Vierzehn
September 1973
Während der ersten paar Tage an Bord der Weißen Dame betrieben die Häscher William Pettigrews ein rigoroses Schlafentzugsprogramm mit ihm. Er wurde regelmäßig mit den Schläuchen abgespritzt und zwischendurch verprügelt. Jede Stunde wurden die Gefangenen abgezählt. Und für den Fall, dass irgendjemand die Gelegenheit wahrgenommen hätte, in seiner Hängematte einzudösen, schlug ein Matrose mit dem Namen »Foltervogel« gegen die Metalltür, um auch auf diese Weise Schlaf zu verhindern. Sie bekamen einmal am Tag zu essen – Wasser und einen dünnen Haferbrei. Ein paar schaufelten ihn in sich hinein, die meisten stocherten desinteressiert darin herum; für die Möwen blieb immer reichlich übrig.
Dann und wann erschienen ein paar Matrosen und nahmen drei oder vier Leute zum Verhör in den Kabinen mit, die unter Deck in Folterkammern verwandelt worden waren. Es war unmöglich, das Schreien und Kreischen auszublenden, das durch den Boden nach oben drang, wenn die Elektroschocks appliziert wurden. Die Sitzungen konnten zwanzig Minuten oder zehn Stunden dauern. Anschließend kamen einige der Opfer zurück, andere nicht.
Als Pettigrew zum ersten Mal gefoltert wurde, hätte er fast schon die Kontrolle über seinen Schließmuskel verloren, bevor der elektrische Viehtreiber mit seinen Hoden in Berührung kam. Seine Folterknechte lachten und ließen ihn seine Scheiße aufessen. Sie lachten noch mehr, als er die Scheiße sofort wieder erbrach. Sie befahlen ihm, das Erbrochene zu essen. Er versuchte es, aber diesmal brachte er es nicht mal fertig, es in den Mund zu bekommen. Nach einigen Flüchen und Boxhieben spritzten sie ihn ab.
Noch mehr Elektroschocks, diesmal am Anus. Er begann Blut zu scheißen, hellrote Flecken auf dem Boden, die in der Hitze schnell dunkel wurden. Das hatte weitere Ausgelassenheit zur Folge. Sie spritzten ihn wieder ab. Inzwischen begrüßte er den Wasserstrahl. Wenn schon sonst nichts, konnte er zumindest sauber sein.
Die Befragung war willkürlich und oberflächlich. Dies war kein raffiniertes Sammeln von Informationen, und sie waren nicht an irgendwelchen Antworten interessiert. Sie mussten sich um eine Menge Leute kümmern und konnten auf jedes Individuum nur eine gewisse Zeit verwenden. Niemand interessierte sich für irgendwas, was er zu sagen hatte. Niemand zeichnete irgendwas auf. Niemand machte sich irgendwelche Notizen. Er war wie eine Fliege, die von einem Haufen sadistischer Schuljungs die Flügel ausgerissen bekommt.
Es war der reinste Affenzirkus. Emotional hatte Pettigrew abgeschaltet. Er konnte die Schmerzen spüren, aber er verknüpfte keine Gedanken damit. Es gab nichts, was er hätte sagen können, das ihn für diese Männer nützlich machen konnte, nichts, woran er sich festhalten konnte, das ihn in dem Entschluss hätte bestärken können weiterzuleben. Es ging nicht darum zu versuchen, am Leben zu bleiben. Es ging nur darum, es zu Ende zu bringen.
Ihre einzige Frage war: Was weißt du?
»Ich weiß nichts«, sagte er dann so ruhig wie möglich.
»Was weißt du?«
»Ich weiß nichts.« Das war durchaus richtig, auch am Anfang schon. Als sie es ihn zum dritten oder vierten Mal fragten, konnte er sich kaum noch an seinen eigenen Namen erinnern.
Sie gaben ihm ein paar Ohrfeigen, vielleicht noch einen Elektroschock, und fragten ihn noch einmal.
»Was weißt du?«
Ohrfeige.
»Ich weiß … nichts.« Pettigrew konnte nicht mal so zusammenhängend denken, dass er etwas hätte erfinden können. Namen? Wer war zu dem Zeitpunkt, als sie endlich zu ihm kamen, überhaupt noch übrig? Wen hatten sie möglicherweise noch nicht abgeholt?
»Was weißt du?«
Ohrfeige.
»Nichts.«
Pettigrew wollte nicht irgendetwas erfinden. Er wusste, dass es die ganze Angelegenheit nur verlängern würde, wenn er damit anfinge, ihnen irgendeine Art von »Information« zu geben. Inzwischen wollte er nur, dass alles so schnell wie möglich vorbei war.
»Was weißt du?«
Ohrfeige.
»Was weißt du?«
Er hatte nichts mehr zu sagen. Es gab keine Worte mehr. Er war auf einer Reise zurück zu einer Zeit vor der Sprache, vor den Worten; zu einer Zeit, wo man nur noch heulen konnte.
Nach seiner zweiten Folterung wurde Pettigrew unterrichtet, dass man ihn sofort erschießen würde, weil er eine beschissene Kommunistenhure sei – sowohl ein Verräter der Kirche als auch ein Landesverräter.
Sie verbanden ihm die Augen und stellten ihn an eine Wand. Irgendjemand stellte sich direkt vor ihn und sagte leise: »Für dich ist es vorbei. Die guten Priester kommen jetzt zurück. Die, denen Allende verboten hat zu unterrichten; die keine Beichte mehr abnehmen durften; die als Taxifahrer arbeiten mussten, um über die Runden zu kommen. Ich meine die Priester, die das Oberste Gericht und die Verfassung der Republik Chile verteidigt haben und gegen die Errichtung eines kommunistischen Staats waren. Die die Kirche lieben und sie nicht von schwulen Perversen wie dir zerstört sehen wollen.«
Pettigrew sagte nichts. Er konnte nur denken: Endlich ist es vorbei.
»Du musst Folgendes begreifen: Die marxistische Unterwanderung der Kirche ist am Ende. Die Befreiungstheologie ist tot.«
Er konnte die Begeisterung in seiner Brust spüren. Ich danke dir, Gott.
»Du bist tot.«
Die Stimme entfernte sich, und fünf, zehn, fünfzehn Sekunden herrschte Stille. Der Sicherungshebel einer Pistole wurde umgelegt.
Irgendjemand rief: »Feuer!«
Eine Möwe kreischte über ihnen.
Er stand zitternd da und weigerte sich, immer noch am Leben zu sein. Inzwischen hätte alles vorüber sein sollen.
Seinen Folterknechten wurde das Spiel bald langweilig. Nach seiner fünften Sitzung ließen sie Pettigrew mit einer Kapuze aus Nesselstoff über dem Kopf an ein Bettgestell aus Metall gefesselt zurück. Irgendwann hörte er Rufe. Geräusche von Leuten, die herumliefen. Der allgemeine Betrieb von Männern, die ihre Arbeit machten. Langsam wurde der Anker des Schiffs gelichtet.
Ein wenig später hörte er, wie die Tür zu seiner Kabine geöffnet wurde. Aufgeregte jugendliche Stimmen sammelten sich vor der Tür. Dann brachten sie eine Frau herein, und er hörte, wie man sie an das Bett neben seinem kettete. Dann stritten sie sich darüber, wer als Erster an die Reihe kommen solle.
Abgesehen von ein paar Schatten, die über den unteren Rand seines Gesichtsfelds wanderten, konnte er wegen der Kapuze über seinem Kopf nichts sehen.
Aber er hörte ihre Schreie.
Vielleicht war er gestorben; gestorben und zur Hölle gefahren. Die Geräusche waren schlimm, aber der Geruch war schlimmer. Nach dem fünften Mal verlor er den Überblick. Die meisten waren schnell fertig, aber ein Mann schien eine Ewigkeit zu brauchen. »Komm schon, Julio«, jammerte einer seiner Kameraden. »Wir finden später eine andere für dich.«
»Du kannst ihn ficken«, sagte ein anderer und trat so fest gegen Pettigrews Bettrahmen, dass er ein Stück vom Boden abhob. »Dreh ihn einfach um, dann merkst du keinen Unterschied.« Es wurde gelacht, und er spürte Speichelspritzer auf seiner Brust.
Ein anderer, der etwas näher war, sagte zu ihm: »Wie würde dir das gefallen, Priester? Du kannst als Nächster dran sein. Das heißt, falls du immer noch eng genug bist.«
Schließlich gingen sie. Nachdem die Kabinentür zugeschlagen war, hörte er sie schluchzen.
Und dann hörte er sie wimmern.
Und – schließlich – ihr Schweigen.
Viel später bewegte er den Kopf in die Richtung der Frau. Ihre Betten standen weniger als fünfzehn Zentimeter auseinander. Sie war fast so nahe, dass er sie hätte berühren können. Wenn er die Finger seiner linken Hand streckte, stellte er sich vor, dass er beinahe ihren rechten Unterarm berühren könnte. Er versuchte, das Schlagen seines Herzens, das Rasseln seines Atems und das Summen in seinen Ohren zu ignorieren, und konzentrierte sich stattdessen darauf zu lauschen. Es war nichts zu hören. Vielleicht lag es an seinem Gehör – sie hatten ihn ganz oft auf die Ohren geschlagen. Es war eine Foltertechnik, die »das Telefon« genannt wurde, und vielleicht hatte er einen Anruf zu viel bekommen. Jedenfalls war die Stille ein Segen. Er hoffte, es sei ein Zeichen dafür, dass seine unbekannte Gefährtin nicht mehr da wäre. Dass der Tod ihr endlich sein weiches Herz gezeigt hätte. Und er hoffte, dass ihm bald die gleiche Barmherzigkeit erwiesen würde.
Die Stunden vergingen, während sein Körper von einem sanften Rhythmus der Schmerzen umhüllt wurde. Irgendwann stellte Pettigrew sich vor, dass er an der Decke schwebte und auf die beiden Betten hinabsähe: auf ihre blanken Gestelle, keine Matratzen, keine Decken, keine Kissen; nichts anderes in dem Raum als ihre nackten, blutbefleckten, verletzten Leiber.
Er wollte weinen, aber es kamen keine Tränen.
Er wollte schreien, aber es kam kein Laut über seine Lippen.
Er wollte diesen Ort verlassen, aber er konnte sich nicht bewegen.
Nach einer Weile fühlte er eine Hand auf der Schulter. Er drehte sich um und erblickte einen Boten vom himmlischen Hof neben sich. Er war nur mit einem Lendentuch bekleidet und hatte den besorgten Gesichtsausdruck eines Menschen. Mit einem warmen, herzlichen Blick schaute er tief in Pettigrews Augen, während er über ihm schwebte.
»Ich bin Dismas, dein Schutzengel«, sagte die Erscheinung.
Der Priester lächelte. Er wusste, dass Dismas der gute Schächer war, der mit Christus auf dem Kalvarienberg gekreuzigt worden war und ihn dann ins Paradies begleitet hatte. Dismas war der einzige Mensch, der von Jesus kanonisiert worden war. Er war außerdem der Patron verurteilter Verbrecher.
»Nimm mich mit dir«, sagte Pettigrew und schluchzte auf.
»Das kann ich nicht.« Dismas strich mit einer Hand über seinen zerzausten Bart und zeigte mit der anderen auf Pettigrews Körper, der unter ihnen auf dem Bett lag. »Du musst zurückgehen und dich der von dir verursachten Peinigung stellen.«
»A… aber dafür kann ich doch nichts!«, stammelte Pettigrew. »Wie kannst du so etwas sagen?«
»Mein Sohn«, sagte Dismas mit einem betrübten Lächeln, »du hast die Kirche verraten. Du musst dein Schicksal akzeptieren.«
»Nein!« Jetzt spürte er, wie sich in ihm ein Zorn ausbreitete, den seine Folterknechte bisher noch nicht freigesetzt hatten, und die Lebenskraft entzündete, von der er angenommen hatte, sie wäre für immer ausgelöscht. »Ich bin in Jesu Fußstapfen getreten. Ich habe den Armen gedient. Deshalb bin ich hier. Deshalb bin ich nicht weggelaufen, als ich Gelegenheit dazu hatte! Ich wusste, dass ich bei ihnen sein musste, denn das ist die Rolle eines Priesters. Ich habe die Kirche nicht verraten. Die Kirche hat mich verraten!«
»Solcher Stolz! Solche Arroganz!« Dismas nahm Pettigrews Kopf in die Hände; der Priester wurde von einem Schwindel ergriffen. Die Kabine füllte sich langsam mit einem sanften weißen Licht. »Du musst zurückgehen, um vorwärtsgehen zu können. Erst dann kannst du auf Gottes Liebe ansprechen und Seiner Seligkeit teilhaftig werden. Mach dir keine Sorgen. Es wird dir kein Übel begegnen, und keine Plage wird zu deiner Hütte sich nahen. Denn Er hat Seinen Engeln befohlen über dir, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen, dass sie dich auf den Händen tragen und du deinen Fuß nicht an einen Stein stößest.«
Pettigrew spürte, wie ihm die Tränen das Gesicht hinunterliefen. Als er nach unten schaute, konnte er sehen, wie sie auf seinen zerschlagenen Körper fielen und seine Wunden benetzten. »Kann das wahr sein?«, fragte er.
»Dein Vermächtnis sollte eines der Sühne sein.« Dismas lächelte. »Bereue dein verruchtes Leben. Sei der Inbegriff des bußfertigen Missetäters. Gottes Bereitschaft zur Vergebung ist immerwährend. Mit der Liebe Gottes ist es nie zu spät.«
»Die Liebe Gottes …«, wiederholte Pettigrew, während er im Antlitz der Vision nach weiterem Trost suchte. Aber Dismas verblasste bereits im Licht. Pettigrew beobachtete, wie er verschwand, und wartete darauf, dass sein Geist in seinen Körper zurückkehrte. Das Licht hüllte ihn in Gelassenheit und Liebe ein, und endlich, endlich, endlich hatte er das Gefühl, dass er wahrhaft auf dem Weg in den Himmel sei.
Als sie zurückkamen, war er bereit. Er konnte Stimmen hören – zwei Leute, vielleicht drei. Die Handschellen wurden aufgeschlossen. Er massierte sich die Handgelenke und kreuzte die Arme vor der Brust, machte aber keine Anstalten, sich vom Bett zu erheben. Sofort spürte er den inzwischen allzu vertrauten Druck einer Gewehrmündung an der Schläfe.
»Steh auf, du Schwein!«
Der Priester, dessen Kopf immer noch von der Kapuze vermummt war, schwang die Beine langsam vom Bett hinunter und kam wackelig auf die Beine. Da er sich schwindelig fühlte und ihm übel wurde, wollte er sich gerade wieder setzen, als ihn eine Hand im Nacken packte und nach vorn schob.
»Raus!«
Als er nach unten schaute, konnte er einen winzigen Fleck Boden zwischen seinen geschwollenen Füßen sehen. Der Boden fühlte sich kühl an. Da es wehtat, zu viel Gewicht auf einen Fuß zu legen, schlurfte er so gut er konnte vorwärts, durch einen Flur und ein paar Stufen hoch. Als er sich plötzlich an Deck wiederfand, blieb er stehen, um seine Lunge zu füllen.
»Beweg dich!«
Das Deck war feucht. Es war frisch geschrubbt worden, und die Brise trug den leisen Hauch eines Desinfektionsmittels. Er spürte eine schwache Sonne auf dem Rücken. Jemand hinter ihm zog ihm schwungvoll die Kapuze vom Kopf, und er musste angesichts des Lichts die Augen zusammenkneifen. Dann schaute er auf seine Hände, unter deren Fingernägeln immer noch grüne Farbe war, und berührte zum letzten Mal das Gesicht mit ihnen.
Irgendwo kreischte über seinem Kopf eine Möwe. Der Himmel war von einem hellen Blau. Der Sommer kündigte sich an.
Die juristische Abwicklung näherte sich dem Ende.
Dies musste die Schlussszene des Inquisitionsverfahrens sein, sein Autodafé, das Glaubensgericht, wo er verurteilt und das Urteil vollstreckt werden würde. Pettigrew stellte es sich mit einem Lächeln auf dem Gesicht vor. Dies war der Ort, wo er der Falle entkommen würde, die Opferrolle und Vergeltung bildeten.
Einer der Matrosen zeigte auf ein offenes Tor in der Reling. Er tapste dorthin und schaute nach unten. Die Entfernung zur Wasseroberfläche schien ungefähr zwanzig Meter zu betragen. Vor ihm war nichts, bis auf das Blau des Pazifischen Ozeans. Zu seiner Linken konnte er die Küste sehen. Er vermutete, dass sie vielleicht eine Meile vor Valparaíso lagen. Er dachte an Cerro Los Placeres, an das, was er zurücklassen würde. Was er bereits zurückgelassen hatte, seine Eltern, seine Schwester. Was würden sie von ihm denken? Wie würden sie trauern?
»Dreh dich um.«
Er tat, was man ihm befohlen hatte, und wendete sich seinem Exekutionskommando gleichmütig zu. Es bestand aus vier Männern. Drei richteten Gewehre auf seine Brust. Sie sahen zu Tode erschrocken aus, als ob der erschöpfte, nackte, delirierende, gebrochene Mann vor ihnen im Begriff sei, Amok zu laufen.
Pettigrew blinzelte und schaute sie erwartungsvoll an. Die drei mit den Gewehren waren noch Jungen – Teenager mit Gesichtern, die rund, glatt und neugierig aussahen. Vor nicht sehr langer Zeit hatte er so ausgesehen. Aber diese Jungs waren nicht wie er. Sie waren Folterknechte, Mörder, Lügner und Diebe. Ihnen fehlte etwas, das Menschen aus ihnen gemacht hätte. Und doch konnte er sie nicht hassen. Trotz allem spürte er ein gewisses Mitgefühl mit ihnen. Wie schwierig musste all das hier für sie sein, in diese Lage gebracht worden zu sein? Würden sie sich in zehn Jahren, in zwanzig oder dreißig an diesen Tag erinnern? Wäre es ein prägender Augenblick in ihrem Leben gewesen? Würden sie je unter Depressionen leiden? An Albträumen? Schlaflosigkeit? Würden sie je für ihre Sünden Buße tun?
Ihre Finger an den Abzügen der steinalt aussehenden Gewehre strafften sich. Einer der Jungen drehte sich zu dem vierten Mann um, der älter als der Rest zu sein schien, vielleicht vier- oder fünfundzwanzig. Seine Stimme zitterte, als er fragte: »Soll ich ihn erschießen?«
»Was?« Der ältere Mann versuchte zu lachen, aber es kam nur ein heiseres Murmeln aus seinem Mund, als versuche er, sich zu räuspern. Er schaute an dem Priester vorbei in die weite blaue Ferne. »Und eine Kugel verschwenden?«
Der Junge wurde rot und senkte seine Waffe. Seine Gefährten folgten seinem Beispiel, und das Trio schlich davon wie ein paar Kinder, denen ein verärgerter Nachbar gerade den Fußball abgenommen hat. Der ältere Mann zog theatralisch die Nase hoch und spuckte vor seine Füße. Er verlagerte sein Gewicht auf die Hacken, und dann ging er vorwärts, wobei er den Priester nicht ansah, aber auch nicht wegschaute. Nach sechs langen Schritten stand er wenige Zentimeter vor Pettigrews Gesicht. Seine Augen waren blutunterlaufen. Er machte einen angeschlagenen Eindruck.
Eine Welle der Euphorie erfasste den Priester. Endlich war seine Zeit gekommen.
Hier bin ich, milder und gütiger Jesus.
Mit einem kaum wahrnehmbaren, anerkennenden Nicken legte der Offizier die Fingerspitzen der linken Hand Pettigrew auf die Brust. Der Priester schaute hinab auf die Hand des Mannes und dann zurück in sein Gesicht. Es war das Gesicht eines Mannes, der kein Urteil fällte.
Aus tiefster Seele bitte ich dich: Präge mir den lebendigen Geist des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe ein …
Der Offizier machte noch einen Schritt vorwärts und schob sanft, als ob er durch eine halb geöffnete Tür ginge.
Pettigrews Unterkiefer tat ihm weh, als ein Lächeln auf sein Gesicht trat. Agatha wird mich umbringen, dachte er. Wie in Zeitlupe fiel er nach hinten ins Leere. Mit ausgestreckten Armen erfasste er schließlich sein Schicksal.
… und wahre Reue über meine Sünden und den ganz festen Willen, mich zu bessern.