6. Kapitel

Ich war froh, dass keine Spiegel in der Nähe waren, als ich von der Ladefläche des Planwagens kletterte. Abgesehen davon, dass meine Klamotten vollkommen verknittert waren, nachdem ich darin geschlafen hatte, und meine Haare ganz dringend mal gebürstet werden mussten, hingen mir auch überall Strohhalme am Körper. Ethan, der mit mir im Planwagen gesessen hatte, hatte offenbar eine Art Stroh-Schutzzauber benutzt, denn er sah noch genauso makellos aus wie beim Einsteigen. Er beschloss, noch Salz in die Wunde zu streuen, indem er die Hand ausstreckte und einen Strohhalm aus meinem Haar zupfte. Als ich ihn wütend anfunkelte, zwinkerte er mir nur zu und griff mir wieder ins Haar. Ich schlug seine Hand weg, konnte es mir jedoch nicht verkneifen, meine Haare notdürftig glatt zu streichen und das restliche Stroh zu entfernen.

Ich sah mich um und stellte fest, dass ich auf einem abgeschlossenen Hof stand, der mit Steinplatten ausgelegt und von niedrigen Stadthäusern aus Stein umgeben war. Die Häuser sahen weniger fremdartig aus als die meisten anderen Gebäude, die ich bisher in Avalon gesehen hatte, auch wenn der Platz allem ein bisschen Atmosphäre verlieh.

Eine ganz in Schwarz gekleidete Gestalt löste sich aus den Schatten und kam näher. Ich konnte ihn nicht genau erkennen, weil er nicht in meine Richtung schaute, doch der Funke Hoffnung, dass er mir vielleicht helfen könnte, erstarb, als Kimber ihm stumm die Zügel des Pferdewagens reichte. Ich nahm an, dass es sich um den Besitzer des Planwagens handelte, um Ethans ständig scharfen Freund, und war ehrlich erleichtert, als er Ethan nur knapp zunickte und dann sofort mit Pferd und Wagen verschwand.

»Studentenwohnungen«, erklärte Ethan und wies mit der Hand auf die Gebäude um uns herum. »Die Universität ist gleich die Straße hinunter. Das ist meine Wohnung«, sagte er und zeigte auf ein Fenster, »und da ist Kimbers.« Er deutete auf ein Fenster direkt gegenüber. Ich betrachtete Kimber noch einmal, aber sie sah noch immer nicht alt genug aus, um ihre eigene Wohnung zu haben. Doch was wusste ich schon – selbstverständlich bestand auch die Möglichkeit, dass sie eine sonderbare Fee war, die mit sechzehn aufgehört hatte zu altern und in Wirklichkeit älter als meine Mutter war. Ethan grinste wieder. Falls Feen Lachfalten bekamen, würde er noch vor seinem dreißigsten Geburtstag wie ein runzliger Apfel aussehen. »Aber jetzt wollen wir erst mal woandershin.«

Kimber war hinter mich getreten, während er geredet hatte. Sie berührte mich nicht, doch ich wusste, dass sie mich packen würde, sobald ich ihr einen Grund dazu lieferte. Ethan schob die Ärmel seines Langarmshirts hoch und stellte sich etwas breitbeinig hin, als wollte er gleich etwas Schweres hochheben. Nur, dass da nichts war, was er hätte hochheben können.

Hinter mir schnaubte Kimber verächtlich. »Hör auf, so eine Show abzuziehen, und mach schon.«

Was soll er machen?, fragte ich mich.

Ethan holte tief Luft und streckte in Brusthöhe die Arme mit den Handflächen nach unten vor sich aus. Es gab ein schleifendes Geräusch, als würden sich Steine gegeneinander verschieben. Ethan holte noch einmal Luft und hob die Hände dann einige Zentimeter an.

Mir fiel praktisch die Kinnlade herunter, als ein paar der Steinplatten sich aus dem Boden des Hofes lösten und nach oben schwebten. Ethan drehte seine Arme zur Seite, und die Steine folgten der Bewegung. Darunter kam eine Leiter zum Vorschein, die in einem dunklen Loch verschwand. Er legte die Steinplatten ab und stieß dann die Luft aus. Zwar schwitzte er und war außer Atem, aber er lächelte.

»Ich werde immer besser darin«, sagte er über mich hinweg zu Kimber.

»Ich bin so beeindruckt, dass ich es kaum aushalte«, erwiderte sie sarkastisch.

Ethan wirkte angesichts ihres Tonfalls ernüchtert, schoss allerdings dennoch sofort zurück. »Ich würde gern sehen, wie du das machst.«

Kimbers Schweigen ließ mich vermuten, dass sie es nicht konnte. Ethan grinste sie an, stieg dann auf die Leiter und begann mit dem Abstieg in die Dunkelheit. Ich schauderte und wollte von dem düsteren Loch zurückweichen, doch natürlich stand Kimber hinter mir und schob mich näher heran. Meine Stimme funktionierte noch immer nicht, also konnte ich nicht einmal widersprechen.

»Es liegt bei dir, ob du für den Weg nach unten die Leiter benutzen willst oder nicht«, sagte Kimber, und wieder lief mir ein eiskalter Schauer über den Rücken. Ich bezweifelte nicht, dass sie mich direkt ins Loch stoßen würde, falls ich mich weigern sollte.

Meine Hände zitterten, als ich meine Beine über den Rand schwang und meine Füße auf die Sprossen der Leiter stellte. Normalerweise hatte ich keine Angst im Dunkeln, und mir war auch noch nicht aufgefallen, dass ich an Klaustrophobie litt, aber die Vorstellung, in diese finstere, unbekannte Tiefe hinunterzuklettern, versetzte mich in Panik. Was ich allerdings noch weniger wollte, war, mit Kimbers Hilfe hinunterzufallen. Also konzentrierte ich mich darauf, eine Stufe nach der anderen zu nehmen, und hoffte, dass meine schweißnassen Hände nicht an den Metallsprossen abglitten.

Unter mir hörte ich das Echo von Ethans leise murmelnder Stimme, und im nächsten Moment entzündete sich eine Fackel. Ich blickte nach unten und sah ihn ungefähr drei Meter unter mir am Eingang zu einem Tunnel stehen. Er gab mir ein Zeichen weiterzuklettern, und ich schaffte es gerade so, mich aus meiner Erstarrung zu lösen und einen weiteren Schritt zu machen.

»Keine Sorge«, sagte er. »Ich werde dich auffangen, falls du fällst.«

Irgendwie war das nicht so ermutigend, wie er es vermutlich gemeint hatte. Trotzdem stieg ich weiter hinunter, denn ich wollte endlich wieder festen Boden unter den Füßen spüren. Kurz vor dem Ende der Leiter streckte Ethan die Arme aus und umfasste stützend meine Taille. Überrascht quietschte ich auf und stolperte die letzten Stufen hinunter. Ich landete näher bei ihm, als ich erwartet hätte. Der kleine Aufschrei bedeutete wohl, dass meine Stimme wieder zurück war, und ich überlegte kurz, ob ich es noch einmal mit einem lauten Hilferuf versuchen sollte. Ethan lächelte mich an. Seine Hände lagen noch immer auf meiner Taille, und sprachlos durch seine Berührung zögerte ich einen Moment lang. Als ich mich endlich erholt hatte, lagen die Steinplatten wieder an Ort und Stelle und verdeckten den Einstieg über uns.

Kimber sprang, als sie halb auf dem Weg nach unten war, von der Leiter ab und landete leise und anmutig neben mir. Ethan machte ein paar Schritte und nahm die Fackel aus der Wandhalterung.

»Hier entlang«, sagte er und führte uns in den Tunnel.

Es war kühl unter der Erde, und ich musste die Zähne zusammenbeißen, damit sie nicht klapperten. Der Eingang zum Tunnel war mit Zement eingefasst, doch nach ein paar Metern bestanden die Wände, der Boden und die Decke nur noch aus solidem Fels. Erschrocken wurde mir klar, dass wir uns tatsächlich im Berg befanden.

Andere Tunnel gingen vom Hauptgang ab und verschwanden in der Dunkelheit, aber Ethan ging weiter geradeaus. Beim Gedanken an die Tonnen Gewicht, die auf diesem Tunnel lasteten, hätte ich beinahe einen klaustrophobischen Anfall bekommen. Ich zwang mich, nicht weiter darüber nachzugrübeln – was allerdings gar nicht so leicht war.

Irgendwann führte Ethan uns in einen der Seitentunnel. Wir waren erst ein paar Meter hineingegangen, als ich in der Ferne das Echo von Stimmen hörte. Weder Ethan noch Kimber schien das Sorgen zu bereiten, und obwohl es schwer zu sagen war, so war ich mir doch ziemlich sicher, dass wir uns auf die Stimmen zubewegten. Als ich den gold-orangen Schimmer von Feuer in der Ferne sah, wusste ich, dass ich recht hatte.

Schließlich erreichten wir einen Torbogen, der mit schweren Trägern aus Holz abgestützt war. Ich folgte Ethan durch den Bogen und hielt dann abrupt an. Staunend nahm ich den Anblick auf, der sich mir bot.

Die Tunnel, durch die wir gelaufen waren, waren eindeutig von Menschen gemacht, aber jetzt standen wir in einer natürlichen Höhle. Stalaktiten hingen von den Decken und sahen aus wie Drachenzähne. Die Sessel und Sofas, die auf dem Boden standen, waren umgeben von Stalagmiten. An einer Wand der Höhle floss ein unterirdischer Strom entlang, der klar und überraschend tief war.

Das einzige Licht stammte von den Fackeln, die in Halterungen an den Wänden und den größeren Stalagmiten steckten, doch es reichte, um die gesamte Höhle zu erleuchten. Ungefähr ein Dutzend Personen hielt sich in dem Gewölbe auf. Sie saßen in kleinen Sitzgruppen aus Sesseln und Sofas. Die Gespräche verstummten, als Ethan, Kimber und ich eintraten, und ich spürte die Blicke aller auf mir. Ich hatte noch nie besonders gern im Mittelpunkt gestanden, und im Augenblick gefiel es mir noch weniger – immerhin war ich total zerzaust, zerknittert und stand ausgerechnet neben einem so coolen Typ wie Ethan. Ich redete mir ein, nicht eingeschüchtert zu sein, und erwiderte die Blicke.

Ungefähr die Hälfte der Anwesenden waren Feen, die andere Hälfte sah menschlich aus. Ein paar der Leute hielten diese billigen durchsichtigen Plastikbecher in der Hand, die ich mit Bierpartys in Verbindung brachte. (Nicht, dass ich je auf so einer Veranstaltung gewesen wäre. Ich hing nicht mit den Leuten rum, die zu solchen Partys gingen. Eigentlich hing ich mit überhaupt niemandem rum, aber das gehört nicht hierher.)

Erst jetzt bemerkte ich das große Bierfass aus Metall, das in einer Ecke der Höhle stand. Ethan hatte gesagt, dass die Apartments, die wir vorher gesehen hatten, Studentenwohnungen seien. Als ich nun meinen Blick über die neugierigen Gesichter schweifen ließ, schätzte ich, dass hier nur ungefähr eine oder zwei Personen im Raum waren, die legal Alkohol trinken durften. Zumindest in den Staaten. Ich hatte keine Ahnung, wo die entsprechende Altersgrenze in Avalon lag.

Ich warf Ethan einen Blick zu, der, wie ich hoffte, entschieden wirkte. »Ihr habt die ganzen Anstrengungen unternommen, um mich auf eine Bierparty zu schleppen?«

Er verzog die Lippen wieder zu einem Grinsen. »Nicht ganz. Willkommen im Studentischen Untergrund – dem buchstäblichsten der Welt.« Die Leute neben uns lachten über sein blödes Wortspiel. »Ich werde dir später alle vorstellen, allerdings schulde ich dir zuerst einmal ein paar Erklärungen.«

Schon bald schien unser großer Auftritt nicht mehr so interessant zu sein, und die Studenten unterhielten sich wieder untereinander – oder betranken sich sinnlos. Kimber ging an mir vorbei und gesellte sich zu zwei Typen, die offensichtlich zu den Feen gehörten, auf eine Couch. Sobald sie sich zwischen sie gesetzt hatte, war sie vollkommen verändert: Ihre kühle Miene wich einem freundlichen Lächeln, sie gab ihre starre Haltung auf und wirkte beinahe menschlich. Einer der Jungs legte seinen Arm um ihre Schultern, und sie schien nichts dagegen zu haben.

»Sie ist eigentlich gar nicht so übel«, flüsterte Ethan zu mir gebeugt. »Ich hole einfach das Schlimmste aus ihr heraus.«

Ich nahm an, dass ein diplomatisches Schweigen im Moment das Beste war. Ethans Augen funkelten, als wüsste er, dass er es nicht annähernd geschafft hatte, mich zu überzeugen. In der Höhle war es relativ hell, und so fiel mir nun zum ersten Mal auf, dass die Farbe seiner Augen ein eindrucksvolles Blau war, beinahe ein Blaugrün. Es waren nicht die Augen eines Menschen, auch wenn er sich vollkommen anders verhielt als eine typische Fee. (Im Gegensatz zu Kimber …)

Die anderen Menschen in der Höhle hatten sich den kühlen Temperaturen entsprechend angezogen, doch ich zitterte in meinem kurzärmeligen T-Shirt. Den Feen dagegen schien die Kälte nichts auszumachen. Ethan brachte mich zu einem freien Zweisitzersofa, über dessen Rückenlehne eine Strickdecke hing. Ethan reichte sie mir, und ich schlang sie dankbar um die Schultern. Dann gab er mir ein Zeichen, neben ihm Platz zu nehmen. Zwar würde ich ihm näher sein, als mir lieb war, aber ich setzte mich trotzdem und kuschelte mich in die warme Decke.

Ethan stützte sich mit dem Ellbogen auf der Rückenlehne des Sofas ab und wandte sich mir zu. Ausnahmsweise grinste er nicht und hatte auch nicht diesen Ausdruck im Gesicht, als würde er das alles wahnsinnig lustig finden.

»Was weißt du über die politischen Verhältnisse in Avalon?«, fragte er.

Unwillkürlich zuckte ich zusammen. »Hm … fast gar nichts.« Ich hasste es, meine Unwissenheit vor ihm zugeben zu müssen. Immerhin hatte ich mit dem Gedanken gespielt, hier zu leben. Wahrscheinlich hätte ich mich doch nicht nur über die besten Restaurants und Shoppingmöglichkeiten informieren sollen.

Ethans Grinsen war zurück. »Du brauchst deswegen kein schlechtes Gewissen zu haben. Sehr wenige Leute, die nicht in Avalon wohnen oder zumindest sehr viel Zeit hier verbringen, wissen viel darüber. Und was sie zu wissen glauben, ist meistens falsch. Du weißt aber, dass die Menschen und die Feen in der Vergangenheit ziemlich verbittert um Avalon gekämpft haben.«

Ich nickte. Avalon war das heißbegehrteste und am heftigsten umkämpfte Stück Land der Welt. Es schlug selbst Jerusalem. Doch seit über hundert Jahren herrschte Frieden in Avalon – seit die Stadt ihre Unabhängigkeit von Großbritannien und von Faerie erklärt hatte. Die Stadt war nun ein eigener souveräner Staat, auch wenn sie mitten in England lag. Es war so ähnlich wie bei Vatikanstadt.

»Avalon wird von der sogenannten Ratsversammlung regiert«, fuhr Ethan fort. »Diese hat zwölf Mitglieder: sechs Menschen und sechs Feen. Die Menschen werden demokratisch gewählt, die Feen nicht ganz so.« Bevor ich nachfragen konnte, sprach er schon weiter. »Es gibt ein dreizehntes Mitglied der Ratsversammlung, das die Macht hat, ein Unentschieden abzuwenden, wenn die Versammlung über irgendetwas abstimmt. Dieses Mitglied ist der Konsul, und er oder sie wird von der Versammlung berufen. Alle zehn Jahre wechselt die Konsulswürde zwischen Feen und Menschen, so dass keine der Gruppen zu lange die Mehrheit hat. Der aktuelle menschliche Konsul muss in gut einem Jahr von einer Fee abgelöst werden.« Seine Miene wurde bitter. »Du hast dir wahrscheinlich den schlechtesten Zeitpunkt ausgesucht, um deinem Vater einen Besuch abzustatten. Denn gerade jetzt kommen die Kandidaten hervorgekrochen.«

»Okay, so faszinierend diese Lektion in Gemeinschaftskunde und Politik auch ist – was mich wirklich interessiert, ist die Frage, was ich mit der ganzen Sache zu tun habe«, entgegnete ich.

»Vielleicht nichts«, erwiderte er, und ich fürchte, mir sackte wieder die Kinnlade runter, so dass ich wie ein Vollidiot aussah. »Wir müssen bis Sonnenaufgang warten, um es herauszufinden. Ich kann dir das im Augenblick nicht näher erklären. Es gibt einen … äh … Test, den du machen musst, wenn es wieder hell ist. Das wird uns dann zeigen, ob du tatsächlich eine Rolle spielst oder nur in den ehrgeizigen Träumen deiner Familie.«

Ich stotterte und wollte eine möglichst intelligente Frage stellen, während sich in meinem Kopf die Gedanken überschlugen.

»Ich weiß, dass das alles ziemlich ungenau ist«, gab Ethan zu. »Aber ich will dich jetzt nicht beeinflussen und damit den morgigen Test verfälschen.«

»Was ist das für ein Test?«, brachte ich schließlich heraus. Meine Stimme klang erstickt.

Beruhigend berührte er meinen Arm. »Nichts, wovor du Angst haben müsstest. Das verspreche ich dir.«

Das sollte doch wohl ich entscheiden! »Und nachdem ich diesen Test gemacht habe, kann ich gehen, wohin ich will?«

Er runzelte die Stirn und wirkte fast so, als würde er schmollen. »Du kannst jetzt schon gehen, wohin du willst, wenn das dein Wunsch ist. Hast du denn einen sicheren Unterschlupf?«

Seine Frage klang, als wüsste er schon, dass die Antwort nein lautete.

»Weißt du, ob mein Vater tatsächlich im Gefängnis ist?«, fragte ich statt einer Antwort.

Ethan nickte. »Wenn jemand seines Standes verhaftet wird, sind das schon große Neuigkeiten. Soweit ich gehört habe, ist es nicht mehr als eine Formalität – auch wenn seine Feinde ihr Bestes tun, um alles zu verlangsamen.«

Ich schluckte schwer. Falls mein Dad nicht so schnell wie möglich aus dem Gefängnis kam, war ich ernsthaft in Schwierigkeiten. Noch mehr als ohnehin schon.

Ethan streckte den Arm aus und ergriff meine Hand. Mit dem Daumen streichelte er über meinen Handrücken. Die Berührung versetzte mir einen kleinen elektrischen Schlag. »Keine Angst«, sagte er. »Bei Kimber und mir bist du in Sicherheit.«

Zweifelnd hob ich eine Augenbraue, obwohl mein Herz bei dem Gefühl seiner Hand auf meiner schneller schlug. Vielleicht war diese Berührung keine große Sache – für mich allerdings schon. Jungs zu daten gehörte für die meisten Mädchen meines Alters einfach dazu, aber zwischen der Schule und dem Haushalt, den meine Mutter meist nicht führen konnte, weil sie zu alkoholisiert war, blieb mir nicht gerade viel Freizeit. Das einzige Date, zu dem ich mich hatte überreden lassen, hatte in einer Katastrophe geendet, als meine Mom betrunken die Treppe heruntergestürzt war. Ich hatte mit ihr in die Notaufnahme fahren müssen, als ich mich eigentlich mit meinem Date hätte treffen sollen, und danach hatte ich mich nicht getraut, eine neue Verabredung auszumachen.

»Du siehst müde aus«, sagte Ethan freundlich. »Möchtest du dich hinlegen und ein bisschen ausruhen? Kimber und ich sind sozusagen Mitvorsitzende des Untergrunds, also bleiben wir, bis die Party vorbei ist. Ich könnte dir aber auch ein Bier holen, und du kannst dich zu uns setzen, wenn dir das lieber ist.«

Die »Party« schien darin zu bestehen, dass die Leute herumsaßen, Bier tranken und miteinander redeten. Nicht gerade unfassbar gute Unterhaltung, die ich nicht verpassen wollte, wenn mein Körper noch immer nach Schlaf verlangte. »Ich glaube, ich werde meine Augen mal kurz schließen«, sagte ich und unterdrückte ein Gähnen.

Ethan ließ meine Hand los und rutschte von der Couch auf den Boden, um mir Platz zu machen. Als ich mich hinlegte, fiel mir auf, dass die Stelle, an der er gesessen hatte, wundervoll warm war. Ich kuschelte mich in die Wärme und war mir schmerzlich bewusst, dass Ethan nahe genug saß, um ihn zu berühren. Sein Haar war so glänzend, dass es im Licht der Fackeln zu glühen schien. Fasziniert und gefesselt betrachtete ich das Spiel von Licht und Schatten, bis der Schlaf sich schließlich anpirschte und mich übermannte.