29. KAPITEL

Die Pferde waren wunderschön, schlank und muskulös, voller Anmut. Kein Wunder, dass sie Annas Lieblingstiere waren. Früher, vor dem fatalen Onkologiebericht, hatte sie davon geträumt, einen eigenen Stall zu besitzen und eine Pferdepension zu betreiben. Doch dieser Traum war genauso vergänglich und unwirklich wie all die anderen, ob sie nun von Korban Manor, Stephen oder ihrem eigenen Geist handelten.

Sie hörte, wie jemand völlig falsch vor sich hin pfiff, es klang ein bisschen nach »Yankee Doodle«. Als sie sich umdrehte, sah sie Mason die Straße zur Scheune hinuntergehen. Er winkte und hielt neben ihr am Zaun an, dann lies er den Blick über das Weideland schweifen, als ob er sich einen Film ansah, der auf die in der Ferne liegenden Berge projiziert wurde.

»Na, wie läuft die Geisterjagd?«, fragte er.

Das konnte sie nun wirklich nicht gebrauchen. Stephen war schlimm genug. Wobei Stephen wenigstens an Geister glaubte, auch wenn seine Energiefelder anstelle von Seelen besaßen. Mason hingegen war nur ein weiterer egozentrischer Loser, wahrscheinlich ein blinder Atheist und todsicher, dass nach dem letzten Atemzug absolut nichts kam. Atheisten hatten eine bekehrendere und süffisantere Art als jeder Christ, den Anna bisher getroffen hatte.

»Wissen Sie was?«, fragte sie. »Leute wie Sie verdienen es, gejagt zu werden.«

Wie ein sich ergebender Verletzter breitete Mason die Arme aus. »Was habe ich denn gesagt?«

»Sie müssen es nicht mit Worten sagen. Ihre Augen verraten mehr als genug. Und sie sagen: ›Was für eine liebenswürdige Traumtänzerin. Irgendwann muss sie zwangsläufig von einem tollen Künstler wie mir beeindruckt sein, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie in meinem Bett landet.‹«

»Sie müssen mich mit William Roth verwechseln.«

»Tut mir leid«, antwortete Anna, denn sie wusste, dass sie ihren Frust und ihre Wut an einem relativ unschuldigen Zuschauer ausließ. Und dennoch, niemand war vollkommen unschuldig. »Ich bin im Moment etwas neben der Spur.«

»Möchten Sie darüber reden?«

»Ja, genau. Als ob Sie das verstehen würden.«

»Hören Sie, ich habe gesehen, wie Sie lange Spaziergänge unternommen und sich nachts mit Ihrer Taschenlampe herausgeschlichen haben. Das heißt, Sie sind gern allein. Das ist vollkommen in Ordnung. Ich bin auch gern allein. Aber wenn mir schon seltsame Dinge passieren, dann geht es Ihnen mit hoher Wahrscheinlichkeit genauso. Vielleicht passieren Ihnen ja sogar noch schlimmere Sachen. Ich würde jedenfalls für kein Geld der Welt im Dunkeln dorthin gehen.« Mason nickte in Richtung Wald, der selbst in seinem bunten Herbstkleid augenscheinlich schnelle und dunkle Schatten verbarg.

»Über welche seltsamen Dinge sprechen Sie? Ich dachte, Sie wären Skeptiker.«

»Ah. Ich dachte, ich wecke mal Ihre wissenschaftliche Neugier, wenn ich schon nichts anderes in Ihnen erwecken kann. Haben Sie George irgendwo gesehen?«

»George?«

Mason ging näher an sie heran und senkte die Stimme, als würde jemand sie belauschen. »Wie lange muss jemand tot sein, bevor er ein Geist wird?«

Anna schaute durch die Bäume hinüber zum Haus und hinauf zum Witwensteg mit der schmalen, weißen Brüstung, wo ihre Traumfigur im fahlen Lichte des Mondes gestanden hatte. »Vielleicht wird man schon zum Geist, bevor man überhaupt gestorben ist.«

»Okay. Wie wäre es damit? Kann ich von etwas heimgesucht werden, das nur in meinem Kopf existiert? Denn ich sehe Ephram Korban jedes Mal, wenn ich die Augen schließe. Ich sehe ihn im Spiegel, ich sehe ihn im Kamin, meine Hände schnitzen sein gottverdammtes Gesicht, selbst wenn ich ihnen befehle, an etwas anderem zu arbeiten.«

»Ein Psychiater würde das wohl als Zwangsneurose bezeichnen. Aber das beschreibt so gut wie jeden Künstler, den ich in meinem bisherigen Leben kennengelernt habe. Und etwa neunzig Prozent aller Männer.«

»Hey, wir sind nicht alle Arschlöcher. Und ich wünschte, Sie würden endlich Ihre persönliche Fehde gegen jeden, der einen Traum hat, einstellen. Einige Künstler sind nur ganz normale Leute, die zufällig Dinge erschaffen, weil sie verdammt noch einmal einfach nicht wissen, wie sie mit anderen kommunizieren sollen.«

»Und einige von uns sind ganz normale Leute, die nach einem Beweis für das Leben nach dem Tod suchen, weil dieses Leben auf unzählige Arten und Weisen beschissen ist und die Menschen uns immer wieder enttäuschen. An Geister kann ich einfacher glauben als an die meisten Menschen, denen ich bislang über den Weg gelaufen bin.«

»Waffenstillstand! Offensichtlich sind wir beide komplett verrückt. Und einen Moment lang hatte ich gedacht, wir hätten überhaupt nichts gemeinsam.«

Damit lockte er ein ungewohntes Lächeln auf Annas Lippen hervor. »Na gut. Fangen wir noch einmal von vorn an. Ich bin Anna«, sie streckte ihm die Hand entgegen.

»Und ich Mason«, antwortete er lächelnd.

»Ich nehme an, du hast die ganzen Geistergeschichten gehört. Wie Ephram Korban vom Witwensteg aus in den Tod gesprungen ist – obwohl die besten Legenden ja besagen, dass eines der Dienstmädchen ihn aus den üblichen Gründen hinuntergestürzt hat.«

»Und welche Gründe wären das?«

»Erwiderte oder nicht erwiderte Liebe. Warum sonst sollte man jemanden umbringen wollen? Jedenfalls irrt Korbans Geist laut Klatsch und Tratsch und sogar laut einiger parapsychologischer Artikel umher und versucht, wieder in das Haus zurückzukehren, in das er so viel Zeit, Geld und Energie gesteckt hat.«

»Und du glaubst nicht daran?«

Die Pferde vernahmen einen Ruf von der Scheune und gallopierten davon. »Ich wünschte, ich wäre auch so frei”, meinte Anna. »Vielleicht werde ich im nächsten Leben ja ein Pferd.«

»Die Kehrseite ist bloß, dass du dafür erst einmal sterben müsstest. So wie Ephram Korban.«

»Er hat eine Grabstelle auf der anderen Seite des Bergkamms, aber ein Grab ist auch nichts weiter als ein Loch in der Erde. Seinen Geist habe ich noch nicht zu Gesicht bekommen.«

»Glaubst du wirklich, es gibt hier Geister?«

»Ich weiß es. Wenn dein Leben in Flammen aufgeht, hinterlässt du ein bisschen Rauch. Bitte mich am besten erst gar nicht darum, dir einen Beweis zu liefern, sonst erinnerst du mich bloß an jemanden, den ich seit einem Jahr versuche zu vergessen.«

»Ich nehme dich beim Wort. Vielleicht frage ich Ransom, ob er mir eines seiner Zaubersäckchen leiht. Angeblich halten die ruhelose Geister fern.«

»Schaden kann es jedenfalls nicht«, meinte Anna. »Ich gehe hinunter zur Scheune. Willst du mitkommen?«

»Dort wollte ich sowieso gerade hin. Miss Mamie hat Ransom beauftragt, mir bei der Suche nach einem ordentlich großen Holzstück zu helfen, damit ich es in eine lebensgroße Statue verwandeln kann.«

»Ach, ihr armen, leidenden Künstler. Immer müsst ihr die Kritiker zufriedenstellen.«

»Ach, ihr armen Kritiker. Immer müsst ihr euch einen abmühen, um Zynismus von Weltklasse an den Tag zu legen.«

Als sie an der Scheune ankamen, hatte Ransom die Pferde bereits in einen offenen Verschlag geführt, der an einem Flügel der Scheune angebaut worden war. Er hakte den Sattelgurt unter dem Bauch eines großen Rotschimmels ein, der mit den Ohren zuckte, als ob er dieses Spielchen kannte. Im Inneren der Scheune flackerten zwei Laternen, die von einem verstaubten Dachsparren baumelten. An einer Wand hingen Lederriemen und funkelnde Metallteile und auf einer Bank unter den Geschirren waren vier Sättel aufgereiht.

»Hallo, ihr jungen Leute«, begrüßte sie Ransom laut. Er warf einen etwas längeren Blick auf Anna und schaute dann stirnrunzelnd zum Himmel hinauf.

»Brauchen Sie Hilfe?«, fragte Anna ihn.

»Nein, brauche ich nicht, aber gegen ein bisschen Gesellschaft habe ich nichts einzuwenden. Sie kennen sich mit Pferden aus?«

»Das eine Ende frisst, das andere nicht«, scherzte Mason.

»Und ein Ende könnte dir in die Eier treten, wenn du Dummheit ausstrahlst.« Anna rieb die Nase eines Fuchses und nur wenige Sekunden später schnüffelte er vorsichtig in ihrem Nacken und blies sie durch die Nüstern an. Wenn sie sich mit Männern doch nur auch so gut anstellen würde. Zumindest damals, als ihr das noch nicht egal war. Oder mit Geistern. Es wäre eine willkommene Abwechslung für diese Geschöpfe, mit offenen Armen und einem Lächeln auf den Lippen aus dem Land der Toten herauszueilen.

Sie ließ die Zügel im Zaumzeug einschnappen und führte die Lederriemen durch die Stahlringe. »Da haben Sie ja ein paar schöne Prachtexemplare«, meinte sie zu Ransom.

»Sie haben Sie auf jeden Fall ins Herz geschlossen.«

»Ich bin eine Zeit lang mit Pferden aufgewachsen.«

»Eine Zeit lang?«

»Das ist eine lange Geschichte, eine von vielen«, wiegelte Anna ab.

»Vorsicht, Mason«, sagte Ransom. »Eine Frau mit Geheimnissen verheißt in der Regel nichts Gutes. Helft ihr zwei mir, den Wagen herauszuholen?«

Sie begaben sich ins Innere der Scheune, wobei Ransom kurz anhielt, um die großen Holztore weiter auseinander zu schieben. Gerade wollte er in die Scheune treten, als er auf die Stelle über dem Scheunentor schaute und nach dem Zaubersäckchen um seinen Hals griff. Er schwenkte es hin und her, während er dabei die Augen geschlossen hielt und rhythmisch etwas vor sich hin flüsterte, das Anna nicht verstehen konnte.

»Ich möge verhext werden, wenn sie es nicht schon wieder geändert haben«, sagte Ransom. Er rollte ein Holzfass an das Tor und stieg mit zitternden Beinen hinauf, um das darüber festgenagelte Hufeisen so herumzudrehen, dass die Zinken nach oben in Richtung Himmel zeigten.

»Bringt es andersherum kein Glück mehr?«, wollte Anna wissen.

»Dieser Talisman ist um einiges älter, als Sie vielleicht denken. Für die meisten bedeutet ein Hufeisen heute Glück, doch Zeichen verwässern und werden schwächer, weil die Leute die Wahrheit vergessen, die hinter ihnen steckt. Mit dem vierblättrigen Kleeblatt ist es genauso.«

»Klar, so ein Kleeblatt hat etwas Magisches an sich. «

» Das war früher mal so. Es verlieh der Person, die es bei sich trug, die Macht, Geister und Hexen zu sehen. Damals, als die Leute noch daran geglaubt haben.«

Anna und Mason schauten sich an. »Wenn die Zinken eines Hufeisens nach unten zeigen, ist das also schlecht, richtig?«

»Es öffnet praktisch die Tür für jede Art von totem Ding, das man sich vorstellen kann. Und ich persönlich bevorzuge es, wenn die Toten tot bleiben.« Wieder sah er Anna traurig an, als wäre er eigentlich weit weg. »Zu schade, dass nicht jeder hier das genauso sieht.«

Mason half Ransom vom Fass herunter. Anna band die Pferde an einem Holzpfeiler fest und folgte den Männern in die Scheune. An einer Längsseite standen mehrere Kutschen. Der Heuwagen befand sich am nächsten zur Tür. Gleich daneben sah Anna zwei Schlitten, einen Einspänner und eine elegante Kutsche mit einer Laterne an jeder Ecke. Alle Wagen waren restauriert und in einem Zustand, bei dem jeder Antiquitätenhändler sofort sein Scheckbuch zücken würde. Der Geruch nach Baumwollsamenöl und Leder kämpfte mit dem Heustaub um die Vorherrschaft in der Scheune. Weiter hinten in der Ecke stand eine große, vom Rost leicht rote Heuraupe. Sie hatte einen Sitz für den Fahrer und vorn eine Kopplung, an der die Zugtiere eingespannt werden konnten. Die riesigen Stahlzinken der Raupe streckten sich wie eine gierige Klaue nach oben.

»Das Gerät sieht ganz schön fies aus«, stellte Mason fest.

»Allerdings«, bestätigte Ransom und löste die Räder des Wagens. »Das scharfe Teil, das aussieht wie eine zu groß geratene Heugabel, ist der Steinschwader. Und man kann den Heuhecksler sehen. Wenn sich die Räder drehen, wird er in Gang gesetzt. Hier oben muss man beim Heumachen noch ganze Arbeit leisten.«

»Ich wette, die Pferde lieben es«, sagte Anna.

»Ja, weil sie genau wissen, dass sie im Winter das Heu in ihrer Raufe vorfinden werden.«

»Werden Sie Heu machen, während wir hier sind?«, fragte sie und dachte daran, wie viel Spaß es machen würde, dabei zu helfen. Harte, körperliche Arbeit konnte für einen deprimierten, sich selbst bemitleidenden Geist wahre Wunder bewirken. »Das Gras auf einigen Weiden wächst langsam ziemlich hoch.«

»Wir mussten die Heuernte für eine Weile unterbrechen, weil die Zeichen im Herzen standen.«

»Im Herzen?«

»Das bedeutet, dass es keine gute Zeit ist, Hafer oder Weizen oder eine andere Feldfrucht zu ernten. In dieser Zeit werden nur tote Dinge geerntet.«

Mason räusperte sich lautstark und spuckte aus. »Bäh, der Heustaub schnürt mir die Kehle zu.« Er sah Anna an und sagte: »Entschuldigung für mein rüdes Benehmen. So machen wir das in Sawyer Creek.«

»Falls Sie es noch nicht bemerkt haben, das hier ist nicht Sawyer Creek«, meinte Ransom. Er wies sie an, sich zum hinteren Teil des Wagens zu begeben, und hob die Deichsel an. »Jetzt müssen Sie Ihre Schultern zum Einsatz bringen.«

Sie manövrierten den Wagen aus dem Tor hinaus unter den Verschlag. Während Anna und Ransom die Pferde vorspannten, sah Mason sich in der Scheune um. Ein paar Minuten später steckte er den Kopf heraus. »Hey, was befindet sich unter der Falltür?«

Ransom striegelte die Mähne der Fuchsstute. »Kartoffeln, Süßkartoffeln, Kohl, Äpfel, Rüben. Ein Rübenkeller für Lebensmittel, die nicht ganz so kalt gelagert werden dürfen.«

»Darf ich einen Blick hineinwerfen?«

Ransom ging hinüber zur Bank und zerrte ein Paar derbe Lederhandschuhe hervor. »Bedienen Sie sich!«

Anna folgte Mason in die Ecke der Scheune, wo zwischen zwei Stapeln Heuballen die Falltür in den Fußboden eingelassen war.

»Dort, wo die Scheune an den Hügel grenzt, haben wir Türen«, erklärte Ransom. »Dadurch können wir die Ernte von den Obsthainen und Gärten direkt hierher bringen. Das spart eine Menge Arbeit. Und von hier aus führt ein Tunnel ins Hauptgebäude. Ephram Korban hatte ihn graben lassen, falls wir einmal von einem Schneesturm eingeschneit werden sollten oder so etwas in der Art. Aus irgendeinem Grund sprach er immer von den ›Tunneln der Seele‹. Ich schätze, er war etwa zur Hälfte verrückt. Zumindest war er das, wenn man einigen der Legenden über ihn Glauben schenkt.«

»Vielleicht sind ja auch alle der Legenden wahr und er war komplett verrückt«, gab Anna zu bedenken.

Mason kniete sich hin und hob die schwere Holztür nach oben. Der süßliche Geruch nach Moder und Erde vermischt mit einem Hauch von verdorbenen Früchten schlug ihnen entgegen. Die Dunkelheit unter ihnen war schwer wie schwarzes Öl. Eine notdürftige Leiter führte hinunter in die scheinbar bodenlose Tiefe.

»Dort unten gibt es nicht viel Interessantes zu sehen«, erklärte Ransom. »Es sei denn, Sie haben Lust, sich ein bisschen mit den Ratten zu unterhalten.«

»Ratten?« Mit einem Krachen, das den Staub von den Dachsparren rieseln ließ, fiel die Tür wieder zu. Mason blickte erschrocken drein, während Anna ein Niesen unterdrückte.

Ransoms Grinsen entblößte seine wenigen Zähne, die im schwachen Schein der Laterne gelblich glänzten. »Ratten so dick wie Ihr Oberschenkel.«

»Ich hasse Ratten«, meinte Mason. »Ich bin mit ihnen aufgewachsen. Hinter den Wänden meines Schlafzimmers klang es, als würde eine Kavallerie einreiten. Am meisten hasse ich ihre wachsamen Augen. Es sieht immer so aus, als würden sie einen taxieren.«

»Keine Sorge«, beruhigte ihn Ransom. »Die Ratten bekommen hier genug zu fressen. Sie müssen nicht an den Gästen herumnagen.«

»Miss Mamie würde sie wahrscheinlich wegen ihres schlechten Benehmens schelten.«

Anna lachte. Vielleicht war Mason gar nicht so übel. Zumindest hatte er keine Probleme damit, Schwäche zu zeigen. Im Gegensatz zu ihr.

Mason erhob sich und wischte sich die Hände an der Jeans ab. Irgendetwas flatterte von den Dachsparren herunter und streifte Annas Gesicht. Sie wischte sich über die Wangen, als wären es Spinnweben gewesen.

»Gütiger Gott, erzählen Sie mir bitte nicht, dass das eine Fledermaus war«, bat Mason erschrocken und duckte sich. »Fledermäuse sind nichts anderes als Ratten mit Flügeln.«

»Das war ein Vogel, ein Hüttenfänger«, erwiderte Ransom. »Da haben Sie Glück gehabt, junge Dame. Wenn ein Hüttenfänger Ihren Weg kreuzt, bedeutet das, dass Sie bald geküsst werden.«

»Großartig«, meinte Anna. »Und ich dachte, ich verdiene mir meine Küsse, indem ich ahnungslose Männer verhexe.«

»Glauben Sie, was Sie wollen«, sagte Ransom. »Ich schätze, Sie erkennen die Zeichen besser als jeder andere. Ich gehe jetzt besser weiter meinen Pflichten nach.«

Mason wischte seine Hände an einer alten Pferdedecke ab, die von den Dachsparren herunterhing. »Ach so, Ransom, haben Sie Zeit, mir bei der Suche nach einem übergroßen Baumstamm zu helfen, aus dem ich eine Statue zaubern kann?«

»Was glauben Sie, warum wir die Pferde vor den Wagen gespannt haben? Miss Mamie bekommt immer, was sie will.«

»Das habe ich auch schon festgestellt.«

»Lassen Sie uns aufbrechen, bevor es dunkel wird. Möglicherweise müssen wir bis hinter Beechy Gap, wo es vor ein paar Jahren im Winter einen großen Windwurf gab. Möchten Sie mitkommen, junge Dame?«

»Nein, danke. Ich habe auch ein paar Pflichten, denen ich nachkommen muss.«

»Und ich nehme an, einige Dinge muss man allein erledigen«, antwortete er.

Anna war sich nicht sicher, was sie von Ransom halten sollte. Er machte immer wieder Anspielungen, doch in seinen Augen lag eine tiefe Angst verborgen. Vielleicht hatte ja auch er ein paar Geheimnisse. Sie wartete, bis Mason und Ransom auf den Sitz der offenen Kutsche geklettert waren, und reichte Ransom dann die Fahrleine.

»Wir sehen uns später?«, fragte Mason.

Anna fühlte, wie ihre Mundwinkel zuckten, und war sich nicht sicher, in welche Richtung sie zeigen sollten. »Wir werden sehen.«

Ransom ließ die Leinen schnallen und das Gespann fuhr die Straße hinauf, wo sich die breite, sandige Fuhrwerkstraße ihren Weg zwischen die Bäume hinein in den Wald bahnte. Sie schob die Scheunentore zu und schaute hinauf zu dem Hufeisen.

Die Zinken zeigten wieder nach unten.

Tote Dinge kommen hinein.

Sie blickte hinüber zum Wald.

Am Rande des im Schatten liegenden Unterholzes, zwischen den Lorbeersträuchern, den Robinien und den Dornensträuchern, stand die Frau in Weiß und streckte herausfordernd ihren Blumenstrauß aus. Der Geist starrte Anna an, als würde er in einen Spiegel sehen, wandte sich dann ab und verschwand zwischen den Bäumen.

»Na gut, ganz wie du willst«, sagte Anna. »Spielen wir verstecken.«

Während sie den Wald betrat, fragte sie sich, wie man es jemals schaffen könnte, seinen eigenen Geist einzuholen. Und warum er sich überhaupt vor einem verstecken sollte. Mit einer Sache hatte Ransom recht: Eine Frau mit Geheimnissen verhieß in der Regel nichts Gutes.