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Leutnant Peter Matos steuerte seine F-18 im Horizontalflug geradeaus. Er drückte widerstrebend auf den Sprechknopf. »Homeplate, hier Navy drei-vier-sieben. Die Erprobungsrakete scheint getroffen zu haben.« Er ließ den Mikrophonknopf nicht los, damit die Nimitz erst senden konnte, wenn er darauf vorbereitet war. In seinem Kopf drehte sich alles. Irgend etwas stimmte noch immer nicht. Schließlich nahm er den Finger vom Sprechknopf und machte die Frequenz dadurch für die Antwort der Nimitz frei.
»Verstanden, Navy drei-vier-sieben«, antwortete Signalmaat Moriarty. »Wir haben den Aufschlag ebenfalls registriert.« Matos wußte, daß die Luft-Luft-Rakete von dem Flugzeugträger aus verfolgt worden war und daß die Männer in E-334 den plötzlichen Senderausfall beim Einschlag der Rakete wahrgenommen hatten.
»Navy drei-vier-sieben, hier Homeplate, kommen.«
Die Stimme in Matos’ Kopfhörer gehörte unzweifelhaft Commander Sloan. Obwohl der Funkverkehr auf dieser Frequenz durch Scrambler gegen Mithören gesichert war, blieb seine tiefe, befehlsgewohnte Stimme unverkennbar. Matos merkte, daß er beinahe Haltung angenommen hätte, als sei er Sloan in einem der Korridore der Nimitz begegnet.
»Homeplate, hier Navy drei-vier-sieben, kommen«, antwortete der Leutnant mit einem flauen Gefühl im Magen.
»Wir empfangen widersprüchliche Signale«, stellte Commander Sloan fest.
Matos spürte, daß Sloan irritiert und ungeduldig war. Er hatte noch nie einen Anpfiff von ihm einstecken müssen, aber die anderen Piloten konnten in dieser Beziehung wilde Geschichten erzählen. Sloans Wutanfälle waren geradezu berüchtigt. Immer mit der Ruhe! ermahnte der Leutnant sich. Das elektronische Echo macht ihn nervös. Laß dich nicht beirren.
»Unsere Monitore stimmen mit Ihrer Meldung überein, daß die Rakete getroffen hat«, fuhr Sloan fort. »Aber wir empfangen weiterhin Signale des Zielflugkörpers. Das widerspricht dem Ergebnis der Phoenix-Erprobung. Haben Sie das betreffende Gebiet auf Ihrem Radarschirm?«
Matos sank auf seinem Sitz zusammen, soweit die straff angezogenen Schultergurte dies zuließen. Er fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen und räusperte sich, bevor er wieder auf den Sprechknopf drückte. »Verstanden, Homeplate. Ich bekomme das Zielgebiet jetzt auf den Schirm. Bitte warten.«
Aber James Sloan hatte nicht die Absicht, sich auch nur für kurze Zeit von einem Untergebenen hinhalten zu lassen. »Dreiviersieben, versuchen Sie, die Phoenix mit Ihrem Radar zu erfassen«, forderte er Matos auf. »Die Erprobungsrakete muß vor dem Einschlag versagt haben. Das könnte erklären, warum die Drohne noch intakt ist.«
»Verstanden, Homeplate.« Aber Matos wußte, daß die Phoenix irgend etwas getroffen hatte. Das hatte er auf dem Radarschirm beobachtet. Er wußte auch, daß das Radar der Nimitz das Zielgebiet nicht mehr erfassen konnte, weil die Entfernung zu groß war. Und die elektronischen Monitore an Bord ließen nur erkennen, daß die Erprobungsrakete nicht mehr sendete, während das Signal des Zielflugkörpers unerklärlicherweise weiterhin laut und klar empfangen wurde.
Matos beugte sich über seinen Radarschirm. Nach dem Treffer war das Ziel für kurze Zeit horizontal weitergeflogen. Der Leutnant betätigte zwei Schalter. Jetzt konnte er die Höhenverluste der Drohne und der Phoenix-Rakete auf seiner senkrechten Anzeigetafel ablesen. Hinter dem Ziel war ein schwacher Radarschatten zu erkennen: die Überreste der abstürzenden Rakete. »Homeplate, hier drei-vier-sieben«, meldete Matos nach einer halben Minute. »Die Erprobungsrakete ist ins Meer gestürzt. Ich verfolge jetzt den Zielflugkörper. Er befindet sich im Sinkflug … Höhe etwa 51 000 Fuß … Sinkgeschwindigkeit 12 000 Fuß pro Minute.«
»Okay, das ist gut«, antwortete Sloan. »Nach unseren Informationen befindet sich die Drohne noch immer in 62 000 Fuß. Wahrscheinlich ist ihr Sender durch den Treffer beschädigt worden. Vielleicht hat die Phoenix sie nur gestreift.« Bei der Erprobung ohne Sprengkopf führte nur ein Volltreffer zum Absturz des Zielflugkörpers. »Verfolgen Sie die Drohne weiter. Wir achten inzwischen nicht mehr auf unsere Anzeige.«
»Verstanden.« Aber Matos machte sich aus einem anderen Grund Sorgen: Das Ziel fiel nicht sonderlich rasch. Seine F-18 war im Sturzflug schneller. Der Zielflugkörper benahm sich nicht wie eine zertrümmerte Drohne, die nach einem Treffer abstürzte.
Durch den Einschlag hat sich die äußere Form der Drohne verändert, überlegte Matos sich. Sie mußte sich in eine Art Raumgleiter mit guten Segeleigenschaften verwandelt haben – in einen Metallfallschirm, der seine Endgeschwindigkeit bereits erreicht hatte. Schließlich hatte es schon unglaublichere Dinge gegeben. Matos neigte zu Commander Sloans Auffassung, die Phoenix habe den Zielflugkörper wahrscheinlich nur gestreift. Das war gleichzeitig eine Erklärung dafür, weshalb die Nimitz weiterhin irreführende Meldungen von der Drohne erhielt.
»Höhe jetzt etwa 25 000 Fuß«, meldete der Leutnant. Allmählich konnte er wieder aufatmen. »Drohne in 17 000 Fuß. Kursänderung 38 Grad nach Steuerbord. Ich sehe …«
Matos erstarrte, als sich der neue Trend abzeichnete. Er war zu ungewöhnlich, als daß der Leutnant hätte vorgeben können, alles verlaufe nach wie vor normal. »Homeplate, die Sinkgeschwindigkeit des Ziels geht zurück … 8000 Fuß pro Minute. Jetzt nur mehr 6000 … 3000 Fuß. Das Ziel geht in 11 000 Fuß in den Horizontalflug über!«
Sloans Antwort ließ nicht lange auf sich warten. »Navy dreivier-sieben, ich weiß nicht, was dort draußen passiert ist, aber ich rate Ihnen, sich darum zu kümmern. Schnellstens!« Der drohende Unterton in Sloans Stimme war jetzt unverkennbar.
»Verstanden, Homeplate. Fliege das Ziel an, um selbst nachzusehen.« Matos schob die beiden Leistungshebel nach vorn. Die F-18 beschleunigte schnell, so daß er in seinen Sitz gedrückt wurde. Er steuerte den Zielpunkt auf dem Radarschirm an. In seinem Inneren kämpften widersprüchliche Empfindungen miteinander, aber Matos unterdrückte sie. Er konzentrierte sich ganz auf die technische Aufgabe, ein fliegendes Radarziel abzufangen.
»Das ist eine gute Frage, Commander. Was ist dort draußen passiert, verdammt noch mal?« Randolf Hennings hatte zu lange den schweigenden Laufburschen gespielt. Seine Führungsqualitäten als Admiral, die wie seine Marineuniform seit Jahren eingemottet gewesen waren, machten sich allmählich wieder bemerkbar. Sloan hatte die Situation offenbar nicht mehr ganz unter Kontrolle.
Hennings hatte Commander James Sloan schon beim ersten Händedruck nicht leiden können. Der Mann wirkte zu gerissen und berechnend. Er hatte bisher noch keinen menschlichen Charakterzug erkennen lassen. Aus seiner Sicht schien das Universum ausschließlich für Commander Sloan erschaffen worden zu sein.
Sloan ignorierte die Frage des Admirals. »Danke, wir machen allein weiter«, erklärte er Moriarty. Der Signalmaat verließ wortlos den Raum. »Ich bin davon überzeugt, daß nichts passiert ist«, sagte Sloan schließlich zu Hennings. »Aber selbst wenn etwas passiert sein sollte, brauchen wir keine Mitwisser. Ich rufe den Mann erst zurück, wenn wir rausgekriegt haben, woraus das Problem besteht.«
»Wir sind aber zu dritt«, wandte Hennings ein. »Vergessen Sie den Piloten nicht. Er weiß mehr als wir. Schließlich ist er dort draußen. Dies alles liefert uns kein sehr klares Bild.« Er zeigte auf die elektronischen Geräte, mit denen der Raum vollgestellt war.
»Matos macht garantiert keine Schwierigkeiten«, antwortete Sloan. »Ich weiß, wie man Männer aussucht. Ich weiß, wie man Aufträge erteilt.«
Randolf Hennings starrte den jungen Commander angewidert an. Er befehligt seine Männer nicht. Er gebraucht sie, dachte Hennings. Solche Leute waren als Vorgesetzte ungeeignet; sie konnten einer Besatzung, einem Schiff oder einer Marine nur schaden. »Seien Sie nicht überrascht, wenn Ihre Untergebenen gelegentlich gegen den Wind kreuzen.«
»Überrascht? Nein, das würde mich verblüffen!« Aber Sloan merkte sofort, daß er mit dieser Antwort den Bogen überspannt hatte. Er bedauerte seine vorschnelle Erwiderung. Dadurch hatte er Hennings nur gegen sich aufgebracht. Sloan versuchte, seinen Fehler wiedergutzumachen. »Sie haben recht, Admiral«, erklärte er Hennings lachend. »Manchmal versuchen sie, gegen den Wind zu kreuzen. Wer hätte das noch nie getan?«
Hennings nickte wortlos. Er wehrte sich innerlich dagegen, mit Sloan in Verbindung gebracht werden zu können. Der Auftrag geht über alles, ermahnte er sich. Private Antipathien müssen dahinter zurückstehen.
»Wir versuchen, einen Auftrag auszuführen, nicht Punkte zu machen«, stellte der Admiral a. D. fest. Sloan grunzte eine unverständliche Antwort und konzentrierte sich dann auf Moriartys Schaltpult. Er kannte sich mit den Geräten aus und überprüfte sie jetzt, um sich ihre Funktionsweise ins Gedächtnis zurückzurufen. Hennings beobachtete ihn dabei und seufzte dann. Vielleicht war er zu kritisch gewesen. Vielleicht wurde er allmählich alt. Die Zeiten hatten sich geändert. Dies war Sloans Schau. Niemandem war damit gedient, wenn er das Selbstvertrauen des Commanders untergrub oder seine Methoden mißbilligte – am wenigsten der Marine.
»Nur noch ein paar Minuten, Admiral.« Sloan spürte, daß Hennings unzufrieden war. Auch diesen Faktor mußte er berücksichtigen. Die erfolgreiche Raketenerprobung stand im Vordergrund, aber ein gutes Verhältnis zu dem pensionierten Admiral war fast ebenso wichtig. Sloan wußte, daß er den Alten vergrämt hatte und daß er sich anstrengen mußte, um ihre Beziehungen auf ebenen Kiel zurückzubringen. Das ließ sich am besten durch Erfolg der Phoenix erreichen. Nichts machte Menschen freundlicher als ein gemeinsamer Erfolg.
Hennings setzte sich auf den Rand des Schaltpults. Er starrte schweigend seine Schuhspitzen an.
Sloan räusperte sich. Falls alles klappte, war er den unbequemen Besucher innerhalb einer Stunde los. »Jetzt dauert’s nicht mehr lange«, sagte er, um das Schweigen zu brechen. »Matos müßte unser Ziel bald in Sicht haben.«
Für Leutnant Matos bot das Ziel zunächst einen gewohnten Anblick: ein schwarzer Punkt, der scheinbar unbeweglich am Himmel hing. Da jeglicher Größenvergleich fehlte, waren seine Abmessungen nicht näher bestimmbar.
Das Ziel behielt seinen Steuerkurs von 342 Grad bei. Seine Geschwindigkeit war während des Sinkflugs zurückgegangen und betrug jetzt 340 Knoten. Da die F-18 dreimal schneller flog, holte Matos rasch auf. »Navy drei-vier-sieben hat Sichtkontakt«, meldete er über Funk.
»Verstanden«, bestätigte Sloan. Seine Stimme klang ungeduldig. Matos ließ sich davon nicht beeindrucken. Er hatte aufgehört, sich wegen Sloan Sorgen zu machen, und konzentrierte sich statt dessen ganz auf die vor ihm liegende Aufgabe. Seine linke Hand nahm die beiden Leistungshebel etwas zurück, um die Geschwindigkeit der F-18 der des Zielflugkörpers anzugleichen. Ähnliche Aufgaben hatte er schon oft gelöst, wenn es galt, zum Formationsflug zu seiner Staffel aufzuschließen. Alle seine Kameraden kannten Peter Matos als erstklassigen Piloten.
Aber heute hatte er Schwierigkeiten. Das Ziel blieb in weiter Entfernung. Matos hatte sich verschätzt und seine Geschwindigkeit zu früh herabgesetzt. Seine instinktiven Reaktionen waren irgendwie von falschen Voraussetzungen ausgegangen. Matos warf einen Blick auf seinen Radarschirm.
9600 Meter! Um Himmels willen, dachte er, wie kann die Entfernung noch so groß sein? Matos sah wieder nach vorn. Er steigerte seine Geschwindigkeit, und der Abstand verringerte sich. Der schwarze Punkt war offenbar keine Drohne. Er war zu groß. Deshalb hatte der Leutnant sich verschätzt. Er hatte mit einem fünf Meter langen Flugkörper gerechnet und seine Geschwindigkeit entsprechend früh herabgesetzt.
Je geringer die Entfernung wurde, desto schneller wurde das Ziel größer. Es war riesig. Als erstes waren Rumpf und Tragflächen zu erkennen; dann folgte das Leitwerk. Matos hockte wie vor den Kopf geschlagen in seinem Sitz. Vor ihm flog eine riesige Düsenmaschine.
Ein Verkehrsflugzeug! Peter Matos hatte keinen Zweifel daran, daß dies das Ziel war, das er mit der Phoenix getroffen hatte. Die Maschine machte einen gespenstischen Eindruck – wie ein auf hoher See aufgegebenes Schiff. Steuerlos im Meer treibend.
Matos flog dichter heran. Der Schriftzug »Trans-United« wirkte geradezu deplaciert. Lebhafte Farben: Grün, Blau und Gelb. Lebendige Farben an einem toten Schiff.
Die Straton 797 sah unheimlich aus, als wisse das Flugzeug genau, was ihm zugestoßen war – und wer daran schuld war. Die Maschine flog mit leicht angestelltem Rumpf. Ihre vier Triebwerke arbeiteten gleichmäßig und verliehen ihr in 11 000 Fuß Höhe eine Geschwindigkeit von 340 Knoten. Matos vermutete, daß sie jetzt von ihrem Computer geflogen wurde.
Der Leutnant ging mit seiner F-18 noch dichter heran. Er suchte die Backbordseite der Straton ab und entdeckte das Loch. Ein schwarzer Fleck auf dem silbrigen Rumpf – wie ein Schatten auf einem Röntgenbild. Matos flog hinter der Verkehrsmaschine vorbei auf die Steuerbordseite. Das Austritts-loch war wie bei einer Schußwunde viel größer. Riesig, gezackt, häßlich. Seine Hände und Knie begannen zu zittern. Matos konnte diesen Anblick nicht länger ertragen. Er sah zum Himmel auf und murmelte etwas, das wie ein Gebet klang.
Er sah lange nicht mehr zu der Straton hinüber. Schließlich zwang er sich dazu, die Maschine erneut zu studieren. Hinter keinem der Fenster war ein Gesicht zu erkennen. Keine Augen erwiderten seinen suchenden Blick, als er bis auf zehn Meter an die Fensterreihen heranging. Aus dieser Entfernung hätte er Gesichter erkennen müssen. Matos setzte sich vorn neben das Cockpit. Auch dort keine Gesichter. Keine Fluggäste, keineBesatzungsmitglieder. Keine Überlebenden.
»Drei-vier-sieben!« sagte Sloan laut. Matos zuckte zusammen. »Warum melden Sie sich nicht? Was ist los, verdammt noch mal?«
»Ich … Homeplate …« Matos’ Daumen blieb auf dem Sprechknopf. Der Schatten der Verkehrsmaschine fiel über die F-18, als Matos seinen Steuerknüppel kaum merklich nach vorn drückte. Von unten wirkte die Straton 797 noch gigantischer. Im Vergleich zu ihr war die F-18 das reinste Spielzeug. Trotzdem war das Unvorstellbare geschehen. Matos’ Spielzeug hatte eine riesige Verkehrsmaschine vernichtet. Diese Realität war unbestreitbar. Matos’ Gesicht war schweißnaß,
und er hatte Tränen in den Augen. »Homeplate, wir haben ein Verkehrsflugzeug getroffen. Eine Straton 797 der Trans-United.«
Die Nimitz antwortete nicht.