Alby sprang so schnell auf, dass sein Stuhl umkippte. Gegen den weißen Verband um seine Stirn hoben sich seine knallrot angelaufenen Augen besonders deutlich ab. Er trat drei Schritte vor, als wollte er auf Thomas losgehen, dann blieb er stehen.

»Du bist ein verdammter Spinner«, sagte er und starrte Thomas wütend an. »Oder ein Verräter. Wie können wir dir vertrauen, wenn du geholfen hast das hier zu bauen – wenn du uns hierhergebracht hast? Wir kommen ja nicht mal gegen einen einzigen Griewer an, wie sollen wir es da mit einer ganzen Horde in ihrem Loch aufnehmen? Was führst du wirklich im Schilde?«

Thomas wurde wütend. »Was ich im Schilde führe? Nichts! Warum sollte ich mir das alles ausdenken?«

Alby ballte die Fäuste. »Du könntest ja genauso gut hergeschickt worden sein, um uns alle umzubringen. Warum sollten wir dir glauben?«

Thomas starrte ihn ungläubig an. »Hast du Probleme mit dem Kurzzeitgedächtnis, Alby? Ich hab draußen im Labyrinth mein Leben riskiert, um dich zu retten – ohne mich wärst du tot!«

»Vielleicht war das ein Trick, damit wir dir vertrauen. Wenn du mit den Dreckschweinen, die uns hierher verfrachtet haben, unter einer Decke steckst, hättest du dir um die Griewer keine Sorgen machen müssen – vielleicht war das ja nichts als Theater.«

Als er das hörte, legte sich Thomas’ Wut ein wenig und er verspürte Mitleid. Irgendetwas an Albys Verhalten war seltsam.

Zu Thomas’ Erleichterung schaltete sich Minho ein. »Alby, das ist die dämlichste Theorie, die ich je gehört hab. Er wurde vor drei Tagen fast in Stücke gerissen. Hältst du das auch für Theater?«

Alby nickte knapp. »Möglich.«

»Ich habe das getan, um meine Erinnerungen zurückzubekommen, damit wir von hier wegkommen, wir alle«, erwiderte Thomas, dessen Ärger jetzt nicht mehr zu überhören war. »Willst du meine ganzen Wunden und blauen Flecken sehen?«

Alby sagte nichts, aber sein Gesicht zuckte noch immer vor Wut. Tränen stiegen ihm in die Augen und die Adern an seinem Hals traten hervor. »Wir können nicht zurück!«, brüllte er schließlich. »Ich hab gesehen, wie unser Leben früher war – wir können nicht zurück!«

»Darum geht es also?«, fragte Newt. »Ist das dein Ernst?«

Alby war drauf und dran, mit geballter Faust auf ihn loszugehen. Doch dann ließ er den Arm sinken, sackte auf seinem Stuhl zusammen und verbarg das Gesicht in den Händen. Damit hätte Thomas nie im Leben gerechnet. Ihr furchtloser Anführer weinte.

»Alby, rede mit uns.« Newt wollte das nicht einfach auf sich beruhen lassen. »Was ist los?«

»Ich war’s«, sagte Alby laut schluchzend. »Ich war’s.«

»Was denn?«, fragte Newt. Er sah völlig verwirrt aus.

Alby schaute mit tränenverquollenen Augen hoch. »Ich hab die Karten verbrannt. Ich war’s. Ich hab meinen Kopf gegen den Tisch geschlagen, damit ihr denkt, dass es jemand anders war. Ich hab gelogen, ich hab alles niedergefackelt. Ich war’s!«

Die Hüter schauten sich mit hochgezogenen Augenbrauen an, der Schock stand ihnen ins Gesicht geschrieben. Thomas wurde jetzt alles klar. Alby erinnerte sich, wie furchtbar sein Leben gewesen war, bevor er hierherkam, deshalb wollte er nicht zurück.

»Gut, dass wir die Karten gerettet haben«, sagte Minho mit ungerührter Miene, fast höhnisch. »Danke, dass du uns nach deiner Verwandlung den Tipp gegeben hast – dass wir sie schützen sollen.«

Thomas schaute Alby an, um zu sehen, wie er auf Minhos sarkastische, fast gemeine Bemerkung reagieren würde, aber er hatte sie nicht einmal gehört.

Newt reagierte nicht wütend, sondern bat Alby, alles zu erklären. Thomas wusste, warum Newt nicht wütend war – die Karten waren sicher, der Code entschlüsselt. Es war egal.

Albys Stimme klang jetzt flehend – beinahe hysterisch. »Ich sag doch, wir können nicht dahin zurück, wo wir herkommen. Ich hab sie gesehen, diese entsetzlichen, furchtbaren Erinnerungen. Verbrannte Landschaften, eine Krankheit – irgendwas, das sich ›Der Brand‹ nennt. Es war schrecklich – tausendmal schlimmer als hier.«

»Wenn wir hierbleiben, sterben wir alle!«, brüllte Minho. »Was kann schlimmer sein als sterben?«

Alby sah Minho sehr lange an, bevor er antwortete. Thomas konnte an nichts anderes denken als an das, was er gerade gehört hatte: Der Brand. Es kam ihm bekannt vor, allerdings außerhalb der Reichweite seines Bewusstseins. Aber er war sicher, dass er sich bei der Verwandlung nicht daran erinnert hatte.

»Ja«, sagte Alby schließlich. »Es ist schlimmer. Lieber sterben, als nach Hause zu gehen.«

Minho lachte und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Du bist echt ’ne Arschladung voll Sonnenschein, ohne Scheiß, Mann. Ich finde, Thomas hat Recht. Er hat absolut Recht. Wenn wir schon sterben, dann wenigstens verdammt noch mal im Kampf.«

»Im Labyrinth oder draußen«, ergänzte Thomas, erleichtert, dass Minho so eindeutig auf seiner Seite stand. Er wandte sich Alby zu und schaute ihn ernst an. »Wir leben immer noch in der Welt, an die du dich erinnert hast.«

Alby stand wieder auf, mit resigniertem Blick. »Macht, was ihr wollt.« Er seufzte. »Ist doch egal. Wir sterben so oder so.« Und damit ging er zur Tür hinaus.

Newt atmete tief durch und schüttelte den Kopf. »Seit er gestochen wurde, ist er nicht mehr der Alte – seine Erinnerungen müssen verdammt heftig gewesen sein. Was in aller Welt ist Der Brand?«

»Keine Ahnung«, sagte Minho. »Alles ist besser, als hier zu sterben. Mit den Schöpfern befassen wir uns, wenn wir draußen sind. Aber für den Moment halten wir uns an ihren Plan. Wir fliehen durchs Griewerloch. Wenn einige von uns dabei sterben, dann lässt sich das halt nicht vermeiden.«

Bratpfanne schnaubte. »Ihr Strünke geht mir echt auf die Nüsse. Wir kommen nicht aus dem Labyrinth raus, und der Vorschlag, die Griewer in ihrer Junggesellenbude zu besuchen, ist das Bescheuertste, was ich je gehört hab. Da können wir uns ja gleich die Pulsadern aufschneiden.«

Die anderen Hüter fielen in die Diskussion ein, bis alle durcheinanderredeten. Newt musste schreien, um sie zum Schweigen zu bringen.

Als einigermaßen Ruhe eingekehrt war, sprach Thomas weiter. »Ich gehe zum Loch, selbst wenn ich dabei draufgehe. Minho ist anscheinend auch dabei. Teresa sicher auch. Wenn wir die Griewer so lange in Schach halten können, bis jemand den Code eingetippt hat und sie ausgeschaltet werden, können wir durch die Tür gehen, durch die sie kommen. Dann haben wir alle Tests bestanden. Dann können wir den Schöpfern endlich gegenübertreten.«

Newt grinste, jedoch ohne jeden Humor. »Und du glaubst, wir können die Griewer in Schach halten? Selbst wenn wir nicht dabei draufgehen, werden wir sicher alle gestochen. Es könnte sein, dass sie uns bereits erwarten, wenn wir zur Klippe kommen – da draußen sind haufenweise Käferklingen unterwegs. Die Schöpfer werden merken, dass wir abhauen wollen.«

Thomas hatte es vor diesem Moment gegraut, aber er wusste, dass er ihnen jetzt den letzten Teil seines Plans erklären musste. »Ich glaube nicht, dass sie uns stechen werden – die Verwandlung war eine Variable, die für unseren Aufenthalt hier gedacht war. Aber diese Phase ist vorbei. Außerdem haben wir vielleicht ein Ass im Ärmel.«

»Ach ja?«, fragte Newt und verdrehte die Augen. »Da bin ich aber gespannt.«

»Den Schöpfern nutzt es nichts, wenn wir alle sterben – es soll schwierig sein, aber nicht unmöglich. Wir wissen jetzt fast sicher, dass die Griewer programmiert sind, jeden Tag nur einen von uns zu töten. Also kann sich einer opfern, um die anderen zu retten, wenn wir zum Loch rennen. Vielleicht soll es sogar so ablaufen.«

Der ganze Raum war still, bis der Hüter des Bluthauses bellend lachte. »Wie bitte?«, fragte Winston. »Du schlägst also vor, dass wir irgendeinen armseligen Kerl den Wölfen zum Fraß vorwerfen, damit wir anderen fliehen können? Das ist dein genialer Vorschlag?«

Thomas wollte sich nicht eingestehen, wie grausam das klang. Dann hatte er eine Idee. »Ja, Winston. Ich bin froh, dass du so aufmerksam zugehört hast.« Er achtete nicht auf den bösen Blick, der ihn traf. »Und es ist doch offensichtlich, wer der armselige Kerl sein sollte.«

»Ach ja?«, fragte Winston. »Wer denn?«

Thomas verschränkte die Arme. »Ich.«