Alles brach in Diskussionen aus. Newt stand seelenruhig auf, kam auf Thomas zu und zog ihn am Arm in Richtung Tür. »Du gehst jetzt.«
Thomas war baff. »Gehen? Wieso?«
»Du hast genug geredet für heute. Wir müssen besprechen, was wir machen sollen – ohne dich.« Sie waren an der Tür und Newt gab ihm einen leichten Schubs. »Warte bei der Box auf mich. Wenn wir hier fertig sind, reden wir.«
Er wollte sich umdrehen, aber Thomas hielt ihn fest. »Du musst mir glauben, Newt. Es gibt keinen anderen Weg hier raus – wir können es schaffen, ich schwör’s. Wir sollen es schaffen.«
Newt kam ganz nah heran und flüsterte ihm heiser zu: »Ja, die Stelle, als du dich bereit erklärt hast dich umbringen zu lassen, das hat mir besonders gefallen«, flüsterte er zornig.
»Ich bin bereit das durchzuziehen. Ehrlich.« Thomas meinte es ernst, aber nur wegen der Schuldgefühle, die ihn plagten. Weil er irgendwie dabei geholfen hatte, das Labyrinth zu bauen. Aber trotzdem hoffte er, dass er durchhalten würde, bis jemand den Code eingab und die Griewer abschaltete, bevor sie ihn umbringen konnten. Und dann die Tür öffnete.
»Ach, wirklich?«, fragte Newt ziemlich gereizt. »Der edle Ritter, was?«
»Ich habe meine Gründe. Es ist ja irgendwie meine Schuld, dass wir überhaupt hier sind.« Er atmete tief durch. »Ich mache es auf jeden Fall, also sorgt dafür, dass es nicht umsonst ist.«
Newt runzelte die Stirn, in seinem Blick lag jetzt Mitgefühl. »Falls du wirklich beim Bau des Labyrinths mitgeholfen hast, trägst du keine Schuld daran, Tommy. Du bist nur ein Junge – du kannst nichts für Dinge, zu denen du gezwungen worden bist.«
Aber was Newt sagte, änderte nichts. Er trug trotzdem die Verantwortung – und sie wurde schwerer und schwerer, je länger er darüber nachdachte. »Aber ich habe wirklich … das Gefühl, dass ich alle retten muss. Um es wiedergutzumachen.«
Newt trat kopfschüttelnd einen Schritt zurück. »Weißt du, was komisch ist, Tommy?«
»Was denn?«, fragte Thomas matt.
»Ich glaub dir. Deine Augen sehen nicht so aus, als ob du lügen würdest.« Er machte eine Pause. »Ich geh da jetzt rein und versuch die Strünke davon zu überzeugen, dass wir durchs Griewerloch müssen. Wie du gesagt hast. Statt uns nach und nach von den Griewern abmurksen zu lassen, können wir genauso gut gegen sie kämpfen.« Er hob einen Finger. »Aber hör mir gut zu: Ich will kein Wort mehr davon hören, dass du dich opferst, oder irgendwelchen heroischen Klonk. Wenn wir das durchziehen, dann gehen wir das Risiko ein – und zwar wir alle. Hast du mich verstanden?«
Thomas hob erleichtert die Hände. »Klar und deutlich. Ich wollte euch nur verklickern, dass es das Risiko wert ist. Wenn jede Nacht jemand sterben muss, können wir das auch ausnutzen.«
Newt runzelte die Stirn. »Da kommt richtig Stimmung auf, was?«
Thomas wandte sich zum Gehen, aber Newt rief: »Tommy?«
»Ja?« Er blieb stehen, drehte sich aber nicht um.
»Wenn ich diese Strünke überzeugen kann – und das ist ein großes Wenn –, sollten wir am besten nachts starten. Dann können wir drauf hoffen, dass die meisten Griewer draußen im Labyrinth sind – statt in ihrem Loch.«
»Gut«, stimmte Thomas zu. Er hoffte bloß, dass Newt die anderen Hüter überzeugen konnte. Er drehte sich zu ihm um und nickte.
Ein winziges Lächeln huschte über Newts besorgtes Gesicht. »Wir sollten es heute Nacht tun, bevor noch einer von uns stirbt.« Und bevor Thomas etwas dazu sagen konnte, verschwand Newt im Versammlungsraum.
Ein bisschen schockiert von Newts letzter Bemerkung verließ Thomas das Gehöft und ließ sich auf einer alten Bank in der Nähe der Box nieder. Seine Gedanken rasten. Er dachte immer wieder daran, was Alby über Den Brand gesagt hatte und was es damit auf sich haben könnte. Er hatte auch von verbrannter Erde und einer Krankheit gesprochen. Thomas konnte sich an nichts dergleichen erinnern, aber wenn das alles stimmte, klang die Welt, in die sie zurückkehren würden, alles andere als gut. Trotzdem – was hatten sie denn für eine Wahl? Abgesehen von den Griewern, die jede Nacht angriffen, war die Lichtung praktisch auf Stand-by.
Frustriert und seiner Grübeleien überdrüssig versuchte er Teresa zu kontaktieren. Kannst du mich hören?
Ja, antwortete sie. Wo bist du?
An der Box.
Ich komme gleich.
Thomas merkte, wie sehr er ihre Gesellschaft brauchte. Gut. Ich erklär dir den Plan.
Wie sieht er aus?
Thomas lehnte sich zurück und legte den rechten Fuß auf sein Knie. Er fragte sich, wie sie auf seine Antwort reagieren würde. Wir müssen durch das Griewerloch, die Griewer mit dem Code abschalten und eine Tür nach draußen öffnen.
Einen Moment sagte sie nichts. So was in der Art hab ich mir schon gedacht.
Thomas überlegte kurz, dann fügte er hinzu: Es sei denn, du hast eine bessere Idee.
Nein. Es wird furchtbar.
Er schlug mit der rechten Faust in seine offene Hand, obwohl er wusste, dass sie ihn nicht sehen konnte. Wir schaffen das.
Zweifelhaft.
Wir müssen’s versuchen.
Diesmal schwieg sie länger. Er spürte ihre Entschlossenheit. Du hast Recht.
Ich glaube, wir starten heute Nacht. Komm her, dann können wir drüber reden.
Ich bin in ein paar Minuten da.
Ein Knoten formte sich in Thomas’ Magen. Langsam wurde ihm richtig klar, was er da vorgeschlagen hatte – der Plan, von dem Newt gerade die anderen Hüter zu überzeugen versuchte. Er wusste, dass es gefährlich war. Der Gedanke, sich den Griewern zu stellen – statt vor ihnen wegzulaufen –, war absolut entsetzlich. Im allerbesten Fall würde nur einer von ihnen sterben – aber selbst darauf konnte man sich nicht verlassen. Vielleicht würden die Schöpfer die Biester einfach neu programmieren. Dann war alles offen.
Er versuchte nicht daran zu denken.
Teresa fand ihn schneller als erwartet und setzte sich ganz dicht neben ihn, obwohl auf der Bank reichlich Platz war. Ihre Schultern berührten sich und sie nahm seine Hand. Er drückte sie so fest, dass es ihr wehtun musste.
»Erzähl’s mir«, sagte sie.
Thomas berichtete ihr Wort für Wort, was er den Hütern erzählt hatte. Er fühlte sich schrecklich, als er bemerkte, wie Sorge – und Grauen – ihren Blick verfinsterte. »Es war einfach, über den Plan zu reden«, sagte er, als er fertig war. »Aber Newt meint, wir sollten es heute Nacht tun. Jetzt klingt das alles schon nicht mehr so gut.« Der Gedanke an Chuck und Teresa da draußen machte ihn krank – schließlich hatte er schon enge Bekanntschaft mit den Griewern gemacht. Er wollte seinen Freunden diese schreckliche Erfahrung ersparen. Aber er wusste, das war unmöglich.
»Wir schaffen das«, sagte sie leise.
Als er das hörte, machte er sich nur noch mehr Sorgen. »Scheiße, hab ich eine Angst.«
»Logisch – du bist ein Mensch! Natürlich hast du Angst.«
Thomas antwortete nicht und eine ganze Weile saßen sie einfach nur Händchen haltend da, ohne etwas zu sagen, weder laut noch in Gedanken. Er spürte einen flüchtigen Hauch von Frieden und versuchte ihn so lang wie möglich zu genießen.