13
Leutnant Matos hatte noch keinen Schuß im Zorn abgefeuert, aber jetzt sollte er einen voller Kummer abgeben. Sein erster Abschuß würde ein unbewaffnetes amerikanisches Verkehrsflugzeug sein.
Matos schob sich mit seiner F-18 in Schußposition: 25 Meter hinter und 50 Meter über dem riesigen Leitwerk der Verkehrsmaschine. Er klappte das Visier herunter und sah hindurch.
Wolkenfetzen flogen an ihm vorbei und über den silbrigen Rumpf der Straton, so daß die Helligkeit zwischen Wolken-schatten und Sonnenschein schwankte. Matos rieb sich die Augen. Das waren keine idealen Voraussetzungen für einen Schuß aus nächster Entfernung.
Er sah nach vorn. Die dunkle Wolkenwand wälzte sich wie eine hohe Brandung auf ihn zu. Vor der eigentlichen Front waren graue Schichtwolken zu erkennen, die sie in etwa einer Minute erreichen würde. Unter diesem dichten, grauen Schleier würde er zuschlagen. »Los, Pedro!« sagte er sich, drückte den Steuerknüppel leicht nach vorn und meldete über Funk: »Navy drei-vier-sieben beginnt den Angriff.«
»Verstanden.«
Matos klappte die Schutzhaube zurück und legte einen Finger auf den Feuerknopf für die Rakete.
Diesmal war es schwieriger, den Zielpunkt ins Visier zu bekommen. Die Turbulenz ließ die beiden Flugzeuge gieren und rollen, so daß es Matos nicht gelingen wollte, die Kuppel der Straton ins Fadenkreuz zu bekommen.
Sie befanden sich jetzt unter den hohen Schichtwolken, wo das Licht schwächer, aber gleichmäßiger war. Der Leutnant starrte durch sein Visier. Er war mehrmals nahe daran, auf den Feuerknopf zu drücken, aber das Ziel wanderte jedesmal wieder aus. Ein Blick nach vorn zeigte ihm, daß die Front in wenigen Minuten da sein würde. Sobald die Straton in diese schwarze Wand eintauchte, hatte er keine Chance mehr, in Schußposition zu bleiben. »Homeplate! Starke Turbulenz. Kann die Maschine nicht ruhig halten!«
»Sie sollen die verdammte Rakete abschießen!« Sloans Stimme klang schneidend scharf.
Matos überlegte einen irrationalen Augenblick lang, ob er das Cockpit der Straton rammen sollte. Er drückte seinen Steuerknüppel unwillkürlich etwas nach vorn, so daß die F-18 dichter zu dem Verkehrsflugzeug aufschloß. Plötzlich zog er den Steuerknüppel wieder zurück und stellte damit den früheren Abstand her. Matos hatte aus den Augenwinkeln heraus etwas wahrgenommen, das seinen Auftrag überflüssig machen konnte.
Während der Abstand zwischen den beiden Maschinen sich vergrößerte, starrte Matos die linke Tragfläche der Straton an. Der heiße Gasstrahl aus dem Triebwerk Nummer eins war versiegt. Auch das zweite Triebwerk fiel jetzt aus. Matos sah nach rechts und stellte fest, daß die Steuerbordtriebwerke ebenfalls nicht mehr arbeiteten. Er drückte auf den Sprechknopf. »Homeplate! Homeplate! Die Straton hat Triebwerksausfall! Ich wiederhole: Die Straton hat Triebwerksausfall!«
»Können Sie das einwandfrei feststellen?« erkundigte Sloan sich. Seine Stimme klang so aufgeregt wie die des Leutnants. »Wo sind Sie?«
Matos holte tief Luft. »Ich bin dicht hinter ihr. Die Triebwerke arbeiten nicht mehr. Alle vier sind ausgefallen.« Er beobachtete, wie die Straton ihren Gleitflug zur Meeresoberfläche begann. »Der Autopilot ist offenbar noch immer eingeschaltet. Geschwindigkeit weiterhin 340 Knoten. Die Sinkgeschwindigkeit nimmt zu. Die Straton sinkt jetzt steiler.«
»Bleiben Sie hinter ihr, Matos. Bleiben Sie dran! Ich will, daß Sie mir melden, wann sie aufschlägt!«
»Verstanden, Homeplate.« Matos hatte automatisch darauf geachtet, daß sein Abstand zu dem todgeweihten Verkehrsflugzeug gleich blieb. Er sah, daß die Straton ihren Kurs beibehielt, so daß beide Maschinen genau in die Gewitterfront hineinsteuerten. Matos schlug mit der flachen Hand aufsein Instrumentenbrett. »Scheiße!«
»Situationsbericht«, verlangte der Commander.
»Verstanden. Sinkgeschwindigkeit zehneinhalb Meter in der Sekunde. Die Geschwindigkeit ist auf 290 Knoten zurückgegangen. Die Maschine liegt ruhig in der Luft. Der Autopilot scheint noch eingeschaltet zu sein.« Er machte eine Pause, bevor er erneut auf den Sprechknopf drückte. »Homeplate, wir fliegen in eine Gewitterfront. Wahrscheinlich reißt dann die Sichtverbindung ab.«
»Matos, Sie haben den Auftrag, das Scheißflugzeug zu beobachten, bis es aufschlägt! Mir ist es egal, ob Sie es dazu bis in die Hölle verfolgen müssen!«
»Verstanden.« Matos verdrängte James Sloan aus seinen Gedanken und konzentrierte sich statt dessen darauf, der steil sinkenden Straton zu folgen. Die ersten großen Regentropfen prasselten gegen seine Windschutzscheibe. Innerhalb weniger Sekunden sank die Sichtweite auf weniger als einen Kilometer; dann betrug sie kaum noch einen halben Kilometer und ging rasch auf etwa 150 Meter zurück. Matos blieb so dicht wie möglich hinter der Straton, aber die zunehmende Turbulenz ließ das Unterschreiten eines gewissen Abstandes selbstmörderisch erscheinen. Matos hatte keinen Grund, sein Leben zu riskieren – jetzt nicht mehr.
»Situationsbericht.«
»Die Straton ist auf 4800 Fuß. Geschwindigkeit und Sinkgeschwindigkeit konstant. Alle vier Triebwerke ausgefallen. Die Straton schlägt in etwa zwei Minuten auf.« Als er wieder nach vorn sah, verschwand die silberglänzende Straton in Regenschleiern und dunklen Wolken.
»Verstanden. Noch zwei Minuten. Haben Sie das Ziel weiter in Sicht?«
»Bitte warten.« Matos bemühte sich vergeblich, die graue Wand vor ihm mit den Augen zu durchdringen. Seitdem die Straton nicht mehr sichtbar war, hatte er Angst, mit ihr zusammenzustoßen. Seine Hand zog den Steuerknüppel fast wie aus eigenem Antrieb nach hinten. Er überlegte, ob er sein Radargerät einschalten sollte, aber die Aufwärm- und Einstellzeit wäre zu lang gewesen – und aus solcher Nähe arbeitete das Gerät ohnehin nicht gut. Verdammt noch mal! Bei diesen Sichtverhältnissen würde er das Verkehrsflugzeug wahrscheinlich erst sehen, wenn es zum Ausweichen zu spät war. Matos zog den Steuerknüppel noch mehr zurück.
»Matos! Haben Sie Sichtverbindung?«
»Sichtweite fast null. Starker Regen. Turbulenz.« Der Leutnant suchte die grauen Wolken nach der Straton ab, ohne sie zu sichten. Regen prasselte auf seine Cockpitverglasung, und ein hinter ihm aufzuckender Blitz tauchte die F-18 in geisterhaft fahles Licht. Seine Hände zitterten, als er die Leistungshebel nach vorn schob und den Steuerknüppel nach hinten riß.
Als seine Maschine zu steigen begann, drückte Matos auf den Sprechknopf. »Ich habe die Straton wieder in Sicht«, log er. »Dicht vor mir. Höchstens 30 Meter. Alles unverändert.«
»Verstanden. Ihre Höhe?«
»2500 Fuß und weiter sinkend. Noch etwa eine Minute bis zum Aufschlag.« Matos warf einen Blick auf seinen Höhenmesser. 7000 Fuß und weiter steigend. Er drehte nach Nordwesten ab, um so schnell wie möglich aus der Gewitterfront herauszukommen. Selbst in einem Hochleistungsflugzeug wie der F-18 war die Turbulenz stark zu spüren. Matos bedauerte einen Augenblick lang alle, die an Bord der Straton vielleicht noch lebten.
»Bericht.«
»Flughöhe 1200 Fuß. Starke Turbulenz. Wolken weniger dicht. Ich sehe das Meer. Bei diesem Seegang ist keine Notwasserung möglich.« Die F-18 schoß in 19 000 Fuß aus der Wolkendecke. Matos stieg mit voller Leistung weiter, als könne er dadurch um so rascher Abstand zu den Ereignissen unter ihm gewinnen. Tief unter der F-18 blieb ein blendendweißes Wolkenmeer zurück.
»Zu schwerer Seegang für Überlebende?«
»Augenblick.« Matos sah nach unten, aber er konnte nur die Gewittertürme ausmachen, denen er eben entkommen war. Er hob den Kopf und betrachtete den blauen Himmel über sich. Während die F-18 weiter stieg, dachte er an James Sloan. Matos hatte einen triumphierenden Unterton in Sloans Stimme gehört und fragte sich nicht zum erstenmal, ob der Commander voll zurechnungsfähig war. Dabei fiel ihm ein, daß der Navigationsfehler, mit dem dieser Alptraum begonnen hatte, unter Umständen gar nicht seine Schuld gewesen zu sein brauchte. Er dankte Gott, daß er seine zweite Rakete nicht gegen die Straton abgeschossen hatte. Im schlimmsten Fall konnte man ihm grobe Fahrlässigkeit vorwerfen. Damit konnte er leben.
Aber er war nicht zum Mörder geworden.
»Positiv, Homeplate. Für Überlebende ist der Seegang viel zu schwer.« Matos fühlte sich erleichtert. Er hatte plötzlich Tränen in den Augen und holte tief Luft, damit seine Stimme nicht zitterte. »Die Straton sinkt weiter«, fügte er hinzu, ohne den fernen Horizont aus den Augen zu lassen.
»Verstanden.«
Matos ging in 36 000 Fuß in den Horizontalflug über. Die Gewitterfront lag weit hinter und unter ihm. Als er sich danach umdrehte, erkannte er die für ein Gewitter charakteristischen Amboßwolken, von denen einzelne bis über 25 000 Fuß in die Höhe ragten.
»Wir sind bei 400 Fuß«, log Matos.
Er überlegte, daß es seine Pflicht war, zu Kapitän Diehl zu gehen. Er mußte ihm alles beichten – nicht so sehr um seines Seelenheils willen, sondern damit Commander Sloan aus dem Verkehr gezogen wurde, bevor er weiteren Schaden anrichten konnte. Dieser Mann war gemeingefährlich!
»Wir sind bei 200 Fuß«, meldete der Leutnant. »Der Regen wird schwächer. Die Sicht ist besser. Der Seegang ist sehr hoch. Die Straton ist schon fast im Wasser. Nur noch ein paar Meter …« Matos kniff die Augen zusammen. Wahnsinn! Er versuchte zu vergessen, daß er Sloan etwas vorspielte, das sich tief unter ihm tatsächlich ereignete. Er glaubte zu sehen, wie das Verkehrsflugzeug in der hochgehenden See zerbrach und sank.
»Matos! Matos! Ist sie drin?«
Matos holte tief Luft. »Ja.« Er sprach ernst weiter und merkte, daß dieser Ernst nicht einmal gespielt war. »Ja, sie ist im Wasser. Der Rumpf ist dabei … in mehrere Teile zerbrochen … der Seegang ist zu schwer … die meisten Wrackteile sind sofort gesunken … nur das Leitwerk … und ein Tragflächenstück schwimmen noch. Es kann keine Überlebenden gegeben haben.«
»Verstanden. Kreisen Sie noch eine Zeitlang, um ganz sicherzugehen.«
»Verstanden«, bestätigte der Leutnant.
»Wie steht’s mit Ihrem Treibstoff?«
Sloans Frage traf den Leutnant wie ein Schlag. Er hatte über eine Stunde lang vergessen, seinen Treibstoffvorrat zu kontrollieren. Jetzt brauchte er nicht auf die Anzeigen zu sehen, um zu antworten: »Kritisch.« Matos warf einen Blick auf die Anzeigen. Sein Steigflug auf 36 000 Fuß war unsinnige Verschwendung gewesen. »Ich bin bei 45 Minuten.«
»Wissen Sie das ganz bestimmt?«
»Vielleicht sogar weniger. Wo ist der Tanker?«
»Ganz in der Nähe. Er fliegt von Whidbay Island aus nach Westen. Zuletzt hat er sich 700 Kilometer von Ihrer jetzigen Position entfernt gemeldet. Inzwischen muß er schon näher sein. Halten Sie nach Überlebenden Ausschau?«
»Ja. Aber meine Treibstoffsituation ist kritisch. Keine Überlebenden.«
»Verstanden. Okay, steigen Sie jetzt und halten Sie Kurs null-sieben-fünf, um das Treffen zu beschleunigen.«
»Verstanden.« Matos ging mit seiner F-18 auf diesen östlichen Kurs. Aber er sah, daß er in den schlimmsten Teil des Gewitters hineinfliegen sollte, wo die Wolkentürme bis in seine gegenwärtige Flughöhe hinaufragten. »Homeplate, hier draußen stehen schwere Gewitter. Auf dem neuen Kurs fliege ich direkt hinein.« Sosehr ihm daran lag, den Tanker zu finden, sowenig wollte er mit dieser Gewitterfront zu schaffen haben.
»Navy drei-vier-sieben, hier Vizeadmiral Hennings. Commander Sloan hat Sprechverbindung mit dem Tanker. Die andere Maschine fliegt in 46 000 Fuß, deshalb müssen auch Sie auf diese Höhe steigen. Dort oben müßte auch das Wetter besser sein.«
»Ja, Sir.« Matos hatte keine Ahnung, wer dieser Vizeadmiral war, aber seine Stimme klang beruhigend. Die vagen Zweifel an der Aufrichtigkeit von Sloans Absichten, die Matos gehegt hatte, waren jetzt verflogen. Der Leutnant stellte sich den Elektronikraum voller Offiziere und Unteroffiziere vor, die sich alle bemühten, ihn heimzuholen. Er sah nach vorn. In 36 000 Fuß hatte er bereits den größten Teil des Wetters unter sich. Jetzt sollte er weitere drei Kilometer steigen, um mit dem Tanker zusammenzutreffen. »Der Steigflug kostet sehr viel Treibstoff. Ich habe wirklich nicht mehr viel, Sir.«
»Immer mit der Ruhe, Peter«, beschwichtigte Hennings ihn väterlich. »Der Tanker macht 500 Knoten. Er ist in 25 Minuten in Position. Ein paar Minuten später können Sie tanken und hierher zurückfliegen. Hier ist Commander Sloan.«
Sloan meldete sich wieder. »Sie müssen unbedingt Ruhe bewahren, Peter. Fliegen Sie so sparsam wie möglich. Und halten Sie uns auf dem laufenden.«
Matos stellte sich vor, wie seine Triebwerke aussetzten, kurz bevor er den Tanker erreichte. Er war froh, daß Sloan so unerschütterlich ruhig blieb. Allerdings ging es hier nicht um Sloans Hals. »Verstanden. Können Sie für alle Fälle eine LuftSee-Rettung organisieren?«
»Schon geschehen!« versicherte Sloan ihm. »Mehrere der für die Straton bestimmten Such- und Rettungsflugzeuge sind in Ihr Gebiet unterwegs. Sie bekommen genügend Hilfe, falls Sie sie brauchen – aber daran sollen Sie jetzt nicht denken. Sehen Sie zu, daß Sie 46 000 Fuß erreichen, und melden Sie sich von dort aus wieder.«
»Verstanden. Auf welcher Frequenz soll ich mit dem Tanker sprechen?«
Danach herrschte langes Schweigen. Matos wollte seine Frage eben wiederholen, als Sloan sich erneut meldete. »Ich spreche mit dem Tanker auf einer Frequenz, die Sie nicht haben. Aber ich habe den Piloten gebeten, eines seiner Funkgeräte auf Ihre Frequenz einzustellen. Der Tanker hat seinen Scrambler eingeschaltet; Sie müssen also auch Ihren benützen. Am besten rufen Sie ihn gleich einmal. Sein Rufzeichen lautet Eileen zwo-zwo.«
»Verstanden.« Matos machte eine Pause. »Eileen zwo-zwo, hier Navy drei-vier-sieben, kommen.« Er wartete eine halbe Minute, bevor er den Anruf wiederholte. »Eileen zwo-zwo, Eileen zwo-zwo, hier Navy drei-vier-sieben, hören Sie mich? Kommen.« Aber auch diesmal kam keine Antwort. »Homeplate, Eileen zwo-zwo meldet sich nicht.«
»Verstanden. Ich höre ebenfalls nichts. Warten Sie.« Nach einer kurzen Pause meldete Sloan sich wieder. »Die Tankerpiloten haben Schwierigkeiten mit ihrem normalen Funkgerät. Aber ich höre sie auf der anderen Frequenz übers Bordtelefon einwandfrei. Am besten fungiere ich als Relaisstation zwischen Ihnen und dem Tanker. Aber die Piloten peilen Ihren Sender an und müßten Sie natürlich bald auf dem Radarschirm haben. Lassen Sie Ihr Funkgerät auf dieser Frequenz eingeschaltet, damit eine Peilung möglich ist.«
»Wird ausgeführt.«
»Und lassen Sie den Scrambler ebenfalls eingeschaltet. Rufen Sie den Tanker alle fünf Minuten. Sobald die Tankerpiloten Sie hören, sagen Sie’s mir. Dann können Sie wieder direkt mit Ihnen Verbindung aufnehmen.«
»Verstanden.« Der Leutnant schaltete sein Funkgerät auf Dauerton um. Solange es sendete, konnte er keine Nachrichten empfangen, und jede Stimme – sogar Sloans Stimme – wäre beruhigend gewesen. Aber der Tanker war im Augenblick wichtiger als alles andere.
Matos stellte sein Radargerät an. Er wartete, bis der kleine Schirm grün leuchtete, regelte die Helligkeit und suchte den Tanker, der inzwischen den äußersten Rand seines Erfassungsbereichs erreicht haben mußte. Aber Matos sah nicht nur keinen Tanker innerhalb eines Radius von 500 Kilometern, sondern konnte überhaupt kein Flugzeug erkennen! Er räusperte sich. »Homeplate, wo sind die Flugzeuge, die hier draußen sein sollen? Ich sehe keinen Tanker in null-sieben-fünf, und ich sehe auch keine andere Maschine!« Er schaltete den Dauerton ab und wartete auf Sloans Antwort.
Der Commander antwortete sofort. »Matos, der Tanker sieht Sie im Radar. Die Rettungsflugzeuge in Ihrem Gebiet sehen Sie ebenfalls. Ihr Radargerät hat von Anfang an Schwierigkeiten gemacht, als … Tut mir leid, ich kann jetzt nichts Vertrauliches mehr mit Ihnen besprechen. Andere Flugzeuge hören auf dieser Frequenz mit, und wir haben Befehl, unsere Erprobung geheimzuhalten. Seien Sie also vorsichtig mit allem, was Sie sagen. Senden Sie weiter Ihren Dauerton, und versuchen Sie, den Tanker im Radar zu erfassen. Sie müssen bald mit ihm zusammentreffen.«
»Verstanden. Ich muß die Rakete abwerfen, um Gewicht und Luftwiderstand zu vermindern.«
»Negativ. Das ist nicht möglich. In Ihrem Gebiet ist der Luft- und Schiffsverkehr inzwischen zu stark. Wir wollen keinen zweiten … Kapiert?«
»Verstanden«, wiederholte Matos. Er überlegte sich, daß die Wahrscheinlichkeit, ein Flugzeug oder ein Schiff zu treffen, sehr gering war. Aber das ließ sich ohne zuverlässig arbeitendes Radar schwer kontrollieren – und bei seinem Glück würde er wahrscheinlich den Tanker treffen. Andererseits verschlimmerte die verdammte Rakete seine Treibstoffprobleme. »Okay, ich werfe sie nicht ab.« Matos starrte sein Funkgerät angewidert an. Diese auffällige Anhäufung von Pannen bei seinen elektronischen Geräten war möglich, aber nicht wahrscheinlich. Trotzdem war sie passiert. Daraus entstanden dann Flugunfälle. 50 Prozent menschliches Versagen, 50 Prozent technische Pannen. Wie ließ sich diese Katastrophe einordnen? Hier war beides zusammengekommen – und viel Pech.
Matos versuchte es nochmals mit seinem Radar, ohne auch nur ein Ziel erfassen zu können. Dann beobachtete er abwechselnd den Luftraum über der geschlossenen Wolkendecke und seine sinkenden Treibstoffanzeigen. Wirklich eine Ironie des Schicksals, daß er jetzt mit dem gleichen Problem zu kämpfen hatte, das der Straton den Rest gegeben hatte: Treibstoffmangel. Reine Dummheit! Soweit hätte er’s nie kommen lassen dürfen.
Der Höhenmesser zeigte 43 000 Fuß an. Peter Matos ließ die F-18 nur langsam steigen, um die zugewiesene Höhe von 46 000 Fuß mit möglichst wenig Treibstoffverbrauch zu erreichen. Irgendwann würde er lernen, daß er zuerst an seinen Treibstoff und dann an alles andere denken mußte. Er erinnerte sich an seinen Fluglehrer in Pensacola: Gentlemen, auch für den besten Jagdbomber der Welt gibt’s nur eine Richtung, sobald der Sprit aus ist.
Aber im schlimmsten Fall würde er aus dem Meer aufgefischt werden. Er bemühte sich, nüchtern über die bevorstehenden Probleme nachzudenken, anstatt lediglich zu reagieren, wenn sie auftauchten. Er dachte kurz an Sloan. Es hatte keinen Zweck, zu Kapitän Diehl zu gehen und zu beichten. Sloan war zwar ein unangenehmer Zeitgenosse, aber er lebte nur für die US Navy. Er sah Probleme voraus und unternahm Schritte zu ihrer Lösung, bevor sie unlösbar wurden. Seine Methoden waren gerissen und manchmal nicht ganz ehrlich, aber was er unternahm, tat er für sein Land, das Phoenix-Programm und die nationale Sicherheit. Und eines mußte man ihm lassen: James Sloan sorgte für seine Männer.
Commander Sloan sprach weiter in die ausgeschalteten Bordtelefone, über die er angeblich mit der Seerettungsstaffel und einem Tankflugzeug in Verbindung stand. Diese Scharade langweilte ihn allmählich, aber er wußte, daß ihm keine andere Wahl blieb. Er mußte Hennings in Raum E-334 festhalten, bis Matos abgestürzt war – und bis er sich überlegt hatte, was mit dem Vizeadmiral geschehen sollte.
Draußen im Korridor waren Schritte und Stimmen zu hören.
Hennings warf Sloan einen unbehaglichen Blick zu.
Sloan legte den grünen Hörer auf. »Das ist nur der Wachwechsel, Admiral. Diesen Raum dürfen nur die wenigen Leute betreten, die dienstlich zu tun haben. Ich bezweifle sogar, daß der Befehlshaber unserer Flotte hier hereinplatzen würde, ohne sich vorher anzumelden.«
Hennings sank auf seinen Stuhl zurück. Das war von Anfang an das eigentliche Problem gewesen. Ein illegaler, streng geheimer Versuch hatte James Sloan unerträglich viel Macht in die Hand gegeben.
Sloan beobachtete den Alten lauernd. Unter seiner Sonnenbräune war eine unnatürliche Blässe zu erkennen. Hennings hockte mit geschlossenen Augen in sich zusammengesunken da.
Dann schien der Alte sich aus seiner Lethargie aufzuraffen. Er hob den Kopf. »Warum hören wir den Tanker und die Suchflugzeuge nur übers Bordtelefon? Können Sie diese Frequenzen nicht auf Ihren Funkgeräten einstellen?«
Der Commander schüttelte den Kopf. »Dafür bin ich nicht zuständig. Das sind eigene Unternehmungen, die von anderen Seiten kontrolliert werden. Und ich habe keine Lust, weitere Geräte einzuschalten. Ich bin froh, wenn ich in Ruhe nachdenken kann, ohne einen Haufen Jetjockeys miteinander reden zu hören.«
Hennings nickte und sank auf seinen Stuhl zurück.
Das goldfarbene Brückentelefon klingelte. Sloan griff hastig nach dem Hörer. Dies war ein echter Anruf. Er hatte Herzklopfen. »Ja, Sir?«
Kapitän Diehls Stimme klang unsicher, beinahe entschuldigend. »Commander, ich hätte gern einen Situationsbericht über Navy drei-vier-sieben.«
Sloan hatte gewußt, daß dieser Anruf früher oder später kommen würde. Der Kapitän wollte möglichst wenig über den Phoenix-Test wissen – deshalb hatte er Sloan die Alleinverantwortung überlassen. Aber jetzt war Diehl beunruhigt, weil eines seiner Flugzeuge überfällig war. »Situation unverändert, Sir«, meldete Sloan und sah dabei zu Hennings hinüber.
Diehl zögerte, bevor er fragte: »Ich kann also davon ausgehen, daß mit Navy drei-vier-sieben alles in Ordnung ist?«
»Richtig, Sir. Der Pilot fliegt im Augenblick so treibstoffsparend wie möglich.«
»Aha. Und das gehört zu der vorgesehenen Erprobung?«
Sloan machte eine Pause, als verstoße er nur widerstrebend gegen strikte Geheimhaltungsvorschriften. »Ja, Sir.«
»Danke. Ist der Admiral noch bei Ihnen?«
»Ja, Sir.«
»Gut, dann will ich Sie nicht länger stören, Commander.«
»Ja, Sir.« Sloan legte auf, holte tief Luft und wandte sich an Hennings. »Der Kapitän macht sich Sorgen um die Drei-viersieben.«
»Ich auch!«
Sloan starrte den Lautsprecher an, der Cockpitgeräusche aus fast 14 Kilometer Höhe übertrug. Gelegentlich war Matos zu hören, der vergaß – oder sich nicht darum kümmerte –, daß sein Sender ständig eingeschaltet war. Der Leutnant führte halblaute Selbstgespräche, summte einmal vor sich hin und fluchte mehrmals. Dann drang seine Stimme laut und klar aus dem Lautsprecher. »Homeplate, kein Tanker in Sicht. Kein Rettungsflugzeug in Sicht. Mein Treibstoff reicht schätzungsweise noch fünfzehn Minuten. Behalte Kurs null-sieben-fünf in vier-sechs-tausend Fuß bei.« Er las die Koordinaten vor, die sein Trägheitsnavigationssystem anzeigte. »Unter mir noch immer das Schlechtwettergebiet. Schalte den Sender aus, damit ich Sie empfangen kann.«
Als das Rauschen aufhörte, griff Sloan rasch nach dem Mikrophon. »Verstanden. Die Rettungsflugzeuge sind im Anflug auf Ihre Position. Der Tanker müßte in Sicht sein.«
»Ich sehe ihn aber nicht!«
»Augenblick.« Sloan griff nach dem grünen Telefonhörer und sprach kurz hinein, bevor er wieder auf den Sprechknopf seines Mikrophons drückte. »Matos, er hat Radarkontakt mit Ihnen und müßte Sie demnächst auch sehen. Lassen Sie zusätzlich Ihren Sender eingeschaltet, damit er Sie anpeilen kann. Jetzt ist’s bald überstanden, Peter.«
»Verstanden.« Dann erfüllte das Rauschen des eingeschalteten Senders wieder den Raum E-334.
Sloan sah auf die Countdown-Uhr, die er auf die von Matos geschätzten 45 Minuten Flugzeit eingestellt hatte. Sie zeigte 14 Minuten an. Das bedeutete, daß er noch fast eine Viertelstunde lang mit den ausgeschalteten farbigen Bordtelefonen, mit Hennings, mit dem eingeschalteten goldfarbenen Telefon zur Brükke und vor allem mit Leutnant Peter Matos jonglieren mußte. Ein schwächerer Mann als er hätte längst die Nerven verloren, aber James Sloan war willensstark und wußte, daß ein Mann mit ausgeprägtem Sendungsbewußtsein und starkem Selbsterhaltungstrieb jeder Situation gewachsen war. Die Menschen wollten das für sie Günstige glauben, und solange man sie nicht mißtrauisch machte, solange man selbstbewußt und zuversichtlich wirkte, glaubten sie es tatsächlich.
Aus dem Lautsprecher drang plötzlich eine Stimme, die vertraut und doch wieder fremdartig klang. »Mayday! Mayday! Navy drei-vier-sieben hat Triebwerksausfall!« Hennings sprang auf.
Sloan griff nach dem Mikrophon und warf einen Blick auf die Countdown-Uhr. Noch elf Minuten. Matos hatte viel zu optimistisch geschätzt. Der Luftwiderstand der Rakete mußte unerwartet hoch gewesen sein. »Verstanden, Peter. Die Luft-See-Rettung kennt Ihre genaue Position.«
Matos’ Stimme zitterte, als er mühsam beherrscht antwortete: »Verstanden. Bin in 40 000 und sinke weiter. Unter mir Gewitter.« Er las seine Koordinaten vor. »Starke Aufwinde«, fuhr er dann fort. »Turbulenzen. Sehr labil.«
Der Commander gab Matos den unter diesen Umständen besten Rat – teils aus Instinkt und teils wegen Hennings’ Anwesenheit in Raum E-334. »Peter, steigen Sie so spät wie möglich aus. Und gehen Sie nach dem Aussteigen so spät wie möglich an den Fallschirm.«
»Verstanden.« Sloan stellte sich vor, wie Matos in seinem Pilotensitz aus der F-18 geschossen wurde, wie er bis zum letzten Augenblick wartete, bevor er seinen Fallschirm öffnete, und wie er zum Spielball von Auf- und Abwinden wurde, die ihn Tausende von Metern in die Höhe rissen, um ihn dann in die Tiefe zu schleudern, bevor der nächste Aufwind ihn erfaßte. Dieses grausame Spiel konnte lange weitergehen. Falls Matos es wider Erwarten überlebte, würde das Meer den Rest erledigen.
Hennings war aufgestanden. Er starrte den Lautsprecher an und sah dann zu den Bordtelefonen hinüber. »Wie weit ist das nächste Rettungsflugzeug von ihm entfernt?«
Sloan griff nach dem blauen Telefonhörer und hielt seinen Bleistift über dem Schreibbrett bereit, das die Schalter verdeckte. »Vermittlung? Verbinden Sie mich mit der Führungsmaschine der Rettungsstaffel. Schnell! … Luft-See-Rettung? Hier ist die Nimitz. Wie weit ist Ihre nächste Maschine von Matos entfernt? … Okay. Er hat Triebwerksausfall gemeldet. Notieren Sie sich folgende Koordinaten.« Sloan las sie vor. »Er muß demnächst aussteigen. Peilen Sie seinen Sender noch an? … Gut danke.« Der Commander nickte. Dieser absurde Monolog in ein ausgeschaltetes Telefon wurde anstrengend. Er konnte nur hoffen, daß er seine Rolle weiterhin gut spielte. »Okay, wir haben …«
Matos’ Stimme unterbrach ihn. »Homeplate, ich bin bei 20 000. Starke Turbulenz. Regen und Hagel. Sicht null.«
Diesmal griff Hennings nach dem Mikrophon. »Navy dreivier-sieben, wir haben Verbindung mit der Luft-See-Rettung. Sie werden bald aufgefischt. Warten Sie.« Er sah zu Sloan hinüber.
Der Commander sprach ins Telefon. »Augenblick, Rettung.« Er wandte sich an Hennings. »Sagen Sie Matos, daß er innerhalb von zehn Minuten aufgefischt wird. Er soll den Flugzeugsender eingeschaltet lassen. Nach dem Aussteigen peilt die Rettungsstaffel den Notsender seines Schlauchboots an.«
Hennings gab die Anweisungen weiter. »Machen Sie sich keine Sorgen, Leutnant«, fügte er hinzu. »Wir sind in Gedanken bei Ihnen und beten für Sie. Ende.« Der Alte ließ den Mikrophonknopf los, damit sie Matos wieder empfangen konnten. Er wandte sich ab und starrte aus dem Bullauge, weil Sloan nicht merken sollte, daß er Tränen in den Augen hatte.
Matos’ Stimme brach das Schweigen im Raum E-334. »Bin bei 10 000 Fuß. Fertig zum Aussteigen.« Sein Tonfall war so nüchtern, als berichte er über die Schwierigkeiten eines ganz anderen Piloten. »8000 Fuß.«
Hennings fiel auf, wie ruhig diese Stimme klang. Er wußte, daß es für einen Piloten wie für einen Seemann wichtig war, sich in dieser Situation gut zu halten und mit Würde unterzugehen.
»Noch immer sehr turbulent …« Matos’ Atemgeräusche drangen aus dem Lautsprecher und füllten den Elektronikraum. »Dies ist meine letzte Sendung. Ich steige jetzt aus.« Im Lautsprecher knallte es, als das Kabinendach abgesprengt wurde; dann rauschte die 500 Stundenkilometer schnelle Luftströmung ohrenbetäubend. Und im nächsten Augenblick detonierte der Sprengsatz, der Peter Matos mit seinem Pilotensitz aus dem Cockpit der F-18 schoß.
Das immer lauter werdende, entnervende Röhren des unbemannten Düsenjägers füllte Raum E-334. Hennings bildete sich ein, sekundenlang das tosende Meer zu hören; dann ertönte ein dumpfer Schlag, und der Sender verstummte.
Sloan schaltete das Funkgerät ab. »Das Flugzeug ist im Wasser«, sagte er in den Telefonhörer. »Der Pilot ist ausgestiegen.
Peilen Sie seinen Schlauchbootsender an, sobald er unten ist … Ja, danke.« Er legte auf und löschte auf der Countdown-Uhr die restlichen Minuten Flugzeit, die Matos nicht mehr gehabt hatte. Die Anzeige 00.00 erschien ihm seltsam passend. Er setzte sich. »Wir können uns mit dem Bewußtsein trösten, Admiral, daß der Verlust einer F-18 ein geringer Preis für die Fortsetzung des Phoenix-Programms ist. Das Programm wird sich wie sein Namensvetter aus seiner eigenen Asche erheben.«
»Ihre versuchte Metapher ist grotesk, unangebracht und geschmacklos, Commander. Mir geht’s im Augenblick nur um Leutnant Matos.«
»Ja, natürlich. Matos hat eine gute Seenotausbildung. Sein Schlauchboot hält ihn über Wasser, und sein Druckanzug hält ihn trocken. Außerdem ist das Meer in diesen Breiten nicht allzu kalt.« Sloan lehnte sich zurück und schloß die Augen. Er stellte sich vor, wie Peter Matos, dessen Fallschirm von heftigen Auf- und Abwinden in Fetzen gerissen war, ins Meer stürzte. Dann erschien ein anderes Bild vor seinem inneren Auge: Matos kam heil herunter, blies sein Schlauchboot auf und kletterte hinein. Wie lange konnte er auf See überleben? Niemand suchte ihn. Vielleicht lag er tagelang im Sterben. Oder vielleicht starb er überhaupt nicht. Diese Möglichkeit bestand natürlich auch. Sloan stellte sich vor, wie der Leutnant von einem Rettungshubschrauber auf der Nimitz abgesetzt wurde: Peter Matos, an dessen Druckanzug aus irgendeinem Grund Seetang hing, stieg aus und kam übers Flugdeck auf ihn zu … Nein! Selbst bei gutem Wetter hatte er keine Chance, wenn die SAR-Staffel nicht das richtige Seegebiet absuchte.
Hennings’ Stimme riß den Commander aus seinen Gedanken. Er öffnete die Augen und sah zu dem Alten auf. Der Admiral hielt den blauen Telefonhörer in der Hand.
»Hallo? Hallo?« Er drückte mehrmals auf die Sprechtaste. »Hallo? Luft-See-Rettung?« Hennings starrte Sloan an und betrachtete dann die farbigen Bordtelefone. Er streckte langsam die linke Hand aus, schob das Schreibbrett zur Seite, stellte fest, daß die Apparate ausgeschaltet waren, und sah wieder zu Sloan hinüber.
James Sloan erwiderte schweigend den Blick. »Tut mir leid, Admiral«, sagte er schließlich. »Das ist der einzige Ausweg für uns gewesen.«
Hennings ließ den Telefonhörer fallen und hörte ihn auf den Fußboden knallen. Seine Stimme war nur ein Flüstern. »Sie … Sie verdammter Schweinehund! Sie Mörder! Mein Gott, wie konnten Sie nur …?« Vor seinen Augen drehte sich alles, und er konnte sich nur mit Mühe auf den Beinen halten. Er versuchte, Sloan zu fixieren, aber er sah vor sich nicht Sloan, sondern Sloans wahres Ich. »Wer sind Sie? Was sind Sie?«
»Wir, Admiral. Wir.«
Die Illusion verflog, und Hennings fand seine Selbstbeherrschung wieder. »Matos hat … er hat Vertrauen zu Ihnen gehabt … er ist einer Ihrer Männer …«
»Wie ich sehe, kümmern Sie sich weniger um das Schicksal der 200 bis 300 Menschen, die wir mit der Straton in den Tod geschickt haben. Zählen Zivilisten etwa nicht?«
Hennings stützte sich mit beiden Händen auf das Schaltpult und beugte sich nach vorn, um Sloan näher zu sein. »Sie kennen doch die Redensart ›Drei können ein Geheimnis wahren, wenn zwei von ihnen tot sind‹?« Er sah Sloan in die Augen. »Bin ich der nächste?«
»Unsinn!« wehrte der Commander ab.
Hennings richtete sich auf. »Wir müssen sofort die Rettungsstaffel alarmieren!« Er streckte eine Hand nach den Telefonschaltern aus.
Sloan hielt ihn am Arm fest. »Nein, das wäre unsinnig. Wir haben bereits eine Flugzeugladung Zivilisten in den Tod geschickt. Wenn wir nach einem Mann, der uns erledigen kann, suchen lassen, können wir sie ebensogut alle suchen.« Er umklammerte den Arm des Alten noch fester. »Und das wäre eine zwecklose Suchaktion. Eine Notwasserung bei diesem Seegang überlebt niemand.« Sloan ließ den Arm los und sprach ruhig weiter: »Admiral, mir widerstrebt weniger die Gefängnisstrafe, zu der wir verurteilt würden, als das Erniedrigende des ganzen Verfahrens. Wir werden als schlimmste Verbrecher behandelt werden. Von uns wird man in Kasinos und Offiziersmessen noch in zehn, fünfzehn Jahren nur mit Verachtung sprechen. Ist das ein angemessenes Ende einer verdienstvollen Laufbahn? Wenn Sie schweigen, erfährt niemand die Wahrheit. Durch ein Geständnis ist nichts zu gewinnen. Nichts! Die Toten sind tot. Die Marine und die Vereinigten Staaten sind intakt.« Er sprach in verändertem Tonfall weiter, als erstatte er eine dienstliche Meldung: »Leutnant Peter Matos ist bei der Explosion des Raketentriebwerks der unter seiner F-18 mitgeführten Phoenix umgekommen. Seine Familie wird sein Andenken in Ehren halten und seine Lebensversicherung sowie die üblichen Hinterbliebenenbezüge ausgezahlt bekommen. Auf seinen Namen wird nicht der geringste Schatten fallen.« Sloan machte eine lange Pause. »Admiral?«
Hennings nickte wortlos.
Sloan warf einen Blick auf die Wanduhr. 15.10 Uhr. »Wollten Sie nicht um 16.00 Uhr abfliegen?«
»Ja«, antwortete Hennings geistesabwesend.
»Dann schlage ich vor, daß Sie Ihre Sachen packen, Admiral. Sie haben nur noch 50 Minuten Zeit, und ich nehme an, daß Sie sich erst von Kapitän Diehl verabschieden wollen.«
Hennings starrte den Commander aufgebracht an.
»Außerdem«, fügte Sloan mit einer Handbewegung hinzu, die den vor Hennings liegenden unvollständigen Testbericht umfaßte, »verlasse ich mich darauf, daß Sie den Vereinigten Stabschefs gegenüber betonen werden, daß dieser bedauerliche Unfall keineswegs meine Schuld gewesen ist.«
Randolf Hennings wandte sich schweigend ab und verließ den Raum E-334.