57. KAPITEL
Auf Masons Haut bildeten sich kleine Schweißperlen, die wie Blut aus einer Schusswunde sprudelten. Seine Muskeln schrien vor Schmerzen, als er sein Kanneliermesser in die Fläche trieb, die einmal eine von Korbans Wangen werden sollte. Mit der linken Hand rammte er seinen Hohlbeitel in die hölzernen Schultern. Nie zuvor hatte er mit beiden Händen gleichzeitig gearbeitet, aber in diesem Augenblick war alles möglich. Das Holz schien sich fast selbst zu schälen, die Späne lösten sich wie von Zauberhand ab. Sie beide hatten es offenbar eilig, er selbst und seine Statue.
Dann drang wieder diese Stimme von der Büste an sein Ohr, diese Stimme, die ihn zum Weitermachen zwang, die Mason in Ekstase brachte, die ihn wie im Wahn meißeln, hobeln, hacken ließ. Zuerst hatte er sich davor gefürchtet, doch jetzt war die Stimme einfach nur ein weiterer Lehrmeister, der zu ihm sprach, wenn auch mit dem forderndsten Tonfall, dem er sich je hatte beugen müssen.
Dies war sein anspruchsvollster Kritiker.
Wenn er versagte, wartete auf ihn der Tunnel.
Sein dunkles Gitterbettchen, die Ratten und seine Mutter mit der fiepsigen Stimme und dem langen, grauen Schwanz.
»Noch mehr von der Schulter, du Idiot«, sagte die Büste.
Mason schaute zur Büste, zu Korban, zu seiner Schöpfung, zu seinem ersten Meisterwerk. Die Laterne auf dem Tisch legte einen dunklen Schatten auf die linke Seite der Büste.
Wieder bewegten sich die hölzernen Lippen. »Beeil dich. Sie warten.«
»Wer?« flüsterte Mason. Eine gespenstische Ruhe erfüllte den Raum. Die Haare auf seinen Handrücken stellten sich auf. Durch den Schornstein auf der anderen Seite der Mauer loderten Flammen empor.
»Mach weiter, Bildhauer.«
»Ich brauche eine Pause.«
»Ausruhen kannst du dich später noch genug.«
Mason legte sein Werkzeug auf den Tisch, wischte sich über die Augenbrauen, sank erschöpft auf den Betonboden. Dann sah er das Gemälde, das Korban vom Anwesen gezeichnet hatte und das jemand in seiner Abwesenheit manipuliert hatte. Die Gestalten waren jetzt deutlich sichtbar, mit Ölfarbe in dicken Pinselstrichen dargestellt. Die Frau mit dem Blumenstrauß war in den Vordergrund gerückt, ihre Position hatte sich verändert. Mit ausgebreiteten Armen und weit aufgerissenen Augen war sie hinter der Brüstung zu sehen. Sie stürzte nach unten.
Und Mason war es egal, was Anna sagte. Diesen ganzen Blödsinn, dass die Frau Annas Mutter war, glaubte er nicht. Denn das dort waren Annas Gesicht und Annas Augen. Und dieses geheimnisvolle, angedeutete Lächeln, zu dem keine andere Frau auf dieser Welt imstande war.
»Aha«, sagte die Büste. »Sie also ist die Frau, nach der du dich verzehrst. Die liebreizende Anna.«
»Was ist mit ihr?« Schon lange war Mason über den Punkt hinaus, an dem er an seinem Verstand zweifelte. Manche Künstler behaupteten, dass ihre Werke zu ihnen sprachen, also war es vielleicht gar nicht so ungewöhnlich, dass er Korbans Stimme hörte. Wenn man dem fraglichen Objekt jedoch auch noch antwortete, hatte man eindeutig die Grenze zwischen unverkennbarem Genie und unzurechnungsfähiger, gepeinigter Seele überschritten.
»Du kannst sie haben, wenn du mit mir fertig bist. Ich habe dir schon mein Wort gegeben, dass du berühmt werden wirst. Und ich halte immer mein Wort.«
Mason nahm seinen Spitzmeißel vom Tisch und hob seinen Hammer. Er überlegte, ob er das dicke Eisen nicht einfach zwischen Korbans Augen schleudern sollte. Ein Schlag mit dem Hammer würde die Büste in zwei Hälften zerbersten lassen. Aber wie kann man etwas töten, das schon tot ist?
Die Statue vor ihm bebte, ihre grob herausgemeißelten Glieder vibrierten. Vom Unterarm splitterten Holzfasern ab, der klobige Kopf neigte sich, an der Stelle, wo einmal der Mund sein sollte, löste sich ein kleines Astloch.
»Vollende mich«, stöhnte die Büste.
Mason ließ seinen Hammer fallen und wich zurück, seine Augen brannten vom vielen Schweiß, von den Sägespänen und von der Angst, die sich in ihm ausbreitete. Die Holzarme streckten sich nach ihm aus, von den ungehobelten Händen fiel gekräuseltes Eichenholz herab. Mason prallte gegen den Tisch, die Büste stürzte um. Er schaute nach unten und sah die Augen, die ihn anstarrten. Es war der gleiche Blick wie auf dem Porträt von Korban. Genauso kalt.
»Was ist mit Anna?« fragte Mason.
»Ich verspreche, ihr zwei werdet zusammen sein. Wir alle werden eine große glückliche Familie sein.«
Das machte Sinn. Schließlich war es auch möglich, dass seine Mutter ihn aus dem tiefen, dunklen Tunnel heraus beobachtete. Wahrscheinlich zusammen mit seinem stockbesoffenen Vater mit den bösen, finsteren Augen. Genau wie in alten Zeiten. Ratten, die aus ihren Löchern in den Wänden hervorkrochen. Um ihn herum nur Finsternis. Und Vater, der ohnmächtig auf den Boden knallte. Wenn er Anna mit in den Tunnel ziehen konnte, würde die Dunkelheit vielleicht ein bisschen erträglicher sein. Korban hielt immer sein Wort. Wieso sollte man diesen weisen und wunderbaren Augen nicht vertrauen?
Mason nahm die kleine Axt. Die Kritiker hatten gesprochen. Mehr von der linken Seite. Vollende es. Lass es perfekt werden. Ein Traumbild, das zum Leben erweckt wird. Schaffe. Schöpfe.
Holz.
Fleisch.
Herz.
Traum.