3. KAPITEL
“Ich bin froh, dass wir nicht in Kalifornien leben.”
Die Detectives Pete Fitzgerald, Lincoln Ross und Marcus Wade schlugen die Zeit tot. Die kriminellen Elemente von Nashville schienen Ferien zu machen. Seit fast zwei Wochen hatte es keinen Mordfall mehr gegeben. Die Stadt war ungewöhnlich ruhig gewesen. Sogar der Nationalfeiertag hatte keine Toten geliefert, an denen sie ihre investigativen Fähigkeiten hätten austoben können. Es gab keine Gerichtstermine, zu denen sie erscheinen mussten, und ihre offenen Fälle waren entweder inzwischen gelöst oder wurden von den Untersuchungen im kriminaltechnischen Labor aufgehalten. Es herrschte buchstäblich tote Hose.
Die drei Männer hatten sich in das Büro ihrer Chefin gequetscht und schauten fern. Ein höchst akzeptabler Zeitvertreib, vor allem seit das Department einen Deal mit dem Kabelanbieter geschlossen hatte. Auf den Fernsehern sollten eigentlich vierundzwanzig Stunden Nachrichtensender laufen, aber natürlich wurde immer wieder umgeschaltet. Meistens, um sich dem heimlichen Vergnügen des Daily-Soap-Schauens hinzugeben, dem viele Detectives verfallen waren.
Heute hatte jedoch eine wilde Autoverfolgungsjagd durch Los Angeles die Aufmerksamkeit der drei Detectives erregt. Aufregend, sensationell. Ein Kidnapping, eine schussbereite, halb automatische Waffe im Anschlag, sogar ein gestohlener roter Jaguar. Das Auto raste über die verschiedenen Highways, selten mit weniger als siebzig Meilen pro Stunde, und fesselte die Nachrichtensprecher, die atemlos darüber spekulierten, ob das Entführungsopfer sich noch im Wagen befand oder nicht. Die Männer des Morddezernats feuerten ihre Kollegen in den blauen Uniformen an.
Fitz hob einen muskulösen Arm und sah auf seine Uhr. Die Verfolgungsjagd dauerte nun schon beinahe zwei Stunden. “Vor ungefähr fünf Minuten haben sie die Nagelbänder ausgelegt, also müssten bald die ersten Reifen runterkommen.”
“Ha, da ist es schon.” Marcus deutete auf den Bildschirm, wo ein großes Stück vom Hinterreifen des Jaguars wegflog und nur knapp das verfolgende Auto verpasste. Seine braunen Augen glänzten vor Aufregung. Fitz grinste. Der Kerl war noch so jung.
“Hast du jemals an einer Verfolgungsjagd teilgenommen, Marcus?”, fragte er und lehnte sich zurück, die Arme vor seinem gewaltigen Bauch verschränkt.
“Nein, aber ich habe alle Trainings dafür absolviert. Ich kann fahren! Mann, ich kann echt fahren.”
“Erinnere mich daran, dir niemals die Schlüssel zu geben. Ah, es ist vorbei.” Lincoln Ross stand auf und streckte sich, wischte unsichtbare Falten aus seinem kohlegrauen Armani-Anzug. “Er fährt nur noch auf den Felgen, jetzt können sie ihn seitlich von hinten rammen und damit ausschalten. Siehste, da ist es schon.”
Das verfolgende Auto schlich sich wie eine schwarzweiße Schlange an den Jaguar an und touchierte ihn dann leicht am hinteren rechten Kotflügel. Und wie im Bilderbuch drehte sich der Jaguar, rammte die Leitplanke, verlor einen Kotflügel und kam mit der Nase entgegen der Fahrtrichtung zum Stehen. Sofort war er von weiteren Fahrzeugen umringt; Polizisten zielten mit Gewehren und Handfeuerwaffen auf ihn. Keine Chance zur Flucht.
Die Nachrichtensprecher gratulierten sich zu einer hervorragenden Berichterstattung, die nach ihren Aussagen irgendwann in den nächsten fünf Minuten bis fünf Stunden zu Ende sein dürfte. Mit dem Versprechen, die Übertragung nicht zu unterbrechen, bis der Fall endgültig erledigt wäre, kamen jetzt die Experten zu Wort – ein ehemaliger Police Officer und ein in Geiselverhandlungen geschulter Polizeipsychologe –, um die notwendigen Spekulationen über die Vergangenheit des Täters auszuführen.
Um für die Öffentlichkeit ungeeignete Bilder noch rechtzeitig herausnehmen zu können, wurden solche Live-Berichte von Verbrechen mit einer fünfminütigen Verzögerung gesendet. Ein Produzent irgendwo in New York nahm diese Verzögerung jedoch etwas zu früh heraus, und die Detectives in Nashville starrten fasziniert auf den Fernseher, als sich die Tür des Jaguars öffnete. Der Verdächtige sprang heraus und zog eine Frau an den Haaren mit sich aus dem Auto.
Hektische Betriebsamkeit auf dem Boden, ein schnelles Zusammenziehen der Absperrung um den Entführer. Der Verdächtige schaute nach oben, um sicherzustellen, dass der Kameramann im Helikopter ein gutes Bild seines grinsenden Gesichts einfangen konnte. Er zog die Frau auf die Füße, hob seinen Arm und schoss ihr in den Kopf. Er wurde niedergeschossen, bevor sein Opfer noch den Boden berührte. Ein schrecklicher Tumult brach los. Für einen Herzschlag wurde der Bildschirm schwarz, dann erschien das Gesicht des erschrockenen Nachrichtensprechers. Er sah etwas grün um die Nase aus.
“Wie ich schon sagte, ich bin verdammt froh, dass wir nicht in Kalifornien leben”, grummelte Fitz.
Das Telefon klingelte, und er nahm den Hörer ab, hörte aufmerksam zu und machte sich Notizen. “Wir sind dran.”
“Was ist los?” Marcus hatte sich mit seinem Stuhl so weit zurückgelehnt, dass er Gefahr lief, hintenüberzukippen.
“Leiche in Bellevue. Ich übernehm das. Ich werde Taylor vom Auto aus anrufen.”
Sofort waren Lincoln und Marcus auf den Beinen. “Wir kommen mit”, sagte Marcus. “Ich will hier nicht länger dumm rumsitzen. Du etwa, Lincoln?”
“Oh Gott, bloß nicht!”
Pflichtbewusst verließen sie das Büro und sammelten auf dem Weg nach draußen ihre Jacketts und Schlüssel ein. Lincoln grinste, froh, endlich das Gebäude verlassen zu können. “Wenigstens wird es dabei keine Verfolgungsjagden geben.”
Der Tag war drückend, die Luftfeuchtigkeit lag hoch in den Neunzigern, am Horizont lauerte drohend der Regen. Auch wenn es helllichter Tag war, schien keine Sonne. Wie ein Pesthauch verdeckte ein dicker Nebelschleier den Himmel, färbte das Blau zu Grau. Nashville im Sommer.
Am Schauplatz des Verbrechens tummelten sich schwitzende Männer und Frauen. Ihre Bewegungen waren träge, eingeübt, überhaupt nicht eilig. Einige trugen Masken, um ihre sensiblen Geruchsrezeptoren vor dem Gestank zu schützen. Ein verwesender Körper bei 32 °C konnte den stärksten Beamten umhauen.
Sie hatten sich auf einem grasbewachsenen Feld in der Nähe der westlichsten Ecke von Davidson County versammelt, dort wo sich der Highway 70 und der Highway 70 Süd teilten. Die Gegend war unter dem Namen Bellevue bekannt und lag nur fünfzehn Minuten von der Innenstadt entfernt. Ein paar Meilen weiter, und die Kollegen von Cheatham County würden jetzt hier in der Sonne stehen. Doch stattdessen hatte die Metro-Mordkommission den Anruf erhalten. Taylor hatte die gleiche Langweile gespürt wie ihre Detectives und war froh über die Ablenkung.
Sie stand neben dem Körper, nahm die Szene in sich auf. Ihre blonden Haare hatte sie zu einem unordentlichen Pferdeschwanz zusammengefasst, ihr schlanker Körper warf groteske, schweigende Schatten auf das hohe Gras. Sie trug keine Maske. Ihre Nasenflügel zusammengezogen, atmete sie durch den Mund, um den Tod nicht zu inhalieren. Eine unbekannte weibliche Leiche, jung, die braunen Haare eine wirre Masse unter ihrem angeschwollenen Körper. Braune Augen glitzerten stumpf durch leicht geöffnete Augenlider. Die Käfer hatten ihre Pflicht getan, hatten geknabbert, Eier gelegt, ihre Mannschaft neu bevölkert. Eine sich windende weiße Larve fiel aus dem Mund des Mädchens.
Taylor verlor beinahe die Fassung, stellte sich diesen Wurm in ihrem eigenen Mund vor, und aus Versehen nahm sie einen tiefen Atemzug durch die Nase. Sie zuckte zusammen und drehte sich für einen Moment weg, konzentrierte sich auf die Aktivitäten um sie herum. Normalerweise schwirrten die Leute am Tatort selbst wie eine eigene Insektenart umher, doch heute schien niemand in großer Eile zu sein. Fitz schlenderte zurück zur provisorischen Kommandozentrale am Rande des Feldes; nach einem kurzen Blick auf die Leiche hatte er sich ein Taschentuch vor den Mund gehalten und sich höflich entschuldigt. Sie konnte Marcus und Lincoln sehen, die etwas weiter weg in eine Unterhaltung vertieft waren. Hitzewellen schimmerten um ihre Körper. Kriminaltechniker trugen braune Papiertüten zu ihren Fahrzeugen, Streifenpolizisten standen mit den Rücken zur Toten. Die Szenerie vibrierte unterschwellig, trotzdem wirkte die gesamte Truppe apathisch und träge in der Hitze.
Außer einem Mann, der mühelos mit großen Schritten auf sie zukam. Er war groß, mit dunklen Haaren, sehr elegant. Er war keiner von ihren Männern.
Vor einem der Streifenpolizisten blieb er stehen, klappte ein kleines, ledernes Identifikationsmäppchen auf und sagte laut genug, dass Taylor es auch hören konnte: “Special Agent John Baldwin, FBI.”
Der Officer trat einen Schritt zur Seite, um Baldwin den Weg frei zu machen, der ihn weiter direkt auf Taylor zuführte. Er steckte das Mäppchen in seine Brusttasche, und kam dann, mit ausgestreckter rechter Hand, auf sie zu. Er zwinkerte, als er ihre Hand nahm. Sie fühlte die Wärme seines Händedrucks, eine erschütternde Berührung, die bis in die Zehenspitzen prickelte. Sie stellte sich aufrechter hin. Mit einem Meter dreiundachtzig überragte sie die meisten Männer. Aber dieser war mindestens zehn Zentimeter größer, und sie musste zu ihm hochschauen, um ihm in die Augen sehen zu können. Sie hatten die seltsamste grüne Schattierung, dunkler als Jade, heller als Smaragde. Katzenaugen, dachte sie.
Ihr Herz schlug ein wenig schneller. Mit der rechten Hand fasste sie sich an den Hals, eine unbewusste Geste. Die acht Zentimeter lange Narbe war kaum verheilt; sie sah immer noch aus, als ob sie erdrosselt worden wäre. Ein Schnitt von einem Messer, freundliche Grüße von einem verrückten Verdächtigen. Ein permanentes Souvenir ihres letzten Falls. Sich zusammenreißend strich sie sich eine Strähne aus dem Gesicht und schenkte Baldwin ein kurzes, aber warmes Lächeln.
“Was machst du hier? Ich habe nicht um FBI-Unterstützung gebeten. Es ist nur ein ganz normaler Mordfall.” Sie hielt einen Moment inne, besorgt ob des Ausdrucks auf seinem kantigen Gesicht. Sie kannte diesen Blick. “Bitte sag mir, dass es nur ein Mord ist.”
“Ich wünschte, das könnte ich.”
“Warum das Getue eben?” Taylor schaute über Baldwins Schulter. Es waren nur wenige Leute am Schauplatz, die John Baldwin nicht kannten. Ihr Team – Fitz, Marcus und Lincoln – hatte schon vorher mit ihm zusammengearbeitet.
“Das hier muss offiziell sein. Ich glaube, ich weiß, wer sie ist.” Er zeigte beinahe achtlos auf den Körper, der zu ihren Füßen lag.
“Ah, aus einem anderen Staat, nehme ich an. Wir haben nämlich keine Vermisstenmeldungen für den passenden Zeitraum.”
“Ja, richtig, aus einem anderen Staat. Mississippi.” Diese Aussage hatte er beinahe gedankenverloren ausgesprochen, wie einen Nachsatz. Baldwin umkreiste die Leiche, nahm alle Details in sich auf. Die blauen Flecken am Hals des Mädchens waren trotz der fortgeschrittenen Verwesung noch zu erkennen. Er ging noch einmal um sie herum, lächelte mit einem bizarren Ausdruck des Triumphs vor sich hin. Der Toten fehlten die Hände.
“Ich denke, das könnte das Werk von unserem Jungen sein.”
“Euer Junge?” Taylor hob die Augenbrauen. “Du weißt, wer das getan hat?”
Er ignorierte ihre Frage für einen Moment. “Ist es okay, wenn ich sie anfasse?”
“Ja. Die Kriminaltechniker sind für den Moment mit ihr fertig. Wir warten auf den Gerichtsmediziner, um sie wegzubringen. Ich habe sie nur noch mal ansehen wollen.”
Baldwin holte ein Paar Latexhandschuhe aus seiner Hosentasche. Dann hockte er sich neben die Leiche und nahm den rechten Armstumpf des Mädchens in die Hand, wobei er ein paar Maden abschüttelte.
Taylor sprach ihn erneut an. “Euer Junge, sagtest du?”
“Mmm, hmm. Ich weiß natürlich nicht, wie er heißt, aber ich erkenne seine Arbeitsweise wieder.”
Taylor ließ sich auf ein Knie nieder. “Er hat das schon mal getan?” Sie sprach leise. Es war zwar niemand in Hörweite, aber trotzdem, sie wollte keine Gerüchte schüren, bevor sie sich nicht selber mit der Situation vertraut gemacht hatte. Alte Gewohnheit.
“Zwei Mal, soweit ich weiß. Auch wenn er jetzt seit einem Monat nicht mehr zugeschlagen hat. Wir haben ihn den Southern Strangler genannt, weil er Mädchen aus den Südstaaten erwürgt hat und uns nichts Besseres eingefallen ist. Du kennst ja uns Jungs vom FBI, kein einziger origineller Gedanke in unseren Köpfen.” Er versuchte zu lächeln, aber es wirkte mehr wie ein Zähneblecken.
“Warum habe ich noch nichts von diesem … Würger gehört?”
“Das hast du. Erinnerst du dich an den Alabama-Fall vor ein paar Monaten, im April? Hübsche kleine angehende Krankenschwester, verschwand vom Campus der Universität von Alabama? Wir fanden sie in …”
“Louisiana. Ich erinnere mich.”
“Genau. Das zweite Opfer letzten Monat, das stammte aus Baton Rouge. Wir haben sie in Mississippi gefunden.”
Taylor durchforstete ihr Gedächtnis nach Details des Falls. Er war überall in den Nachrichten gewesen, mit Korrespondenten, die live aus Baton Rouge berichteten, lamentierten und die Entführung zum Top-Thema machten. Aber soweit sie wusste, hatte niemand zwei und zwei zusammengezählt. Das sagte sie Baldwin.
“Der Zeitraum dazwischen war lang genug, dass die Medien die Verbindung nicht gesehen haben. Und wir haben auch ein paar Informationen zurückgehalten. Die Hände, zum Beispiel.”
“Aber warum? Sollt ihr Jungs nicht eigentlich die Neuigkeiten verbreiten, damit wir Kleinstadtpolizisten wissen, dass da jemand frei herumläuft?” Ihr Sarkasmus verfehlte sein Ziel. Baldwin nickte nur.
“Und auch das Gleitmittel. Wir denken, es gibt vorher einvernehmlichen Sex, er benutzt ein Kondom mit Gleitmittel. Der Gerichtsmediziner soll nach Spuren dieses Mittels suchen.”
Taylor schüttelte den Kopf, schob die verrückte Realität beiseite, die ihre schöne Südstaatenstadt beschädigt hatte. Ein Serienmörder, der durch ihre Heimat zog. Großartig. Sie war nicht darauf vorbereitet, so etwas für sich zu behalten.
“Ich habe bereits Sam angerufen, sie wird sich gut um sie kümmern.” Dr. Samantha Owens Loughley war die oberste Gerichtsmedizinerin für Mittel-Tennessee und außerdem eine Freundin von Taylor. “Du sagtest, du weißt, wer sie ist.” Mit einer Kopfbewegung und einem anklagenden Blick deutete sie auf die Leiche.
“Ihr Name ist Jessica. Jessica Ann Porter. Aus Jackson, Mississippi. Sie ist erst vor drei Tagen verschwunden.”
Taylor betrachtete den toten Körper. Drei Tage? Die Verwesung war viel weiter fortgeschritten. Es war, als hätte Baldwin ihre Gedanken gelesen.
“Du weißt, wie das funktioniert. Hitze beschleunigt den Prozess. In diesem Klima bräuchte es nicht mehr als zwei Wochen, damit von ihr nur noch Knochen übrig wären. Wir können froh sein, dass wir sie so schnell gefunden haben. Eine Woche später, und es wäre die Hölle gewesen, sie zu identifizieren.”
“Erzähl mir mehr.”
“Da gibt es kaum mehr zu erzählen. Er mag Brünette. Junge, brünette Frauen. Alle drei Mädchen haben braune Augen, sind um die zwanzig, und wir haben keine wirklich guten Viktimologien von ihnen. Keine legte riskante Verhaltensweisen an den Tag, keine wurde je mit Fremden gesehen, nichts. Sie sind einfach verschwunden. An einem Tag haben sie ihr Leben gelebt, am nächsten sind sie fort. Ich arbeite mehr am Rande der Untersuchungen. Ich wurde auf dem Laufenden gehalten, habe aber nicht selbst aktiv an den Ermittlungen teilgenommen. Aber jetzt, wo wir drei Opfer haben, werde ich vielleicht doch Vollzeit mit einbezogen.”
Taylor hörte Autoreifen auf dem gekiesten Seitenstreifen der Straße. Die Leiche – Jessicas Leiche, verbesserte sie sich – lag nur knapp zehn Meter neben der Straße. Die Reporter hätten einen klaren Blick auf sie. Zu klar. Sie gab Marcus, der an seinem Wagen stand, ein Zeichen und zeigte auf den Van. Mehr musste sie nicht sagen. Er stellte sich dem Übertragungswagen sofort in den Weg und zwang ihn, die Szene zu verlassen. Taylor schaute zu, wie er die Reporter zu einem weiter entfernten, leicht erhöhten Punkt lotste, von wo aus sie die Leiche nicht sehen konnten. Sie lächelte. Scheiß auf die Reporter.
Baldwin hatte ein Notizbuch aus seiner Tasche genommen und schrieb wie wild hinein, machte sich Notizen, so schnell sein Gehirn sie über die Finger an den Stift schicken konnte.
“Habt ihr …” Baldwins Stimme verstummte. Ein uniformierter Officer winkte Taylor hektisch zu. Sie schaute kurz zu Baldwin und erkannte, dass er genau wusste, was die Aufregung bedeutete. Er zuckte nur mit den Schultern und streckte seine Hand in einer “Nach dir”-Geste aus. Sie starrte ihm einen Augenblick direkt in die Augen, dann machte sie sich auf den Weg zu dem gestikulierenden Officer. Der Horror in seinem Gesicht war aus zwanzig Schritten Entfernung sichtbar.
“Sie haben etwas gefunden, Officer?” Taylor erkannte ihn nicht, er musste frisch von der Akademie sein.
“Ja, Lieutenant”, erwiderte er mit hüpfendem Adamsapfel. Taylor trat neben ihn und folgte mit dem Blick seinem zeigenden Finger. Still im Gras lag da eine Hand.
Taylor trat einen Schritt zurück, aber Baldwin beugte sich interessiert über den Fund. Sie versuchte es mit Kaltschnäuzigkeit.
“Tja, Special Agent, da ihr ja beide Hände fehlen, nehme ich an, wir sollten noch eine weitere hier in der Nähe finden, oder?” Das mulmige Gefühl in ihrem Magen passte nicht zu der Tapferkeit in ihrer Stimme. Sie spürte, dass mehr an dem Fall dran war, als er ihr gesagt hatte. Was er im nächsten Augenblick bestätigte. Der Blick, mit dem er die einsame Hand betrachtete, war ein eindeutiges Zeichen dafür, dass es hier um mehr ging als auf den ersten Blick ersichtlich. Mit einer Handbewegung entließ sie den Officer. Ganz offensichtlich erleichtert stolperte er davon.
“Nein, werden wir nicht.” Baldwin schaute zu ihr auf, seine grünen Augen wirkten besorgt. “Du kannst die gesamte Gegend absuchen, sie wird nicht hier sein.”
“Was zum Teufel … Er hackt den Mädchen die Hände ab, lässt eine am Fundort zurück und nimmt die andere mit sich? Als eine Art Trophäe?”
Baldwin nickte. “Definitiv eine Trophäe. Es gibt nur ein Problem …”
Für einen ganz kurzen Moment schoss ihr der Gedanke durch den Kopf, was ein Psychopath mit einer abgetrennten Hand anstellen konnte. Sie schubste den Gedanken beiseite. “Was für ein Problem?”
“Das hier ist nicht Jessicas Hand.”