»Ich komm gleich wieder«, sagte Thomas und wollte losrennen. Er fühlte Säure in seinem Magen hochsteigen. »Ich muss Newt finden und rauskriegen, ob sie irgendwelche Karten gerettet haben.«
»Warte!«, schrie Teresa. »Hol mich hier raus!«
Aber er hatte keine Zeit, was ihm schrecklich leidtat. »Ich kann nicht – aber ich komme zurück. Versprochen.« Er wandte sich ab, bevor sie protestieren konnte, und rannte auf den Kartenraum und den schwarzen Dunst zu. Er spürte ein Stechen im Bauch wie Nadelstiche. Wenn Teresa Recht hatte, wenn sie so nah dran waren, einen Hinweis zu finden, der ihnen die Flucht ermöglichte, nur damit er dann in Flammen aufging, war das so entsetzlich, dass es wehtat.
Zuerst sah Thomas eine Gruppe Lichter vor der großen Stahltür stehen, die offen stand und an den Rändern schwarz vom Ruß war. Als er näher kam, bemerkte er, dass alle nach unten auf den Boden schauten. Newt kauerte über einen Körper gebeugt in der Mitte.
Minho stand hinter ihm. Er sah bestürzt und verdreckt aus. Er entdeckte Thomas als Erster. »Wo warst du?«, fragte er.
»Bei Teresa. Was ist passiert?« Gleich würde er die nächste Salve schlechter Nachrichten abkriegen, das wusste er genau.
Minho runzelte wütend die Stirn. »Unser Kartenraum ist angezündet worden und du haust ab, um mit deiner kleinen Freundin zu schäkern? Bist du noch ganz dicht?«
Thomas wusste, dass er sich eigentlich über den Spruch ärgern müsste, aber er war mit etwas anderem beschäftigt. »Ich dachte, es spielt keine Rolle mehr – weil ihr mit den Karten bisher auch nichts anfangen konntet …«
Minho schaute ihn angewidert an, in dem fahlen Licht und dem Qualm wirkte sein Gesicht fast unheimlich. »Ein spitzenmäßiger Zeitpunkt, um aufzugeben. Was zum –?«
»Tut mir leid. Erzähl mir einfach, was passiert ist.« Thomas schaute einem dünnen Jungen vor sich über die Schulter, um einen Blick auf den am Boden liegenden Körper zu erhaschen.
Es war Alby, er lag flach auf dem Rücken und hatte eine klaffende Wunde auf der Stirn. Blut lief an beiden Seiten seines Kopfes herunter, zum Teil in seine Augen, wo es eine Kruste bildete. Newt wischte es vorsichtig mit einem nassen Lappen ab und stellte Fragen, so leise, dass man nichts hören konnte. Thomas machte sich trotz Albys Übellaunigkeit echte Sorgen um ihn. Er drehte sich zu Minho und wiederholte seine Frage.
»Winston hat ihn hier gefunden, halb tot, der Kartenraum in Flammen. Ein paar Strünke sind rein und haben gelöscht. Viel zu spät. Alle Truhen sind komplett ausgebrannt. Ich hatte erst Alby im Verdacht, aber der Täter hat Albys Kopf genommen und auf die Tischkante geschlagen – du siehst ja, wo. Abartig.«
»Was meinst du, wer’s war?« Thomas zögerte ihm von der Entdeckung zu erzählen, die er und Teresa gerade gemacht hatten. Ohne die Karten hatte sich das sowieso erledigt.
»Vielleicht Gally, bevor er im Gehöft aufgetaucht und durchgedreht ist? Vielleicht die Griewer? Ich weiß es nicht und es ist mir auch egal. Interessiert mich einen Klonk.«
Thomas wunderte sich über den plötzlichen Sinneswandel. »Wer ist jetzt derjenige, der aufgibt?«
Minhos Kopf schoss hoch. Thomas trat einen Schritt zurück. Kurz sah er Wut aufflammen, die aber schnell in so etwas wie Verwirrung überging. »So hab ich das nicht gemeint, du Strunk.«
Thomas legte neugierig die Stirn in Falten. »Was hast du –?«
»Halt erst mal die Klappe.« Minho legte die Finger an die Lippen und schaute sich um, ob jemand auf ihn achtete. »Halt einfach den Mund. Du erfährst es noch früh genug.«
Thomas atmete tief durch und dachte nach. Wenn er von den anderen erwartete, dass sie ehrlich waren, musste er auch die Wahrheit sagen. Er beschloss, dass es besser war, ihnen von der Theorie mit dem Code zu erzählen – egal was mit den Karten passiert war. »Minho, ich muss dir und Newt was erzählen. Und wir müssen Teresa rauslassen – sie ist bestimmt am Verhungern und wir können ihre Hilfe brauchen.«
»Diese dämliche Tussi ist meine geringste Sorge.«
Thomas ignorierte die Beleidigung. »Gib uns ein paar Minuten – wir haben eine Idee. Vielleicht funktioniert es ja noch, wenn sich genug Läufer an ihre Karten erinnern.«
Jetzt war Minho voll bei der Sache. Aber da war wieder dieser merkwürdige Blick, als würde Thomas etwas ganz Offensichtliches übersehen. »Eine Idee? Was denn?«
»Kommt einfach mit zum Bau. Du und Newt.«
Minho dachte kurz nach. »Newt!«, rief er.
»Ja?« Newt stand auf und faltete den blutigen Lappen neu, um eine saubere Stelle zu finden. Thomas sah, dass jeder Zentimeter rot getränkt war.
Minho zeigte auf Alby. »Die Sanis sollen sich um ihn kümmern. Wir müssen reden.«
Newt sah ihn fragend an und gab den Lappen dann dem Jungen neben sich. »Such Clint – sag ihm, wir haben andere Probleme als Strünke, die sich Splitter eingefangen haben.« Als der Junge losgerannt war, um den Auftrag auszuführen, ließ Newt Alby allein. »Reden? Worüber?«
»Kommt einfach mit«, sagte Thomas. Er drehte sich um und ging in Richtung Bau, ohne auf eine Antwort zu warten.
»Lass sie raus.« Thomas stand mit verschränkten Armen an der Zellentür. »Lass sie raus, dann reden wir. Glaub mir, es wird dich interessieren.«
Newt war voller Ruß und Dreck und seine Haare von Schweiß verklebt. Er machte keinen besonders gut gelaunten Eindruck. »Tommy, das ist –«
»Bitte. Schließ einfach auf und lass sie raus. Bitte.« Diesmal würde er nicht klein beigeben.
Minho stand mit den Händen in den Hüften vor der Tür. »Wie können wir ihr vertrauen?«, fragte er. »Seit sie aufgewacht ist, geht hier alles den Bach runter. Sie hat sogar zugegeben, dass sie was ausgelöst hat.«
»Da hat er Recht«, sagte Newt.
Thomas zeigte auf Teresa hinter der Tür. »Wir können ihr trauen. Ich habe mit ihr geredet und es geht immer nur darum, wie wir hier rauskommen. Sie wurde hierhergeschickt, genau wie alle anderen. Es ist Quatsch zu glauben, dass das hier ihre Schuld ist.«
»Warum zum Henker hat sie dann gesagt, sie hätte was ausgelöst?«, giftete Newt.
Thomas zuckte mit den Schultern. Er wollte nicht zugeben, dass Newt damit Recht hatte. Er suchte nach einer Erklärung. »Wer weiß – in ihrem Gehirn sind schräge Sachen passiert, als sie aufgewacht ist. Vielleicht haben wir ja alle irgendwelchen Schwachsinn geredet, bevor wir in der Box zu uns gekommen sind. Lasst sie einfach raus.«
Newt und Minho schauten sich lange an.
»Macht schon«, drängte Thomas. »Was kann sie denn groß tun? Rumrennen und alle Lichter abstechen? Jetzt aber mal halblang.«
Minho seufzte. »Na gut. Lass die dämliche Nuss raus.«
»Ich bin nicht dämlich!«, rief Teresa, deren Stimme durch die Mauern gedämpft wurde. »Und ich kann jedes Wort hören, das ihr Schwachköpfe da draußen redet!«
Newts Augen weiteten sich. »Da hast du dir ja ’ne ganz Süße angelacht, Tommy.«
»Mach schon«, sagte Thomas. »Wir haben mit Sicherheit ’ne Menge zu tun, bevor die Griewer heute Nacht zurückkommen – wenn sie nicht schon tagsüber aufkreuzen.«
Unwirsch trat Newt vor den Bau und holte seinen Schlüssel heraus. Das Schloss klickte ein paarmal und die Tür schwang auf. »Komm raus.«
Teresa trat aus der Zelle und schaute Newt im Vorbeigehen finster an. Sie warf Minho einen nicht weniger feindseligen Blick zu und stellte sich direkt neben Thomas. Ihr Arm streifte seinen; er bekam eine Gänsehaut und die Situation war ihm unglaublich peinlich.
»Okay, schießt los«, sagte Minho. »Was ist so wichtig?«
Thomas sah Teresa an und überlegte, wie er es sagen sollte.
»Was?«, fragte sie. »Am besten sagst du es – mich halten sie anscheinend für eine Serienmörderin.«
»Ja, so siehst du auch aus«, murmelte Thomas, wandte sich aber Newt und Minho zu. »Okay. Als Teresa aus ihrem Tiefschlaf aufgewacht ist, schossen ihr Erinnerungen durch den Kopf. Sie, ähm …« – fast hätte er sich versprochen und die Gedankenübertragung erwähnt. »Sie hat mir gesagt, dass sie sich erinnert, dass das Labyrinth ein Code ist. Dass es uns vielleicht keinen Weg nach draußen zeigt, sondern versucht uns eine Nachricht zu übermitteln.«
»Ein Code?«, fragte Minho. »Was für ein Code?«
Thomas schüttelte den Kopf und wünschte, er könnte die Frage beantworten. »Ich bin mir nicht sicher – ihr kennt euch viel besser mit den Karten aus als ich. Aber ich hab eine Theorie. Deshalb hab ich gehofft, dass ihr euch an ein paar Karten erinnern könnt.«
Minho sah Newt mit hochgezogenen Augenbrauen an. Newt nickte.
»Was denn?«, fragte Thomas, der es satthatte, dass sie ihm irgendetwas vorenthielten. »Ihr tut die ganze Zeit so geheimniskrämerisch.«
Minho rieb sich die Augen und atmete tief durch. »Wir haben die Karten versteckt, Thomas.«
Im ersten Moment kapierte er nichts. »Häh?«
Minho zeigte auf das Gehöft. »Wir haben die verdammten Karten im Waffenraum versteckt und durch Attrappen ersetzt. Wegen Albys Warnung. Und wegen dem sogenannten Ende, das deine saubere Freundin ausgelöst hat.«
Angesichts dieser Neuigkeiten war Thomas so aufgeregt, dass er ihre ansonsten so aussichtslose Lage vollkommen vergaß. Er erinnerte sich an Minhos verdächtiges Verhalten am Tag davor, als er gesagt hatte, er hätte einen Spezialauftrag. Thomas sah zu Newt rüber, der nickte.
»Sie sind in Sicherheit«, sagte Minho. »Jede einzelne. Also, wenn du eine Theorie hast, dann schieß los.«
»Bringt mich zu den Karten«, sagte Thomas, der es kaum erwarten konnte.