57

 

»Ich habe es geschafft«, erklärte sie und holte tief Luft. Sie wiederholte ihre Worte, als könne sie es selbst nicht glauben, als müsse sie sich noch davon überzeugen, dass es wahr war. »Ich habe es tatsächlich geschafft.«

»Hast du«, stimmte Bruni zu und versuchte, der Freundin über den Arm zu streichen. »Au.« Sofort zog sie ihre Hand wieder zurück. »Die Nadeln pieksen aber ziemlich!«

»Du solltest dich besser nicht bewegen«, erwiderte Ulrike und blickte stoisch an die Decke.

Sie und Bruni lagen nebeneinander auf zwei Liegen, und jede von ihnen hatte mindestens zwölf Akupunkturnadeln im Körper stecken, verteilt auf Hände, Arme, Brust, Kopf, Rücken, Beine und Füße. Bruni hatte in der Praxis angerufen, die sich in Köln in der Trierer Straße nahe dem Barbarossaplatz befand, da Mei Ling schon jahrelang zu dieser Ärztin ging und regelrecht von ihr schwärmte. Sie war eine Deutsche, die nicht nur in chinesischer Medizin, schwerpunktmäßig Kräutermedizin und Akupunktur versiert war, sondern auch über eine westliche, schulmedizinische Ausbildung verfügte. Eine gute Kombination, wie Bruni fand, und so hatte sie sich kurzerhand einen Termin geben lassen, weil ihre Hitzewallungen zunehmend lästig wurden und Silberkerze allein keine Abhilfe schaffte. Sie hatte davon gelesen, dass sich Wechseljahresbeschwerden mit Akupunktur und chinesischen Kräutern gut behandeln ließen, und Zhang Liu, die das alles seit Jahrzehnten bereits hinter sich hatte, hatte sie darin bestärkt. Nach Auffassung der chinesischen Medizin schwinden unsere vitalen Körperflüssigkeiten, wenn wir älter werden, was zu einem Überschuss von Yang, gleichzusetzen mit Vitalenergie und Hitze, führt. Bruni hatte nicht nur für sich, sondern auch gleich für Ulrike einen Termin vereinbart, denn sie hatte sie davon überzeugen können, ihren Ängsten nicht nur im Rahmen einer Psychotherapie zu Leibe zu rücken. Chinesische Medizin war für vieles gut, und da Bruni auch jeder Hormonersatztherapie gegenüber skeptisch eingestellt war, hoffte sie, dass Ulrike sich dank diverser Kräuter und Nadeln demnächst vielleicht sogar von den Gestagenen verabschieden würde, die sie gegen erste Wechseljahresbeschwerden schluckte. Sie nahm sich vor, Bea beim nächsten Mal auch mit hierher zu nehmen.

Im Hintergrund dudelte leise Panflötenmusik, die ungeheuer entspannend wirkte, und Ulrike fühlte, wie sie von Minute zu Minute schläfriger wurde. »Danke, dass du mich begleitet hast«, sagte sie. »Mir wären bestimmt all die Fragen nicht eingefallen, wenn ich allein zu dem Anwalt gegangen wäre.«

»Vier Augen sehen mehr als zwei, und zwei Hirne denken besser als eines«, erwiderte Bruni sanft. Unter der Wolldecke war es wohlig warm, aber inzwischen achtete sie darauf, stillzuliegen.

»Die wichtigste Information war, dass ich ein Anrecht auf die Hälfte unseres Vermögens habe«, gähnte Ulrike und fügte hinzu: »Ich hatte schon befürchtet, dass ich mittellos werden könnte.«

»Nicht in diesem Land, und eine Gütertrennung habt ihr ja nicht vereinbart. Weißt du überhaupt, von wie viel Geld du redest?«

»Nein, ich muss das mit Claus klären, selbst habe ich nicht den Überblick.«

»Dachte ich mir schon«, seufzte Bruni und fragte nach: »Traust du ihm?« Eine unbedachte Bewegung führte dazu, dass ihr wieder ein »Au!« herausrutschte.

Ulrike schwieg einen Augenblick, bevor sie antwortete. »Ja, ich denke, er wird sich fair verhalten.«

»Wann willst du es ihm sagen?«

»Sehr bald.«

»Wann?«

»Dränge mich nicht. Du wirst schon sehen.«

Mit 50 hat man noch Träume
titlepage.xhtml
Mit_50_hat_man_1.htm
Mit_50_hat_man_2.htm
Mit_50_hat_man_3.htm
Mit_50_hat_man_4.htm
Mit_50_hat_man_5.htm
Mit_50_hat_man_6.htm
Mit_50_hat_man_7.htm
Mit_50_hat_man_8.htm
Mit_50_hat_man_9.htm
Mit_50_hat_man_10.htm
Mit_50_hat_man_11.htm
Mit_50_hat_man_12.htm
Mit_50_hat_man_13.htm
Mit_50_hat_man_14.htm
Mit_50_hat_man_15.htm
Mit_50_hat_man_16.htm
Mit_50_hat_man_17.htm
Mit_50_hat_man_18.htm
Mit_50_hat_man_19.htm
Mit_50_hat_man_20.htm
Mit_50_hat_man_21.htm
Mit_50_hat_man_22.htm
Mit_50_hat_man_23.htm
Mit_50_hat_man_24.htm
Mit_50_hat_man_25.htm
Mit_50_hat_man_26.htm
Mit_50_hat_man_27.htm
Mit_50_hat_man_28.htm
Mit_50_hat_man_29.htm
Mit_50_hat_man_30.htm
Mit_50_hat_man_31.htm
Mit_50_hat_man_32.htm
Mit_50_hat_man_33.htm
Mit_50_hat_man_34.htm
Mit_50_hat_man_35.htm
Mit_50_hat_man_36.htm
Mit_50_hat_man_37.htm
Mit_50_hat_man_38.htm
Mit_50_hat_man_39.htm
Mit_50_hat_man_40.htm
Mit_50_hat_man_41.htm
Mit_50_hat_man_42.htm
Mit_50_hat_man_43.htm
Mit_50_hat_man_44.htm
Mit_50_hat_man_45.htm
Mit_50_hat_man_46.htm
Mit_50_hat_man_47.htm
Mit_50_hat_man_48.htm
Mit_50_hat_man_49.htm
Mit_50_hat_man_50.htm
Mit_50_hat_man_51.htm
Mit_50_hat_man_52.htm
Mit_50_hat_man_53.htm
Mit_50_hat_man_54.htm
Mit_50_hat_man_55.htm
Mit_50_hat_man_56.htm
Mit_50_hat_man_57.htm
Mit_50_hat_man_58.htm
Mit_50_hat_man_59.htm
Mit_50_hat_man_60.htm
Mit_50_hat_man_61.htm
Mit_50_hat_man_62.htm
Mit_50_hat_man_63.htm
Mit_50_hat_man_64.htm
Mit_50_hat_man_65.htm
Mit_50_hat_man_66.htm
Mit_50_hat_man_67.htm
Mit_50_hat_man_68.htm
Mit_50_hat_man_69.htm
Mit_50_hat_man_70.htm
Mit_50_hat_man_71.htm
Mit_50_hat_man_72.htm
Mit_50_hat_man_73.htm
Mit_50_hat_man_74.htm