Drei
Die chilenische Polizei hat eine Tänzerin verhaftet, die eine Reihe von Striptease-Vorführungen in der U-Bahn von Santiago, der metro, veranstaltet hat. Montserrat Morilles ist als »La Diosa del Metro« tituliert worden, die Göttin der Metro. Sie erklärte Reportern gegenüber: »Chile ist immer noch ein ziemlich furchtsames Land. Die Menschen sind nicht sehr extrovertiert, und wir wollen uns darauf konzentrieren und Chile zu einem glücklicheren Land machen.«
Carlyle streckte den Kopf unter dem Federbett hervor und schaltete den Radiowecker aus. Er rieb sich den Schlaf aus den Augen und schaute zu, wie seine Frau sich anzog. Helen stand mit dem Rücken zu ihm am Fußende des Betts, warf das T-Shirt auf den Boden und griff nach einem perlmuttfarbenen BH, der über einem Stuhl neben ihr hing. Sie streifte ihn lässig über und kontrollierte seinen Sitz im Garderobenspiegel. Carlyle sah, wie ihre Pobacken zuckten, und spürte, wie bei ihm auch etwas zuckte.
Eines der vielen Dinge, die er an seiner Frau liebte, war ihr herrliches Gesäß. Es war ein sehr schöner Hintern – keck, glatt und nicht ganz symmetrisch. Eine Welle der Begeisterung erfasste ihn; er wollte aus dem Bett springen und ihn packen. Noch ein Zucken. Er kratzte sich energisch, um zu bestätigen, was er bereits wusste – seine morgendliche Erektion war ziemlich spektakulär.
Wie viel Zeit hatten sie? Er hörte, wie der Fernseher im Wohnzimmer zum Leben erwachte. Alice würde sich, während sie ihr Frühstück zu sich nahm, fünfzehn Minuten irgendeinen Mist ansehen, bevor sie zur Schule ging. Das wäre mehr als genug Zeit. Als Erstes musste er allerdings unbedingt pinkeln. Er wollte gerade die Beine aus dem Bett schwingen, als Helen sich zu ihm umdrehte und ihn mit einem beunruhigenden Lächeln ansah, das typisch für sie war. Abgesehen von ihrem BH, der einen großzügigen Teil ihrer Warzenhöfe preisgab, war sie immer noch nackt.
Offensichtlich war sie sich ihrer aufreizenden Erscheinung nicht bewusst, sondern fragte beiläufig: »Hast du es schon mal für lau gemacht?«
»Dir auch einen guten Morgen.« Carlyle zog sich wieder unter das Federbett zurück. Das Letzte, was er jetzt wollte, war eine Fortsetzung der gestrigen Unterhaltung. Helen hatte einen Artikel in einer der Sonntagszeitungen aufgegriffen, in dem es um einen Inspector aus der Harrow Police Station ging, der bei einer Razzia auf ein Bordell in seinem Revier verhaftet worden war. Die Zeitung hatte Vermutungen angestellt, der Polizeibeamte habe sich als Gegenleistung für Bargeldzahlungen und Dienstleistungen um die Sicherheit des als Auntie Jayne’s bekannten Etablissements gekümmert. Das hatte Helen veranlasst, laut über die Unfähigkeit von Polizisten nachzudenken, den Versuchungen zu widerstehen, die ihr Job zu bieten hatte. Anstatt seine Meinung für sich zu behalten, hatte Carlyle törichterweise versucht, seine Kollegen und infolgedessen auch sich zu verteidigen.
Sie warf einen Blick in seine Leistengegend und zog die Augenbrauen hoch. »Und?«
»Was meinst du damit, ›für lau gemacht‹?«
»Du weißt schon«, erwiderte Helen und stemmte die Hände herausfordernd in die Hüften, um ihn zu necken. »Bist du schon mal zu einer … Hure gegangen?«
Hure. Das Wort war mit Bedacht gewählt: zugleich abfällig und vorwurfsvoll.
Carlyle blinzelte zweimal und starrte an die Decke. Seine Erektion ließ bereits nach. Was war das für ein Start in die Woche, von seiner Frau nach seiner sexuellen Vorgeschichte und seinen moralischen Maßstäben befragt zu werden. Es war wie bei der Arbeit: Man brauchte nicht schuldig zu sein, um sich schuldig zu fühlen.
Er dachte über seine Situation so lange nach, wie er konnte, wobei er sich darüber im Klaren war, dass er nicht viel Zeit hatte. Schließlich richtete er sich im Bett auf und machte das leidenschaftsloseste Gesicht, das er machen konnte, was sich zu dieser frühen Morgenstunde als nicht allzu schwierig herausstellte.
»Nein.«
Helen zog einen verschossenen Slip an, der nicht zu dem BH passte. »Bist du dir sicher? Die meisten Männer haben das gemacht. Das ist keine große Sache.«
Die letzte Bemerkung glaubte Carlyle keine Sekunde lang. Er erkannte eine »große Sache«, wenn er sie sah. Er kratzte sich am Kopf, tat so, als müsse er gähnen, spielte auf Zeit. Hier war ein leichter Ton gefragt. Den leidenschaftslosen Ausdruck legte er ab, setzte stattdessen das entspannteste Grinsen auf, das ihm möglich war, und machte weiter. »Was meinst du? Ob ich vergessen haben könnte, dass ich eine Nutte gebumst habe? Oder ob ich dir die Wahrheit sage?«
»Egal.« Helen zog einen hellbraunen Pullover über den Kopf und hob eine schwarze Jeans vom Boden auf. »Beides.«
Carlyle beschloss, dass Angriff die beste Form der Verteidigung war, warf das Federbett beiseite und glitt aus dem Bett. Er hatte nichts aufzubieten als seine halbe Erektion. Er kratzte sich an den Hoden, ging auf seine Frau zu und küsste sie sanft auf die Stirn. »Ich glaube nicht … Ich meine, ich hätte mich daran erinnert.«
Helen machte einen Schritt zurück und knöpfte rasch ihre Jeans zu. Unwillkürlich ergriff Carlyle seinen Schwanz und drückte ihn leicht zusammen, bevor er sich noch einmal ausgiebig am Hodensack kratzte. Jetzt musste er wirklich dringend pinkeln, aber er durfte nicht zu schnell aus dem Schlafzimmer verschwinden, weil das aussähe, als machte er sich aus dem Staub.
»Dann bist du dir also sicher?«
Die Boxershorts von gestern lag neben seiner Jeans auf dem Boden. Er hob sie auf und roch kurz daran – nicht zu schlimm … Sie würde es noch einen Tag lang tun. »Sieh mal«, sagte er und bediente sich ihrer Wortwahl, während er umständlich in die Unterhose stieg, »es gibt Huren, und es gibt Huren. Die durchschnittliche Cracksüchtige hat nicht viel mit Julia Roberts in Pretty Woman gemein.«
Helen musterte ihn von oben bis unten und erinnerte ihn daran – nicht dass es einer Erinnerung bedurft hätte –, dass das Eheleben einer ständigen Beurteilung gleichkam. »Wenn sie also hübscher oder sauberer gewesen wären …«
Es gab jetzt keinen Weg zurück. Er versuchte es mit einem anderen Grinsen. »Julia Roberts ist eigentlich ohnehin nicht mein Typ.«
»Aber was wäre, wenn eine ausgesehen hätte wie … ich weiß nicht – das Mädchen in dem Bond-Film – Eva Green?«
Eva Green? »So sieht keine aus.«
Helen fing an, sich die Haare zu bürsten. »Aber wenn eine so aussähe? Und wenn du ihr nur das Geld geben müsstest?«
Diesmal grinste er wirklich. »Polizisten müssen nicht bezahlen. Wir bekommen es für lau, erinnerst du dich? Was auch nicht schlecht ist, wenn man bedenkt, dass ich praktisch nie Geld in der Tasche habe.«
Jetzt setzte Helen ihr Schachmatt-Lächeln auf. »Also würdest du’s tun? Oder hast es schon getan?«
Das hatte man davon, wenn man es mit Humor versuchte. Carlyles Grinsen verflüchtigte sich, während ihm das Herz schwer wurde. »Ich muss pinkeln«, sagte er ruhig.