26. Kapitel
Zwar bin ich nicht die beste Schwimmerin der Welt, doch beim Hundekraulen kann ich mit den Besten mithalten. Als ich mich vom ersten verblüfften, atemlosen Moment erholt hatte, fing ich an, mit den Füßen zu treten und mit den Armen zu rudern, um wieder zurück an die Oberfläche zu gelangen. Ich hatte Angst, aber ich war nicht in Panik. Noch nicht. Immerhin war es nur Wasser.
Doch trotz meiner Bemühungen schien ich die Oberfläche nicht zu finden. Mein schwerer Wollpullover wog eine Tonne, und mit den Füßen in den bequemen Laufschuhen konnte ich nicht viel Wasser bewegen. Mit brennender Lunge schlüpfte ich aus meinen Schuhen und konnte so zumindest viel wirkungsvoller mit den Füßen paddeln.
Noch ein paar Kicks, und ich hätte es wahrscheinlich bis an die Wasseroberfläche geschafft, und alles wäre gut gewesen. Aber dann verfing ich mich in etwas. In etwas Weichem, Nachgiebigem, wie Fleisch. Etwas, das sich um meinen Fuß schlang und mich festhielt.
Es gelang mir, mich aus dem Griff zu befreien, doch das Entsetzen, unter Wasser von irgendetwas gepackt worden zu sein, war zusammen mit der immer knapper werdenden Luft zu viel für mich, und ich versuchte instinktiv, nach Atem zu ringen. Dabei kam Wasser in meine Lunge. Und da geriet ich in Panik.
Ich musste das Wasser aus der Lunge husten, doch ohne Luft ist das nicht möglich. Also hielt ich eine Hand über meinen Mund und drückte meine Nase zu, um zu verhindern, aus einem Reflex heraus wieder einzuatmen. Doch der Drang zu husten war überwältigend. Ich konnte mich nicht mehr dagegen wehren, auch wenn ich mir bewusst war, dass ich sterben würde, wenn ich diesem Instinkt nachgab.
Der Reflex wurde übermächtig, und ich nahm die Hand von Nase und Mund, um einzuatmen …
Dunkel merkte ich, dass Hände nach meinen Armen griffen, aber ich war viel zu panisch, um Erleichterung zu verspüren oder zu versuchen, mit meinem Möchtegern-Retter zusammenzuarbeiten. Ich war sowieso fast davon überzeugt, dass es eine Nahtod-Halluzination war.
Doch die Hände hielten mich fest, und einen Augenblick später brach ich durch die Wasseroberfläche in die schöne, wundervolle, lebenserhaltende Luft. Leider hatte ich so viel Wasser in meiner Lunge, dass ich, obwohl die Luft so verlockend nahe war, nicht atmen konnte.
Die Hände, die mich gehalten hatten, bewegten sich, bis schließlich zwei Arme um meine Taille geschlungen waren. Dann wurde ein Arm brutal hart nach oben gedrückt. Es tat weh, aber dadurch schoss auch ein Schwall Wasser aus meinem Mund und meiner Nase. Igitt, ekelhaft!
Es gelang mir, ein bisschen Luft zu holen, doch im nächsten Moment bekam ich einen Hustenanfall. Mehr Wasser kam aus meiner Lunge und brannte auf seinem Weg nach oben in meinem Hals. Ich sog noch etwas Luft ein, so dass ich beinahe hätte schreien können, als sich wieder etwas um meinen Knöchel schlang.
»Verdammt!«, brüllte mein Retter, und ich erkannte, dass es Ethan war.
Ich fühlte, wie er nach dem Ding trat, das mich gepackt hatte – was auch immer es war –, und der Griff um mein Bein lockerte sich.
»Wir müssen aus dem Wasser raus, Dana!«, rief Ethan mir zu.
Da konnte ich ihm nur zustimmen.
Ich hustete und würgte noch immer zu sehr, um allein schwimmen zu können, also schleppte Ethan mich ab. Ich blinzelte Wasser und Tränen aus meinen Augen und sah, dass Ethan mich unter die Brücke brachte.
Was auch immer sich in dem Graben befand, schnappte wieder nach meinem Bein, und ich spürte einen Impuls, bei dem sich mir die Nackenhärchen aufstellten, als Ethan ihm einen Zauber entgegenschleuderte.
»Paddel mit mir mit den Beinen!«, befahl er, und ich tat mein Bestes, auch wenn ich immer noch mühsam nach Atem rang.
Wir kamen nur quälend langsam voran, und es war beängstigend, in dem Graben zu schwimmen. Ich spürte, dass das Monster in den Tiefen des schlammigen Wassers unter uns lauerte. Es wartete darauf, dass wir Schwäche zeigten. Oder vielleicht wartete es auch nur darauf, dass Ethans magischer Angriff nachließ.
Ich konnte wieder so klar denken, dass ich kapierte, dass wir zum Fuß der Brücke schwammen, aber was ich dort erblickte, machte mir nicht gerade Mut. Ein schmaler Vorsprung aus Beton ragte aus dem Wasser, doch ich würde mich schon sehr strecken müssen, um ihn überhaupt zu erreichen. Und selbst wenn mir das gelingen sollte, würde ich wahrscheinlich nicht mehr die Kraft haben, um mich aus dem Wasser zu ziehen.
»Wir sind fast da«, sagte Ethan, aber obwohl er versuchte, mich zu trösten, klang er selbst verängstigt – und das war überhaupt nicht beruhigend.
Noch ein paar letzte Kicks mit den Beinen, und wir stießen gegen den Beton.
»Ich werde dich schieben«, keuchte Ethan, der durch die Anstrengung, uns beide über Wasser zu halten und dabei obendrein noch unsichtbare Monster zu bekämpfen, vollkommen außer Atem war. »Halt dich an dem Vorsprung fest.«
Ich glaubte immer noch, dass es nichts bringen würde, wenn ich den Betonvorsprung ergriff, doch ich würde in dieser Lage nicht anfangen zu diskutieren. Ethan schwamm um mich herum und packte mich. In jeder anderen Situation hätte ich wahrscheinlich laut protestiert, als ich spürte, wo er mich mit seinen Händen berührte. Aber irgendwie bezweifelte ich, dass er mich in diesem Moment begrapschen wollte.
Ethan schob mich aus dem Wasser, und ich streckte die Arme über den Kopf. Tatsächlich erreichte ich den Vorsprung, doch vom Hintern abwärts hing ich noch immer im Wasser. Das bedeutete zwar, dass ich nicht mein gesamtes Gewicht tragen musste, als ich dort hing, aber es reichte nicht, um mir die Kraft zu geben, mich allein hochzuziehen. Wenn ich das hier überlebte, würde ich erst mal einige Zeit im Fitnessstudio verbringen, um mir ein paar Muskeln anzutrainieren.
Neben mir schoss Ethan aus dem Wasser und packte ohne Hilfe den Vorsprung. Es sei denn, das Monster war ihm behilflich gewesen, was allerdings eher unwahrscheinlich war.
»Halt dich fest«, befahl er, zog sich scheinbar mühelos hoch und kletterte auf die Betonplatte.
Er hatte gerade meine Handgelenke ergriffen, als das Monster mich wieder erwischte.
»Ethan!«, schrie ich und trat wie wild mit den Füßen um mich.
»Ich habe dich!«, beruhigte er mich und fing an zu ziehen.
Die letzten Male hatte das Monster mit ein bisschen Ermunterung losgelassen, doch vermutlich hatte es jetzt bemerkt, dass seine Beute zu verschwinden drohte, und hatte sich entschieden, Widerstand zu leisten. Was auch immer der Grund war, es ließ jedenfalls nicht los, als Ethan zu ziehen begann.
Ich musste einfach ins Wasser hinunterblicken, weil ich die Kreatur sehen wollte, die so krampfhaft versuchte, mich zurückzuzerren. Aber das Wasser war so trüb und der Bereich unter der Brücke so dunkel, dass ich nichts erkennen konnte.
Irgendetwas schlang sich um mein anderes Bein, und ich schrie wieder auf. Ethan fluchte, hielt meine Handgelenke jedoch fest, als die beiden nun Tauziehen mit mir spielten.
Mit einem Mal tauchte neben meinen Beinen ein grässliches Gesicht aus dem Wasser auf. Es war weiß wie ein toter Fisch. Haare wie klebrige graue Spinnweben bewegten sich um seinen farblosen Kopf, mal hierhin, mal dahin, ohne dass die Strömung oder der Wind auf sie eingewirkt hätten – zumindest soweit ich es beurteilen konnte. Mein Magen krampfte sich zusammen, als ich erkannte, dass es diese Haare waren, die sich um meine Beine geschlungen hatten.
Die Augen der Kreatur waren genauso weiß wie die Haut, und so wurde der Eindruck erweckt, als wäre das Wesen blind. Aber ich bezweifelte, dass es nichts sehen konnte, denn es wirkte so, als würde es unheilvoll zu Ethan hinaufblicken.
»Meins!«, stieß die Kreatur mit einer entsetzlich gurgelnden Stimme hervor. Als das Ding sprach, konnte ich zwei Reihen von nadelspitzen Zähnen in seinem Mund erkennen.
»Ethan«, wimmerte ich. Ich wäre lieber ertrunken, als zuzulassen, dass diese Kreatur mich in ihre Klauen bekam.
»Nein, sie gehört mir«, erwiderte Ethan mit einem wütenden, kehligen Knurren, das kaum menschlich klang. Wobei Ethan natürlich auch kein Mensch war.
Die Kreatur zischte, und das seltsam gierige Haar schlang mehr und mehr Strähnen um mich.
Ethans Augen glühten praktisch in der Dunkelheit. Sein Griff um meine Handgelenke hatte sich nicht gelockert. Allmählich begann ich mich zu fühlen, als würde ich auf der Streckbank liegen. Meine Schultern schmerzten unerträglich, und ich fürchtete, dass meine Muskeln jeden Augenblick reißen konnten.
Ethan sagte etwas in einer mir unbekannten Sprache. Ich nahm an, dass es entweder Gälisch war oder aber eine eigenartige Feensprache. Zusammen mit seinen Worten durchfuhr mich ein sanfter Impuls, der sich durch meinen ganzen Körper hindurch in Richtung der Kreatur ausbreitete.
Wieder fauchte das Wesen Ethan an und bleckte die Zähne.
»Du willst weder mich noch meinen Hof zum Feind haben«, presste Ethan zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, und der Ausdruck auf seinem Gesicht hätte jeden – und alles – mit mehr als zwei Gehirnzellen in Panik versetzt.
Mit einem letzten Zischen ließ die Kreatur mich los und versank wieder im Wasser. Und in dem Moment, als ich frei war, zog Ethan mich zu sich auf den Vorsprung.