51

 

Ben hatte sich so heftig mit seinem Vater wegen seines Engagements im Verein Gegen Rechts gestritten, dass ihm vor Wut die Tränen gekommen waren, nun sehnte er sich nach einem Platz, wo er in Ruhe nachdenken konnte. Türe knallend hatte er sein Elternhaus verlassen, und während er gedankenversunken durch den Ort Richtung abgebranntem Tempel ging, war er froh über die Dunkelheit, die Altenahr einhüllte wie ein dicht gewebtes Tuch. Der Mond hing als beinahe runde Scheibe groß und blass am Himmel, doch seltsamerweise waren heute nur vereinzelt Sterne zu sehen. Kein Mensch war auf der Straße, und die Wahrscheinlichkeit, dass er noch jemandem begegnen würde, war verschwindend gering. Um diese Zeit, es war bereits 23 Uhr, lagen die Leute längst in den Betten.

Ben gestand sich ein, dass er jetzt gern mit Caro gesprochen hätte. Sie war der einzige Mensch, von dem er sich vorstellen konnte, dass er seine Gefühle verstand. Sie war die Einzige, der er seine Gedanken anvertrauen könnte. Sie kamen ihm vor wie ein furchtbarer Verrat, unter dem er bereits litt, ohne dass er auch nur ausgesprochen worden wäre.

Als er am ›Ahrstübchen‹ vorbeikam, musterte er die Fenster, aber es brannte kein Licht, und auch bei den Wangs war alles dunkel. Enttäuscht ging er weiter.

In den Taschen seines Blousons suchte er nach einem Tempo, aber er fand nur die Minitaschenlampe, die er immer bei sich trug, und so wischte er sich rasch mit der Hand über das nasse Gesicht. Gleich würde er sich ein paar Räucherstäbchen anzünden, er wusste auch nicht genau warum, aber der Duft würde ihn entspannen. Er hatte sich die Stäbchen bereits vor Tagen besorgt, als der Tempel noch stand. Außerdem war der Platz von einer Aura umgeben, die ihn friedlich stimmte und beruhigend auf ihn wirkte.

Leise betrat er den zur Straße hin offenen Hof der Wangs, und schon erkannte er die Buddhastatue, die vor ihm auftauchte. Er knipste die Taschenlampe an, um besser sehen zu können, schaltete sie aber sofort wieder aus. Wie angewurzelt blieb er stehen, denn er hörte Stimmen. Sie kamen ihm bekannt vor, aber so sehr er sich auch bemühte, exakt einordnen konnte er sie nicht. Plötzlich vernahm er ein Geräusch, und zu seinem Entsetzen kippte ihm die schwere Buddhastatue entgegen. Er konnte sie gerade noch auffangen.

»Sagt mal, habt ihr sie noch alle?«, schrie er die zwei Gestalten an, deren Umrisse hinter der Statue sichtbar wurden. Er spürte, wie sein Blut mit hohem Druck durch die Adern an seiner Schläfe raste. »Was soll das?« Mit Mühe hielt er die Figur in Händen, darauf bedacht, nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Dann stellte er sie vorsichtig auf dem Boden ab und rannte den Jungen hinterher, die schon fast aus dem Hof herauswaren. Es war zwecklos, ihr Vorsprung war zu groß und sie waren schneller als er. Ben erkannte, dass er keine Chance hatte, sie einzuholen. Keuchend blieb er stehen, zwang sich, tief durchzuatmen. Er hatte die beiden erkannt.

Langsam ließ er sich am Rand des Fischteichs nieder, und eine sanfte Welle der Erleichterung durchflutete ihn. Jede Befürchtung war zerstreut, es waren andere gewesen. Sein Vater hatte mit dem Anschlag nichts zu tun.

Mit 50 hat man noch Träume
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