16

 

John Berrys Schultern und Arme schmerzten, weil er die Straton 797 in verkrampfter Haltung steuerte, und sein Körper begann jetzt, auf die Anstrengungen während des mühsamen Abfangens aus dem Sinkflug und auf seine Prügelei mit McVary zu reagieren. Gesicht und Arme waren mit blauen Flecken übersät, und er spürte, wie steif seine Gelenke waren. Er hatte dumpfe Kopfschmerzen und rotgeränderte Augen. Jetzt starrte er die Treibstoffanzeigen an. Die Tanks waren zu weniger als einem Achtel gefüllt. »Wie spät?«

Sharon sah auf die Uhr, die weiterhin Pazifikzeit anzeigte. »Fünf vor sechs, John.«

Die gelbe Warnleuchte, die ihm anzeigte, daß der Autopilot ausgeschaltet war, brannte seit drei Stunden gleichmäßig hell. Berry fühlte irrationalen Haß gegen das defekte Gerät in sich aufsteigen. »Sharon, kannst du einen Augenblick das Steuer übernehmen?«

Sie griff mit beiden Händen nach dem Steuerhorn.

Berry reckte sich und rieb sich die brennenden Augen. Die Schwimmweste war unbequem, aber in 900 Fuß Höhe – weniger als eine Minute bis zum Wasser – hielt er es für richtig, daß sie alle drei eine trugen. »Wer als erster Land sieht, kriegt eine Flasche Champagner – wie auf einem Schiff.«

»Und ich will in New York zum Abendessen eingeladen werden, falls wir den Flughafen erreichen.«

»Wird gemacht. Und du Linda?« Berry drehte sich nach ihr um. »Was willst du nach der Landung?« Er bedauerte diese Frage, sobald er sie gestellt hatte.

Linda Farley zuckte mit den Schultern. »Ich will was zum Trinken. Und ich will sehen, ob meine Mutter … wie’s ihr geht.«

Berry sah wieder nach vorn. Er starrte aufs Meer hinunter.

Der Seegang hatte deutlich nachgelassen, aber einzelne Wogen waren noch immer so hoch, daß sie eine notgewasserte Straton überflutet hätten. Am Himmel hingen Schönwetterkumuli, die Wattebäuschen glichen. Berrys Schätzung, daß sie bis 18 Uhr Land sichten würden, hatte ihre Hoffnungen zu hoch geschraubt. Sharon und Linda schienen sich an jedes seiner Worte zu klammern. Er würde sich in Zukunft mit seinen Prognosen vorsehen müssen.

Er betrachtete die Konsole mit den Funkgeräten. Den Radiokompaß des Captains hatte er auf das Funkfeuer Salinas Station südlich von San Francisco eingestellt. Sharon hatte das Gerät des Kopiloten auf die Frequenz des Platzfunkfeuers San Francisco eingestellt. Trotz der beschränkten Reichweite dieser Empfänger hoffte Berry, wenigstens einen dieser beiden Plätze anpeilen zu können – außer er war so weit vom richtigen Kurs abgekommen, daß er nie in Reichweite kam. »Bewegt sich deine Nadel noch immer nicht?«

Sharon Crandall starrte die Anzeigennadel des Radiokompasses an. »Nein, leider nicht.«

Vielleicht sind die Antennen der Radiokompasse auch defekt, dachte Berry. Er traute sich zu, auch ohne Sprechfunkverbindung zu landen, aber falls es ihm nicht gelang, ein ungerichtetes Funkfeuer und später ein Platzfunkfeuer anzupeilen, war es fast unmöglich, einen Flughafen richtig anzufliegen.

Crandall warf einen Blick auf die Flugsicherungskarte, die sie auf dem Schoß hielt. »Weißt du bestimmt, daß wir die richtigen Frequenzen eingestellt haben?«

»Gib mir noch mal die Karte.« Berry griff danach, verglich die eingestellten Frequenzen mit den Kartenangaben und sah, daß sie stimmten. Vielleicht waren sie noch zu weit von der Küste entfernt, vielleicht waren sie nördlicher oder südlicher, als er vermutete, oder vielleicht funktionierten die Radiokompasse tatsächlich nicht. Das wußte er nicht – und würde es vielleicht nie erfahren. Er gab Sharon die Karte zurück. »Wir sind offenbar noch außer Reichweite. Behältst du die Nadel deines Geräts im Auge? Und sag mir bitte sofort Bescheid, wenn sie sich auch nur ein bißchen bewegt.«

»Wird gemacht.« Crandalls Blick fiel unwillkürlich auf den Data-Link-Bildschirm. Die letzte Mitteilung stand noch dort – und verschwand dann, als jemand am anderen Ende auf den Wiederholungsknopf drückte. Das Klingelzeichen ertönte, und auf dem Bildschirm erschien die gleiche Nachricht, die seit drei Stunden alle drei bis vier Minuten wiederholt wurde.

AN FLUG 52: FALLS SIE DIES EMPFANGEN FÜRCHTEN SIE

NICHT, WIR HÄTTEN SIE IM STICH GELASSEN. DIESES GERÄT

BLEIBT STÄNDIG BESETZT, BIS SIE GEFUNDEN SIND.

SAN FRANCISCO

»Vielleicht sollten wir doch antworten.«

Berry machte sich nicht mehr die Mühe, den Text zu lesen. Jedesmal, wenn das Klingelzeichen ertönte, starrte er den Bildschirm an. Er kam sich allmählich wie Pawlows Hund vor. Sein Entschluß war wankend geworden, und er hätte am liebsten geantwortet. Aber er fürchtete, er könnte sich zu irgend etwas überreden lassen, das die anderen wollten.

»John, es ist doch ausgeschlossen, daß sie diese Mitteilung ständig wiederholen, wenn sie …«

»Sie wollen nur mit absoluter Gewißheit wissen, daß wir abgestürzt sind.«

Er dachte an die 15 oder 20 Wiederholungen einer kurzen Anfrage, die vor mehreren Stunden eingegangen waren. Das Klingelzeichen war bei dieser Gelegenheit über eine Minute lang fast ununterbrochen ertönt. »Wahrscheinlich müssen sie nur beweisen, daß sie sich nach wie vor um uns bemühen. Ich nehme an, daß sie weitersenden, bis die zuständigen Stellen sich darüber einig sind, daß unser Treibstoff verbraucht sein müßte, wenn wir noch in der Luft wären. Vermutlich ist das die in solchen Fällen übliche Methode. Ich kann nicht beurteilen, was in San Francisco vorgeht, aber vergiß nicht, daß sie uns nach Hawaii schicken wollten und uns Anweisungen gegeben haben, wie die Treibstoffzufuhr abzustellen ist!«

Crandall nickte. Die Mitteilung wirkte so aufrichtig, wenn man sie auf dem Bildschirm las. »Diese Schweine!«

»Richtig!« Berry hatte in den letzten Stunden reichlich Gelegenheit gehabt, sich die Szene am anderen Ende der Data-Link-Verbindung auszumalen. Schweine.

»John? Sollen wir weiterüben?« fragte Sharon und zeigte dabei auf den Hebel für die Landeklappen.

»Nein, du weißt jetzt, was du zu tun hast.« Sie hatten die bei der Landung notwendigen Handgriffe eingeübt, damit Sharon auf Berrys Anweisungen die Landeklappen und das Fahrwerk ausfahren konnte. Auf diese Weise konnte er sich auf die Landebahn konzentrieren – oder auf die Meeresoberfläche, falls es dazu kam.

Im Cockpit herrschte Schweigen, so daß die Geräusche aus dem Salon um so klarer nach vorn drangen. Berry hörte jemand weinen; zwischendurch war ein leises Stöhnen zu hören, aber im allgemeinen herrschte Ruhe. Anscheinend schliefen sie. Dann spielte jemand Klavier – diesmal lauter als zuvor –, und Berry erkannte das Stück. Es handelte sich eindeutig um den ersten Satz aus Tschaikowskis Klavierkonzert Nr. 1 – allerdings in einer schrecklich verzerrten Fassung. »Übernimm du mal das Steuer!«

Berry sprang auf und war mit zwei großen Schritten an der Cockpittür.

»John, was hast du vor?«

Er öffnete die Tür einen Spaltbreit, wobei er den Widerstand der Strumpfhose überwinden mußte, und sah in den Salon hinaus. Überall zusammengekrümmte Gestalten von Toten und Sterbenden, die an achtlos hingeworfene Puppen in einem Kinderzimmer erinnerten. Aber viele der Passagiere waren noch auf den Beinen und stolperten ziellos über den mit Leichen übersäten Teppich. Daniel McVary stand so, daß er die Cockpittür beobachten konnte. Sein Gesicht war zerkratzt; das linke Auge zugeschwollen. Jetzt hinkte er langsam auf Berry zu.

Am Klavier saß Isaac Shelbourne mit zerraufter weißer Künstlermähne und spielte wie besessen. »Aufhören! Ruhe, Shelbourne! Hören Sie endlich auf!«

»John!« rief Crandall hinter ihm.

McVary kam weiter auf ihn zu. Einige Passagiere hoben den Kopf. Irgend jemand lachte. Aber der Pianist spielte weiter, ohne John Berry wahrzunehmen.

»John!« wiederholte Crandall.

»Machst du bitte die Tür zu?« mischte sich jetzt auch Linda ein.

Berry zog den Kopf zurück. Die Cockpittür schloß sich durch die Spannung der elastischen Nylonstrumpfhose. Er machte kehrt, ging langsam an seinen Platz und setzte sich. Nachdem er sekundenlang vor sich hin gestarrt hatte, griff er wieder nach dem Steuerhorn. »Okay, ich übernehme wieder.«

Sharon warf ihm einen sorgenvollen Blick zu und berührte seine Schulter. »Was hast du?«

»Nichts«, wehrte er ab.

Im Cockpit herrschte verlegenes Schweigen.

Linda hörte ein Geräusch hinter sich und drehte sich danach um. Sie schrie entsetzt auf.

Berry und Crandall fuhren herum.

Mehrere Hände tasteten durch den Türspalt. Einige hielten die Türkante fest und zerrten daran.

Crandall schnallte sich los. »Verdammt noch mal, jetzt hast du sie wieder aufgeregt!« Sie stand auf.

»Nein, bleib hier. Ich kümmere mich darum.«

»Das brauchst du nicht. Ich werde schon mit ihnen fertig. Du mußt die Maschine fliegen.« Sharon riß den Feuerlöscher aus der Wandhalterung, trat an die Tür und untersuchte die Strumpfhose. »Du hast sie gedehnt.«

Berry gab keine Antwort.

Crandall betrachtete den Knoten an dem aufgesprengten Riegel. Der Knoten war so fest wie zuvor, aber das Glasfasermaterial der Tür war ums Schloß herum gesprungen, und sie wußte nicht, ob das schon vorher so gewesen war. Auch die Nieten, die Schloß und Riegel festhielten, schienen sich gelockert zu haben. Sie hob den Kopf und sah in dem etwa 15 Zentimeter breiten Türspalt zahlreiche Hände und Gesichter. Sharon zielte mit dem Feuerlöscher in McVarys Gesicht, drückte den Handhebel und sprühte den Türspalt mit Löschschaum ab. Gellende Schreie waren die erste Reaktion. Die meisten Hände verschwanden. Sie holte mit dem Feuerlöscher aus, traf damit eine der Hände und schlug wieder zu, bis die letzten Finger losgelassen hatten. Sharon wartete einen Augenblick, bevor sie sich abwandte, den Feuerlöscher in die Halterung zurückhängte und wieder Platz nahm. »Ums Schloß herum bekommt die Tür lauter Risse.«

John Berry nickte.

»Der Kopilot … Dan McVary … scheint sich für die Tür zu interessieren.«

»Ja, ich weiß.« Berry fragte sich, wie sich in einem so geschädigten Gehirn eine fixe Idee festsetzen konnte. Wie verständigte er sich mit den anderen, die ihn offenbar als eine Art Führer anerkannten?

»Der Feuerlöscher ist so leicht, als ob er fast leer wäre.«

»Laß dir deswegen keine grauen Haare wachsen.«

»Warum nicht?«

»Hör zu, dieser Auftritt von vorhin tut mir leid. Ich hätte mich besser zusammenreißen müssen. Okay?«

Sie nickte mit Tränen in den Augen. »Entschuldige, daß ich dich so angefahren habe. Du bist bisher so prima zurechtgekommen, John. Ich weiß nicht, ob ein Berufspilot das alles geschafft hätte.«

»Nein, bestimmt nicht. Er hätte von Anfang an erkannt, daß die Sache hoffnungslos ist.« Berry tätschelte Sharons Wange. »Ich habe eine hervorragende Besatzung.« Er drehte sich nach Linda um. »Das gilt auch für dich, Kleine.«

Sie lächelte verlegen.

Sharons Hand lag auf seinem Arm. »Soll ich wieder eine Zeitlang fliegen?«

»Danke, ich komme gut zurecht.«

»Willst du’s noch mal mit dem Autopiloten versuchen?«

»Nein, ich kann ebensogut selbst steuern. Außerdem brauche ich die Übung.«

»Okay.«

Aber in Wirklichkeit bedauerte Berry den Ausfall des Autopiloten, mit dem er eine automatische Landung hätte versuchen können, falls sie den Flughafen fanden. Ohne den Autopiloten würde er die beschädigte Straton 797 bis zur Landung selbst steuern müssen. Er suchte den Horizont ab und beobachtete die Nadel seines Radiokompasses.

»John! Sie hat sich bewegt!«

Berry beugte sich weit nach rechts und starrte die Anzeigenadel von Sharons Radiokompaß an.

Sie beobachteten sie lange, aber die Nadel blieb unbeweglich in ihrer Mittellage. Berry stellte fest, daß die Entfernungsanzeige ebenfalls auf Null stand.

»Ich hab’ gedacht, ich hätte eine Bewegung gesehen«, sagte Sharon enttäuscht. »Wirklich!«

»Nein, das war leider nichts.« Er richtete sich auf. »Aber behalt sie weiter im Auge.«

»Wird gemacht.«

Berry lehnte sich zurück. Auf dem Instrumentenbrett vor ihm blieb alles unverändert. Defekte Funkgeräte. Defekte Radiokompasse. Autopilot selbsttätig ausgeschaltet. Kurs 131 Grad. Geschwindigkeit 340 Knoten. Höhe 900 Fuß. Die einzige Veränderung war in den Treibstoffanzeigen vorgegangen, die jetzt weniger als ein Achtel anzeigten. Selbst wenn sie in nächster Zeit Land sichteten, würde es knapp werden.

Er suchte den Horizont ab. Nichts. Der hinter ihnen liegende ereignislose Dreieinhalbstundenflug hatte gewisse Hoffnungen geweckt, aber als jetzt das erwartete Land ausblieb, machte sich eine verständliche Nervosität bemerkbar. Berry zündete sich seine letzte Zigarette an und bemühte sich, sein wachsendes Unbehagen zu unterdrücken.

Crandall zeigte nach vorn. »Was ist das?«

Berry setzte sich auf und starrte nach vorn. In der letzten halben Stunde hatten sie jedes der niedrig über dem Meer treibenden Nebelfelder für Kalifornien und jede dunstige Veränderung am Horizont für Kalifornien gehalten. Ihre Phantasie und ihre Hoffnungen schufen festes Land aus jeder Nebelbank, um beim Näherkommen unweigerlich enttäuscht zu werden. So war es auch diesmal. »Nichts. Wieder nur Nebel.«

»Was?«

»Der Nebel von San Francisco.« Sie sah auf ihre Uhr. »Kurz nach sechs. Um diese Zeit zieht in den Sommermonaten meistens Nebel auf.«

Berry war einige Sekunden lang sprachlos. »Verdammt noch mal!« Daran hätte er selbst denken müssen, denn er hatte diesen vom Meer heranrollenden Nebel schon selbst erlebt. »So eine Scheiße!«

»Was ist denn los?«

Er starrte Crandall erbittert an. »Warum hast du mich nicht schon vorher daran erinnert? Was soll ich tun, verdammt noch mal, wenn der gottverdammte Flughafen im Nebel liegt?«

»Tut mir leid, daran habe ich nicht gedacht. Ich meine, unsere Piloten können … du kannst nur nach Instrumenten landen, nicht wahr?«

Berry widerstand der Versuchung, sie an seine bescheidenen Qualifikationen zu erinnern. »Nein, eine regelrechte Instrumentenlandung ist ausgeschlossen.« Er wußte, daß er nichts auf dem Pilotensitz einer Straton 797 verloren hatte. In diesem Cockpit befanden sich mehr Instrumente als in zehn Sportflugzeugen der Typen, mit denen er vertraut war. »Menschenskind, ich hätte einen nördlicher oder südlicher gelegenen Flughafen anfliegen sollen.«

Crandall hatte keine Lust, sich gegen unsachliche Vorwürfe zu verteidigen. »Da wir unseren Standort nicht kennen, sind wir vielleicht schon nördlich oder südlich von San Francisco.« Sie tippte mit dem Finger auf die Treibstoffanzeige. »Wir können von Glück reden, wenn wir die Küste überhaupt zu sehen bekommen. Wegen des Nebels in San Francisco brauchen wir uns vorerst noch keine Sorgen zu machen.«

Berry sah, daß die Anzeige auf unter zehn Prozent abgesunken war. »Ja, du hast recht. Entschuldige, bitte. Ich bin nur … abgespannt.«

»Ich weiß. Hör zu, wir können doch in Strandnähe runtergehen.«

»Richtig. Wenn wir bis dahin kommen und wenn zu erkennen ist, daß die Küste im Nebel liegt, setze ich die Maschine ins Wasser.« Berry war sich darüber im klaren, daß eine Notwasserung bei dichtem Nebel Selbstmord gewesen wäre, aber davon sprach er lieber nicht. »Ich würde natürlich lieber auf dem Flughafen landen, aber das wäre schon bei gutem Wetter schwierig genug. Wir müssen auch an die Menschen am Boden denken …«

»Dann versuch’s lieber nicht. Mir ist alles recht, wofür du dich entscheidest. Ich weiß, daß du dein Bestes tun wirst, wenn’s soweit ist.«

»Ja. Entschuldige, daß ich dich so angefahren habe.« Berry sah ein, daß es unsinnig war, Sharon wegen des Nebels Vorwürfe zu machen. Er mußte die Maschine fliegen, ob er wollte oder nicht; der Nebel würde kommen, ob er wollte oder nicht. Seine Nerven flatterten allmählich, und er konnte nur hoffen, daß er noch etwas zuzusetzen haben würde, wenn gelandet werden mußte. Seitdem er das Cockpit betreten und die außer Gefecht gesetzten Piloten gesehen hatte, wußte Berry, daß er die Straton irgendwann würde herunterbringen müssen. Und dieser Zeitpunkt rückte immer näher heran.

»Es ist aber nicht immer neblig.«

»Was? Ja, natürlich …«

»Und der Nebel kommt meistens ziemlich langsam herein. Vielleicht sind wir schneller.«

»Vielleicht.«

Die Straton 797 flog nach Südosten weiter. Die sinkende Sonne warf den Flugzeugschatten von Berry aus gesehen links vorn auf die nur leicht bewegte Meeresoberfläche. Berry suchte den Horizont nach Land ab und hielt nach anderen Flugzeugen oder Schiffen Ausschau, die erkennen könnten, daß das Verkehrsflugzeug sich in einer Notlage befand. Aber sie waren allein.

»John! Sie hat sich wieder bewegt!«

Er starrte den Radiokompaß des Kopiloten an. »Tut mir leid, ich sehe nichts.«

Crandall sah selbst, daß die Nadel stillstand. »Sie hat sich aber bewegt! Ich hab’s gesehen, verdammt noch mal, ich hab’s deutlich gesehen!«

»Schon gut, schon gut.« Berry beobachtete die Nadel aufmerksam. Er hatte schon genügend Geschichten von verzweifelten Piloten gehört, die sich so darauf konzentrierten, eine Platzbefeuerung oder bestimmte Anzeigen ihrer Instrumente zu sehen, daß sie sich das Gewünschte durch Halluzinationen vorgaukelten.

»Ich habe eine Bewegung gesehen.«

»Okay, dann beobachten wir die Nadel jetzt gemeinsam.«

Die beiden starrten sie eine Minute lang an. Berry griff nach der Flugsicherungskarte und überzeugte sich davon, daß die Frequenz stimmte. Der Radiokompaß des Kopiloten war einwandfrei auf San Francisco eingestellt. Berry hob den Kopf und fixierte wieder die Nadel. »Noch immer nichts«, flüsterte er, als fürchte er, mit seiner Stimme das Signal zu verscheuchen.

Sharon Crandall schwieg.

Während sie beide angestrengt auf den Radiokompaß sahen, bewegte sich die Anzeigenadel kaum merklich. Damit stand ihnen der elektronische Pfad nach San Francisco offen.

Crandall wandte sich aufgeregt an Berry. »Hast du’s gesehen?«

Berry nickte grinsend. »Klar! Und wie ich’s gesehen habe!«

Die Nadel bewegte sich deutlicher, weil das von dem Funkfeuer ausgestrahlte Signal stärker einfiel.

Als die kleine Nadel durch den von San Francisco ausgestrahlten elektronischen Impuls zum Erzittern gebracht wurde, wußte John Berry, wie es allen verirrten Seeleuten, Fliegern und Forschern zumute gewesen sein mußte, wenn sie ihr Ziel schließlich doch noch gesichtet hatten. »So, jetzt fliegen wir nach Hause. Lange kann’s nicht mehr dauern.«

»John, wir schaffen es. Das weiß ich ganz bestimmt.«

»Unsere Aussichten sind jedenfalls gestiegen. Du drehst den Gehäusering, bis die Nadel auf Null steht.«

»Okay?«

»Ja. Lies mir jetzt die oben eingespiegelte Zahl vor.«

»Eins-drei-neun.«

»Danke.« Berry flog eine flache Rechtskurve, bis sein Kompaß statt 131 Grad einen Steuerkurs von 139 Grad anzeigte, und ging dann wieder in den Horizontalflug über.

Sharon drehte sich nach Linda Farley um, die bisher schweigend zugehört hatte. »Wir haben jetzt Verbindung mit San Francisco.«

»Ich höre nichts.«

Crandall lächelte. »Nein, natürlich nicht. Der Radiokompaß ist kein richtiges Funkgerät. Aber er zeigt uns, wo der Flugplatz liegt.«

»Wissen die dort auch, daß wir kommen?«

»Noch nicht«, sagte Berry. »Aber sie haben uns sicher bald auf dem Radarschirm.«

Linda beugte sich nach vorn und legte beide Hände auf die Rückenlehne des Pilotensitzes. »Landest du das Flugzeug, John?«

Berry nickte. »Ja, Linda.« Er machte eine Pause. »Aber es kann sein, daß wir vorher notwassern müssen. Weißt du noch alles, was Sharon dir für diesen Fall erzählt hat?«

»Ja.«

»Gut.« Berry stellte seinen Radiokompaß von Saunas auf San Francisco um. »Ich lese ihn jetzt selbst ab«, erklärte er Sharon. »Du kannst nach Land Ausschau halten.« Er beobachtete die Leuchtziffern der jetzt ansprechenden Entfernungsanzeige und lächelte zufrieden. »Nach San Francisco sind’s noch 83 Seemeilen.«

»83 Seemeilen«, wiederholte sie. »Wie lange brauchen wir dafür?«

»Ungefähr eine Viertelstunde. Wie spät ist es jetzt?«

»18.08 Uhr.«

»Bis spätestens 18.30 Uhr sind wir gelandet«, versprach Berry ihr.

»Mein Gott, das ist kaum zu fassen!« Sharon kämpfte gegen Tränen an. »John … John, ich kann’s fast nicht glauben.« Sie schlug die Hände vors Gesicht und begann zu schluchzen. »Wir sind schon fast daheim.«

»Ja«, bestätigte Berry geistesabwesend. Er hatte wieder einen Blick auf die Treibstoffanzeigen geworfen, deren Nadeln noch weiter zurückgegangen waren. Unterdessen verstand er, den angezeigten Wert in Flugzeit umzusetzen. Um 18.30 Uhr, sagte er sich, haben wir keinen Treibstoff mehr.