Fünfundzwanzig
Der Bürgermeister nippte vorsichtig an seinem Auchentoshan Three Wood, einem Malt-Whisky, von dem es hieß: »Man genießt ihn am besten ohne jede Beigabe, wenn man schwermütiger und nachdenklicher Stimmung ist.« Wichtiger noch: Er hatte dreiundvierzig Prozent Alkohol. Christian Holyrod war kein Mann von besonders großer Nachdenklichkeit, aber im Augenblick brauchte er definitiv einen Drink – eigentlich mehrere. Er nahm einen zweiten Schluck und betrachtete den Mann, der vor ihm stand, aufmerksam. »Ich weiß nicht, was Sie vorhaben«, sagte er ruhig, »und ich will es auch nicht wissen. Vergessen Sie nur nicht Regel Nummer eins …«
Der Angesprochene lächelte schwach und zeigte den Anflug eines Interesses an dem, was der gestresste Politiker ihm zu sagen hatte. »Und wie lautet Regel Nummer eins?«
Der Bürgermeister beugte sich vor. »Ganz einfach: Lass dich nicht erwischen!«
»Also bitte, Herr Bürgermeister. Was bringt Sie auf den Gedanken, dass ich etwas Illegales vorhabe?«
Holyrod, der inzwischen die erste Wallung der vom Auchentoshan beflügelten Wärme genoss, sagte kein Wort.
»Wir sind beide Soldaten«, fuhr sein Gesprächspartner fort, »Offiziere, genauer gesagt.«
Was man dir aber nicht ansieht, dachte Holyrod säuerlich. Es gibt Offiziere und Offiziere.
»Wir wissen beide, wie wichtig Diskretion ist«, betonte der andere Mann, »und Ehre.«
Das werden wir ja sehen, dachte der Bürgermeister.
Der Mann schaute in sein Glas Mineralwasser. »Keine Sorge«, sagte er. »Es wird alles nach Plan verlaufen. Wir werden die TEMPO-Konferenz unterstützen wie vereinbart. Und was für Ihre Freunde von Pierrepoint Aerospace noch wichtiger ist: Der Vertrag wird vor dem Galadiner zu Beginn unterzeichnet werden.«
Holyrod nahm noch einen Schluck Scotch. Er hatte den ganzen Tag noch nichts gegessen, und der Whisky stieg ihm direkt zu Kopf, was ihn müde und gereizt machte. »Das höre ich gern. Sie sollten bedenken, dass der Vertrag inzwischen hätte unterzeichnet sein sollen. Wenn das nicht zu Beginn der Konferenz erledigt ist, wird Pierrepoint LAHC verklagen wollen.«
Der andere Mann erstarrte. »Wir wissen beide, dass das nicht nötig sein wird.«
»Ich hoffe, Sie haben recht«, sagte der Bürgermeister. »Das Letzte, was wir brauchen, ist ein weiteres Beispiel für ein Gerätebeschaffungs-Projekt, das unter horrenden Verzögerungen leidet und das Budget bei Weitem überschreitet.«
»Ach ja.« Ein breites Lächeln erschien auf dem Gesicht des Mannes. »Der Green Report – den Ihre Regierung zu unterdrücken versuchte.«
»Ohne Erfolg«, sagte Holyrod bitter.
»Ich habe nur zu Gesicht bekommen, was in den Zeitungen stand, aber Ihr Verteidigungsministerium kommt nicht allzu gut dabei weg. Niemandem gefällt die Vorstellung, dass Geld verschwendet wird, während die Soldaten an der Front ohne die nötige Ausrüstung auskommen müssen.«
»Nun ja«, Holyrod seufzte, »mit Geld umzugehen, ist nie ihre Stärke gewesen. Aber da ich auf beiden Seiten des Zauns gewesen bin, kann ich verstehen, mit welchen Schwierigkeiten die Regierungsbeamten in Whitehall konfrontiert sind.«
»Ich bin sicher, dass Sie das verstehen können, aber das war auch ein triftiger Grund für Sie, zu uns zu kommen.«
»Angenommen, Sie können liefern, was wir brauchen«, warf Holyrod ein.
»Das können wir. Fristgerecht und im Rahmen des Budgets.«
»Gut.«
»Und Sie sind Ihrerseits in der Lage, das Ministerium mit der gewünschten Ausrüstung zu beliefern, fast fristgerecht und fast im Rahmen des Budgets.«
Holyrod beschloss, den letzten Stachel zu ignorieren. »Ich habe dem Pierrepoint-Vorstand gesagt, dass ich jede Form gerichtlichen Vorgehens für völlig kontraproduktiv hielte, selbst als letztes Mittel. Abgesehen von allem anderen würde man damit eine beträchtliche Publicity riskieren. Aber ich bin nur eine Stimme von vielen. Und wie die Dinge liegen, sind sie nicht geneigt, meinen Standpunkt einzunehmen.«
»Ach ja, die Qualen eines Aufsichtsratsmitglieds. Um ehrlich zu sein, bin ich überrascht, dass Sie einen solchen Job mit Ihrem politischen Amt vereinbaren können.«
War das eine Drohung?, fragte sich Holyrod. Diese verdammten Ausländer, er hätte sich nie mit ihnen ins Bett legen dürfen. Ah, gut, endlich. Er trank sein Glas leer und gab dem gerade aufgetauchten Kellner zu verstehen, dass er noch einen Whisky haben wollte. Er wusste, dass er besser darauf verzichten sollte, aber was soll’s! »Das ist alles astrein. Bevor ich mich zur Bürgermeisterwahl aufstellen ließ, habe ich ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ich dabei sei, mir ein Portfolio von Geschäftsinteressen aufzubauen, und dass ich das nicht aufgeben würde – nicht aufgeben könnte –, wenn ich gewählt würde.«
Der andere Mann nickte. »Allerdings.«
»Den Wählern gefällt die Idee, dass ich meinen Lebensunterhalt in der wirklichen Welt verdienen kann.«
Der Mann sah verwirrt aus.
»In der Privatwirtschaft.«
»Ah ja.«
Das leere Glas wurde Holyrod aus der Hand genommen und durch ein anderes Becherglas mit Auchentoshan Three Wood ersetzt. Er wog das Glas in der Hand: Es fühlte sich befriedigend schwer an. Noch zwei von denen, und ich brauche mir keine Gedanken mehr über ein Abendessen machen, dachte er. Ich könnte sogar ausnahmsweise mal eine Nacht durchschlafen. »Niemand kann meine Einsatzbereitschaft für den öffentlichen Dienst in Zweifel ziehen«, fuhr er fort, »aber davon raucht der Kamin noch nicht.«
»Nein, absolut nicht.«
Holyrod nahm einen Schluck aus seinem zweiten Glas. »Ich habe mehr als ein Jahrzehnt im Dienst der Königin und des Vaterlands verbracht und in vielen jener Drecklöcher gesteckt, die Sie aus eigener Anschauung kennen …«
»Ja.«
»… und ich bin immer noch mit Leib und Seele dem öffentlichen Dienst verpflichtet, aber nicht unter der Bedingung, dass meine Familie am Hungertuch nagt.«
»Natürlich nicht.« Der Gesprächspartner des Bürgermeisters tätschelte ihm tröstend die Schulter. Die fünfhunderttausend Pfund Sterling, die du für den Abschluss unseres Deals einsacken wirst, sind in dieser Beziehung vermutlich ganz hilfreich, dachte er.
»Schließlich«, erklärte Holyrod, »komme ich nicht aus einem derart vermögenden Elternhaus wie Sie.«
»Das ist gut beobachtet.« Der andere Mann starrte in sein Glas Mineralwasser. »Ich habe großes Glück gehabt.«
Eine warme Scotchwoge floss durch den Körper des Bürgermeisters, und er begriff, dass es allmählich Zeit wurde, dem Gespräch eine andere Wendung zu geben. »Was hält der Botschafter von alledem?«
»Orb?« Der Mann verzog das Gesicht. »Er ist ein Zuschauer, nicht mehr als ein unbeteiligter Beobachter. Er hat sein ganzes Leben damit verbracht, anderen Leuten beim Agieren zuzusehen, während er darauf achtete, nichts zu tun, wodurch er ihnen in die Quere kommen könnte. Es ist erstaunlich, dass jemand so viel Zeit damit verbringen kann, so wenig zu tun. Wenigstens bedeutet das, dass man sich seinetwegen keine Sorgen machen muss.«
»Und der Polizist?«
Der Mann stellte sein Glas auf das Tablett eines vorbeigehenden Kellners und holte eine Packung Zigaretten heraus. »Wer?«
Der Bürgermeister dachte daran zu erwähnen, dass in diesem Gebäude nicht geraucht werden durfte, ließ es dann aber lieber bleiben. Er hoffte, dass es keine Rauchmelder in der Nähe gab. »Carlyle«, sagte er. »Inspector John Carlyle. Der Polizist, der bei dem Empfang mit dem Botschafter geredet hat.«
Der Mann zündete seine Zigarette an und inhalierte tief. »Sie müssen sich doch bestimmt keine Gedanken wegen eines einfachen Polizisten machen?« Er sah sich nach einer Möglichkeit um, wo er die Asche von seiner Zigarette abstreifen könnte. Als er nichts Passendes fand, schnippte er sie auf den Boden.
Entsetzt warf Holyrod einen Blick in die Runde, in der Hoffnung, dass niemand das bemerkt hatte. Eine Kellnerin wurde auf ihn aufmerksam und begann auf ihn zuzugehen, aber er funkelte sie wütend an, worauf sie sich schnell abwandte. »Ich bin ihm schon einmal begegnet«, sagte er, »und er ist eine berufsmäßige Nervensäge.«
»Okay.« Der Mann zuckte mit den Achseln. »Ich verstehe, was Sie damit sagen, Mr Holyrod. Ich kann mich seiner annehmen.«
»Nein, nein, nein«, sagte der Bürgermeister hastig. »Das dürfen Sie nicht machen.«
Der Mann schaute ihn mit einem Anflug von Belustigung an.
»Ich möchte Ihnen mit allem Nachdruck raten«, fuhr der Bürgermeister fort, »dass Sie nicht versuchen, sich in die Tätigkeit unserer Polizei hier einzumischen. Das wäre sehr … unprofessionell. Das könnte alles gefährden.«
Ein genervter Ausdruck trat auf das Gesicht des Mannes. »Wie Sie wollen.«
»Diese Art von Problemen kann auf andere Weise aus der Welt geschafft werden.«
Der Mann machte einen kleinen Diener. »Wie Sie wollen«, wiederholte er in einem Tonfall, der fast etwas Spöttisches hatte.
Der Bürgermeister spürte, wie sich ein leichtes Unbehagen in seinen Eingeweiden breitmachte. Vielleicht sollte er mit dem Scotch etwas sparsamer umgehen. »Mein Land, meine Regeln.«
»Natürlich.«
Holyrod leerte sein Glas. »Die Lage ist immer noch ein wenig heikel. Wir müssen uns unbedingt bedeckt halten.«
»Ich gebe Ihnen mein Wort.«