12. KAPITEL
Eine Geister jagende Traumtänzerin.
Anna folgte dem gelben Lichtkegel der Taschenlampe, als hätte sie keinen eigenen Willen. Sie fand sich auf einem ansteigenden Waldweg wieder, der in einen von Lorbeerbäumen zugewachsenen, schmalen Trampelpfad überging. Die wachsartigen Blätter streiften an Gesicht und Händen entlang. Grillen und Laubheuschrecken zirpten in der Dunkelheit des schwarzen Waldes ihre Melodien.
Du läufst und läufst und kommst doch nicht hinterher. Du streckst die Hände aus und sie laufen tanzend davon. Du rennst und sie rennen schneller. Du schaust in die Dunkelheit und siehst nichts als schwarze Nacht.
Geister folgten ihren eigenen Regeln. Anna hatte die Vermutung, dass Geister keine Geheimnisse enträtseln mussten, keine Erklärungen verlangten. Die großen Mysterien des Lebens schienen keine große Bedeutung für diejenigen haben, die nicht mehr unter den Lebenden weilten. Ohne Zweifel erhielten Geister alle notwendigen Erklärungen im Jenseits als Willkommensgeschenk überreicht. Aber vielleicht wollten die Toten ja ein wenig Unterhaltung. Nach einer Weile wurde die Ewigkeit bestimmt ein wenig langweilig.
Anna sorgte sich nicht, dass sie sich im Wald verlaufen könnte, auch wenn die hell erleuchteten Fenster von Korban Manor schon außer Sichtweite waren. Nachdem sie das Haus verlassen hatte, war sie zur Scheune gegangen und hatte dort vier Pferde in ihren Ställen vorgefunden. Sie hatte ihren Hals gekrault und über die borstigen Haare auf ihren Nüstern gestreichelt.
Der warme Geruch der Tiere war sehr tröstlich gewesen. Der Duft nach Heu und Dünger hatte in ihr Erinnerungen an eine ihrer Pflegefamilien hochgebracht, die in West Virginia eine Farm unterhalten hatte. In diesem Sommer war Anna zur Frau geworden. Ihre ersten sexuellen Erfahrungen hatte sie mit einem hübschen, aber langweiligen Jungen gesammelt, der jeden zweiten Tag vorbei kam, um die Eier abzuholen. Dort hatte sie auch Stunden auf dem verunkrauteten, örtlichen Friedhof verbracht, hatte zwischen den bröckelnden, unleserlichen Grabsteinen gesessen und darüber nachgedacht, welche Leute da unter der Erde lagen und welcher Teil von ihnen den Verfall überlebt hatte.
Darüber dachte sie noch immer nach. Ihre Neugier hatte sie dazu bewogen, an der Duke University Anthropologie und am Rhine Research Center Parapsychologie zu studieren. Und jetzt hatte sie sie dazu gebracht, mitten in der Nacht hinaus in die Wälder zu laufen. Auf Straßen zu wandeln, die nie endeten. Eine Suche ohne Ergebnis. Der Mond und ein kleiner Funken Sternenlicht enthüllten vage die Form der Landschaft. Sie folgte dem Bergkamm bis zu dem Punkt, wo der Boden steil abfiel. Felsblöcke schimmerten in dem schwachen Licht wie schlechte Zähne in einem offenen Mund. Hinter dem Feld aus spitzem Geröll gähnte ein schwarzes Tal, das von einem zeitigen Frost mit einer silbernen Decke überzogen worden war.
Die Kanten und Wellen der Blue Ridge Mountains wälzten sich in Richtung Horizont. Dazwischen glitzerten in der Ferne die Lichter von Black Rock wie blaue und orangefarbene Juwelen. Im Osten blinkte das rote Licht eines Flugzeugs. Eine kleine fliegende Blechdose, erfunden von Menschen. Einige Passagiere hatten wahrscheinlich Angst vor einem Absturz, einige schlugen sich den Bauch mit abgelaufenen Erdnüssen voll, andere lechzten nach einer Zigarette. Die meisten waren wohl in Gedanken bei Verwandten, Ehegatten und Liebhabern, die sie gerade besucht hatten oder die am Flughafen auf sie warten würden.
Alle hatten ein Ziel, Dinge, auf die sie sich freuen konnten. Menschen, zu denen sie gehörten. Hoffnungen, Träume, eine Zukunft. Ein Leben. Eine Zeile aus diesem Song von Shirley Jackson ging ihr durch den Kopf, »Journeys end in lovers meeting«, jede Reise endet in den Armen eines Geliebten.
Ja, genau. Jede Reise endete im Tod, niemals in den Armen eines Geliebten.
Sie wandte sich von den Lichtern ab, die schon vor ihren Augen zu verschwimmen begannen, und schob ihr Selbstmitleid beiseite. Schließlich musste sie einen Wald erkunden. Und sie spürte ein Kribbeln im Bauch, einen Instinkt, dem sie erfahrungsgemäß vertrauen konnte, auch wenn Stephen nicht in der Lage war, seine Existenz zu beweisen. Zwischen diesen Bäumen und Hügeln wanderten Tote.
Manchmal fragte sie sich, ob der Krebs eine Weiterentwicklung dieses Instinkts war. Als ob der Tod ihr eigentlicher natürlicher Zustand war und das Leben nur eine Unterbrechung darstellte, die sie für kurze Zeit ertragen musste. Als ob sie eigentlich zu den Toten gehörte und ihr Gespür für sie stärker wurde, je näher die Zeit rückte, da sie einer von ihnen sein würde.
Das waren morbide Gedanken. Trotzdem konnte sie sich der Jungianischen Symbolik nicht verschließen, als sie den schummrigen Lichtern der Zivilisation, die da in der Ferne lagen, den Rücken zukehrte, um sich allein in den dunklen Wald zu begeben.
Auf die Suche nach sich selbst.
Wenn es nun wirklich möglich WÄRE, einen anderen Geist zu treffen, ihn zu berühren, sich mit ihm über die Wissenschaft der Seelen auszutauschen, etwas zu schaffen, das über den Prozess des Lebens und des Sterbens hinaus weiterlebte? Oder sind derartige Wünsche nur eine groteskere Form von Eitelkeit?
Sie starrte in den Kegel des künstlich erzeugten Lichts, der vor ihr auf dem Pfad herumtanzte. Je älter sie wurde, je näher sie dem Tod rückte und je tiefer sie auf ihrer Suche vordrang, desto einsamer wurde sie. Und wenn es etwas gab, das ihr Angst machte, vor dem sich jemand, der Geister gesehen hatte, fürchtete, dann war es der Gedanke, dass eine Seele oder ein Bewusstsein oder eine Lebenskraft, die nach dem Tod weiterlebte, dies allein tun müsste, für immer isoliert, für immer verloren.
Sie war nun schätzungsweise etwa zwei Kilometer vom Herrenhaus entfernt. Langsam setzte die Erschöpfung ein. Das war eines der Dinge, die sie am meisten an ihrer Krankheit hasste. Ihre Kräfte schwanden, gingen von diesem Leben in das nächste über.
Sie legte eine Pause ein und leuchtete mit der Taschenlampe den Bergkamm vor ihr ab. Nachtgeräusche krochen unter dem Kronendach der Laubbäume hervor, das Gewühle nachtaktiver Tiere und des ruhelosen Gebirgswindes. Die piniengeschwängerte Luft und die kühle Feuchte der zeitigen Abenddämmerung weckten ihre Lebensgeister. Der Pfad hatte sich mit mehreren größeren gekreuzt und einige Augenblicke zuvor hatte sie auch einen breiteren Feldweg überquert. Sie folgte ihrem Instinkt, ließ sich von ihm durch die Nacht tragen, so wie der Mond die rastlosen Gezeiten lenkt.
Der Weg tat sich auf und ging in einen Hain mit Balsaminengewächsen und dann in eine Wiese mit dichtem Gras über. Oberhalb der Lichtung befand sich eine Hütte, morsch und wackelig stand sie auf Pfählen aus aufeinandergestapelten Steinen. Eine bröcklige Esse, die sich grau vor dem halbdunklen Nachthimmel abzeichnete, durchdrang das abgeschrägte Blechdach. Die Glasscheiben der Fenster wirkten wie finstere Augen, die nach Gästen Ausschau hielten.
Anna war angekommen. Sie war ausgesandt worden, um die Hütte zu finden. Sie ging über die Wiese, die Aufschläge ihrer Hose wurden vom Reif durchnässt, der sich auf dem Gras niedergelegt hatte. Am Fuße der Veranda lag ein großer runder Stein, so bleich wie der Bauch eines Fischs. Mit einem Fuß stieg Anna hinauf und spähte in die dunkle Türöffnung.
Das Haus wollte sie.
Vielleicht war es aber nicht das Haus, sondern die Person, die hier gelebt hatte und dann gestorben war. Irgendetwas hatte eine menschliche Seele an diesen Ort gebunden, ein Ereignis, das so schrecklich gewesen sein musste, dass es einen psychischen Abdruck hinterlassen hatte. So wie sich Licht durch die Emulsion auf dem Negativ eines Fotos durchbrennt.
Lautlose Musik brachte die Luft zum Summen. Die Härchen in Annas Nacken standen ab wie magnetisierte Nadeln. Trotz der nächtlichen Kälte waren ihre Achselhöhlen schweißnass. Eine übernatürliche Angst rann durch ihre Adern und drohte, ihre Neugier zu ersticken.
Hinter dieser Tür schwebte etwas, zart und zerbrechlich, als wäre ihm sein eigenes Wesen fremd.
Aber vielleicht war es auch nur der Wind, der durch einen Spalt in den Wänden aus Brettern und Latten pfiff.
Anna richtete die Taschenlampe auf ein Astloch direkt über dem Türgriff. Das Flackern eines weißen Schattens füllte das Loch aus. Dann löste er sich auf.
Anna setzte auch den anderen Fuß auf die Steinveranda. Eine Gestalt, ein Gesicht, prägte sich in die Maserung der Tür.
Eine dünne Stimme kreischte mit dem Wind auf, gedämpft und hohl, wie eine Flöte in weiter Entfernung: »Ich habe gewartet.«
Anna kämpfte gegen den inneren Drang an, einfach wegzulaufen. Auch wenn sie an Geister glaubte, traf sie die Befremdlichkeit einer plötzlichen Begegnung jedes Mal wie ein Schwall eiskaltes Wasser. Und dieser hier … dieser sprach.
Anna wich zurück, hielt dabei aber die Taschenlampe fest auf die Tür gerichtet.
»Geh nicht«, erklang die kalte, dumpfe Stimme. Annas Muskeln froren ein. Sie kämpfte mit ihrem eigenen Körper, ihr Herzschlag dröhnte in ihren Ohren. Wieder ertönte die Stimme, schwacher, bettelnd: »Bitte.«
Es war die Stimme eines Kindes. Annas Angst mischte sich mit Mitgefühl und verschmolz dann mit dem Verlangen, das Phänomen zu verstehen. Blieben junge Geister für immer jung?
Anna stieg auf die Veranda. Die Bretter knarrten unter ihren Füßen. Unter dem Dachvorsprung flatterte etwas und verschwand dann am nächtlichen Himmel. Eine Fledermaus.
»Was willst du?«, fragte Anna und versuchte, das Zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken. Der Strahl ihrer Taschenlampe enthüllte nichts als Holz und verrostete Beschläge.
»Bist du sie?«
»Sie?«
»Hilf mir«, drang die klagende Stimme erneut an ihr Ohr, wurde jetzt schwächer, war beinahe nicht mehr hörbar. »Hilf uns.«
Anna hob den Eisenriegel hoch, öffnete die Tür und leuchtete mit der Taschenlampe ins Haus.
Sie erblickte eine kleine Gestalt mit einem kindlichen Gesicht, das von langen Locken umrahmt wurde. Unter den bettelnden Augen fielen einige Falten weichen Stoffes nach unten. Annas Gedanken überschlugen sich.
»Bleib da«, sagte sie. Es war sowohl eine Bitte, als auch ein verzweifelter Befehl.
Doch die Gestalt löste sich auf. Die geisterhaften Lippen öffneten sich, als wollten sie etwas sagen. Und dann sah sie nur noch die Augen, die schwebten und schwebten, zu Strähnen verblassender Schatten wurden und verschwanden. Die Augen hatten sich in Annas Gedächtnis eingebrannt. Niemals würde sie sie vergessen. Ihr Ausdruck war—gequält.
»Hallo?«, rief Anna. Das Wort starb in der hohlen Hülle der Hütte ab. Sie leuchtete das ganze Zimmer ab. Auf der einen Seite standen ein paar Regale, ein unebener Holzbalken lag vor der schwarzen Öffnung der Feuerstelle. Ein langer Tisch markierte den ehemaligen Küchenbereich. Auf dem Tisch stand eine Reihe ungeschliffener, handgeschnitzter Figuren, ihre knorrigen Glieder standen in grotesken Winkeln ab.
Anna berührte eine der Figuren. Sie war etwa dreißig Zentimeter groß, nicht lackiert oder bemalt. Das dunkle Holz war mit der Zeit ausgedörrt. Der Körper bestand aus einer abgehackten Wurzel, die Arme und Beine waren aus den Ranken einer Kletterpflanze gefertigt. Der Kopf war irgendeine verschrumpelte Frucht, braun wie ein verdorrter Apfel. Die Augen und der Mund zeigten ein deformiertes Grinsen.
Anscheinend waren diese Geschöpfe ein Stück Volkskunst, etwas, das ein früher schottisch-irischer Bergbewohner in langen Winternächten geschnitzt hatte, um seine Kinder zu unterhalten. Doch die Figuren waren auf dem Tisch wie religiöse Reliquien angeordnet. Eine war in ein Stück abgeschälte Baumrinde gewickelt, das scheinbar ein Kleid darstellen sollte. Eine andere trug einen Kranz aus getrockneten, verwelkten Blumen.
Anna leuchtete eine gebeugte Figur an, die ihr am nächsten stand. An der rauen Mundöffnung befand sich eine graue, papierähnliche Substanz. Als Anna mit einem Fingernagel daran kratzte, fiel sie auf den Tisch. Das gesprenkelte Muster und die grobe, kieselige Struktur verrieten Anna sofort, worum es sich dabei handelte.
Schlangenhaut.
Anna ging hinter den Tisch und sah in dieselbe Richtung wie die Figuren. Direkt gegenüber auf der anderen Seite des Raums befand sich eine Feuerstelle, deren Steine von vielen Tausend Feuern schwarz verfärbt worden waren. Der Aschehaufen ließ keine Schlüsse darüber zu, wann hier das letzte Feuer gebrannt hatte. In den Ecken des Zimmers hingen dicke Spinnenweben, die wie transparente Segel in der Brise wehten, die durch die Holzwände eindrang.
Über einer Zimmerhälfte befand sich eine Galerie. Anna kletterte die klapprige Leiter nach oben, sah jedoch nur eine dicke Staubschicht und einen Haufen verstreute Blätter, der darauf hinwies, dass sich hier ein Nagetier eingerichtet hatte.
Gerade nahm sie die primitive Küche genauer unter die Lupe, als sie draußen ein Geräusch hörte. Das Mondlicht, das durch das Fenster schien, war kurzzeitig verschwunden. War der Geist zurückgekehrt?
Anna lief nach draußen und hielt dabei die Taschenlampe auf Brusthöhe. Eine gebückte menschliche Gestalt lief über die Wiese auf das Laubwalddickicht hinter der Hütte zu. Ein zerfetzter Schal wehte im mittlerweile aufgekommenen Nachtwind hinter ihr her.
»Warte!« Anna machte einen Schritt nach vorn und stolperte über eine lose Diele. Sie taumelte von der Veranda und landete auf dem harten, schmutzigen Boden genau auf ihrem Handgelenk. Wie ein Stromschlag fuhr der Schmerz ihren Arm hinauf. Bis sie wieder auf beiden Beinen stand und ihre Taschenlampe aufgehoben hatte, war die Person oder das Ding im Dunkeln der Bäume verschwunden.
Anna lief ihr nach. Als sie den Waldrand erreicht hatte, wartete sie und lauschte angestrengt. Die Nacht gab Hunderte Geräusche von sich. Der Wind stöhnte zwischen den Zweigen, Äste knackten, Blätter kratzten an der Rinde, Tiere wurden aus dem Schlaf hochgeschreckt, unsichtbare Vögel zwitscherten. Jede Hoffnung, Schritte zu hören, war vergeblich.
Es muss ein Mensch gewesen sein. Anna spürte keinen ätherischen Faden, dem sie folgen konnte. Sie fragte sich, ob die Person mit dem Schal den Geist auch gesehen hatte. Oder war es jemand, der die primitiven Figuren auf diese seltsame Weise aufgestellt hatte, um sie zu verhöhnen? Hatte sie den Geist wirklich gesehen oder war sie das Opfer eines ausgeklügelten Scherzes geworden? Suchte sie so verzweifelt nach einem Beweis für das Leben nach dem Tod, dass sie langsam Hirngespinste bekam?
Einen Moment lang rieb sich Anna das Handgelenk. Niemand, nicht einmal Anna selbst, hatte gewusst, wo sie diese Nacht hinführen würde. Der Geist war echt gewesen, da war sie sich sicher. Die Figuren waren wahrscheinlich das Werk einer der Hausgäste und als Geschenk oder Anerkennung hinterlassen worden. Oder vielleicht hatte einer der Hausangestellten sie aus Langeweile oder zum Spaß geschnitzt.
Sie drehte sich um, um dem Schein der Taschenlampe zurück nach Korban Manor zu folgen. Das seltsame Gefühl, nach Hause zurückzukehren, beunruhigte sie.
Ihr wurde bewusst, warum sie hierher gekommen war. Sie hatte sich dazu hinreißen lassen, zu glauben, dass es ihre eigene Entscheidung gewesen war, dass sie aus eigenen, persönlichen Gründen den Kontakt aufnehmen müsste. Aus allen der angeblich verfluchten, gespenstigen Orte, an denen sie ihre letzten Tage hätte verbringen können, hatte sie nicht einfach so dieses Berganwesen ausgewählt. Sie hatte nicht von diesem Ort geträumt, weil sie vor langer Zeit einmal in einem Magazin für paranormale Aktivitäten darüber gelesen hatte.
Nein, sie war gerufen worden.
Das Knacken eines Astes riss sie aus ihren Gedanken. Irgendetwas Großes trat aus den Schatten des Waldes heraus. Anna hob die Taschenlampe nach oben, jederzeit bereit, sie als Schlagwaffe einzusetzen. Der Lichtstrahl fiel auf eine sich nähernde, schwarze Gestalt.
»Sie!«, rief sie aus.
Mason hielt die Hände nach oben, als könne er so ihren Ärger abwehren. »Ich habe sie gesehen.«
»Den Geist?«
»Welchen Geist? Ich habe eine alte Frau gesehen, die Ihnen hinterhergeschnüffelt ist. Dann ist sie in den Wald abgehauen. Ich habe versucht, ihr zu folgen, aber sie muss diese alten Pfade ziemlich gut kennen.«
»Wie können Sie es wagen, mir hinterherzuspionieren? Was sind Sie? So etwas wie ein schleimiger, perverser Stalker?«
»Nein, ich habe nur … Na ja, Miss Mamies kleine Party hat mich zu Tode gelangweilt und nach all dem Gerede über Geister war ich einfach neugierig. Und als ich gesehen habe, wie Sie das Haus verlassen haben—«
»Sie arroganter Mistkerl.« Sie drängelte sich an ihm vorbei und lief den Pfad hinunter. Dass sie ihn im Dunkeln zurückließ, war ihr egal. Sie wünschte nur, dass Geister wirklich böse waren und einer ihm seinen blöden, übergroßen Kopf abbiss. Wenn sie Glück hatte, kam er vom Weg ab und musste die Nacht im Wald verbringen. Dann würde er ausgekühlt, voller Schmerzen und todunglücklich wieder aufwachen. Sie verfiel in den Laufschritt und redete sich ein, dass es nicht Wut oder Scham, sondern der Wind war, der ihre Augen mit Tränen füllte.