21

 

Einen Monat später kehrte Pippa vollständig erschöpft von einem dreitägigen Stadtaufenthalt und einer >Hochzeit im kleinsten Kreis< mit dreihundert Gästen nach Rangimarie zurück. Alles war zur vollsten Zufriedenheit verlaufen, Pam hatte bezaubernd ausgesehen, und Angela war sehr bemüht gewesen, ihr keine Konkurrenz zu machen. Im Kielwasser von so viel strahlender Schönheit hatte sich Pippa nur recht bescheiden und unbeachtet mitschlängeln können und war sich im übrigen recht allein und ausgeschlossen vorgekommen, aber Margaret und James, ein vielbeachtetes, stattliches Paar, hatten sie unter ihre Fittiche genommen.

Es tat gut, wieder daheim zu sein, auch wenn Pams Bett leer war und das Haus seltsam still anmutete. Mohrs Wiedersehensfreude war zu überwältigend für Worte. Er hatte weder gebellt noch andere lärmende Begrüßungsdemonstrationen aufgeführt, sondern nur beide Vorderpfoten gegen ihren neuen Rock gestemmt, und ihr mit einem so treuergebenen Hundeblick in die Augen geschaut, daß ihr schier das Herz schmolz.

»Laß nur, Mohrchen, ich bin ja wiedergekommen, und von nun an werden wir uns nie mehr trennen.«

Doris hatte vorzüglich für alles gesorgt. Die Bücher waren in Ordnung, die Karten gewissenhaft ausgefüllt.

»Und ich habe mich auch nicht beschwatzen lassen, wenn manche ankamen und behaupteten, Sie würden ihnen keine Nachgebühr für verspätet zurückgegebene Bücher berechnen. Bei mir mußten sie zahlen.«

»O ja, ich hätte Ihnen sagen sollen, daß ich das nie tue, außer wenn es sich um ein ganz neues Buch handelt, um dessen prompte Rückgabe ich ausdrücklich gebeten habe. Diese vielen Schillinge stammen doch nicht etwa alle aus Strafgebühren, Doris? Da werden sie aber verschnupft gewesen sein. Komisch, wie sich die Leute über Pennybeträge ärgern können, wenn sie sie als Strafe zahlen sollen.«

»Ja, das stimmt, sie waren ziemlich wütend und sagten, sie seien froh, wenn Sie erst wieder da wären.«

»Ich hoffe, Sie haben nicht gefroren, Doris. Manchmal hat das Feuer hier seine Mucken. Ich glaube, man müßte den Abzug mal nachsehen lassen.«

»Na ja, am ersten Tag war’s ein Theater, aber von da ab brachte es Mr. Fleming immer in Gang.«

»Mr. Fleming?« Pippa stutzte, aber dann dämmerte es ihr doch. »Ach so, Freddy. Freut mich, daß er Ihnen geholfen hat.«

»Er reparierte auch das Fenster dort, und am Freitag abend kam er, um abzuschließen, weil er dachte, ich würde vielleicht mit der Haustür nicht fertig.«

Pippa war sehr zufrieden. Wie nett, daß Freddy Doris beigestanden hatte. Und plötzlich zog sie die Stirn in grüblerische Falten. Freddy und Doris? Eine neue Möglichkeit. Warum eigentlich nicht? Beide hatten das, was man in Rangimarie eine »Vergangenheit* nannte. Nein, allen Ernstes, das wäre doch ein großartig zueinander passendes Gespann, sie mußte sich überlegen, wie sie diese Partie zustande bringen könnte. Gott sei Dank, nun hatte sie doch wieder etwas zu planen, etwas, worüber sie nachdenken konnte.

John Horton sah sie erst vierundzwanzig Stunden nach ihrer Heimkehr wieder, und obwohl sie sich immerfort vorhielt, daß er ja keinen Grund zur Eile habe, vermißte sie ihn doch stark. Er kam abends, als sie am trübe blakenden Kaminfeuer saß und kein Freddy da war, um Abhilfe zu schaffen. Sie fühlte sich kalt und ein bißchen einsam, als sie draußen seinen Schritt vernahm und ihn hereinrief.

Mohr erhob sich sofort von seinem Platz zu ihren Füßen, um den Besucher mit lebhaftem Schweifwedeln zu begrüßen.

»Sehen Sie doch, wie er sich freut«, sagte Pippa. »Ich glaube, er liebt Sie tatsächlich. Kein Wunder. Doris erzählte mir, daß Sie ihn jeden Tag mitgenommen haben. War er eine große Plage für Sie?«

»Nein, ich mag Hunde gern, besonders Mohr. War die Hochzeit sehr anstrengend?«

»Fürchterlich, aber wie man so sagt >ein glänzendes Ereignis< — außer für mich natürlich.«

»Weshalb?«

»Ich stach ziemlich armselig gegen Pam und Angela ab. Sie sind beide so hinreißend schön. Ich kam mir vor wie ein Spatz zwischen lauter Paradiesvögeln.«

»Im Augenblick sehen Sie aber gar nicht wie ein frecher kleiner Spatz aus, sondern eher wie ein armes, nasses Küken, das Wärme sucht... Kommen Sie, ich will die Glut mal richtig anfachen.«

»Komplimente machen können Sie beinah ebensogut wie James, aber dafür verstehen Sie etwas vom Feueranzünden. Übrigens glaube ich, daß James allmählich lernt, seiner Margaret hin und wieder etwas Hübsches zu sagen.«

»Die Ehe zähmt die härtesten Männer. Komm her zu mir, Mohr.«

Mohr folgte ohne Zögern, worüber sich Pippa insgeheim ärgerte.

»Ich ahnte es ja, daß er sich zu Ihnen mehr hingezogen fühlen würde als zu mir, und jetzt locken Sie ihn auch noch. Das finde ich häßlich von Ihnen.«

Der Doktor faßte sich abermals ein Herz. Er hatte mehrere Tage Zeit gehabt, zu überlegen und sich seinen Plan zurechtzulegen, und er wußte genau, was er jetzt sagen wollte.

»Ich habe versucht, ihn zu trösten. Aber ich wollte auch feststellen, ob er sich im Haus eines Arztes einleben könnte.«

»Einleben? Selbstverständlich nicht. Meinen Sie damit, er würde mir abtrünnig werden?«

»Nein, das wollte ich damit nicht sagen. Im Gegenteil, ich hoffe, daß er um so treuer an Ihnen hängen wird.«

So, jetzt war es heraus. Was würde sie antworten?

Aber Pippa schien heute abend nicht sehr helle zu sein. Sie überhörte den zarten Wink vollkommen und erwiderte nur: »Nein, Sie dürfen nicht versuchen, ihn zu ködern. Neufundländer bevorzugen von Natur Männer, infolgedessen wäre es unfair von Ihnen... Aber ich freue mich trotzdem, daß Sie mich besuchen, auch wenn Sie heimtückisch sind. Wir wollen einen Kaffee zusammen trinken und uns einbilden, Pam könnte jede Minute hereinkommen, ja?«

Er stand sofort auf, bat sie, am Feuer sitzen zu bleiben, und verschwand in der Küche. Er wußte, wo alles zu finden war, und nutzte erleichtert den Vorwand, seine Verlegenheit zu verbergen. Weshalb hatte sie die Bedeutung seiner Worte nicht erkannt? Gab sie nur vor, begriffsstutzig zu sein, um ihn abzuwimmeln? Aber das würde gar nicht zu ihr passen. Viel wahrscheinlicher war, daß sie ihn noch nie in diesem Licht betrachtet hatte, ein demütigender Gedanke. Ach, es war alles so schwierig. Am Ende blieb ihm womöglich nichts anderes übrig, als sie ganz offiziell zu fragen: >Wollen Sie meine Frau werden, oder bin ich Ihnen zu alt ?< Und das kam einem Mann, der ohnehin das quälende Gefühl hatte, beides, zu alt und obendrein auch noch zu langweilig zu sein, wahrlich hart an.

Er trug den Kaffee ans Feuer und stellte ihn auf einen kleinen Tisch neben sie.

»Wie gut Sie das können«, sagte sie anerkennend, »dabei bin ich überzeugt, Bates läßt Sie zu Hause keinen Finger rühren.«

»Nie. Manchmal wünschte ich, er würde es tun, aber er ist sehr eigenmächtig, und ich, als der Schwächere, gebe eben nach, weil ich Bates unter allen Umständen bei guter Laune halten will, selbst wenn ich dafür nicht einmal mehr meine Seele mein eigen nennen kann.«

»Er gefiel mir gleich, er machte einen so zuverlässigen Eindruck. Hat er eigentlich auch Fehler?«

»Nur den einen, über den das ganze Dorf Bescheid weiß. Er geht gelegentlich auf Sauftouren. Unser Schutzmann hier kennt ihn schon und liefert ihn mir immer unversehrt wieder ab. Aber neulich geriet er einmal an einen fremden Bobby, und ich kriegte zu meinem Schrecken die telefonische Durchsage: >Haben Ihren Vater unterwegs aufgelesen. Sternhagelvoll.<«

»Ihren Vater?«

»Ja. In diesem Zustand pflegt Bates an mir Vaterrechte geltend zu machen. Unser Ortspolizist weiß das und nimmt weiter keine Notiz davon. Mein Vater ist schon seit vielen Jahren tot und war zeit seines Lebens fanatischer Antialkoholiker. Nun, der Bobby ließ mit sich reden. Er hatte zudem irrsinnige Zahnschmerzen, und da der Zahnarzt auf seiner Besuchstour erst wieder in einem Monat fällig war, zog ich ihm den Übeltäter eigenhändig, worauf wir uns dahingehend einigten, Bates’ Fehltritt mit dem Mantel des Schweigens zuzudecken.«

»Passiert das oft?«

»Ungefähr alle sechs Wochen einmal, in ziemlich regelmäßigen Abständen. Der arme Kerl leidet an den schmerzhaften Folgen einer Verwundung, und man darf ihm keinen Vorwurf daraus machen, daß er auf diese Art Vergessen sucht.«

»Werfen Sie überhaupt jemals einem Menschen irgend etwas vor?«

Er dachte ernsthaft über ihre Frage nach.

»Nicht sehr oft. Das Leben ist zu kurz, als daß man sich zum Richter über andere aufwerfen dürfte. Wenn man hinter die Kulissen sieht, erkennt man gewöhnlich die tieferen Ursachen.«

»Ich wünschte, ich wäre auch so weise. Vielleicht werde ich es eines Tages noch.«

»Ganz bestimmt, wenn Sie erst mein biblisches Alter erreicht haben.«

»Weshalb kokettieren Sie immer mit Ihrem Alter? Was ist schon siebenunddreißig?«

Hier bot sich ihm eine Chance. Er versuchte einzuhaken: »Um das nachfühlen zu können, haben Sie noch elf Jahre Zeit«, begann er, aber schon fuhr sie lieb und tröstend fort: »Und ich weiß auch gar nicht, was Sie gegen das Altwerden haben. Alte Ärzte sind doch viel vertrauenerweckender.«

Völlig niedergeschmettert erhob er sich, um zu gehen.

»Ich muß jetzt fort, weil ich heute abend eventuell noch abgerufen werde.«

»Lieber Gott, verbringen Sie eigentlich je eine Nacht zu Hause im Bett?«

»Ziemlich viele sogar, aber Babys richten sich nicht nach einer normalen Zeiteinteilung.«

»Da fällt mir ein: Haben Sie Kitty letzthin gesehen?«

»Gerade neulich, um zwölf Uhr nachts.«

»Wieso? Es fehlt ihr doch hoffentlich nichts?«

»Gar nichts, außer daß es mal wieder mit dem Hausfrieden haperte. Sie waren zu ihrer alten Gewohnheit zurückgekehrt und hatten einen Streit miteinander. Eine ganz belanglose Sache, aber Kitty markierte eine drohende Fehlgeburt, und Alex schwebte in tausend Ängsten.«

»Das sieht diesem Luderchen wieder ähnlich! Und wie rücksichtslos gegen Sie.«

»Allerdings, aber ich glaube, ich habe ihr den Star gestochen. Ich schloß die Tür hinter mir und sagte zu ihr: >Diesmal will ich Sie nicht verraten, aber wehe, Sie versuchen es noch ein einziges Mal. Ihnen geht’s ausgezeichnet, aber Sie müssen Ihren Alec drangsalieren. Ich jedenfalls lege Wert auf meine Nachtruhe, und das nächste Mal erzähle ich ihm alles, merken Sie sich das. Damit sind Sie ihr wirksamstes Druckmittel gegen ihn los!< Sie fiel beinah in Ohnmacht, besann sich aber dann doch noch rechtzeitig, solche Angst hatte sie vor mir.«

Pippa lachte und warf ihm vor, er sei ein grober, unausstehlicher Gemütsathlet und ebenso schlimm wie James. Sie schieden in bestem Einvernehmen, aber zu Hause betrachtete der Doktor lange und eingehend im Spiegel sein Gesicht, das heute abend sehr müde und eingefallen wirkte.

»Alte Ärzte sind viel vertrauenerweckender«, wiederholte er mit tiefgefurchter Stirn. Nein, an seinem Gesicht war wirklich nichts Anziehendes. Darüber hatte ihn schon Anne nicht im unklaren gelassen.

Doris schien die Leihbibliothek richtig ans Herz zu wachsen. Sie kam jetzt sehr oft zu Pippa, besserte die alten, vorhandenen Bücher aus, betrachtete die neu hereingekommenen mit sehnsüchtigen Blicken und machte Jagd auf Spinnweben, die Pippa meist großzügig übersah.

»Es hat mir so viel Freude gemacht, hier zu arbeiten. Gewiß, ich bin auch gern bei Mama, aber sie braucht jetzt nicht mehr fortwährend jemanden um sich, und hier hatte ich das Gefühl, mein eigener Herr zu sein.«

»Gut für mich zu wissen, daß Sie mich gern vertreten, wenn ich mal einen Urlaub einschalten will, und daß ich auf Sie zählen kann.«

Freddy sprang auch jetzt wie üblich helfend ein, wo Not am Mann war, aber besonders häufig erschien er, wenn sich Doris in der Leihbücherei aufhielt, und oft fuhr er sie in seinem Lastwagen nach Hause, >weil er sowieso gerade in die Gegend mußte<. Pippa beobachtete diese Entwicklung mit Wohlwollen und nahm sich vor, gelegentlich mit dem Doktor ein Wörtchen darüber zu reden.

Aber sie sah ihn jetzt auffallend selten, denn John Horton hatte sich zu dem Standpunkt durchgerungen, daß es sinnlos sei, sich selbst zu quälen, und hielt sich absichtlich fern, wobei er allerdings in Gedanken recht inkonsequent hinzufügte: »Und dann wird sie mich möglicherweise vermissen.* Als Entschuldigung schützte er das jahreszeitlich bedingte Anschwellen von Grippe- und Keuchhustenanfällen vor, aber Pippa hatte eher das Empfinden, als übe die Leihbücherei ohne den munteren Kreis junger Leute keinen großen Reiz mehr auf ihn aus. Vielleicht hatte sie seine Freundschaft überhaupt viel zu wichtig genommen, denn wenn sie es jetzt bei Licht besah — eigentlich war sie von ihm nie mit einer jüngeren Schwester oder einer Tante verglichen worden, und das schienen doch die einzigen Vorzüge zu sein, die sie in den Augen der Männer besaß. Sie war sehr niedergeschlagen und fühlte sich trostlos einsam.

Dagegen zeigte sich für alle anderen um sie herum das Leben offenbar von seiner freundlichsten Seite. Zu guter Letzt hatte sich auch eine Krankenpflegerin gefunden, die willens war, sowohl die Abgeschiedenheit von Rangimarie als auch Schwester Prices strenges Regiment zu ertragen, ein fesches Mädchen von einundzwanzig Jahren, über das die Oberschwester nach einem kalt musternden Blick in einem Satz ihr Urteil fällte.

»Die wird nicht alt hier«, bemerkte sie zu Jane, »zuviel windige junge Farmerssöhne in der Umgegend.«

Worauf Jane lächelnd erwiderte: »Sie wissen ganz genau, daß Sie sie in spätestens einem Monat ebenso bemuttern und verhätscheln werden, wie Sie es mit mir getan haben«, und sich glückstrahlend auf ihre Hochzeitsreise begab. Hochzeitsreisen waren überhaupt jetzt in der stillen Wintersaison geradezu eine Art Modekrankheit bei den jungen Farmleuten, dachte Pippa wehmütig.

Kitty besuchte sie an einem dieser feuchten, nebligen Tage, die den goldenen Norden im Winter so abstoßend grau und trist machen können. Pippa freute sich, sie zu sehen, und empfand zugleich wieder Gewissensbisse, daß sie sich in letzter Zeit zuwenig um sie gekümmert hatte, denn Kitty bewies stets soviel Liebe und Anhänglichkeit, daß sie das fast ein wenig verpflichtete.

»Ich weiß, jetzt sieht man’s mir allmählich an«, meinte sie erstaunlich gelassen, »aber Alec sagt, es paßt gut zu meinem Gesicht. Fällt dir ein Unterschied auf, Pippa?«

»Kein bißchen, und Männer lieben das bei ihren Frauen — zumindest in der ersten Zeit.«

»Schlimm, wenn’s nicht so wäre, nicht wahr? Ich finde immer, wir Frauen müssen ihretwegen doch eine Menge aushalten.«

»Aber wir tun es ja auch für uns selbst. Denk dir nur, wie wunderbar alles für dich werden wird mit dem Baby, Kitty. Du hast wirklich unverschämtes Glück.«

Kitty streifte sie mit einem prüfenden Blick und sagte dann scheinbar ohne Zusammenhang: »Weißt du, Pippa, du gehörst zu den Mädchen, denen Männer ehrliche und ernste Gefühle entgegenbringen. Lach nicht, ich kann darüber urteilen, weil ich selbst dieser Typ bin. Ich will damit natürlich nicht behaupten, daß du atemberaubend hübsch oder wahnsinnig aufregend und lustig bist wie deine Freundin Pam... aber du hast so etwas Gewisses...«

Pippa lächelte traurig.

»Na, das scheint aber den meisten Männern, die ich kenne, völlig entgangen zu sein. Weder Alec noch Mark oder Philip sind meinen Reizen erlegen.«

»Die zählen ja auch nicht. Sie waren alle schon gebunden, bevor sie dich kennenlernten, außer Mark, und der paßt gar nicht zu dir. Trotzdem habe ich recht, das weiß ich. Nur sind manche Männer so stupide, Pippa. Sie kriegen kalte Füße, wenn sie einem Mädchen gestehen sollen, daß sie es lieben. Alec zum Beispiel hat wochenlang gebibbert, bis ich ihm einen Schubs gab. Leute, die behaupten, Männer träfen die Entscheidungen, haben keine Ahnung. Genau umgekehrt ist es. Manche sind bis über beide Ohren verknallt, können aber nicht den letzten Schwung finden. Jemand muß sie darauf stoßen — und meistens ist es das Mädchen.«

Am Samstagmorgen band Pippa die schwarze Amanda sicher an der Hundehütte fest, gab ihr eine doppelte Portion Rüben, verfrachtete Mohr auf Balduins Rücksitz und fuhr gemächlich zur Farm der Moores hinaus. Immer wenn sie diesen Weg entlangkam, wanderten ihre Gedanken zu jenem Tag ihrer Ankunft in Rangimarie zurück. Ereignisreiche sechs Monate waren seitdem verflossen. Sie lagen hinter ihr. Jetzt stand Kittys Baby in Aussicht, und ihre Hoffnungen kreisten um die erfolgversprechenden Möglichkeiten, die sich im Hinblick auf Doris und Freddy eröflfneten. Sonst war kein Silberstreifen am Horizont zu sehen.

Aber an diesem Punkt rief sie sich scharf zur Ordnung. Sie war wunschlos glücklich, und wenn sich Dr. Horton neuerdings nicht mehr blicken ließ — weshalb sollte er schließlich auch? So gescheit und unterhaltsam war sie ja nun wirklich nicht, und er hatte weiß Gott andere Dinge im Kopf. Wie sie Menschen verachtete, die mit aller Macht versuchten, andere an sich zu ketten und dann grollten, wenn ihnen das nicht gelang.. Am Ende dieser Lehrpredigt hatte sich Pippa wieder fest am Zügel.

Kitty sprudelte förmlich über vor Willkommensfreude und wußte gar nicht, wo sie anfangen sollte, um ihr alles zu zeigen. Sie hatte schon die Babyausstattung zu nähen begonnen und paradierte mit ihren neuerworbenen Kenntnissen über Säuglingspflege. Die Mädchen schwatzten, besahen Schnittmuster, berieten die Umwandlung des kleinen Fremdenzimmers in eine Kinderstube, und so verflog die Zeit bis zum Lunch im Nu. Nach dem Essen wurde Kitty auffallend unruhig und fragte mit einem Mal: »Wo ist eigentlich dein Wagen? Man kann ihn nirgends sehen.«

»Ich habe auf dem Hügel gewendet und ihn in Richtung bergab stehenlassen. Das tue ich immer.«

»Und Mohr sitzt noch drin? Schäm dich! Das ist doch gräßlich langweilig für ihn.«

»Daran ist er gewöhnt. Ich kann mir keinen besseren Wächter wünschen. Er paßt höllisch auf und würde jedem an die Gurgel springen, der den Versuch wagen sollte, mit Balduin durchzubrennen. Und außerdem tat ich es wegen Tommy.«

»Ach, den sperre ich einfach ins Waschhaus. Bring doch Mohr herein, Pippa. Schließlich hast du Tommy vier Tage lang ertragen, und ich finde, dafür sollten wir Mohr auch eine kleine Freude gönnen, was meinst du, Alec?«

Alec, obwohl gewiß ebensowenig begeistert von der Idee, einen riesigen Neufundländer auf seinem Grund und Boden herumstreunen zu lassen, wie jeder andere Farmer, machte gute Miene zu diesem Vorschlag und bestand ebenfalls darauf, daß Mohr in Haus und Garten Gastrecht genießen müsse. Letzten Endes war er Pippa zu großem Dank verpflichtet, denn Kitty hatte nie eine bessere Freundin gehabt.

»Und dann könnt ihr beide, du und Alec, mit ihm einen hübschen Spaziergang machen. Ich muß nämlich neuerdings nach Tisch immer eine Weile ruhen, weil Doktor Horton sagt, es sei gut für eine werdende Mutter, die Füße hoch zu legen.«

»Aber ich bleibe bei dir. Alec hat, wie mir scheint, auch keine große Lust zum Laufen.«

»Doch, natürlich, nicht wahr, Alec? Weißt du, Pippa, er hat in letzter Zeit soviel zur Verbesserung der Farm unternommen, und ich finde es immer so nett, wenn sich Besucher dafür interessieren.«

Pippa willigte schließlich ein, obwohl ihr Kittys überraschender landwirtschaftlicher Ehrgeiz ebenso merkwürdig vorkam wie ihre Sorge um Mohr, dem sie sonst nie Beachtung geschenkt hatte. Aber während der Schwangerschaft sollen sich manche Frauen ja erstaunlich verändern und in die seltsamsten Extreme verfallen.

Sie waren beinah eine volle Stunde unterwegs, die Alec mit Gesprächen entweder über Kitty und ihr erwartendes Baby oder über die Vorteile einer sorgfältig abgewogenen Mischfütterung für trächtige Kühe ausfüllte. Pippa lauschte voller Aufmerksamkeit, einesteils weil sie sich überhaupt für alles interessierte, und andererseits Alec zuliebe, aber nach und nach ermüdete es sie doch, eine Koppel nach der anderen zu besichtigen und die qualitäts- und wachstumsfördernden Resultate von Kalidüngung bei verschiedenen Kleesorten zu begutachten. Sie war froh, als sie endlich zurückkehrten.

Kitty war geschäftig auf den Beinen und erweckte keineswegs den Eindruck, eine geruhsame Stunde verbracht zu haben. Sie hatte auffallend gerötete Wangen, was aber von zu festem Schlaf herrühren mochte, und atmete kurz und rasch. Pippa mußte an die grassierende Grippe denken und hoffte im stillen, daß Kitty nicht irgendwo einen Bazillus aufgelesen hatte. Die Vorstellung, was passieren könnte, wenn sie womöglich über vierzig Grad Fieber bekäme, machte sie schaudern.

Plötzlich sagte Alec: »Ist das nicht ein Wagen, der da die Straße heraufkommt? Vielleicht der Doktor. Er müßte doch bald dasein.«

»Ach nein«, antwortete Kitty rasch. »Das sind nur die Browns, die vom Fußballspiel heimfahren. Er kann noch lange nicht hiersein... Alec, mir wird mit einem Mal so heiß. Das muß wohl vom Liegen kommen. Ist es nicht auch Zeit, den Kühen Heu zu bringen? Ich begleite dich bis zur Scheune... Beeile dich, Liebling... Ich kriege so ein komisches Gefühl, ich glaube, ich muß sofort in die frische Luft hinaus oder ich ersticke.«

Alec fuhr erschrocken auf und ergriff sie beim Arm.

»Nein, du nicht, Pippa«, winkte sie ab. »Wir bleiben nur eine Minute, und du bist für heute genug gelaufen. Du siehst ganz müde aus. Sei so lieb und guck dir mal das Buch über Babypflege an, das meine Mutter mir geschickt hat, ob es was taugt.«

Pippa wollte schon einwenden, daß sie auf diesem Gebiet wohl kaum als Autorität gelten könne, fand es aber dann taktvoller, das Buch zur Hand zu nehmen und interessiert zu erscheinen. Kitty wollte offensichtlich mit Alec ein paar Minuten allein sein. Sie war verständlicherweise nervös, und da konnte sie kein Mensch besser beruhigen als er. Aber wie schnell sie auf die Scheune zurannte! Ob sie nicht manchmal doch ein bißchen hysterisch war?

Sie blätterte müßig die Seiten und dachte über Kitty nach. Wie glücklich und zufrieden sie wirkte, wie verschieden von dem mißvergnügten Mädchen von vor sechs Monaten. Liebe und Mutterschaft taten auch hier ihr segensreiches Werk.

In diesem Moment sprang sie in die Höhe, denn draußen kam jemand den Weg heraufgelaufen und schrie: »Wo ist sie? Moore, sind Sie da? Ist sie schwer verletzt?«