FÜNF

 

Jefri Olsndot besaß nur wenige klare Erinnerungen an den Hinterhalt und hatte nichts von der Gewalt gesehen. Draußen war Lärm gewesen und Muttis angsterfüllter Schrei, er solle drinnen bleiben. Es hatte eine Menge Qualm gegeben. Er wusste noch, wie er gehustet hatte und wie er versuchte, an die frische Luft zu kriechen. Dann hatte er das Bewusstsein verloren. Als er erwachte, war er auf eine Art Erste-Hilfe-Trage geschnallt, und ringsum waren die großen Hundewesen. Sie sahen so komisch aus mit ihren weißen Jacken und den Tressen. Er entsann sich, dass er sich gefragt hatte, wo ihre Besitzer waren. Sie machten sehr sonderbare Geräusche: Kollern, Summen, Zischen. Manches davon war so hoch, dass er es kaum hören konnte.

Eine Zeit lang war er in einem Boot, dann in einem Wagen. Vorher hatte er nur Bilder von Burgen gesehen, doch der Ort, an den sie ihn brachten, war echt, mit dunklen und überhängenden Türmen und großen, spitzwinklig verlaufenden Steinmauern. Sie fuhren schattige Straßen hinauf, die unter den Wagenrädern holperten. Die langhalsigen Hunde hatten ihm nicht wehgetan, aber die Bänder waren schrecklich eng. Er konnte sich nicht hinsetzen, er konnte nicht zur Seite schauen. Er fragte nach Mutti und Vati und Johanna, und er weinte ein bisschen. Eine lange Schnauze erschien neben seinem Gesicht und stupste ihn mit der weichen Nase in die Wange. Ein surrendes Geräusch erklang, das er durch Mark und Bein spürte. Er wusste nicht, ob die Geste Trost oder Drohung sein sollte, doch er schnappte nach Luft und versuchte, die Tränen zurückzuhalten. Sie gehörten sich ohnehin nicht für einen guten Straumer.

Jetzt sah er mehr Hunde in weißen Jacken, welche mit närrischen Schulterstücken von Gold und Silber.

Seine Trage wurde wieder gezogen, diesmal einen fackelerleuchteten Tunnel hinab. Sie machten an einer Doppeltür Halt, zwei Ellen breit, doch kaum eine hoch. Ein Paar Metalltriangel war in das helle Holz eingelassen. Später erfuhr Jefri, dass sie eine Zahl bedeuteten: fünfzehn oder dreiunddreißig, je nachdem, ob man nach Beinen oder nach Vorderkrallen zählte. Viel, viel später erfuhr er, dass sein Wärter nach Beinen gezählt hatte und der Erbauer der Burg nach Vorderkrallen. So geriet er in den falschen Raum. Es war ein Irrtum, der die Geschichte von Welten verändern sollte.

Irgendwie öffneten die Hunde die Türen und zogen Jefri hinein. Sie drängten sich um die Trage und lösten mit den Schnauzen die Haltebänder. Einen Moment lang sah er Reihen nadelscharfer Zähne. Das Kollern und Summen war sehr laut. Als sich Jefri aufsetzte, wichen sie zurück. Zwei von ihnen hielten die Türen fest, während die vier anderen hinausgingen. Die Türen fielen zu, und die Zirkusnummer war vorbei.

Jefri starrte eine Zeit lang die Türen an. Er wusste, dass es keine Zirkusnummer war, die Hundewesen mussten intelligent sein. Irgendwie hatten sie seine Eltern und seine Schwester überrascht. Wo sind sie? Beinahe hätte er wieder zu weinen begonnen. Er hatte sie nicht beim Raumschiff gesehen. Sie mussten auch gefangen genommen worden sein. Sie wurden alle in dieser Burg gefangen gehalten, aber in verschiedenen Verliesen. Irgendwie mussten sie einander finden!

Er stand auf und schwankte einen Augenblick lang benommen. Alles roch noch nach Rauch. Das machte nichts, es war an der Zeit, sich darum zu kümmern, dass er herauskam. Er ging den Raum ab. Er war groß und glich nicht den Verliesen, die er in Geschichten gesehen hatte. Die Decke war sehr hoch, ein Bogengewölbe. Es war von zwölf vertikalen Schlitzen durchbrochen. Sonnenlicht fiel in einem staubdurchsetzten Strom durch einen davon, reflektiert von der gepolsterten Wand. Es war die einzige Lichtquelle in dem Raum, doch mehr als genug an diesem sonnigen Tag. Balkons mit niedriger Brüstung ragten knapp unter dem Gewölbe in die vier Ecken des Raumes hinein. Er konnte die Türen in der Wand dahinter sehen. Schwere Stoffrollen hingen an den Seiten jedes Balkons. Es war Schrift darauf, wirklich große Buchstaben. Er ging zur Wand und nahm das steife Gewebe in die Hand. Die Buchstaben waren aufgemalt. Die einzige Art, die Darstellung zu verändern, war, sie auszuwischen. Toll. Ganz wie in den alten Zeiten auf der Nyjora, vor dem Straumli-Bereich! Die Fußleiste unter den Rollen war von schwarzem Stein und glänzte. Jemand hatte Kalkstückchen benutzt, um darauf zu zeichnen. Die Strichfiguren von Hunden waren grob, sie erinnerten Jefri an Bilder, wie sie kleine Kinder im Kindergarten malen.

Er blieb stehen und dachte an all die Kinder, die sie an Bord des Bootes und auf dem Boden ringsum zurückgelassen hatten. Es war erst ein paar Tage her, dass er mit ihnen in der Schule des Hochlabors gespielt hatte. Das letzte Jahr war so seltsam gewesen – langweilig und abenteuerlich zugleich. Die Unterkünfte hatten Spaß gemacht, mit all den Familien beisammen, doch die Erwachsenen hatten kaum jemals Zeit zum Spielen gehabt. Nachts war der Himmel so anders als auf Straum. »Wir sind jenseits des Jenseits«, hatte Mutti gesagt, »und erschaffen Gott.« Als sie es zum ersten Mal gesagt hatte, hatte sie gelacht. Wenn es später jemand sagte, wirkten die Leute immer ängstlicher. Die letzten Stunden waren verrückt gewesen, die Kälteschlaf-Übungen waren schließlich Wahrheit geworden. Alle seine Freunde waren in jenen Zellen… Er weinte in die schreckliche Stille hinein. Es war niemand da, der ihn hören, niemand, der ihm helfen konnte.

Nach ein paar Minuten überlegte er wieder. Wenn die Hunde nicht versuchten, die Zellen zu öffnen, würde mit seinen Freunden alles in Ordnung sein. Wenn Mutti und Vati den Hunden klarmachen könnten…

Sonderbare Möbel waren im Raum verstreut: niedrige Tische und Schränkchen, und Regale wie Klettergerüste von Kindern – alles aus demselben hellen Holz. Schwarze Kissen lagen rund um den größten Tisch. Dieser war mit Schriftrollen übersät, alle voll Schrift und unbeweglichen Zeichnungen. Er schritt die Länge einer Wand ab, zehn Meter oder so. Der Steinboden endete. Es gab eine zwei mal zwei Meter große Grube voll Kies, wo die Wände aufeinandertrafen. Etwas roch hier noch stärker als Rauch. Wie in einer Toilette. Jefri lachte: Sie waren wirklich wie Hunde!

Die gepolsterten Wände sogen sein Gelächter auf, ohne Echo. Etwas… ließ Jefri aufblicken. Er hatte nur angenommen, er sei allein hier, in Wirklichkeit gab es eine Menge Verstecke in diesem ›Verlies‹. Einen Augenblick lang hielt er den Atem an und lauschte. Alles war still… fast: An der Obergrenze seines Gehörs, wo manche Maschinen heulen und wo Mutti und Vati, sogar Johanna nicht hören konnten, war etwas.

»Ich… ich weiß, dass du hier bist«, sagte Jefri scharf mit schriller Stimme. Er trat ein paar Schritte zur Seite und versuchte, um die Möbel herum zu schauen, ohne sich ihnen zu nähern. Der Klang hielt an, unüberhörbar nun, da er ihm lauschte.

Ein kleiner Kopf mit großen dunklen Augen schaute hinter einem Schränkchen hervor. Er war viel kleiner als der des Wesens, dass Jefri hergebracht hatte, aber die Schnauze hatte dieselbe Form. Sie starrten einander einen Moment lang an, dann ging Jefri langsam seitlich auf es zu. Ein Welpe? Der Kopf zog sich zurück, kam dann weiter hervor. Seitlich sah Jefri eine Bewegung – noch eine schwarze Gestalt musterte ihn unter dem Tisch hervor. Eine Sekunde lang erstarrte Jefri und kämpfte gegen die Panik an. Aber er konnte nirgendwohin weglaufen, und vielleicht würden ihm die Wesen helfen, Mutti zu finden. Jefri ließ sich auf ein Knie sinken und streckte langsam die Hand aus. »Hier… hier, Hundchen.«

Der Welpe kroch unter dem Tisch hervor, wobei er den Blick nie von Jefris Hand abwandte. Die Faszination war beiderseits, der Welpe war schön. Wenn man bedachte, seit wie viel Jahrtausenden Hunde von Menschen (und anderen) gezüchtet werden, konnte dies eine besonders ausgefallene Rasse sein – aber nur beinahe. Das Haar war kurz und dicht, ein tiefer Samt von Schwarz und Weiß. Die beiden Farben waren in großen Flecken ohne Grautöne dazwischen angeordnet. Bei diesem hier war der ganze Kopf schwarz, die Hüftpartie in Weiß und Schwarz gespalten. Der Schwanz war ein kurzer, unscheinbarer Lappen, der sein Hinterteil bedeckte. Es gab haarlose Stellen an den Schultern und am Kopf, wo Jefri schwarze Haut erkennen konnte. Doch am seltsamsten war der lange, geschmeidige Hals. Er hätte eher zu einem Seesäuger gepasst als zu einem Hund.

Jefri wackelte mit den Fingern, und die Augen des Welpen wurden groß und ließen einen Rand von Weiß um die Iris erkennen.

Etwas stieß gegen seinen Ellbogen, und Jefri wäre beinahe aufgesprungen. So viele! Noch zwei waren hervorgekrochen, um sich seine Hand anzuschauen. Und wo er den Ersten gesehen hatte, waren es jetzt drei, die wachsam dasaßen und ihn beobachteten. Wenn man sie so sah, hatten sie nichts Unfreundliches oder Furchteinflößendes an sich.

Einer der Welpen legte Jefri eine Pfote aufs Handgelenk und zog es sanft herab. Gleichzeitig streckte ein anderer die Schnauze aus und leckte Jefri die Finger. Die Zunge war rosa und rau, ein rundes schmales Ding. Das hohe Winseln wurde lauter, alle drei kamen herbei und grapschten mit ihren Mäulern nach seiner Hand.

»Seht euch vor!«, sagte Jefri und zog die Hand zurück. Er erinnerte sich an die Zähne der Erwachsenen. Mit einem Mal war die Luft von Kollern und Surren erfüllt. Hm. Sie klangen eher wie närrische Vögel als wie Hunde. Einer von den anderen Welpen kam vor. Er streckte Jefri eine glatte Nase entgegen. »Seht euch vor!«, sagte er, die Stimme des Jungen perfekt wiedergebend – doch sein Maul war geschlossen. Er legte den Kopf zurück…, um gestreichelt zu werden? Jefri streckte die Hand aus, das Fell war so weich! Das Surren war jetzt sehr laut. Jefri konnte es durch das Fell spüren. Aber es war nicht nur das eine Tier, das es erzeugte, der Klang kam von allen Seiten. Der Welpe drehte den Spieß um und ließ seine Schnauze über die Hand des Jungen gleiten. Diesmal erlaubte er, dass sich das Maul um seine Finger schloss. Zwar konnte er Zähne sehen, doch der Welpe gab sich Mühe, Jefris Haut damit nicht zu berühren. Der Druck seiner Schnauze fühlte sich wie ein Paar kleiner Finger an, die sich um die seinen schlossen und öffneten.

Drei schlüpften unter seinen Arm, als wollten sie auch gestreichelt werden. Er fühlte, wie Nasen gegen seinen Rücken drückten und versuchten, das Hemd aus seiner Hose zu ziehen. Das Vorgehen war bemerkenswert gut abgestimmt, fast, als ob ein Mensch mit zwei Händen sein Hemd ergriffen hätte. Wie viele sind das denn nur? Für einen Augenblick vergaß er, wo er war. Er drehte sich um und begann die Räuber zu streicheln. Ein überraschtes Quietschen kam aus allen Richtungen. Zwei krochen unter seine Ellbogen, mindestens drei sprangen auf seinen Rücken und blieben mit ihren Nasen an seinem Hals und seinen Ohren liegen.

Und da schien Jefri eine Erleuchtung zu haben. Die erwachsenen Fremden hatten erkannt, dass er ein Kind war, sie wussten nur nicht, wie alt. Sie hatten ihn in einen ihrer eigenen Kindergärten gebracht! Mutti und Vati waren wahrscheinlich gerade dabei, mit ihnen zu reden. Alles schien doch noch ins Lot zu kommen.

 

Fürst Stahl hatte seinen Namen nicht von ungefähr gewählt: Stahl, das modernste der Metalle, das die schärfste Schneide erlangt und sie niemals verliert, Stahl, der rot glühen und dennoch nicht versagen kann, Stahl, die Klinge, die für den Flenser schneidet. Stahl war eine komponierte Persönlichkeit, Flensers größter Erfolg.

In gewissen Sinne war die Komposition von Seelen nichts Neues. Zuchtwahl war eine beschränkte Form davon, wenngleich in der Hauptsache auf allgemeine physische Merkmale ausgerichtet. Selbst Züchter gaben zu, dass zu den geistigen Fähigkeiten eines Rudels die einzelnen Glieder in unterschiedlichem Maße beitrugen. Ein Paar oder Triplett war fast immer für Beredsamkeit verantwortlich, ein anderes für räumliche Intuition. Die Tugenden und Laster waren sogar noch komplexer. Kein einzelnes Glied war der Urquell von Mut oder Gewissen.

Flensers Beitrag zu diesem Gebiet – wie zu den meisten anderen – war eine grundlegende Skrupellosigkeit gewesen, das Wegschneiden von allem, was nicht wirklich wichtig war. Wie man einen Wal flenst, in langen Streifen Haut und Fleisch ablöst, so flenste er Seelen. Er hatte endlos lange experimentiert und alle Ergebnisse außer den erfolgreichsten verworfen. Er stützte sich auf Disziplin und Entzug und teilweisen Tod ebenso sehr wie auf die kluge Auswahl der Glieder. Er hatte schon siebzig Jahre Erfahrung, als er Stahl schuf.

Bevor er seinen Namen annehmen konnte, hatte Stahl Jahre im Entzug verbracht, während er feststellte, welche Teile von ihm zusammen das gewünschte Wesen ergaben. Das wäre ohne Flensers Verstärkung unmöglich gewesen. (Ein Beispiel: Wenn man einen Teil seiner selbst verwarf, der wesentlich zur Hartnäckigkeit beitrug, wo nahm man dann den Willen her, das Flensen fortzusetzen?) Für die betroffene Seele bedeutete der Schöpfungsprozess geistiges Chaos, ein Flickwerk von Grauen und Gedächtnisverlust. In zwei Jahren hatte er mehr Veränderung erfahren, als die meisten Leute in zwei Jahrhunderten – und zwar durchweg zielgerichtete Veränderung. Der Wendepunkt kam, als er und Flenser das Trio identifizierten, das ihn sowohl mit Gewissen als auch mit Langsamkeit des Intellekts belastete. Einer von den dreien war das Bindeglied zwischen den anderen. Dieses Glied ins Nichts zu schicken und es mit dem genau richtigen Element zu ersetzen, hatte den Unterschied ausgemacht. Danach war der Rest einfach, Stahl war geboren.

Als Flenser aufgebrochen war, um die Langseen-Republik zu bekehren, war es nur natürlich, dass seine brillanteste Schöpfung hier die Macht übernahm. Fünf Jahre lang hatte Stahl Flensers Kernland regiert. In dieser Zeit hatte er das von Flenser Aufgebaute nicht nur bewahrt, sondern es über seine vorsichtigen Anfänge hinaus ausgedehnt.

Doch heute, während eines einzigen Umlaufs der Sonne über der Verborgenen Insel, konnte er alles verlieren.

 

Stahl trat in den Versammlungssaal und sah sich um. Die Umbauten waren richtig angeordnet. Sonnenlicht strömte von einem Schlitz in der Decke auf genau die Stelle, wo er es wollte. Ein Teil von Sreck, seinem Gehilfen, stand an der gegenüberliegenden Seite des Raumes. Er sagte zu ihm: »Ich werde mit dem Besucher allein sprechen.« Er vermied den Namen ›Flenser‹. Das Weißjack wich zurück, und seine unsichtbaren Glieder stießen die Türen auf seiner Seite auf.

Ein Fünfsam – drei Männchen und zwei Weibchen – trat durch die Tür in den Flecken Sonnenlicht. Die Person war nicht weiter bemerkenswert. Aber Flenser war nie von beeindruckendem Äußeren gewesen.

Zwei Köpfe erhoben sich, um die Augen der anderen abzuschirmen. Das Rudel blickte quer durch den Raum und bemerkte Fürst Stahl in zwanzig Ellen Entfernung. »Ahh… Stahl.« Die Stimme war sanft, wie ein Skalpell, das einem die kurzen Haare an der Kehle streichelt.

Stahl hatte sich verneigt, als der andere eintrat, eine formelle Geste. Die Stimme ließ seine Eingeweide sich plötzlich zusammenkrampfen, und er brachte unwillkürlich die Bäuche an den Boden. Das war seine Stimme! Es gab mindestens ein Fragment des ursprünglichen Flensers in diesem Rudel. Die goldenen und silbernen Epauletten, die persönliche Standarte – das konnte jeder fälschen, der tollkühn genug war… Aber Stahl erinnerte sich an die Art. Es wunderte ihn nicht, dass die Anwesenheit des anderen an diesem Morgen die Disziplin aus dem Festland über den Haufen geworfen hatte.

Die Köpfe des Rudels, die sich im Sonnenlicht befanden, waren ausdruckslos. Glitt ein Lächeln über die Köpfe im Schatten? »Wo sind die anderen, Stahl? Was sich heute ereignet hat, ist die größte Chance in unserer Geschichte.«

Stahl erhob sich wieder und blieb am Geländer stehen. »Herr. Da sind zuerst ein paar Fragen, nur zwischen uns beiden. Zweifellos, Ihr seid viel vom Flenser, aber wie viel…«

Der andere grinste jetzt offensichtlich, und die Köpfe im Schatten wippten. »Ja, ich wusste, dass meine beste Schöpfung diese Frage sehen würde… Heute morgen habe ich behauptet, der wahre Flenser zu sein, mit ein oder zwei Ersatzgliedern verbessert. Die Wahrheit ist… härter. Du weißt, was in der Republik geschehen ist.« Das war Flensers größter Einsatz gewesen: einen ganzen Nationalstaat zu flensen. Millionen würden sterben, und dennoch würde es mehr Umgruppierungen als Tötungen geben. Am Ende würde das erste Großkollektiv außerhalb der Tropen stehen. Und der Flenser-Staat würde keine geistlose Zusammenballung sein, die irgendwo im Dschungel herumwühlte. Die Spitze würde so brillant, so skrupellos wie nur irgend ein Rudel in der Geschichte sein. Kein Volk der Welt konnte solch einer Kraft widerstehen.

»Es war ein gewaltiges Risiko für einen noch gewaltigeren Zweck. Aber ich habe Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Wir hatten Tausende von Bekehrten, viele davon ohne Verständnis für unsere wahren Ziele, aber gläubig und aufopferungsvoll – wie es sich gehört. Ich behielt immer eine besondere Gruppe von ihnen in meiner Nähe. Die Politische Polizei war schlau, Meutenmord gegen mich zu verwenden, das Letzte, was ich erwartet hätte – ich, der ich die Meuten geschaffen habe. Egal, meine Leibwächter waren gut ausgebildet. Als wir in der Parlaments-Senke in der Falle saßen, töteten sie ein oder zwei Glieder aus jedem von diesen besonderen Rudeln – und ich hörte einfach auf zu existieren, aufgeteilt auf drei gewöhnliche Leute in Panik, die versuchten, aus dem Blutbad zu entkommen.«

»Aber jeder rings um Euch wurde getötet, die Meute ließ niemanden übrig.«

Das Flenser-Wesen zuckte mit den Schultern. »Das war zum Teil republikanische Propaganda und zum Teil mein eigenes Werk: Ich hatte meinen Wachen befohlen, einander niederzuhacken, zusammen mit jedem, der nicht ich war.«

Stahl hätte seine Ehrfurcht beinahe laut werden lassen. Der Plan war typisch für Flensers Brillanz und für seine Seelenstärke. Bei Mordanschlägen bestand immer eine Möglichkeit, dass Fragmente entkamen. Es gab berühmte Geschichten von Helden, die sich wieder zu einem Ganzen zusammengefunden hatten. Im wirklichen Leben kamen derlei Dinge selten vor, in der Regel, wenn die Streitkräfte des Opfers ihren Führer während der Reintegration zusammenhalten konnten. Aber Flenser hatte diese Taktik von Anfang an geplant, hatte ins Auge gefasst, sich selbst mehr als tausend Meilen von den Langen Seen entfernt zusammenzufügen.

Dennoch… Fürst Stahl betrachtete den anderen abschätzend. Vergiss Stimme und Art. Denke an die Macht, nicht zum Nutzen anderer, nicht einmal Flensers. Stahl erkannte nur zwei in dem anderen Rudel wieder. Die Weibchen und das Männchen mit den weißen Ohrenspitzen stammten wahrscheinlich von dem geopferten Anhänger. Alles sprach dafür, dass nur zwei von Flenser ihm gegenüberstanden, schwerlich eine Bedrohung – außer in dem sehr realen Sinn, dass weitere auftauchten. »Und die anderen vier von Euch, Herr? Wann können wir Eure vollständige Anwesenheit erwarten?«

Das Flenser-Wesen lachte leise. So beschädigt es war, verstand es doch das Gleichgewicht der Macht. Es war fast wie in alten Zeiten: Wenn zwei Leute ein klares Verständnis für Macht und Verrat haben, wird Verrat selbst fast unmöglich. Es gibt nur den geordneten Ablauf der Ereignisse, der jenen Gutes bringt, die zu herrschen verdienen. »Die anderen haben ebenso gute… Transportmittel. Ich habe ausführliche Pläne gemacht, drei verschiedene Wege, drei verschiedene Netze von Agenten. Ich bin sicher angelangt. Kein Zweifel, dass es die anderen auch schaffen werden, in ein paar Zehntagen spätestens. Bis dahin« – er wandte Stahl alle Köpfe zu –, »bis dahin, lieber Stahl, beanspruche ich nicht die Rolle des vollständigen Flenser. Ich habe das zunächst getan, um Prioritäten zu setzen, um dieses Fragment zu schützen, bis ich beisammen bin. Aber dieses Rudel ist aus gutem Grund willensschwach geplant worden; ich weiß, dass es als Herrscher über meine früheren Schöpfungen nicht bestehen könnte.«

Stahl wunderte sich. Obwohl das Geschöpf nur über halben Verstand verfügte, waren seine Pläne perfekt. Beinahe perfekt. »Ihr wünscht also, für die nächsten Zehntage im Hintergrund zu bleiben? Sehr wohl. Aber Ihr habt Euch als Flenser angekündigt. Wie soll ich Euch präsentieren?«

Sein Gegenüber zögerte nicht. »Tyrathect, Flenser im Wartestand.«

 

CRYPTO: 0

EMPFANGEN VON: Transceiver Relais03 bei Relais

SPRACHPFAD: Samnorsk -› Triskweline, SjK:Relais-Einheiten

VON: Straumli Haupt

GEGENSTAND: Archiv im Unteren Transzens eröffnet!

ZUSAMMENFASSUNG: Unsere Verbindungen zum Bekannten Netz werden zeitweise unterbrochen sein

SCHLAGWÖRTER: Transzens, gute Neuigkeiten, Geschäftsmöglichkeiten, neues Archiv, Kommunikationsprobleme

VERTEILER:

Interessengruppe »Wo sind sie jetzt«

Interessengruppe Homo sapiens

Verwaltungsgruppe Motley-Luke

Transceiver Relais03 bei Relais

Transceiver Windsang bei Debley Tief

Transceiver Nicht-mehr-lange bei Stippvisite

DATUM: 11:45:20 Dockzeit, 1.9. im Org-Jahr 52.089

TEXT DER BOTSCHAFT:

Wir können mit Stolz mitteilen, dass eine Forschungsgruppe von Menschen aus dem Straumli-Bereich ein zugängliches Archiv im Unteren Transzens entdeckt hat. Dies ist nicht die Ankündigung einer Transzendenz oder der Erschaffung einer neuen MACHT. Wir haben vielmehr diese Ankündigung verschoben, bis wir uns unserer Eigentumsrechte und der Sicherheit des Archivs gewiss wären. Wir haben Schnittstellen installiert, die das Archiv für Standardsyntax-Abfragen aus dem Netz interoperabel machen dürften. In wenigen Tagen wird dieser Zugang kommerziell verfügbar sein. (Siehe die Diskussion von Problemen der Zeitplanung weiter unten.) Seine Sicherheit, Verständlichkeit und sein Alter machen dieses Archiv bemerkenswert. Wir glauben, dass es hier ansonsten verlorene Informationen über Schiedsmanagement und zwischenartliche Koordination gibt. Wir werden den entsprechenden Nachrichtengruppen Einzelheiten zusenden. Wir sind davon sehr begeistert. Man beachte, dass keine Wechselwirkung mit den MÄCHTEN notwendig war, kein Teil des Straumli-Bereichs ist transzendiert.

Nun die schlechte Nachricht: Schieds- und Übersetzungsroutinen haben zu unglücklichen Clenirationen [?] bei der Gratweg-Armiphlage geführt. Die Einzelheiten dürften für die Leute in der Nachrichtengruppe Kommunikationsrisikos erbaulich sein, und wir werden sie ihnen später mitteilen. Aber mindestens für die nächsten hundert Stunden werden alle unsere (Haupt- und Neben-)Verbindungen zum Bekannten Netz unterbrochen sein. Einlaufende Nachrichten können evtl. gepuffert werden, aber ohne Garantie. Es können keine Nachrichten weitergegeben werden. Wir bedauern diese Unannehmlichkeit und werden sie sehr bald beheben!

Der physische Verkehr wird von diesen Problemen in keiner Weise beeinträchtigt. Der Straumli-Bereich ist weiterhin offen für Tourismus und Handel.