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»Das ist nicht dein Ernst!« Bea und Caro ließen die Spargelmesser sinken und sahen Ulrike entgeistert an.
»Wiederhol das bitte noch einmal.«
Ulrike griff nach einer weiteren Stange und konzentrierte sich darauf, sie fein und gleichmäßig zu schälen. Die Morgensonne im Gesicht, saßen sie zu dritt auf der Terrasse vor der Küche, auf dem Tisch jede Menge Spargel, den sie heute früh schon in Rheinbach besorgt hatte. Sie hatte lange gezögert, es den Freundinnen zu erzählen, doch nachdem sie heute früh mit ihren Söhnen Peter und Bastian telefoniert hatte, und die beiden für den Nachmittag ihren Besuch angekündigt hatten, musste sie jetzt mit der Sprache herausrücken, so schwer es ihr fiel. Ulrike seufzte. Sie durfte den Freundinnen die Wahrheit nicht länger verheimlichen. Ein Frösteln überkam sie und sie dachte wehmütig an ihre Strickjacke, die wohl noch in Köln über dem Stuhl in ihrem Schlafzimmer hing. Hatte sie sich völlig falsch verhalten?
»Kannst du uns bitte erklären, wie du auf diese Wahnsinnsidee gekommen bist?« Beas Augen blitzten sie an.
Ulrike sog tief die frische Luft in ihre Lungen und hob den Blick. Die Gänsehaut kroch ihre Beine entlang hinauf bis in die Haarspitzen, wo sie die Kopfhaut zusammenzog, was ein seltsames Kribbeln auslöste. »Es war eine relativ spontane Entscheidung«, erklärte sie und sah erst Bea, dann Caro in die Augen. »Wahrscheinlich wollte ich vor allem die Auseinandersetzung mit ihm vermeiden.« Sie lehnte sich auf dem Terrassenstuhl zurück und dachte einen Moment nach. »Und ich wollte ihm eins auswischen.«
Caro und Bea ließen nun ebenfalls ihre Messer sinken.
»Claus glaubt also tatsächlich, du seist immer noch auf Barbados?«, fragte Caro entsetzt.
Ulrike nickte. »Ja.«
»Er hat keine Ahnung, dass du nur knapp 60 Kilometer von ihm entfernt eine neue Zukunft planst?«
Ulrike schüttelte den Kopf. »Ich denke nicht, nein.«
»Du hast einen Knall, weißt du das?«, sagte Caro und fügte versöhnlich hinzu: »Auf jeden Fall bist du immer wieder für eine Überraschung gut.«
Ulrike blinzelte mit den Augen. »Peter und Bastian sind eingeweiht. Sie finden es gut, dass ihr Vater, nach allem, was er mir angetan hat, nun allein zu Hause sitzt und sich den Kopf darüber zermartert, was ich auf Barbados treiben könnte. Er scheint tatsächlich eifersüchtig zu sein.« Eine leichte Genugtuung schlich sich in ihre Züge.
»Reicht dir das?«, fragte Bea.
»Nein, aber es tut trotzdem gut. «
»Hm.«
»Peter und Bastian bringen übrigens den Hund mit, und sie lassen ihn hier«, sagte Ulrike mit unsicherem Blick.
»Mr. Fred?« Bea stöhnte auf. Also hatten sie demnächst zwei Hunde, die zur Familie gehörten.
»Seit ich weg bin, frisst er kaum noch, und letzte Woche war er stundenlang verschwunden, vermutlich, um mich zu suchen. Glücklicherweise haben sie ihn im Forstbotanischen Garten wieder aufgegriffen. Ihr mögt ihn doch, oder?«, fragte Ulrike ängstlich und fügte hinzu: »Wenn es darauf ankommt, beschützt er uns auch.«
»Super«, sagte Caro und begann auf einmal zu lachen. »Der darf uns dann die Männer und die Kundschaft vom Hals halten …«
»Sei nicht blöd, denk an Sappho, die wird sich freuen«, erwiderte Bea trocken und fragte: »Und wie wollen deine Söhne Mr. Freds Verschwinden zu Hause erklären? Erst bist du weg, dann der Hund?«
Ulrike zuckte mit den Schultern. »Er ist halt wieder ausgebüxt.«
»Verstehe.« Bea spürte, wie sehr Ulrikes Verhalten ihr gegen den Strich ging.
»Wie lange willst du Claus noch vorspielen, dass du in der Karibik bist?«, fragte sie und sagte: »Über kurz oder lang wird er sowieso merken, dass es nicht stimmt.«
Ulrike griff nach einer noch ungeschälten Spargelstange und setzte das Messer an. »Meine Freundin auf Barbados steckt jede Woche eine Postkarte an ihn in den Kasten. Ich habe 20 Stück vorgeschrieben. Reicht also für 20 Wochen.«
»Oder insgesamt fünf Monate.« Bea schüttelte den Kopf und sah Ulrike an. »Eine Postkarten-Ehe. Sehr praktisch. Und geschieden wird dann per SMS? Im Ernst, ich verstehe nicht, was du damit bezweckst. Außerdem finde ich es grenzwertig, dass du hier bei uns eingestiegen bist, aber nicht mit offenen Karten gespielt hast. Meinst du es mit dem ›Ahrstübchen‹ überhaupt ernst?«
Ulrike schnitt das untere Ende der Spargelstange ab und legte die Stange in die Schale zu den anderen, bevor sie nach einer neuen griff. »Natürlich.« Sie schwieg einen Moment und fügte leiser hinzu: »Oder auch nicht, ich weiß es nicht. Es tut mir leid. Ich bin völlig durcheinander.« Sie legte den Spargel beiseite und stützte ihren Kopf in beide Hände.
»Der Laden ist noch nicht einmal eingeweiht, und die Köchin ist schon wieder auf dem Sprung. Super«, schimpfte Bea ärgerlich, obwohl sie sich bemühte, ihren Unmut ebenso wie ihre Besorgnis im Zaum zu halten, aber sie merkte, dass es sie gehörige Selbstbeherrschung kostete.
Ulrike schluckte. Ihr war klar, dass sie den Freundinnen viel zumutete. Sie warf den Kopf in den Nacken, um sich zu sammeln, und blickte in den Himmel, an dem erste Wolken aufzogen.
Irgendwo spielte Katie Melua im Radio und Caro begann, wie zur Beruhigung leise mitzusummen.
Bea spürte, dass sie es kaum aushalten konnte, atmete tief durch und zwang sich, weiter Spargel zu schälen, aber irgendwann brach es aus ihr hervor: »Die Situation ist wirklich verquer. Du bist nicht ehrlich, weder zu dir selbst noch zu anderen.«
»Ich konnte nicht anders«, erwiderte Ulrike leise.
Bea betrachtete ihr Gesicht und spürte einen Zorn in sich, der sie erschreckte. »Hoffst du, dass er eine Vermisstenanzeige aufgibt und sich nach dir verzehrt?«
Ulrike begann zu zittern. »Gut möglich.« Sie fragte sich, wonach sie sich wirklich sehnte. Nach Berührungen, die sie und nicht eine andere meinten? Alles zerfällt, dachte sie. Nichts bleibt. Mit leerem Blick sah sie die Freundinnen an. »Im Augenblick liegt die Lösung für mich darin, nichts zu sagen. Mich tot zu stellen. Zeit zu gewinnen.« Sie zögerte einen Augenblick, bevor sie weitersprach: »Und dann vielleicht etwas Neues zu beginnen.«