20
John Berry hatte dröhnende Kopfschmerzen. Ihm war schwindlig, und er mußte gegen einen starken Brechreiz ankämpfen. Irgendwo in der Ferne hörte er Rufe und Schreie und das Klirren von Metall auf Metall. Aus einer Platzwunde auf seiner Stirn lief ihm Blut übers Gesicht. Er setzte sich mühsam auf und wischte sich das Blut ab. Er war dicht davor, bewußtlos zu werden. Aber er wußte, daß er wach bleiben mußte. Für sich. Für sie. Sharon. Linda. Er zwang sich dazu, tief Luft zu holen, aber davon wurde ihm eher schlechter. Jedenfalls schwindliger. Gott! Hilf mir! Bitte!
Berry wußte, daß er nach seinem Aufprall auf die betonierte Landebahn nicht lange ohnmächtig gewesen sein konnte. Die Szenerie um die Straton herum war praktisch unverändert; nur die schwarzen Rauchwolken schienen kleiner geworden zu sein. Die Flughafenfeuerwehr hatte den Brand offenbar unter Kontrolle. Mehrere Löschfahrzeuge standen in der Nähe des Lochs im Flugzeugrumpf nebeneinander und spritzten Löschschaum über das Wrack hinweg auf die linke Tragfläche.
Die gelbe Notrutsche hing noch immer unter dem Cockpit-Notausstieg. Während Berry zusah, kletterte ein Mann auf die Rutsche und glitt in die Tiefe. Berry erkannte, daß der andere sich vergeblich bemühte, seine Geschwindigkeit zu bremsen, wobei er sich herumwarf, so daß er schließlich mit dem Kopf voraus weiterrutschte. Er prallte mit der linken Schulter auf, rollte mehrere Meter weit über den Beton und blieb in Berrys Nähe liegen. Der Mann stöhnte. Er hatte offenbar Schmerzen, aber sein Gesichtsausdruck war leer. Er war einer von ihnen. Berry sah sich nach den anderen um. Einige wenige standen; die meisten lagen auf dem Beton. Am Fuß der Notrutsche waren etwa ein halbes Dutzend Überlebende versammelt, von denen nur Berry nicht hirngeschädigt war. Berry vermutete, daß sie einem Instinkt gefolgt waren, als sie die Rutsche benützt hatten, um dem Rauch zu entkommen.
Berry richtete sich in kniender Stellung auf. Seine Kopfschmerzen waren fast unerträglich. Oben in der Straton sah er mehrere Menschen am Notausgang stehen. Sie zögerten ängstlich. »Sharon!« rief er hinauf. »Die Rutsche!« Er wurde von einem Hustenanfall geschüttelt. »Beeilt euch!« Eine der Gestalten löste sich von dem dunklen Hintergrund, den das rauchgefüllte Cockpit bildete, und trat zögernd auf die Notrutsche zu. »Sharon! Die …« Berrys Stimme versagte. Dort oben stand nicht Sharon, sondern ein Mann: Daniel McVary.
Der Kopilot betrat langsam die Notrutsche und kauerte sich nieder, ohne den Türrand schon loszulassen. Als er endlich die Hand wegnahm, rutschte er immer schneller werdend die gelbe Plastikbahn hinunter. Berry erkannte jetzt, warum sie alle viel zu schnell geworden waren: Das untere Ende der Notrutsche hatte sich in Wrackteilen verfangen und wies deshalb zuviel Gefälle auf.
McVary spreizte in wilder Panik Arme und Beine. Er versuchte, seine rasende Fahrt irgendwie abzubremsen, aber die glatte Plastikflache bot keinen Halt. Berry hörte ihn entsetzt aufschreien. Seine Stimme übertönte die unartikulierten Laute der anderen Überlebenden. McVary griff nach den in Abschnitte unterteilten Randwülsten, aber er kam jedesmal eine Zehntelsekunde zu spät. Schließlich bekam er doch einen dieser Wülste zu fassen.
»Nein!« rief Berry instinktiv. Er wußte, was als nächstes passieren würde.
McVarys linke Hand bremste ihn ruckartig ab, aber sein unkontrollierter Schwung bewirkte, daß er über den Rand der Notrutsche kippte. Er schien einen Augenblick bewegungslos in der Luft zu hängen; dann stürzte er aus vier Metern Höhe auf die Landebahn, schlug schwer auf und blieb bewegungslos liegen. Berry sah sich hilfesuchend um, aber sie waren allein.
In dem rauchenden Flugzeugwrack befanden sich noch immer Hunderte von Menschen. Die Rettungsmannschaften bemühten sich, zuerst alle Überlebenden aus der Maschine zu holten, bevor sie die Verletzten versorgten.
Berry wandte sich ab und sah zur Cockpittür hinauf. »Sharon!« rief er heiser. Er wußte, daß sie ihn nicht hören können würde, selbst wenn sie noch immer dort oben war. Der Lärm war zu groß, und Berry war zu schwach. »Sharon«, krächzte er nochmals. In seinen Augen standen Tränen.
Er fühlte einen neuerlichen Schwindelanfall kommen. Sein Blick trübte sich, und die Straton schien sich vor seinen Augen zu drehen. Dann gaben seine Knie nach, so daß er auf die Landebahn zurücksank. Bitte, lieber Gott, hol sie rechtzeitig raus! Er wußte, daß die Rettungsmannschaften fieberhaft daran arbeiteten, alle aus dem Wrack zu holen. Wenn sie Sharon und Linda nur bald fanden und an die frische …
Dann fiel ihm etwas ein, das er nach dem ersten gescheiterten Anschlag selbst gesagt hatte: Wir dürfen niemand an uns heranlassen, bis wir wissen, wer diese Leute sind. Berry sah sich erschrocken um. Angehörige von Rettungsmannschaften liefen nach vorn zum Cockpit der Straton. Jeder von ihnen konnte der Kerl sein, der sie zu ermorden versucht hatte. Berry starrte sie angstvoll an. Er war der Mann, auf den sie es abgesehen hatten. Ihn hatten sie von Anfang an erledigen wollen. Und nun war er ihnen ausgeliefert: Hier konnten sie ihn erschießen oder erstechen, anstatt ihm falsche Anweisungen zu übermitteln. Sie würden ihn ermorden; sie würden auch Sharon und Linda ermorden. In der allgemeinen Verwirrung würde ihnen das leicht gelingen. Sie würden drei Morde verüben, die Data-Link-Mitteilungen an sich bringen und ihre Spuren erfolgreich verwischen.
John Berry richtete sich auf den Knien auf. Er mußte die Fernschreiben finden und – noch wichtiger – herausbekommen, wer sie zu ermorden versuchte. Nur mit diesem Wissen konnten sie überleben.
Er sah etwas, das ihn auf eine Idee brachte. Dieser aus Verzweiflung geborene Plan war ihre einzige Chance. Aber er mußte rasch handeln. Die Zeit und sein eigener Körper kämpften gegen ihn. Er kroch mit schmerzverzerrtem Gesicht über die Landebahn.
Sharon. Linda. Berry dachte an sie, während er seine letzten Kräfte mobilisierte. Er wußte, daß er dicht davor war, das Bewußtsein zu verlieren. Ihm wurde immer wieder schwarz vor den Augen, so daß er kaum noch sah, wohin er kroch. Aber er kämpfte sich verbissen weiter. Lieber Gott, hilf mir, daß ich diesen Verbrechern zuvorkomme!
»Vorsicht! Platz da!« Wayne Metz sprang zur Seite. Zwei Feuerwehrmänner rannten mit einem Schlauch, den sie zwischen sich abrollten, auf das Flugzeug zu.
»Explodiert die Maschine?« rief Metz ihnen nach, Die Männer ignorierten ihn und hasteten weiter.
»Großer Gott!« sagte Metz beinahe ehrfürchtig. Sein Blick glitt über den verdrehten Flugzeugrumpf. Das gezackte Loch in der linken Flanke der Straton gähnte nur etwa 30 Meter von ihm entfernt. Die Außenhaut der Maschine war aufgerissen und zerfetzt, als bestehe sie nur aus Papier. Während von allen Seiten Retter zusammenströmten, kletterten einzelne Passagiere aus eigener Kraft aus dem großen Loch.
Metz wußte nicht, was er als nächstes tun sollte. Er war auf Johnsons Anweisung zur linken Seite der Straton gelaufen, während Ed Johnson die rechte übernommen hatte. Wir müssen Berry finden. Wir müssen diese verdammten Fernschreiben finden, hatte Johnson gesagt. Aber wo? Wie? Sollte er versuchen, ins Cockpit vorzudringen? Das erschien ihm angesichts der starken Rauchentwicklung geradezu selbstmörderisch.
»Hierher! Bringt sie hierher!«
Metz warf sich herum.
Sergeant Frank Davis meinte zwei Feuerwehrmänner, die aus dem Flugzeugwrack kamen. »Legt sie hierher! Ich kümmere mich um sie!«
Die beiden Feuerwehrmänner, die noch immer ihre Atemschutzgeräte trugen, hörten Davis endlich. Sie kamen mit den bewußtlosen Frauen, die sie trugen, auf ihn zu, legten sie bei Metz nieder und machten sofort kehrt, um weitere Überlebende aus der Straton zu holen.
»Kommen Sie, Sie können mir helfen«, forderte der Sergeant Metz auf. Seine blaue Uniform war von Löschschaum durchnäßt, aber Davis hatte noch immer seinen Revolver im Halfter und ein Paar Handschellen am Gürtel.
»Hier«, sagte Sergeant Davis. Er zeigte auf eine Gerettete und kniete selbst neben der anderen nieder.
Metz starrte die Frauen an. Beide waren Ende Vierzig; beide schienen kaum zu atmen. Ihre Augen waren geschlossen, ihre Gesichter kreidebleich. Er sah sich nach dem Loch in dem Flugzeugrumpf um. Die aus eigener Kraft ins Freie gelangten Überlebenden irrten ziellos über die Landebahn. Manche von ihnen konnten sich kaum auf den Beinen halten.
Hirngeschädigt. Der Versicherungsmann begriff zum erstenmal, seitdem er dieses Wort in Berrys Fernschreiben gelesen hatte, was es wirklich bedeutete. Dies war der schrecklichste Anblick seines Lebens, aber Metz konnte nicht anders: Er mußte die Umherirrenden anstarren.
»Los, los, machen Sie schon!« forderte der Sergeant ihn ungeduldig auf.
»Was? Oh, Entschuldigung.«
Davis zeigte auf zwei bewußtlose Männer, die eben aus der Straton gebracht worden waren. »Den beiden geht’s schlechter als den Frauen. Wir müssen schnell arbeiten. Kommen Sie, ich zeig’s Ihnen.«
Die Kleidungsstücke der beiden Männer waren zerfetzt und blutig. »Wir untersuchen sie, um festzustellen, ob sie stark bluten. Das ist der erste Schritt. Leute mit starken Blutungen werden anschließend sofort ärztlich versorgt.«
»Okay.« Metz kniete neben Davis nieder, weil er nicht wußte, wie er sich vor dem Mithelfen drücken sollte.
Davis beugte sich über den ersten Mann und riß ihm das Hemd auf. »Uns geht’s um schwere Blutungen. Sehen Sie?Nichts. Das ist gut. Um alles andere sollen sich die Ärzte kümmern. Noch Fragen?«
»Nein, nein, keine mehr.« Metz war wie vor den Kopf geschlagen. Alles passierte viel zu schnell. Wo steckte Johnson?
»Die nächsten Leute kommen bereits. Los, beeilen Sie sich! Untersuchen Sie Ihren Mann.«
»Okay.« Metz beugte sich über den Bewußtlosen. Sein Gesicht war aufgeschürft, aber die Wunden bluteten nicht. Wir müssen Berry finden. Wir müssen diese verdammten Fernschreiben finden. Metz wollte das Hemd des Mannes aufknöpfen, als ihm ein dunkelroter Fleck am linken Oberschenkel des vor ihm Liegenden auffiel.
»Er blutet stark.«
»Wo? Lassen Sie mal sehen.«
Metz stand auf und sah sich um. Er wußte nicht, was Johnson von ihm erwartete. Aber er wußte, daß er nach der Landung der Straton schleunigst hätte verschwinden sollen. Berry würde überleben. Die Fernschreiben würden gerettet werden. Wenn er nicht bald abhaute, würde er geschnappt werden.
»Ziemlich schlimm«, stellte Davis fest. »Der braucht einen Arzt.«
»Okay, ich hole einen«, stimmte Metz zu. Er lief zu den hinter ihnen abgestellten Krankenwagen, blieb dort aber nicht stehen, sondern ging zum Bug der Straton weiter. Falls er unterwegs Johnson begegnete, würde er kurz mit ihm sprechen; andernfalls würde er in Richtung Parkplatz weitergehen.
Feuerwehrmänner hatten eine Kette gebildet und reichten verletzte Passagiere von Mann zu Mann weiter, bis sie durch das Loch im Rumpf ins Freie gelangten. Metz wollte sich eben abwenden, als ihm eine Leuchtfarbe auffiel. Orangerot. Er sah genauer hin. Schwimmwesten.
Wayne Metz blieb wie angenagelt stehen, als ihm die Bedeutung des Gesehenen klar wurde. Schwimmwesten! Zwei der Bewußtlosen waren vernünftig genug gewesen, ihre Schwimmwesten anzulegen!
Er rannte auf sie zu. Ein junges Mädchen trug eine der orangeroten Schwimmwesten. Eine Stewardess, die an ihrer zerfetzten Uniform zu erkennen war, trug die zweite. Beide waren bewußtlos.
Bevor Metz etwas unternehmen konnte, beugte ein Polizist sich über die Stewardess und hob sie auf.
Metz starrte ihr nach, als sie weggetragen wurde. Sein Mund stand offen. Er konnte kaum glauben, daß er sie gefunden hatte. Aber die übrigen Passagiere und Besatzungsmitglieder waren außerstande, aus vernünftigen Überlegungen heraus Schwimmwesten anzulegen. Was sollte er jetzt tun? Johnson, wo bist du, verdammt noch mal?
Seine Augen begannen zu tränen. Er hustete. Leichte Rauchschwaden zogen an ihm vorbei. Es stank nach verbranntem Kerosin, Gummi und Plastikmaterial.
»Los, weiter! Schafft sie hier weg. Bringt sie zu den Krankenwagen«, sagte eine Stimme hinter ihm.
Die Retter verteilten sich. Jeder nahm sich eines bewußtlosen Passagiers an, um ihn aus der Gefahrenzone zu tragen oder zu schleifen. Ein Polizist kam auf das Mädchen mit der Schwimmweste zu. Metz trat einen Schritt vor und beugte sich rasch über die Kleine.
»Okay, beeil dich«, forderte der Uniformierte ihn barsch auf. »Sieh zu, daß sie hier rauskommt.«
»Ich bin schon dabei. Aber ich muß vorsichtig sein. Vielleicht ist sie verletzt.« Metz hob die Bewußtlose auf. Seine Augen brannten. »Der verdammte Rauch!«
Der Polizist hustete. »Ja. Dort rüber.« Er zeigte in die Richtung, in die ein anderer Mann die Stewardess abtransportiert hatte.
»Wird gemacht.« Metz überlegte angestrengt, während er sich in Bewegung setzte. Er hielt die Kleine in den Armen – aber er wußte nicht, was er mit ihr anfangen sollte. Schließlich erreichte Metz mit ihr eine lange Reihe abgestellter Tragbahren, auf denen bewußtlose Gerettete – darunter auch die Stewardess – lagen, bis sie versorgt werden konnten. Wir müssen diese verdammten Fernschreiben finden. Der Versicherungsmann wußte, daß er vielleicht nur noch eine halbe Minute Zeit hatte, bevor Ärzte, Sanitäter oder Krankenschwestern sich um die beiden kümmerten.
Er legte die Kleine auf die freie Tragbahre neben der Stewardess und begann, ihre Schwimmweste zu öffnen. »Mal nachsehen, ob sie blutet«, sagte er laut, um als Fachmann zu wirken. Dann sah er sich um. Niemand achtete auf ihn.
Als er den Sicherheitsverschluß der Schwimmweste öffnete, merkte er, daß in dem Tragbeutel etwas Großes steckte. Metz zog den Reißverschluß auf, griff in den Beutel und holte den sperrigen Gegenstand heraus.
Schutzhandschuhe. Mit Heftpflaster umwickelt. Sein Herz klopfte vor Aufregung. Metz beugte sich tiefer über die Bewußtlose, damit niemand sah, was er tat. Seine Hände zitterten heftig. Er hatte Mühe, den Pflasterstreifen abzuziehen.
»Blutet sie?«
Metz sah erschrocken auf und verdeckte die Handschuhe mit seinem Körper. Eine Krankenschwester stand vor ihm und starrte das bewußtlose Mädchen prüfend an.
»Ob sie blutet? Nein, das glaube ich nicht.«
»Wissen Sie das bestimmt?«
Er hatte den Eindruck, die Krankenschwester beobachtete ihn mißtrauisch. Hatte sie Verdacht geschöpft? »Na ja, ich kann natürlich nicht dafür garantieren. Ich hab’ keine Zeit gehabt, sie richtig …«
»Lassen Sie mich mal nachsehen.«
Metz stand mit den Handschuhen unter dem Arm auf. »Okay, Sie kümmern sich um sie. Ich gehe zum Flugzeug zurück.« Bevor die Krankenschwester antworten konnte, war er bereits fünf Meter von ihr entfernt.
Eine Gruppe von Männern stand vor dem Loch im Rumpf der Verkehrsmaschine. Der Brand war gelöscht, und der Rauch verzog sich allmählich. Mehrere Feuerwehrmänner standen mit abgenommenen Atemschutzgeräten am Rand der Landebahn. Offenbar waren bereits alle Überlebenden aus dem Flugzeug geholt worden. Metz schloß sich unauffällig der vor dem Loch stehenden Gruppe an.
»Mann, das war keine Explosion, sondern eine Implosion!« stellte jemand fest.
»Und die gegenüberliegende Wand ist nach außen gedrückt. Seht ihr das? Das Blech ist an den Rändern nach außen gebogen.«
Während Metz diese Diskussion verfolgte, riß er mit zitternden Fingern das restliche Heftpflaster von den Handschuhen. Er wußte, daß hier ein wichtiges Thema besprochen wurde, aber er konnte sich vorerst nicht darauf konzentrieren. Nachdem er den Pflasterstreifen abgewickelt hatte, zog er die Asbesthandschuhe auseinander und ließ sie achtlos fallen. Nun hielt er eine seltsam leichte Taschenlampe in der Hand.
»Kann das ein Meteor gewesen sein? Oder irgendwas aus dem Weltraum? Vielleicht ein Stück von einem Satelliten? Ist das möglich?«
»Nein, das glaube ich nicht. Die Löcher liegen sich waagrecht gegenüber. Vielleicht irgendeine Art Rakete. Sie hat den Flugzeugrumpf von links nach rechts durchschlagen. Das zweite Loch ist viel größer, weil sie dabei ins Taumeln geraten ist.«
Rakete? Taumeln? Was, zum Teufel, soll das alles heißen? Metz bemühte sich darum, das Gehörte vorerst zu verdrängen und sich auf die Taschenlampe zu konzentrieren. Er schraubte sie auf und sah hinein. Sie enthielt eng zusammengerollte Papiere, Metz zog sie heraus und schickte ein Stoßgebet gen Himmel, daß dies die Fernschreiben waren. Der Versicherungsmann zwang sich dazu, einen der Texte zu lesen:
AN FLUG 52: WIR HABEN IHRE POSITION GENAU BESTIMMT. NÄCHSTER FLUGHAFEN HAWAII. STEUERKURS DORTHIN 240 GRAD. LUFT-UND SEERETTUNG ERWARTEN SIE …
Er hatte gefunden, was sie suchten! Metz steckte die Papiere hastig ein. Jetzt standen die unbewiesenen Aussagen und Anklagen dreier hysterischer Geretteter gegen Johnsons und seine Aussage. Und das bedeutete, daß man ihnen nichts würde nachweisen können!
»Falls das wirklich ’ne Rakete gewesen ist, muß sie ein Blindgänger gewesen sein. Sie ist jedenfalls nicht explodiert. Aber sie scheint verdammt schnell gewesen zu sein.«
Metz nickte mit den anderen. Das mußte er unbedingt Johnson erzählen. Vielleicht hatte es Einfluß auf ihre Darstellung der Ereignisse. Einige der Männer wandten sich ab und gingen davon. Metz nützte die Gelegenheit, um die Gruppe zu verlassen.
Er marschierte nach vorn zum Bug der Straton 797. Eine Rakete. Eine gottverdammte Rakete. Er hätte beinahe gegrinst. Wenn sie wirklich Glück hatten, stellte sich heraus, daß das Militär an diesem Unfall schuld war. Dann mußte der Staat die Opfer entschädigen, und die Beneficial – und mit ihr Wayne Metz – war aller Sorgen ledig. Noch besser war allerdings, daß er dadurch Wilford Parke und den Arschlöchern im Aufsichtsrat beweisen konnte, daß Wayne Metz jedem nur denkbaren Sturm gewachsen war.
Edward Johnson stand hinter der rechten Tragfläche der Straton und beobachtete die Retter. Er fragte sich nervös, warum er überhaupt in der Nähe geblieben war. Hatte er erwartet, daß der geheimnisvolle John Berry aus dem Loch im Rumpf treten, zu ihm kommen und ihm die Fernschreiben in die Hand drücken würde? Der Drang, die Flucht zu ergreifen, war sehr stark, aber Johnson widerstand dieser Versuchung. Irgendwie würde er es schaffen, hier heil rauszukommen.
Wo, zum Teufel, steckte Metz? Johnson erkannte, daß die Rettungsaktion allmählich zu einem großen Zirkus ausartete, in dem John Berry bald als Star der Manege auftreten würde. Und er war sich darüber im klaren, daß er sich eine unmögliche Aufgabe gestellt hatte: Er wollte einen Unbekannten aufhalten, der das Flugzeugwrack durch ein Dutzend Öffnungen verlassen haben konnte. Johnson wußte nicht einmal, ob Berry in diesem Augenblick etwa mit dem Polizeipräsidenten von San Francisco sprach.
Johnson wandte sich ab. »Verdammte Scheiße«, murmelte er. Kevin Fitzgerald war keine 20 Meter von ihm entfernt damit beschäftigt, Feuerwehrmännern zu helfen, Überlebende von der Tragfläche wegzuführen. Der Vizepräsident war sich darüber im klaren, daß Fitzgerald der Mann war, vor dem er sich am meisten in acht nehmen mußte.
Unmittelbar vor Johnson stand ein Löschfahrzeug, das die rechte Tragfläche unter Schaum setzte, bis auch hier kein Rauch mehr aufstieg. Johnson wußte aus seiner Erfahrung mit Flugzeugbränden, daß dieser Brand unter Kontrolle war. Es würde keine Explosion mehr geben, die Berry und die Fernschreiben erledigte.
»Johnson! Hierher!« Das war Fitzgerald.
Er ignorierte den Chefpiloten, wandte sich ab und gab vor, nichts gehört zu haben. Daß Fitzgerald ihm über die Schulter sah, hatte ihm gerade noch gefehlt! Johnson ging nach vorn und sah, daß die Notrutsche unter dem Cockpit aufgeblasen war. Scheiße. Daran hätte er früher denken sollen, anstatt in der Nähe des Loches im Rumpf zu bleiben. Berry war bestimmt geistesgegenwärtig genug gewesen, um das brennende Flugzeug so rasch wie möglich zu verlassen, und Crandall hatte gewußt, wie sich der Notausgang öffnen ließ. Johnson setzte sich in Bewegung und rannte auf die Rutsche zu.
»He, Johnson! Warten Sie doch, verdammt noch mal!«
Johnson sah sich um. Fitzgerald lief hinter ihm her und holte rasch auf. Der Vizepräsident wußte, daß er den jüngeren Mann nicht abhängen konnte. Er blieb stehen. »Was wollen Sie?« fragte er schroff.
»Wohin sind Sie unterwegs?«
»Jetzt ist Essenszeit. Ich gehe zum Mittagessen, wenn’s recht ist.« Johnson bedauerte im nächsten Augenblick, daß ihm nichts Vernünftiges eingefallen war. Er mußte Fitzgerald irgendwie abwimmeln.
»Hören Sie«, sagte der Chefpilot, ohne auf Johnsons Antwort einzugehen, »diesen Leuten geht es wirklich schlecht. Viel schlechter, als ich mir vorgestellt habe. Sie sind tatsächlich hirngeschädigt. Glauben Sie, daß wir irgend etwas für sie tun können?«
Fitzgerald beobachtete ihn lauernd, und Johnson bezweifelte, daß er seine Frage ernst meinte. Der andere spielte auf Zeitgewinn oder wollte ihn aushorchen. »Woher soll ich das wissen, verdammt noch mal? Reden Sie doch mit den Ärzten darüber.«
»Was sagt Ihr Freund, der Rechtsanwalt, dazu?«
Johnson begriff plötzlich, was hier gespielt wurde. Fitzgerald war mißtrauisch, aber er wußte nicht, was an dieser Sache faul war. Clever, sagte Johnson sich. Aber nicht clever genug. »Er ist kein Anwalt, Kevin. Er ist ein Versicherungsmann. Unser Versicherungsmann. Und wenn ich mir das alles so ansehe, brauchen wir unbedingt einen.« Er sah zur Notrutsche nach vorn. Eben rutschte jemand viel zu schnell hinunter. Im unteren Drittel kippte der Mann über den seitlichen Wulst und schlug hinter der Notrutsche auf die Landebahn auf.
»Wo ist er?« wollte Fitzgerald wissen.
»Keine Ahnung.«
»Haben Sie schon jemand aus dem Cockpit gefunden?«
»Nein.« Johnsons Stimme ließ keine Gefühlsregung erkennen. »Die melden sich noch früh genug.«
»Ich versuche inzwischen, Berry zu finden.«
Johnson wußte, daß Fitzgerald damit seinen größten Köder ausgeworfen hatte. »Wunderbar, dann hören Sie endlich, wie er die Landung geschafft hat – eine tolle Leistung, finde ich.« Die beiden Männer starrten sich wortlos an. »Wenn Sie mich jetzt entschuldigen, Captain«, fuhr Johnson fort, »gehe ich auf die andere Seite, um zu sehen, wie der Abtransport der Geretteten dort funktioniert.«
Er marschierte davon und überzeugte sich mit einem Blick über die Schultern, daß Fitzgerald ihm nicht folgte.
Unter dem Flugzeugbug tauchte Wayne Metz auf.
»Wo hast du gesteckt, verdammt noch mal?«
»Ed, ich hab’ sie gefunden! Das Mädchen hat sie bei sich gehabt!«
»Die Fernschreiben?«
»Richtig«, bestätigte Metz grinsend. »Mir sind die beiden aufgefallen, als sie abtransportiert werden sollten. Die Kleine und die Stewardess waren beide bewußtlos.«
»Woher hast du gewußt, daß …?«
»Wegen der Schwimmwesten! Beide hatten organgerote Schwimmwesten an. Und ich hab’ die Fernschreiben gefunden! Ich hab’ sie hier in der Tasche.« Metz klopfte sich an die Jacke. »Das bedeutet, daß unser Wort gegen ihres steht.«
»Vielleicht.« Johnson sah sich um. Natürlich war es gut, daß sie die Fernschreiben hatten. Aber er wußte, daß sie Berry trotzdem erledigen mußten. Er wäre ein zu gewichtiger Belastungszeuge gewesen.
»Wayne, sieh doch!« Johnson mußte sich beherrschen, um nicht aufzuschreien.
»Ja! Die Schwimmweste!«
Beide hasteten auf den Mann in der orangeroten Schwimmweste zu, der in der Nähe der Notrutsche lag.
»Das muß Berry sein.«
»Richtig!«
Sie knieten neben dem Mann nieder. Er war bewußtlos und blutete aus Schürfwunden im Gesicht und an den Armen.
»Was fangen wir mit ihm an?« erkundigte Metz sich. »Hier können wir ihn nicht erledigen.«
Johnson sah sich um. Überall wimmelte es von Menschen. Im nächsten Augenblick konnten Sanitäter herüberkommen. »Ja, du hast recht. Wir müssen ihn fortschaffen.«
»Zu gefährlich.«
»Nein.« Johnson sah eine Möglichkeit. »Dort drüben werden Leute zum Abfertigungsgebäude gebracht. Siehst du’s?« Er zeigte auf die Gruppe, die er meinte.
Sanitäter und Angehörige der Rettungsmannschaften stellten eine Gruppe von Überlebenden zusammen. Wer gehfähig war, wurde geführt; wer nicht selbst gehen konnte, wurde auf einer Krankenliege gefahren. Die Gruppe setzte sich in Richtung Abfertigungsgebäude in Bewegung.
»Los, hol eine dieser Krankenliegen her! Aber beeil dich, sonst sind sie weg!«
»Okay.« Metz rannte in die angegebene Richtung.
Edward Johnson starrte den bewußtlos vor ihm liegenden John Berry an. Er sah ziemlich mitgenommen aus. Als er sich bückte, um Berry auf den Rücken zu drehen, stieß ihn einer der Überlebenden an. »He, paß auf!« knurrte Johnson.
»Aaargh!« Der Passagier, ein Mann mittleren Alters, der eine zerrissene Hose und ein zerfetztes, blutbeflecktes Hemd trug, torkelte zurück und sank einige Schritte von Johnson entfernt langsam auf die Knie.
Der Hirngeschädigte starrte Johnson unverwandt an. Man hätte glauben können, er ahne, daß dieser Mann versucht hatte, sie
alle zu ermorden, anstatt sie heimzuholen. »Verschwinde!«
»Aaargh!«
Laß gut sein, ermahnte Johnson sich selbst. Hier war jedes Wort vergeudet. Er wußte, daß der andere ihn nicht verstehen konnte. Außerdem mußte er sich jetzt um Berry kümmern. Johnson hob den Kopf und stellte fest, daß Metz zurückkam.
»So, hier ist eine Krankenliege.«
»Okay, hilf mir, ihn aufzuladen.«
Die beiden Männer hoben den Bewußtlosen hoch.
»Er ist schwer.«
»Laß ihn nicht fallen. Halt ihn gut an der Schwimmweste fest.«
Sie legten ihn auf die Krankenliege und schnallten ihn mit den Gurten an.
»Du schiebst ihn zum Abfertigungsgebäude, Wayne«, wies Johnson ihn an. Er sah sich um. Auch er brauchte irgendeinen Grund, um übers Vorfeld gehen zu können, denn zwei Männer, die eine einzige Liege schoben, konnten verdächtig wirken.
»Aargh!« Der Hirngeschädigte rappelte sich auf und wankte auf ihn zu.
Johnson erkannte seine Chance. Er ging dem Mann entgegen, legte ihm einen Arm um die Schultern und begann, ihn in Richtung Ankunftsgebäude zu dirigieren. »Wart auf uns, Wayne!« rief Johnson nach vorn.
»Wer ist das?«
»Das kann uns egal sein.«
»Richtig.«
Sie marschierten schweigend weiter. Metz schob die Krankenliege; Johnson stützte und führte den Hirngeschädigten.
»Sollen wir ihm die Schwimmweste ausziehen?« schlug Metz vor. »Vielleicht kriegt sonst noch jemand raus, wer er ist.«
Johnson sah nach vorn, wo die Überlebenden in einer langen Schlange zum Ankunftsgebäude geführt oder gefahren wurden.
»Zu spät, Wayne. Das würde auffallen. Aber wir kommen auch
so zurecht.«
»Was hast du mit ihm vor, wenn wir im Gebäude sind?«
»Ich hab’ einen Schlüssel zur Frachtabteilung. Dort gibt’s genügend leere Lagerräume, in denen wir uns mit ihm befassen können.«
Metz fuhr zusammen. »Hör zu, Ed, so was hab’ ich noch nie getan. Versprichst du mir, daß du …?«
»Keine Angst, ich erwarte nicht, daß du dir die Hände schmutzig machst.«
Der Versicherungsmann gab keine Antwort. Sie holten die in die Länge gezogene Gruppe aus gehunfähigen Überlebenden, die gefahren wurden, und mit Unterstützung von Rettern dahintorkelnden Männer und Frauen ein und näherten sich mit ihr einem abgesperrten Teil des Ankunftsgebäudes.
Johnson starrte den Bewußtlosen auf ihrer Krankenliege an. Blut aus einer Armverletzung tropfte auf die orangerote Schwimmweste und färbte sie schmutzigbraun. Johnson wußte, daß er Berry ermorden mußte. Er würde ihm mit irgendeinem schweren Gegenstand den Schädel einschlagen und ihn dann wieder zu den anderen legen. Diese Verletzung konnte er bei der harten Notlandung erlitten haben.
»Wir arbeiten uns immer weiter nach vorn«, stellte Metz mit seltsam unsicherer Stimme fest. »Sollen wir lieber etwas zurückbleiben?«
»Nein. Wenn wir mit der ersten Gruppe ankommen, haben wir’s um so leichter.« Johnson war sich darüber im klaren, daß er lieber zehn Männer wie Metz als einen wie Berry ermordet hätte. Er betrachtete den vor ihm Liegenden. Du hast Mut. Du würdest in meiner Lage auch nicht anders handeln.
Die zerlumpte Gruppe schlurfte übers Vorfeld. Die Überlebenden waren erschöpft, ausgelaugt und still; sie hatten keine Angst, aber auch keine Kraft mehr. Einige von ihnen hielten sich an den Händen, andere versuchten immer wieder, aus der Gruppe auszuscheren.
Sanitäter und Krankenschwestern hielten ihre willig dahintrottende Herde mit sanfter Gewalt zusammen.
Als die ersten Geretteten das Ankunftsgebäude erreichten, ertönten auf dem Besucherbalkon Freudenschreie. Familienangehörige und Freunde drängten ans Geländer, um nach den sehnlich erwarteten Ausschau zu halten.
»Beverly! Hier drüben!«
»Jim! Jim, ich bin’s! Hier oben!«
»Daddy!«
Johnson sah weg und hielt den auf ihn gestützten Passagier fester.
»Daddy! Über dir! Bitte! Bitte!«
Keiner der Überlebenden zeigte auch nur die geringste Reaktion. Die Gruppe schlurfte zum Abfertigungsgebäude weiter. Die nicht Gehfähigen wurden auf Krankenliegen und in Rollstühlen am Besucherbalkon vorbeigefahren.
»Bill! Bill, wir sind hier oben!«
Dann begann die Menge zu verstehen, daß diesen Menschen etwas Schlimmeres als der Tod widerfahren war. Die Begrüßungsrufe verstummten allmählich.
»Alice, hörst du mich denn nicht?«
Auf Vorfeld und Besucherbalkon herrschte unheimliches, bedrückendes Schweigen.
Johnson und Metz bildeten die Spitze der Prozession, die unter dem Besucherbalkon vorbeizog und den Eingang des Gebäudes erreichte.
»Scheiße!« sagte Johnson halblaut. Zehn Meter vor ihnen waren Fernsehkameras aufgebaut. »Verdammte Aasgeier.« Es schien bereits Tage zurückzuliegen, daß Johnson vor diesen gleichen Reportern gestanden und ihnen mitzuteilen versucht hatte, Flug 52 sei im Pazifik verschollen.
»Mein Gott, was soll ich ihnen nur sagen?« fragte Metz erschrocken. Der Anblick der wartenden Kameramänner und Reporter hatte ihn sichtlich verwirrt. Sein bißchen Mut hatte
sich sekundenschnell verflüchtigt.
»Immer mit der Ruhe, Wayne. Wir kommen schon zurecht.«
»Ich bin dafür, daß wir umkehren. Wir suchen uns einen anderen Eingang.« Metz war stehengeblieben.
»Reiß dich zusammen, Arschloch!« knurrte Johnson. »Wir können hier nicht mehr umkehren, verstanden?«
»Ich schaff’s nicht, Ed.«
»Doch, du schaffst’s, Wayne. Dir bleibt gar nichts anderes übrig.«
Metz starrte die Kameras an. »Geh du wenigstens voran«, flüsterte er.
»Gut, meinetwegen.«
Metz blieb stehen. Johnson ging an ihm vorbei weiter. Der Mann, den er stützte, lehnte schwer an seiner Schulter.
»Langsam, alter Freund«, sagte Johnson beruhigend – allerdings mehr für die Mikrophone der Fernsehreporter, die jetzt in Hörweite waren. »Immer mit der Ruhe, wir haben’s gleich geschafft.«
»Mr. Johnson?« Einer der Reporter hatte den Vizepräsidenten erkannt und vertrat ihm den Weg.
»Ja?« Johnson ging langsam weiter auf den Eingang zu, der sich fünf bis sechs Meter hinter der Fernsehkamera auftat. Dort hielt ein Polizeibeamter Wache, um Neugierige fernzuhalten. Nur schade, daß Reporter nicht auch in diese Kategorie fielen!
»Können Sie uns sagen, was dort draußen passiert ist?«
»Kein Kommentar.« Falsche Reaktion. »Bitte, lassen Sie uns ein paar Minuten Zeit. Ich stehe Ihnen dann wieder zur Verfügung.«
Aber der Reporter ließ sich nicht so leicht abwimmeln, und die Kamera folgte ihm.
»Mr. Johnson, die Geretteten scheinen einen Schock erlittenzu haben. Haben die Ärzte sich bereits dazu geäußert?«
»Nein.« Der Eingang war nur noch drei Meter entfernt. Fast geschafft. In ein paar Sekunden ist alles vorbei.
»Besteht noch Gefahr, daß das Flugzeug explodiert?«
»Nein, der Brand ist gelöscht.«
Johnson beobachtete aus den Augenwinkeln heraus, wie Metz einen Bogen um ihn herum machte und die Krankenliege zum Eingang schob. Nicht zu schnell, du Idiot! Langsamer, sonst fallen wir jetzt noch auf. Johnson blieb stehen, um Metz einen gewissen Vorsprung zu sichern.
»Können Sie ungefähr sagen, wie viele Tote und Verletzte es gegeben hat?«
Johnson starrte den Fernsehreporter aufgebracht an. Verdammte Aasgeier. Hätte das rote Licht an der Kamera ihm nicht gezeigt, daß sie eingeschaltet war, hätte Johnson dem Reporter die Meinung gesagt. »Hören Sie, ich stehe Ihnen später zur Verfügung.« Metz mußte inzwischen den Eingang erreicht haben. »Lassen Sie mir ein paar Minuten Zeit, bis wir diese Leute versorgt haben.«
Der Überlebende, der sich bisher auf Johnson gestützt hatte, richtete sich auf und rückte etwas von ihm ab, als wehre er sich plötzlich gegen diese Hilfe.
»Immer mit der Ruhe, Mann!« sagte Johnson beschwichtigend – allerdings etwas zu laut.
Der Gerettete trat einen Schritt zurück. Johnsons Arm glitt von seiner Taille.
Der Fernsehreporter drängte sich an Johnson vorbei und hielt dem Mann sein Mikrophon hin.
Die Kamera schwenkte nach links und erfaßte das aufgeschürfte, blutverschmierte Gesicht des Mannes.
»Sir?« fragte der Reporter hastig, weil er wußte, daß ihm nur wenige Sekunden für dieses Interview blieben, bevor Johnson ihn unterbrach. »Können Sie uns kurz schildern, was an Bord der Unglücksmaschine passiert ist?«
»Verdammt noch mal!« rief Johnson aufgebracht. Er sah Metz am Eingang stehen.
»Sir?« wiederholte der Reporter.
Johnson trat auf ihn zu. »Sehen Sie nicht, daß dieser Mann einen Schock erlitten hat?« Er griff nach dem Mikrophon, bekam es nicht zu fassen und brüllte unbeherrscht los: »Ihr gottverdammten Aasgeier! Müßt ihr überall …«
»Stopp!«
Johnson drehte sich hastig um. Der Mann, den er bis vor einer halben Minute hatte stützen müssen, stand jetzt ohne fremde Hilfe aufrecht da. Er hatte dieses einzelne Wort gerufen, einen klaren, eindeutigen Befehl. Unmöglich! Edward Johnson fühlte eine ungeheure Angst in sich aufsteigen.
»Was?« Der Reporter war mit einem großen Schritt zwischen Johnson und dem Geretteten. Um sie herum herrschte plötzlich gespanntes Schweigen.
»Halt ihn zurück, Ed!« sagte Metz ängstlich. »Er darf auf keinen Fall …«
»Halt’s Maul!« Johnson schob den Reporter zur Seite und griff nach dem Passagier.
Der Mann wich ihm geschickt aus. Gleichzeitig streckte er eine Hand aus und entriß dem Fernsehreporter das Mikrophon.
Johnson begegnete dem Blick des Mannes. Der andere starrte nicht mehr ausdruckslos vor sich hin. Statt dessen sprach aus seinem Blick kalter, unmißverständlicher Haß.
»Ich bin John Berry«, sagte der Mann ins Mikrophon.
»Nein!«
»Doch!« Berry trat einen Schritt auf Metz zu. Er behielt das Mikrophon in seiner zitternden Hand, und die Fernsehkamera folgte ihm. »Ich bin der Pilot, der die Straton gelandet hat! Diese beiden Männer sind Mörder!«