Thomas wollte an diesem Tag mit niemandem mehr reden.

Teresa versuchte es ein paarmal. Aber er sagte ihr immer, dass es ihm nicht gut ging, dass er alleine sein und an seinem Platz hinten im Wald schlafen wollte. Und vielleicht ein bisschen nachdenken, ein irgendwo in seinem Kopf verborgenes Geheimnis aufspüren, das ihnen weiterhelfen würde.

Aber in Wirklichkeit bereitete er sich seelisch auf das vor, was er an diesem Abend vorhatte, und versuchte sich davon zu überzeugen, dass es die Lösung war. Die einzige Lösung. Außerdem hatte er unglaubliche Angst und wollte nicht, dass die anderen es merkten.

Als es Abend war, ging er mit den anderen zum Gehöft. Er hatte kaum bemerkt, wie hungrig er war, bis er anfing Bratpfannes hastig zubereitetes Abendessen aus Tomatensuppe mit Brot zu verschlingen.

Und dann war es Zeit für eine weitere schlaflose Nacht.

Die riesigen Löcher, die von den Monstern hinterlassen worden waren, als sie Gally und Adam mitgenommen hatten, waren von den Baumeistern mit Brettern vernagelt worden. Das Ergebnis wirkte auf Thomas wie die Arbeit von Betrunkenen, aber es war relativ stabil. Newt und Alby, der sich endlich wieder in der Lage fühlte herumzulaufen, wenn auch mit einem riesigen Verband um den Kopf, bestanden darauf, dass die Lichter jede Nacht ihren Schlafplatz wechselten.

Thomas landete in dem großen Wohnzimmer im Erdgeschoss des Gehöfts mit denselben Leuten, mit denen er zwei Nächte vorher das Zimmer geteilt hatte. Es wurde schnell ruhig, was nicht unbedingt hieß, dass alle schliefen, wahrscheinlich hatten die Jungen einfach Angst und hofften im Stillen, die Griewer würden wider Erwarten doch nicht kommen. Im Gegensatz zu vorher durfte Teresa jetzt bei den übrigen Lichtern im Gehöft schlafen. Sie lag in seiner Nähe in zwei Decken eingewickelt. Irgendwie konnte er spüren, dass sie schlief. Tatsächlich schlief.

Für Thomas war an Schlaf nicht zu denken, obwohl er wusste, dass sein Körper es dringend nötig hatte. Er versuchte es – er bemühte sich die Augen geschlossen zu lassen und sich zu entspannen. Aber er hatte kein Glück. Die Nacht zog sich endlos hin und der Gedanke an seinen Plan drohte ihn zu ersticken.

Dann ertönten wieder die mechanischen, qualvollen Geräusche der Griewer. Es war so weit.

Alle drückten sich an die am weitesten von den Fenstern entfernte Wand und versuchten keinen Laut von sich zu geben. Thomas kauerte sich mit angezogenen Knien neben Teresa in eine Ecke und starrte in Richtung Fenster. Die schreckliche Entscheidung, die er getroffen hatte, schloss sich wie eine gnadenlose Faust immer enger um sein Herz. Aber er wusste, dass vielleicht alles davon abhing.

Die Spannung im Raum nahm immer mehr zu. Die Lichter waren still, keiner rührte sich. Ein entferntes Kratzen von Metall auf Holz tönte durch das Haus. Es klang, als würde ein Griewer an der Rückseite des Gehöfts hochklettern, auf der anderen Seite, ihrem Zimmer gegenüber. Sekunden später kamen weitere Geräusche dazu, aus allen Richtungen. Und dann waren sie direkt vor ihrem Fenster. Die Luft im Zimmer schien zu gefrieren und Thomas drückte sich die Fäuste gegen die Augen, die Anspannung brachte ihn fast um.

Mit einem gewaltigen Krachen zerbarst irgendwo weiter oben Holz und Glas, das ganze Haus erbebte. Wie versteinert hörte Thomas zu, wie die Schreie und Schritte der Flüchtenden durch das Gehöft dröhnten. Dem lauten Knarren und Stöhnen nach zu urteilen stürmte eine ganze Horde von Griewern den ersten Stock.

»Er hat Dave erwischt!«, rief irgendjemand mit hoher, panischer Stimme.

In Thomas’ Zimmer rührte sich niemand. Vermutlich schämten sich alle für ihre Erleichterung – dass sie verschont geblieben waren. Dass sie vielleicht für diese Nacht in Sicherheit waren. Zwei Nächte hintereinander war immer nur ein Junge verschleppt worden und langsam glaubten alle, dass Gally die Wahrheit gesagt hatte.

Thomas sprang erschrocken auf, als direkt hinter ihrer Tür ein furchtbares Krachen zu hören war, begleitet von Schreien und berstendem Holz, als würde ein Monster mit Eisenmaul das ganze Treppenhaus fressen. Eine Sekunde später dröhnte erneut das Krachen von berstendem Holz durch das Gehöft: die Haustür. Der Griewer hatte sich durch das ganze Haus gefressen und verließ es durch die Vordertür.

Eine Welle der Angst durchzuckte Thomas. Jetzt oder nie!

Er sprang auf, rannte zur Tür und riss sie auf. Er hörte, wie Newt ihm hinterherrief, achtete aber nicht darauf, rannte den Gang entlang und sprang über zahllose verstreute Holzstücke. Dort, wo die Haustür gewesen war, sah man durch ein schartiges Loch in die graue Nacht hinaus. Er rannte direkt darauf zu, hinaus auf die Lichtung.

Tom!, schrie Teresa in seinem Kopf. Was machst du denn?

Er beachtete sie nicht und rannte einfach weiter.

Der Griewer, der Dave festhielt – ein Junge, mit dem Thomas nie ein Wort gewechselt hatte –, rollte klackend und surrend auf seinen Spikes in Richtung Westtor. Die anderen Griewer hatten sich schon im Hof versammelt und folgten dem ersten ins Labyrinth. Ohne zu zögern, im vollen Bewusstsein, dass die anderen ihn für einen Selbstmörder halten würden, rannte Thomas auf die Bestien zu, bis er in ihrer Mitte stand. Überrascht hielten die Griewer an.

Thomas sprang auf den Griewer, der Dave festhielt, und versuchte ihn loszureißen, in der Hoffnung, das Monster würde sich wehren. Teresas Schrei gellte so laut durch seinen Kopf, als wäre ihm ein Dolch in den Schädel gejagt worden.

Drei Griewer stürmten gleichzeitig auf ihn ein, ihre langen Klauen und Nadeln kamen aus allen Richtungen auf ihn zu. Thomas schlug mit Armen und Beinen um sich, stieß die schrecklichen Metallarme weg, während er auf den pulsierenden Glibber des Griewerkörpers eintrat – er wollte nur gestochen werden, nicht gefangen wie Dave. Sie attackierten ihn unerbittlich und immer härter. Schmerz durchströmte jede Zelle seines Körpers – unendlich viele Nadelstiche sagten ihm, dass er sein Ziel erreicht hatte. Schreiend trat und schlug er um sich, rollte sich hin und her, versuchte sich loszureißen. Unter gewaltigen Adrenalinschüben kämpfte er sich frei, fand Boden unter den Füßen und rannte, so schnell ihn seine Beine trugen.

Sobald er außer Reichweite war, gaben die Griewer auf, zogen sich zurück und verschwanden im Labyrinth. Thomas brach zusammen und stöhnte vor Schmerzen.

Eine Sekunde später war Newt bei ihm, gefolgt von Chuck, Teresa und einigen anderen. Newt hob ihn an den Schultern hoch und packte ihn unter den Achseln. »Nimm seine Beine!«, rief er.

Die Welt vor Thomas’ Augen verschwamm, ihm wurde schwindlig und übel. Irgendjemand hatte Newts Befehl befolgt. Er wurde über den Hof getragen, durch die Tür des Gehöfts, durch den zerstörten Flur, in ein Zimmer, wo er auf eine Couch gelegt wurde. Vor seinen Augen drehte sich alles.

»Was sollte das werden?«, brüllte Newt ihn an. »Wie konntest du so verdammt bescheuert sein?«

Thomas musste etwas sagen, bevor er in die Dunkelheit hinabglitt. »Nein … Newt … du verstehst das nicht …«

»Halt den Mund!«, rief Newt. »Spar dir deine Kräfte.«

Thomas merkte, wie jemand seine Arme und Beine untersuchte, ihm die Klamotten vom Körper riss, den Schaden inspizierte. Er hörte die Stimme von Chuck und war unerwartet erleichtert, dass es seinem Freund gut ging. Ein Sani sagte, er wäre Dutzende Male gestochen worden.

Teresa saß an seinen Füßen und drückte seinen rechten Knöchel. Warum, Tom? Warum hast du das getan?

Weil … Er war zu schwach, um sich zu konzentrieren.

Newt rief nach dem Griewerserum; eine Minute später spürte Thomas einen Pikser am Arm. Wärme breitete sich von der Einstichstelle durch seinen ganzen Körper aus, beruhigte ihn und dämpfte die Schmerzen. Aber die Welt schien immer noch einstürzen zu wollen; er wusste, dass in ein paar Sekunden alles weg sein würde.

Der Raum fing an sich zu drehen, Farben verschmolzen und kreisten schneller und schneller. Er musste all seine Kraft aufbringen, aber er sagte noch etwas, bevor die Dunkelheit ihn verschluckte.

»Keine Sorge«, flüsterte er und hoffte, dass sie ihn hören konnten. »Ich hab es mit Absicht getan …«