Es schauten nur Mund und Nase heraus. – Ja, danke, liebe Annik, ich nehme gern noch etwas von dieser köstliche Gemüsesuppe! Ich schmecke Zitronenthymian heraus, das verleiht ihr einen so frischen Geschmack. Aber ich bediene mich schon selbst, schone nur deinen Arm!»
Mit zierlichen Bewegungen aß sie ein paar Löffel Suppe, während die anderen gebannt auf den Fortgang der Geschichte warteten.
«Nun, ihr wisst ja, dass die Witwe hier bei uns im Süden alles erbt, solange kein anderer Wille bekannt ist. Also, die Ehefrau des Sterbenden war nicht anwesend. Ja, und der Sterbende fing also an und ratterte die Namen seiner Brüder und der Söhne herunter und wie alles unter ihnen aufgeteilt werden sollte.»
«Wo war denn die Ehefrau? Ist es nicht merkwürdig, dass sie nicht am Sterbebett war?», fragte die Begine Philippa.
«Ja, schon, aber man hatte Marius gesagt, sie sei von der Pflege und dem Kummer dermaßen erschöpft, dass sie bei ihrer Schwester sei, um sich auszuruhen, nicht wahr, Catherine?»
«So hat es Marius erzählt», bestätigte Catherine.
«Ja, und also: Es war nun alles verteilt, und mein Marius schreibt es brav auf eine Wachstafel, um das Dokument später ordentlich aufsetzen zu können – und da fällt ihm sein Griffel herunter.»
Sie lächelte schlau, kratzte mit dem Hornlöffel in Ruhe ihre Schüssel leer und wischte sie mit geröstetem Brot noch gewissenhaft sauber, während die Beginen atemlos und ungeduldig auf den Fortgang der Geschichte warteten.
Laura kicherte: «Ja, und da bückt sich also mein Marius …», sie machte es vor und schaute unter den Tisch, «… und will nach dem Griffel fassen, der halb unter das Bett gerollt ist, und was glaubt ihr, was er da unter dem Bett sieht? – Den Verstorbenen!»
«Wie ist das möglich, wenn er doch im Bett lag», staunte Annik.
«Im Bett lag ein anderer, bist du aber begriffsstutzig!», rief Gebba.
«Richtig», lachte Laura. «Marius zog dem angeblichen Sterbenden die Decke von der Nase, und da lag der älteste Sohn vollangezogen im Bett und mimte mit verstellter Stimme seinen Alten. Ihre Mutter hatten sie auf dem Dachboden eingesperrt. So wollten sie sich die Erbschaft sichern!»
«Was für eine Frechheit!»
«So eine undankbare Brut! Und was hat Euer Gemahl gemacht? Hat er sie alle einsperren lassen?»
«Nein», sagte Laura und tupfte sich die Lachtränen aus den Augenwinkeln. «Ach nein, so hart ist er nicht. Er ließ die Mutter vom Dachboden holen und las den Söhnen und versammelten Onkeln gehörig die Leviten. Er hat ihnen gedroht, wenn sie ihre Mutter nicht anständig und höchst ehrerbietig behandeln, dann werde er sie allesamt abholen und in Ketten legen lassen.»
«Da sind sie ja noch gut weggekommen!»
«Ja, die Mutter aber auch, denn wer hätte denn das Geschäft führen und sie versorgen sollen? Sie braucht ihr Mannsvolk ja. Sie ist schon uralt, über vierzig!»
«Eine weise Entscheidung», lobte Juliana.
«Und – Mestra Catherine – gibt es bald eine Hochzeit?», fragte Annik. Gebba schnalzte mit der Zunge und schüttelte den Kopf. Annik hob die Schultern. Sie war eben neugierig, was sollte man da machen.
«Noch nicht so bald», gab Catherine zurück. «Wir haben es damit nicht so furchtbar eilig.»
«Na – jung gefreit, nie gereut – hat meine Mutter selig immer gesagt. Wenn eine denn schon heiraten will, dann soll sie es frühzeitig tun. Das Gebären ist für den jungen Körper leichter; das Becken ist dehnbarer, und man erholt sich schneller. Man kann auch mehr Kinder bekommen. Einige sterben dann ja doch weg und …»
«Ja, danke, es ist gut, Annik», unterbracht Juliana die Küchenschwester.
Catherine hatte den Mund verzogen. Das Thema schien ihr nicht besonders zu behagen.
Magdalène und Danielle standen auf, räumten die gebrauchten Schüsseln ab und trugen Melone und die in Wein und Honig gesottenen Feigen auf.
Als Danielle Mestra Laura bediente, blickte diese sie lächelnd an. «Geht es dir gut? Hast du dich eingewöhnt?»
«Ja, danke», sagte Danielle. «Gott hat mich an einen guten Ort geführt.»
«Wenn es denn Gott war, der sie unter uns gebracht hat», murmelte Gebba halblaut, aber vernehmlich.
Laura lachte darüber und sagte nur: «Ach, Gebba, was bist du nur für eine misstrauische Natur. Aber du kannst eben nicht aus deiner Haut, nicht wahr?»
Gebba brummte etwas Unverständliches. Vor dem Schlafengehen aber entschuldigte sie sich für die Bemerkung. Sie umarmte auch Magdalène. Unter Julianas gestrengem Blick und dem verstohlenen Grinsen der anderen Beginen bezeugten sich die beiden Frauen gegenseitige Achtung und schwesterliche Gefühle, aber Danielle sah aus dem Augenwinkel, wie Magdalène die Finger hinter ihrem Rücken kreuzte.
«Ach, diese Versöhnungen würden mir ebenso fehlen wie der Streit mit ihr», lachte Magdalène beim Ausziehen im Schlafsaal. «Einen guten Feind braucht man ebenso wie Freunde, findest du nicht?»
Danielle konnte nur den Kopf schütteln. «Mir kommt es vor, als hätte ich schon genug Feinde für ein ganzes Leben gehabt.»
«Ich meine ja auch einen alltäglichen Gegner, an dem man sich abarbeiten kann. Aber sag …», lenkte Magdalène rasch ab, «… der Medicus ist doch ein hübscher Bursche, nicht wahr?»
«Kann sein.»
«Ha! Nun tu doch nicht so. Man hat genau gesehen, dass er dir gefallen hat – und du ihm übrigens auch!»
«Unsinn! Ich habe es schon einmal gesagt: Mit derlei Dingen bin ich fertig. Ich bin gewiss nicht in ein Haus mit keuschen, frommen Frauen gekommen, um dann doch wieder nach einem Mann zu schauen. Nein, ohne ist man viel besser dran», versicherte Danielle. Sie drehte sich auf die Seite und gab vor zu schlafen.
Magdalène grinste verschmitzt.