7

 

In dem kleinen Elektronikraum E-334 tief im Innern des amerikanischen Superträgers Nimitz hockte Commander James Sloan auf der vordersten Kante seines Drehstuhls. Er hatte nur Augen für die Countdown-Uhr. »Noch zwei Minuten.«

Vizeadmiral a. D. Randolf Hennings stand schweigend an dem Bullauge, dessen Verdunklungsvorhang er aufgezogen hatte, und kehrte Sloan absichtlich den Rücken zu. Er wünschte sich eine Ruhepause, bevor das Finale begann, und konzentrierte sich auf die leichte Dünung des Pazifiks. Aber heute war er zu durcheinander, um sich davon beruhigen zu lassen.

»Noch eine Minute«, kündigte Sloan an. Er beugte sich nach vorn und las den Text des auf dem Schaltpult liegenden Befehls erneut durch. Seiner Überzeugung nach stellte dieser sorgfältig formulierte Befehl ein kleines Meisterwerk der Überredungskunst dar. »Wollen Sie den Befehl hören, bevor ich ihn durchgebe?«

Hennings drehte sich ruckartig um. »Nein! Tun Sie’s einfach, Commander, damit wir’s hinter uns haben.«

Sloan gab keine Antwort, sondern starrte Hennings prüfend an. Er versuchte zu erraten, was in dem Kopf des Alten vorging.

Hennings trat zwei Schritte auf Sloan zu. »Vielleicht macht Ihr Pilot nicht mit.« Er wußte selbst nicht, welche Reaktion er sich von Matos wünschte.

»Das werden wir bald erfahren.« Sloan runzelte die Stirn, während er seinen Befehl zum letztenmal überflog. Wie die Dinge im Augenblick standen, konnte er wegen grober Fahrlässigkeit und Dienstpflichtverletzung vor ein Kriegsgericht kommen. Aber sobald er diesen Befehl durchgab, brauchte Matos ihn nur zu ignorieren und Meldung zu erstatten, um ihn wegen versuchten Mordes vor Gericht zu bringen.

Hennings trat ans Schaltpult und warf einen Blick auf den schriftlichen Befehl. »Vielleicht glaubt er Ihnen nicht, daß das ein legaler Befehl ist. Vielleicht schreibt er eine Meldung über … uns.«

»Ja, das wäre denkbar.« Aber Sloan wollte Matos gar nicht erst zum Nachdenken kommen lassen. Matos würde den Befehl hören und automatisch handeln. Der Befehl würde wie das Wort Gottes aus seinem Kopfhörer dringen. James Sloan war schon immer der Meinung gewesen, die Begabung einer Führerpersönlichkeit lasse sich daran messen, wie gut es der Betreffende verstehe, diesen Eindruck zu erwecken. Die meisten Untergebenen wollten nur, daß man ihnen sagte, was sie zu tun hatten. Ein Klingelzeichen machte Sloan darauf aufmerksam, daß die Countdown-Uhr abgelaufen war. Er griff nach dem Mikrophon.

Hennings wollte die Entscheidung noch etwas länger hinausschieben. »Ich frage mich, ob diese Sache sich dadurch aus der Welt schaffen läßt, daß wir das Flugzeug im Meer verschwinden lassen. Die Toten kehren irgendwie immer zurück.«

»Geben Sie sich keine Mühe, mir Angst zu machen, Admiral. Aber schieben Sie mir ruhig die Schuld in die Schuhe, wenn Ihnen dann wohler ist. Das macht mir nichts aus. Ich will diese Sache nur hinter mich bringen.«

Der Alte lief vor Wut rot an, aber er wußte, daß Sloan mit Matos sprechen mußte und daß er ihn nicht mehr stören durfte. Sloan war zweifellos ein amoralischer Mensch. Aber Hennings litt vor allem unter dem Bewußtsein, daß er selbst nicht viel … um nichts besser war. Und er wußte recht gut, daß dieser Fall keineswegs mit der Versenkung des Zerstörers Mercer zu vergleichen war. Ja, es war einfach, James Sloan die Schuld in die Schuhe zu schieben. Aber Randolf Hennings war sich seiner Mitschuld durchaus bewußt. Er tat nichts, um Sloan an der Ausführung seines Planes zu hindern. Er nickte ihm sogar zu. »Machen Sie endlich weiter!«

»Bin schon dabei, Admiral.« Sloan schaltete das Funkgerät ein, prüfte die Sendeleistung und überzeugte sich davon, daß der Zerhacker funktionierte. Ohne diese automatische Verschlüsselung durch den Scrambler hätte er es nie gewagt, seinen Befehl über Funk durchzugeben. Alle elektronischen Mithörer würden Commander Sloans Stimme lediglich als Aneinanderreihung sinnloser Laute wahrnehmen, aber Leutnant Peter Matos würde jedes Wort klar und deutlich hören. »Navy dreivier-sieben, hier Homeplate, kommen.« Sloan starrte den Pultlautsprecher an und wartete.

Hennings trat zwei Schritte näher heran. Auch er ließ den Lautsprecher nicht aus den Augen.

»Homeplate, hier Navy drei-vier-sieben, kommen.«

Sloan holte tief Luft und räusperte sich. »Leutnant Matos, hier Commander Sloan.« Er machte eine Pause.

»Verstanden, Commander.«

»Wir haben mit hohen und höchsten Stellen gesprochen und von dort Anweisungen erhalten, die von Ihrer Seite hohen Mut und große Geschicklichkeit erfordern. Die gegenwärtige Situation ist durch mehrere außerhalb unserer Kontrolle stehende Faktoren noch komplizierter geworden. Nähere Einzelheiten erfahren Sie nach Ihrer Rückkehr von mir. Wichtig ist im Augenblick vor allem, daß wir jetzt wissen, daß wir keinerlei Schuld an dem Unfall tragen. Die Straton ist vom Kurs abgekommen und hat ihre Position nicht gemeldet. Haben Sie das alles verstanden?«

»Verstanden, Homeplate.«

»Wir sind darüber informiert worden, daß es physiologisch gesehen unmöglich ist, daß irgend jemand den schlagartigen Druckabfall in der Höhe, in der dieser Unfall sich ereignet hat, überlebt haben kann. Das Problem, vor dem wir jetzt stehen, hat mit dem Flugzeugwrack zu tun. Es stellt eine Gefahr für die Luft- und Schiffahrt dar und muß deshalb beseitigt werden. Dazu ist nur ein Pilot mit Ihren überragenden Fähigkeiten imstande.«

»Großer Gott!« sagte Hennings im Hintergrund.

»Navy drei-vier-sieben, bitte warten«, forderte der Commander Matos auf. Er starrte Hennings wütend an, aber in Wirklichkeit war er für diese Unterbrechung dankbar. Eine kurze Pause würde Matos guttun.

Hennings beugte sich über das Schaltpult. »Sie sollten versuchen, ihm die Wahrheit zu sagen«, flüsterte er, als fürchte er, der Pilot könne mithören. »Sagen Sie ihm, daß er das verdammte Beweisstück vernichten soll. Erklären Sie ihm, daß er die Straton abschießen und hinter ihr bleiben soll, bis er sicher weiß, daß sie versunken ist. Und warnen Sie ihn, daß es denkbar ist, daß es an Bord noch jemand gibt, der einen Notruf senden kann. Das sind Sie ihm schuldig, Commander.«

Sloan fixierte Hennings mit einem eisigen Blick. »Unsinn!« wehrte er ab. »Ich mache ihm die Sache dadurch nur leichter. In Wirklichkeit«, knurrte Sloan, »ist nämlich alles nur Matos’ Schuld!« Er drückte wieder auf den Sprechknopf. »Okay, Leutnant, bei uns ist eben die endgültige Genehmigung eingegangen.« Der Commander sah, daß seine Hand, in der er den von ihm aufgesetzten Befehl hielt, merklich zitterte. »Sie sollen Ihre zweite Rakete so abschießen, daß der Autopilot der Straton 797 zerstört wird. Da die Versuchsraketen keinen Sprengkopf tragen, läßt sich das nur durch einen Volltreffer im Bereich des Cockpits des Flugzeugwracks erreichen. Diese Aufgabenstellung geht weit über das hinaus, wofür Sie ausgebildet worden sind, aber wir vertrauen auf Ihre Fähigkeiten. Wir verlassen uns auf Sie und beten für Ihren Erfolg.« Er machte eine Pause. »Lassen Sie sich Zeit, aber versuchen Sie, Ihren Auftrag innerhalb der nächsten Minuten auszuführen. Viel Glück, Peter. Bestätigen Sie bitte.«

In dem kleinen Raum herrschte Schweigen. Sloan hob beide Hände, um zu zeigen, daß er die Daumen drückte.

Hennings hielt diese Geste für das Obszönste, was er in seinem Leben gesehen hatte. Er wandte sich ab und trat wieder ans Bullauge, um dort zu warten. Vielleicht hatte Leutnant Peter Matos, der unbekannte Pilot, mehr moralischen Mut als sie beide zusammen.

Der Lautsprecher knackte. Hennings drehte sich danach um.

»Verstanden, Homeplate. Führe neuen Auftrag aus. Ende.«

Sloan lehnte sich aufatmend zurück. Aus alter Gewohnheit stellte er die Countdown-Uhr auf fünf Minuten ein.

Peter Matos starrte durch die Frontscheibe seiner F-18. Er hatte ganz automatisch geantwortet. Erst jetzt wurde ihm wirklich klar, was er tun sollte. Er warf einen Blick auf die Borduhr und wollte dann auf den Mikrophonknopf drücken. Aber was sollte er Commander Sloan fragen? Was war noch unklar? Eigentlich nichts, was ihn anging. Matos ließ den Sprechknopf ungedrückt. Er sah nach vorn. Die Straton 797 hielt ihren Kurs und ihre Höhe mit unbeirrbarer Präzision. So genau konnte kein menschlicher Pilot fliegen. Matos beobachtete die Verkehrsmaschine eine Minute lang und wußte dann sicher, daß sie von ihrem Autopiloten geflogen wurde. Matos lehnte sich zurück. Commander Sloans erste Anweisungen waren etwas verwirrend gewesen. Matos hatte sofort vermutet, daß Sloan auf irgend etwas hinauswollte – und er hatte geahnt, worum es sich handeln würde. Obwohl dieser Befehl jetzt wirklich erteilt worden war, erschien er ihm kaum glaublich.

Der Leutnant überlegte, welche Möglichkeiten ihm offenstanden. Eigentlich gab es keine Alternative, die nicht mit großen Unannehmlichkeiten verbunden gewesen wäre. Die Tatsachen waren ganz einfach: Die Straton war vom Kurs abgekommen, an Bord gab es keine Überlebenden, die beschädigte Maschine bildete eine Art Verkehrshindernis, und höchste Kommandobehörden wollten, daß sie abgeschossen wurde. Matos brauchte nur seinen Befehl auszuführen. Die Verantwortlichen würden für alles sorgen. Sie würden Peter Matos in Schutz nehmen, nachdem er seinen Auftrag ausgeführt hatte.

Er warf einen Blick auf seine Treibstoffanzeige. Weniger als halb voll. Dann sah er auf den Kompaß. Mit jeder Minute, die er hier vergeudete, entfernte er sich weiter von der Nimitz. Jede Minute Verzögerung bedeutete einen um so längeren Heimflug. Matos sah wieder auf seine Borduhr. Inzwischen waren bereits drei Minuten verstrichen. Er spürte den verzweifelten Drang, diese Sache innerhalb der nächsten Minuten abzuschließen. Er sehnte sich nach seiner Koje an Bord der Nimitz. Er wollte heim.

Matos schob alle störenden Überlegungen beiseite und machte sich daran, die F-18 in die beste Position für den Raketenangriff zu bringen.

Er mußte sich ganz auf die technischen Schwierigkeiten dieser anspruchsvollen Aufgabe konzentrieren. Die schwerbeschädigte Straton war ein großes, stabiles Ziel, aber allein ihre Größe warf neue Probleme auf. Wie viele Luft-Luft-Raketen ohne Sprengkopf waren nötig, um sie zum Absturz zu bringen? Eine hatte nicht genügt. Vielleicht genügte nicht einmal ein halbes Dutzend. Und Matos hatte nur noch eine Rakete zur Verfügung …

Die Phoenix-Rakete würde die Straton treffen. Daran bestand kein Zweifel. Das konnte sie automatisch. Aber sie mußte eine bestimmte Stelle treffen. Er mußte sozusagen einen Kopfschuß anbringen.

Als er sich jetzt ernsthaft mit dem Problem befaßte, lag die Lösung plötzlich auf der Hand: Er mußte dicht ans Cockpit heranfliegen und seine Rakete aus Kernschußweite abfeuern. Da sie keinen Sprengkopf hatte, konnte er das tun, ohne seine eigene Maschine übermäßig zu gefährden. Sofort nach dem Schuß mußte er steil wegkurven. Die Phoenix würde das Cockpit treffen, bevor ihr kompliziertes Zielsuchsystem ansprechen und sie gegen die Mitte der Straton steuern konnte. Matos grinste unwillkürlich. Auf diese Weise würde er die Absichten der Konstrukteure dieser Waffe vereiteln. Der Pilot war eben noch immer entscheidend.

Matos war sich darüber im klaren, daß er bei der Bestimmung des besten Schußwinkels einen Kompromiß würde schließen müssen. Er steuerte seine F-18 auf die Backbordseite der Straton. Der kleine Schatten seiner Maschine glitt über den silberglänzenden Rumpf des riesigen Verkehrsflugzeuges. Matos sah nach unten. Normalerweise hätte er das Ziel von der Seite anfliegen müssen, aber das wäre diesmal zu riskant gewesen. Bei Handabfeuerung hätte er den Vorhaltewinkel schätzen müssen

– und dabei bestand die Gefahr, daß er die Straton ganz verfehlte.

Er fiel etwas zurück und nahm seine vorige Position wieder ein: 100 Meter hinter der Straton und leicht überhöht, so daß er die Rumpfoberseite vor sich hatte. Die Phoenix mußte aus dieser 6-Uhr-Position abgefeuert werden, damit sie die Kuppel traf, unter der Salon und Cockpit lagen. Matos mußte den Schußwinkel so wählen, daß die Rakete durch den Salon eindrang, das Cockpit durchschlug und unterhalb des Radarbugs wieder austrat. Damit war das gesamte Cockpit zerstört. Er streckte die linke Hand nach dem Spiegelvisier über der Sonnenblende aus und klappte es herunter. Als er hineinsah, schien das Fadenkreuz auf und ab zu tanzen, weil die relative Position der beiden Flugzeuge sich noch verhältnismäßig ruckartig veränderte.

Matos brachte die F-18 etwas näher heran und bemühte sich, seine Maschine ruhigzuhalten. Das vordere Rumpfdrittel der Straton füllte das Blickfeld des Visiers aus. Der Schnittpunkt des Fadenkreuzes blieb mit kleinen Schwankungen auf die Kuppel mit Salon und Cockpit gerichtet.

Der Leutnant legte den Sicherungsschalter der Phoenix um, ohne das Ziel aus den Augen zu lassen. Dann berührten seine Finger den Feuerknopf. Matos holte tief Luft und drückte den Steuerknüppel der F-18 leicht nach vorn. Der Abfangjäger kam dem Verkehrsflugzeug näher. Der Schnittpunkt des Fadenkreuzes blieb genau im Ziel. Vor sich sah Matos das mächtige Leitwerk der Straton. Er würde seine Rakete abfeuern, wenn er sich über dem Leitwerk befand. Die Entfernung zwischen Seitenleitwerk und Cockpit betrug schätzungsweise 70 Meter und entsprach damit dem nötigen Sicherheitsabstand. Näher durfte er nicht herangehen, um nicht durch abmontierende Wrackteile gefährdet zu werden. Und bei einer plötzlichen Rollbewegung der beschädigten Verkehrsmaschine konnte eine der Tragflächen seine F-18 treffen.

Er starrte ins Visier. Zehn Meter vom Leitwerk entfernt. So dicht war er noch nie an ein so großes Flugzeug herangegangen. Acht Meter. Der riesige Rumpf der Straton lag wie ein Flugdeck unter ihm. Drei Meter. Matos konnte die Niete am Leitwerk erkennen. Er hatte starkes Herzklopfen.

Die Nase der F-18 passierte das Leitwerk der Straton. Die silbrige Kuppel lag im Schnittpunkt des Fadenkreuzes. Matos kniff die Augen zusammen, um nicht geblendet zu werden. Er atmete langsam aus und drückte auf den Feuerknopf.

John Berry lag viel daran, die Kursänderung vorzunehmen, aber er blieb trotzdem untätig. Er betrachtete die Instrumente und versuchte den Eindruck zu erwecken, er tue etwas Wichtiges.

»John?«

»Was?«

Sharon Crandall warf ihm einen besorgten Blick zu. »Ist was nicht in Ordnung?«

»Nein, nein, ich überprüfe nur die Instrumente.« Er machte eine Pause. »Versuchen Sie lieber, Barbara zu erreichen. Sie soll wissen, daß wir eine Kurve fliegen, damit sie keine Angst bekommt, wenn die Maschine schräg liegt. Und sagen Sie ihr, daß sie von den Löchern wegbleiben soll.«

»Okay.« Sharon Crandall griff nach dem Hörer des Bordtelefons und drückte mehrmals auf den Rufknopf der mittleren Stewardessenstation. »Sie meldet sich nicht«, berichtete sie mit zitternder Stimme.

»Versuchen Sie’s mit einer anderen Station.«

Crandall entschied sich für die Station im Heck und drückte auf den Rufknopf. Diesmal meldete sich fast augenblicklich eine Frauenstimme, die jedoch in heulenden Windgeräuschen und merkwürdigen Lauten im Hintergrund fast unterging. »Bist du’s, Barbara? Verstehst du mich?«

»Ja«, antwortete Yoshiro mit klarer Stimme. »Ich bin ganz hinten.«

»Und dir fehlt nichts?«

»Nein, nein.«

Crandall wandte sich an Berry. »Ich hab’ sie. Gott sei Dank!

Sie ist im Heck. Ihr fehlt nichts.«

Berry nickte.

»Komm zurück, Barbara«, forderte Crandall sie auf.

»Laß mir noch fünf Minuten Zeit. Ich will mir auch die letzte Toilette ansehen. Jeff Price, unser Steward, ist nirgends zu sehen. Vielleicht fahre ich nach unten in die Bordküche.«

Crandall warf Berry einen fragenden Blick zu.

Berry wollte endlich die Kurve fliegen. »Okay. Sagen Sie ihr, daß wir umkehren. Sie soll bleiben, wo sie ist, bis wir wieder geradeaus fliegen.«

Sharon nickte. »Du sollst auf der Heckstation warten. John will auf Gegenkurs gehen. Wir haben über das Data-Link Verbindung mit San Francisco. Jetzt ist alles in Ordnung. Wir fliegen heim, Barbara. Du bleibst, wo du bist, bis wir die Kurve geflogen haben. Okay?«

Barbaras Stimme klang hörbar erleichtert. »Ja, natürlich. Wunderbar!«

Berry griff nach dem Hörer. »Barbara, hier ist John Berry. Was machen die Passagiere?«

Die Antwort kam erst nach einer kurzen Pause. »Ich … ich weiß nicht recht, sie scheinen … sich erholt zu haben.«

Er schüttelte den Kopf. Sie hatten sich nicht erholt. Sie würden sich nie erholen. Jede Erholung bedeutete eine Verschlimmerung. Sie waren aktiver, gefährlicher. »Seien Sie ja vorsichtig! Bis später, Barbara.«

»Okay.«

Yoshiro legte auf.

Berry wechselte einen Blick mit Crandall und drehte sich dann nach dem Salon um. Stein hatte die Mitteilung, daß sie jetzt eine Verbindung mit San Francisco hatten, sehr ruhig, beinahe desinteressiert aufgenommen. Er hatte andere Sorgen. »Harold, Linda?« rief Berry ihnen zu. »Haltet euch irgendwo fest. Wir kehren um – wir fliegen nach Kalifornien. In ein paar Stunden sind wir daheim!«

Stein sah von seinem Posten an der Wendeltreppe auf und nickte geistesabwesend.

John Berry setzte sich zurecht und legte eine Hand auf den Kurvenkontrollknopf des Autopiloten. Er hatte den Eindruck, ein Schatten gleite über die rechte Hälfte der Windschutzscheibe. Berry sah zu Crandall hinüber, aber sie schien nichts bemerkt zu haben. Er stand auf, beugte sich über ihren Platz und verrenkte sich fast den Hals, um besser nach draußen sehen zu können. Nichts. Wahrscheinlich eine Wolke. Aber der Himmel war wolkenlos.

»Was ist los?«

»Nichts.« Er setzte sich wieder und legte die rechte Hand auf den schwarzen Knopf. »Okay, wir fliegen heim.« Die riesige Verkehrsmaschine flog gehorsam eine Rechtskurve, als er den Knopf langsam nach rechts drehte.

Im ersten Augenblick dachte der Leutnant, seine F-18 sei für die scheinbare Bewegung verantwortlich. Das konnte eine Folge des Abfeuerns der Phoenix sein. Aber dann wurde ihm klar, daß er den Feuerknopf nicht weit genug hineingedrückt hatte. Die Leuchtanzeige, die den Abschuß signalisierte, war dunkel geblieben.

Die Straton 797 wanderte rasch nach Steuerbord aus. Matos nahm die Hand vom Feuerknopf und sah nach draußen, ohne durch sein Spiegelvisier zu blicken. Die Verkehrsmaschine flog eine weite Rechtskurve und entfernte sich dadurch von ihm.

Turbulenz, war sein erster Gedanke. Nein, unmöglich, hier gibt’s keine Turbulenz. Seine eigene Maschine lag ruhig in der Luft. Trotzdem flog die Straton nicht mehr geradeaus. Er nahm instinktiv den gleichen Kurswechsel vor und bekam das Verkehrsflugzeug wieder ins Fadenkreuz. Die 797 kurvte gleichmäßig weiter. Ruhig. Gleichmäßig.

Gesteuert!

Matos setzte sich ruckartig auf. Seine Hand betätigte den Sprechknopf. »Homeplate! Homeplate! Hier Navy drei-viersieben. Die Straton kurvt.« Er blieb weiter hinter dem Verkehrsflugzeug. »Jetzt liegt Nordkurs an. Die Maschine kurvt weiter. Sie hat fast Nordostkurs erreicht. Die Wendegeschwindigkeit bleibt gleich. Schräglage etwa dreißig Grad. Geschwindigkeit und Höhe unverändert!« Er drückte weiter auf den Sprechknopf, um nicht empfangen zu können, und schilderte den Kurvenflug der Straton.

Dann kehrte die Verkehrsmaschine allmählich in die Normalfluglage zurück. Matos beobachtete, daß die Straton ihre Kursänderung abgeschlossen hatte. Er setzte sich mit der F-18 eine Flugzeuglänge hinter die 797.

Die Gleichmäßigkeit der geflogenen Kurve bewies Matos, daß die Steuerbewegungen elektronisch kontrolliert wurden. Nur ein computergesteuerter Autopilot konnte eine so gleichmäßige Kurve fliegen. »Homeplate, die Straton fliegt weiter mit Autopilot«, meldete er. Aber für ihn stand außer Zweifel, daß eine menschliche Hand die Einstellung des Autopiloten verändert haben mußte.

Matos starrte das heruntergeklappte Spiegelvisier und den entsicherten Feuerknopf an, als sehe er sie zum erstenmal. Dabei lief ihm ein kalter Schauer über den Rücken.

Seine Hand schmerzte, und er merkte, daß er die ganze Zeit krampfhaft auf den Sprechknopf gedrückt hatte, um die Frequenz, auf der er mit der Nimitz sprach, zu blockieren. Aber er wußte, daß er Sloan nicht unbegrenzt am Sprechen hindern konnte. Um sein Verhalten zu rechtfertigen – und um Zeit zum Nachdenken zu gewinnen –, berichtete Matos weiter. »Das ist ein bewußter Kurswechsel gewesen. Irgend jemand fliegt die Maschine oder bedient zumindest den Autopiloten. Ich könnte zum Cockpit aufschließen, um nachzusehen.« Er ließ den Sprechknopf los.

»Nein!« brüllte Sloan. »Sie bleiben gefälligst hinter der Straton, verstanden? Sie hüten sich, Aufmerksamkeit zu erregen, solange Sie keinen ausdrücklichen Befehl dazu erhalten. Und lassen Sie gefälligst die Hand vom Sprechknopf, wenn Sie nicht senden! Wagen Sie ja nicht, mich nochmals zu blockieren! Haben Sie verstanden?«

Der Leutnant nickte unwillkürlich. »Verstanden, Commander«, antwortete er eingeschüchtert. »Entschuldigung, ich bin nur … aufgeregt gewesen und … muß den Steuerknüppel zu fest umklammert haben … Kommen.«

»Verstanden. Überwachen Sie nach wie vor die Funkfrequenzen?«

Matos warf einen Blick auf die seitliche Konsole. Sein Überwachungsempfänger war noch immer eingeschaltet und weiterhin stumm. »Positiv. Kein Funksprechverkehr auf den normalen Frequenzen.«

»Okay, Peter. Bleiben Sie vorläufig hinter der Straton. Bestätigen Sie.«

»Verstanden. Bleibe vorläufig hinter der Straton.«

»Danke, Ende!«

Matos fuhr sich mit der Zungenspitze über seine trockenen Lippen und starrte den Kompaß an. Wenn ein Commander so »Ende!« sagte, hieß das praktisch: Rufen Sie mich nicht mehr, bis ich Sie rufe. Aber Matos mußte noch etwas loswerden. »Homeplate, hier Navy drei-vier-sieben.«

Sloan antwortete nicht gleich. »Was gibt’s, Navy?« fragte er ungnädig.

»Homeplate, die Verkehrsmaschine wird offenbar von jemand geflogen, der seine Sache versteht. Die Straton fliegt jetzt einen Steuerkurs von hundertzwanzig Grad. Damit nimmt sie Kurs auf Kalifornien.«

Das Schweigen in den Kopfhörern von Matos’ Jethelm schien sehr lange zu dauern.

»Verstanden. Noch etwas?«

Matos konnte Sloans ausdruckslosen Tonfall nicht recht deuten. Er fragte sich, was jetzt im Kopf des Commanders vorgehen mochte. Warum hatten sie geglaubt, an Bord der Straton sei niemand mehr am Leben? Matos konnte sich nicht länger beherrschen, er mußte die Frage stellen, die ihm auf den Lippen brannte. »Homeplate, warum muß ich außer Sichtweite des Cockpits bleiben?«

Er lehnte sich zurück und machte sich auf eine längere Wartezeit gefaßt.

Erst nach reichlich einer Minute knackte es in seinem Kopfhörer. »Weil ich’s Ihnen befohlen habe, Leutnant«, antwortete der Commander scharf. »Wir stecken alle bis zum Hals in der Scheiße. Wenn Sie nicht für den Rest Ihres Lebens in Portsmouth sitzen wollen, lassen Sie sich nicht in der Nähe dieses Cockpits blicken. Ich schlage vor, daß Sie über den Grund für meinen Befehl nachdenken, Leutnant, und sich melden, sobald Sie ihn rausgekriegt haben. Okay?«

Matos nickte wieder und starrte seine am Steuerknüppel liegenden Hände an. »Verstanden.«

»Ende«, sagte Sloan nur.

Der Leutnant klappte das Spiegelvisier hoch und sicherte den Feuerknopf. Er starrte die große Verkehrsmaschine an, bis seine Augen schmerzten, und zwang sich dazu, die Entwicklung von dem Augenblick an zu analysieren, als er zwei Ziele auf seinem Radarschirm erkannt hatte. Allmählich wurde ihm klar, worauf Sloan hinauswollte. Jetzt wußte er auch, was vermutlich noch von ihm verlangt werden würde. Sprich ’s ruhig aus, Peter, dachte er. Mord.