19
Pam kam spät und war allein. Pippa lag schon im Bett, konnte es aber kaum erwarten, bis sie sich zu ihr setzte, und wie ein Wasserfall sprudelte die Geschichte heraus. Pam hörte mit auf gerissenen Augen zu.
»Wie schauderhaft für dich! Kein Wunder, daß du so hohlwangig herumgekrochen bist. Stell dir vor, mit einem Mörder sprechen und ihm die blutbefleckte Hand schütteln zu müssen — brrr! Ich habe mir schon immer gewünscht, diesen Ausdruck mal in seiner wörtlichen Bedeutung gebrauchen zu können.«
»Aber das stimmt ja gar nicht. Es war doch Vergiftung.«
»Sei nicht so spitzfindig, Herzchen. Wenn du dich John nur eher anvertraut hättest.«
»Ich konnte es keinem Menschen sagen, sonst hätte man mich gezwungen, die Polizei zu verständigen.«
»Na ja, es war eine ekelhafte Zeit. Ich wußte, daß etwas zwischen uns stand — eigentlich sogar zwei Dinge.«
»Zwei?«
»Ja. Jetzt bin ich an der Reihe, reinen Tisch zu machen, ich wollte es heute abend sowieso tun. Pippa, etwas Verflixtes ist passiert.«
Pippa wurde es schwach. Sie konnte jetzt nicht schon wieder eine Tragödie ertragen, nachdem sie eben erst die eine Zentnerlast von sich gewälzt hatte und freier zu atmen begann.
»Bitte, erzähl’s schnell. Versuche nicht, es mir schonend beizubringen, was es auch sein mag.«
»Ach, nichts Schlimmes, nur hoffte ich immer, es würde nie dazu kommen... Ich werde Mark heiraten.«
»Aber warum sprichst du so davon? Was ist daran verflixt?«
»Daß ich eben niemanden heiraten wollte, noch lange nicht. Ich wollte frei sein und mein Leben führen, wie es mir Spaß macht.«
»Weshalb tust du es dann?«
»Ja, das Dumme dabei ist, daß ich mich in ihn verliebt habe. Ausgerechnet hierher, ans Ende der Welt muß ich kommen und mich in einen jungen Mann verknallen, der sich im Grunde von den vielen anderen, die ich kenne, in nichts unterscheidet. Und dann auch gleich so hoffnungslos, daß ich ohne ihn einfach nicht mehr leben kann. Hirnverbrannt, nicht wahr?«
»Finde ich nicht. Ich denke es mir sehr schön, aber wird es von Dauer sein?«
»Wie kann ich das wissen? Ich weiß nur, daß ich ihn lieb genug habe, um den Sprung in die Ehe zu wagen — und ein Risiko ist es ja für uns alle beide.«
»Wieso für beide? Denkt er genauso?«
»Natürlich, obwohl er es niemals zugeben würde. Er liebt das Herumflanieren ebenso wie ich. So fing’s ja auch an — als leichter Flirt. Und nun sind wir fürs Leben gebunden.«
»Ich würde es auf keinen Fall tun, wenn ich diese Einstellung hätte.«
»Ja, aber die einzige andere Möglichkeit gefällt mir nicht. Nun guck mich nicht so fassungslos mit deinen großen Augen an — sie scheinen übrigens heute abend eine Menge Tränen vergossen zu haben. Ich weiß, ich sollte nicht so reden, aber ich tue es ja nur unter uns, und wir sind doch immer ehrlich zueinander gewesen.«
»Bist du zu Mark auch ehrlich gewesen?«
»Selbstverständlich. Er lachte nur und sagte, wir müßten es eben beide auf uns nehmen und wir würden uns schon irgendwie durchbeißen. Das Komische daran ist, daß ich mich die ganze Zeit wie im siebten Himmel fühle.«
»Dann würde ich mir auch keine dummen Gedanken darüber machen — und ich finde es überhaupt nicht sehr passend, wie du deine Verlobung ankündigst. Ich glaube, ihr werdet großartig miteinander auskommen. Ihr seid sozusagen >verwandte Seelen<, und ich erinnere mich, daß du mal davon träumtest, jemanden zu heiraten, der dich in Atem hält.«
»Der mir Rätsel aufgibt, wie du dich ausdrücktest. Also, ich bin jedenfalls wahnsinnig glücklich und gleichzeitig fuchsteufelswild. Aber jetzt gehen wir lieber schlafen, es ist fast ein Uhr, und dein Doktor wird mir die Leviten lesen, wenn ich dich so lange wachhalte.«
»Er ist nicht mein Doktor. Ich brauche jetzt auch keinen mehr. Pam, wußtest du, daß Doktor Horton schon einmal verheiratet war?«
»Ja, Mark hatte es irgendwo einmal gehört. Mit einem ziemlich leichtsinnigen Flittchen, heißt es. Kann von Glück sagen, daß er sie los wurde. Aber das ist eine längst verjährte Geschichte, daran würde ich keinen Gedanken verschwenden. Ich wette, er hat sie heute schon fast vergessen. Gute Nacht, Pippa.«
Wie närrisch Pam sich mit ihren eigenen Problemen anstellte und wie verständig, wenn es sich um die anderer Menschen handelte, dachte Pippa, während sie versuchte einzuschlafen. Doch dann fiel ihr mit einemmal eine ganz neue Perspektive dieser Verlobung ein, und sie fragte: »Bist du noch wach? Ich überlegte gerade, daß ich dich trotzdem nicht endgültig verliere. Ich meine, ihr werdet natürlich viel auf Reisen sein, du und Mark, aber immerhin wohnt ihr doch dann in meiner Nähe.«
»Na klar, und ich werde die fleißigste Abonnentin deiner Leihbücherei sein, solange sie existiert.«
»Sie wird immer existieren. Jetzt, nachdem alles gut ist, gebe ich sie bestimmt nie mehr auf.«
»Darauf möchte ich keine Wette eingehen... Aber nun hör endlich auf zu reden.«
»Nur noch eins: Laß uns morgen abend eine Party geben zur Feier deiner Verlobung. Dann kann James gleich alle kennenlernen. Meinst du, wir können die ganze Kumpanei hier zusammenquetschen — die Marvells, die Warrens, Jane und die Schwester, die Moores, Doktor Horton und uns beide noch dazu?«
»Aber ohne weiteres, wir verteilen uns auf sämtliche Räume, Eine glänzende Idee. Ich fahre morgen nach Wardville und besorge ein paar Flaschen zu trinken, und wir machen es in der Zeit von fünf bis sieben, damit es nicht in Johns Sprechstunde fällt. Das wird ein Spaß, Pippa, du bist großartig. Jetzt sage ich aber kein Wort mehr.«
Am nächsten Morgen machte sich Pippa schon zeitig auf den Weg zu der Pension, in der James wohnte. Aus Sorge um sie war er bis nach Rangimarie gekommen, und sie hatte ihn so bösartig angefaucht. Sie hatte heftige Gewissensbisse.
Er saß noch über seinem Frühstück, belauert von einem mürrischen Dienstmädchen, das den Tisch abräumen wollte, und stocherte angewidert in einem undefinierbaren Stück Fisch herum. Als er sie erblickte, schob er den Teller zurück.
»Guten Morgen. Möchte wissen, warum sie einem in jeder Pension das gleiche Frühstück vorsetzen und woher es kommt, daß alles gleich schmeckt, egal ob’s verlorene Eier sind oder gebratener Fisch. Einer der größten Nachteile in kleinen Nestern.«
Er war gesprächiger als sonst, offenbar berührte ihn die Erinnerung an gestern ebenfalls peinlich.
Sie antwortete: »Brumm nicht, sondern komm mit spazieren. Wenn du dann in liebenswürdigerer Laune bist, nehme ich dich mit nach Hause und mache dir einen richtigen, anständigen Kaffee. Mohr wartet schon sehnlich darauf, sich austoben zu können. Aber zuerst muß ich noch aufs Postamt und Alec anrufen.«
»Darf ich fragen, wer Alec ist?«
»Das würdest du wissen, wenn du meine Briefe gelesen oder zugehört hättest, als ich dir alles erzählte.«
»Selbstverständlich lese ich deine Briefe, aber sie bestehen für gewöhnlich aus einer einzigen Seite und enthalten so gut wie nichts. Und was das Zuhören betrifft, so gibt es da einen gewissen Sättigungsgrad, weißt du.«
Sie lachte. James war ihr nicht mehr böse, wenn er so redete, vielmehr äußerte sich in dieser Form seine persönliche Art von Humor. Sie erläuterte ihm, wer die Moores seien, und fügte hinzu: »Kitty wird dir bestimmt gefallen — wie allen Männern.«
»Möglich, aber ich werde sie wohl kaum kennenlernen.«
»Aber doch, das wirst du, deshalb rufe ich ja Alec an. Pam und ich geben nämlich heute abend eine Party, teils deinetwegen, weil ich möchte, daß du alle meine Freunde kennenlernst, und teils um zwei Ereignisse zu feiern. Über das eine kann ich dir noch nichts verraten, weil ich versprochen habe, bis heute abend darüber Schweigen zu bewahren, aber das andere ist einfach, daß ich jetzt wieder froh und glücklich bin, weil sich alles aufgeklärt hat. Und das war ganz allein dein Verdienst, obwohl du dich dabei so grimmig und eklig aufgeführt hast. Aber die Wahrheit wäre sicherlich nie herausgekommen, wenn du mich nicht dermaßen gepiesackt hättest.«
»Ich habe dich nie gepiesackt. Aber für deinen Seelenfrieden sowohl wie für meinen war es unbedingt nötig, daß ich den Dingen auf den Grund kam, und ich kenne dich gut genug, um zu wissen, daß man das nur mit zähester Beharrlichkeit erreichen kann.«
»Mich derartig fertigzumachen! Du warst gräßlich.«
»Nur logisch — was vielleicht in deinen Augen dasselbe ist.«
Später, als sie am Strand spazierengingen, machte Pippa ihn auf Mohr aufmerksam, der ihnen mit wachsam gespitzen Ohren und munter wedelndem Schweif eifrig voranlief.
»Sieh dir das an! Die ganzen letzten vierzehn Tage schlich er mit hängendem Kopf herum. Ist es nicht merkwürdig, wie ein Hund so etwas fühlt?«
»Nicht verwunderlich. Ich glaube, beinah jeder in deiner Umgebung hat gespürt, daß dich etwas bedrückt. Ich jedenfalls bin in meinem ganzen Leben noch keinem begegnet, dem man das so an der Nasenspitze ansieht.«
Wieder mußte sie lachen.
»Du stempelst mich ja zu einer richtigen dummen Gans, aber ich gebe zu, Verstellung war noch nie meine Stärke. Und du bist extra gekommen, um mir aus der Klemme zu helfen, lieber, guter James; auf dich habe ich mich immer verlassen können, obwohl du mich eigentlich im Grunde deines Herzens verachtest.«
Er blickte mit einem beinah weichen Lächeln zu ihr herab, so daß seine Züge für einen flüchtigen Moment alle Schärfe verloren und sie wieder, wie so manches Mal in den vergangenen Jahren, hinter der strengen Fassade seinen wahren Charakter erkannte, so wie er früher einmal gewesen sein mochte und es wohl auch heute noch unter der harten, rauhen Schale war.
»Ich habe dich nie verachtet«, sagte er. »Im Gegenteil, deine Zuversicht und dein Elan haben mir stets Bewunderung abgenötigt, obwohl ich allerdings die Auswirkungen oft bedauern mußte.«
»Wie charmant ausgedrückt. Und für mich war es immer so beruhigend zu wissen, daß du da warst, wie ein Felsen, an den man sich klammern kann. Ich mag dich wirklich sehr gern.«
James wurde sichtlich verlegen, machte einen tapferen Versuch, es zu überwinden, und erwiderte: »Da wir uns gerade gegenseitig unsere Herzen zu enthüllen scheinen, kann ich dir ja gestehen, daß ich mich von jeher sehr zu dir hingezogen fühlte, wie — nun, wie zu einer jüngeren Schwester vielleicht.«
»Das ist lieb von dir. Männer scheinen in mir immer eine jüngere Schwester zu sehen — oder eine Tante.«
Sie schwiegen eine Weile, dann begann er wieder: »Dein Experiment hier ist ein Erfolg geworden, nicht wahr? Du bist doch glücklich, nehme ich an?«
»Oh, sehr. Es hat mir alles so viel Spaß gemacht. Du kannst dir nicht vorstellen, wie viele aufregende Abenteuer ich schon erlebt habe.«
»Dann unterschätzt du mein Vorstellungsvermögen bei weitem. Es gibt kaum etwas, das ich dir nicht zutrauen würde.«
»Na, jetzt werde nicht wieder boshaft. Ach, ich werde dir einfach alles erzählen«, und weil ihr so wunderbar leicht und beschwingt ums Herz war, begann sie mit einer ausführlichen Schilderung ihrer Erlebnisse in Rangimarie.
»Zuerst die Sache mit Freddy...«
Als sie damit fertig war, sagte James völlig zerschmettert: »Wenn das ein Musterbeispiel für deine menschheitsverbessernden Bemühungen sein soll, dann möchte ich mich lieber erst setzen, bevor ich mir den Rest anhöre.«
»Ja, du kannst jetzt ruhig alles erfahren, auch das über Sam West... Aber James, du mußt nicht denken, daß ich mir jemals ernstliche Sorgen gemacht habe, außer natürlich wegen Douglas. Weißt du, ich war immer ganz sicher, daß du mich schon irgendwie wieder ‘rausziehen? würdest, wenn ich in die Tinte geraten sollte.«
Er grunzte etwas Unverständliches, mußte aber im stillen ärgerlich zugeben, daß sie recht hatte. Er würde sie immer irgendwie heraushauen.
»Ja, also nun zu Sam West. Das war tatsächlich ein Erfolg auf der ganzen Linie. Ich hätte nie gedacht, daß es so leicht ist, Leute zu erpressen. Sicher passiert das andauernd, ohne daß es entdeckt wird.«
»Zu — zu erpressen? Willst du nicht bitte fortfahren — und, wenn möglich, genau der Reihe nach?«
Als sie geendet hatte, herrschte lange Schweigen. Pippa warf einen verstohlenen Seitenblick auf James’ Gesicht. James zu schockieren, war immer ein Riesenspaß für sie gewesen. Auch jetzt machte er eine strenge, finstere Miene, aber das kümmerte sie nicht im geringsten.
Und dann geschah das Wunder. Vielleicht war die Luft in Rangimarie daran schuld, im Verein mit der Losgelöstheit von der beruflichen Verantwortung des Alltags in der Stadt, oder lag es nur daran, daß Pippa sich immer heimlich amüsierte, wenn sie ihn erzürnte? Was auch der Grund sein mochte, James fing plötzlich an zu lachen. Es ähnelte mehr einem kurzen, rauhen Bellen, aber Pippa wußte sich nicht zu lassen vor Vergnügen. Er faßte sich jedoch sehr schnell wieder und sagte: »So. Geschmuggelter Alkohol, Erpressung, Versuch, einen Mord zu verschleiern. Es fehlt fast nichts. Wie lange gedenkst du hier noch zu bleiben?«
»Oh, für den Rest meines Lebens. Ich bin wunschlos glücklich, und dann ist doch auch noch Pam da... Aber darüber darf ich nicht sprechen. Du wirst heute abend sowieso alle kennenlernen.«
Von solchen geringfügigen Skrupeln hängt das Schicksal manchmal ab. Denn hätte Pippa nicht den Mund gehalten, sondern die Neuigkeit über Pam und Mark ausgeplaudert, James Maclean wäre noch am selben Morgen auf dem schnellsten Wege wieder nach Hause gefahren.
Die Party versprach ein einziger Erfolg zu werden. Pam hatte in großzügiger Weise eingekauft und aus Uplands Gläser und Cocktailshaker geliehen. Aus Warrenmede kam eine Unmenge Chrysanthemen an, welche in riesigen scharlachroten und goldfarbenen Sträußen auf die Zimmer verteilt wurden. Pam trat kritisch einen Schritt zurück und bewunderte den Gesamteindruck.
»Und du bist wieder zum Anbeißen, Pippa. Ein Glück, daß du deine tragische Miene abgelegt hast. Siehst aus wie achtzehn.«
»Hauptsächlich Make-up und blendende Laune. In den letzten vierzehn Tagen habe ich kaum was für mein Gesicht getan, höchstens mal einen Strich Lippenstift und einen Klecks Puder. Ist ein erhebendes Gefühl, wieder gepflegt auszusehen. Bei meiner Visage ist zwar alle Liebesmüh vergebens, aber immerhin...«
»Eine beachtlich hübsche kleine Visage, laß nur, und es gibt viele, die das auch finden... Hier kommen sie schon. Mark und Margaret als erste, wie sich’s gehört.«
Die Gesellschaft aus Warrenmede folgte ihnen fast auf dem Fuß. Douglas fühlte sich zwar anfangs noch etwas befangen, daß er so kurz nach seines Bruders Tod schon an einer Party teilnahm, aber Pippas Reue über ihre falsche Verdächtigung äußerte sich in so viel fürsorglicher Aufmerksamkeit, daß er bald wieder ein glückliches Gesicht machte.
Aus allen Räumen ertönte fröhliches Stimmengewirr, aber Pippa gelang es, Margaret einen kurzen Moment in der Küche unter vier Augen zu sprechen.
»Ich war ein schlechter Prophet, nicht wahr?« sagte sie zu ihr. »Sind Sie nun wirklich zufrieden?«
Margaret überlegte ihre Antwort reiflich.
»Ja, ich bin ehrlich froh. Nicht nur, weil ich dadurch meine persönliche Freiheit erlange, ein so ausgeprägter Egoist bin ich gar nicht, obwohl das natürlich auch mitspricht. Aber ich finde, die beiden passen großartig zusammen. Sie werden sich gegenseitig immer in Spannung halten, und das ist für alle zwei nur von Vorteil.«
»Das klingt aber sehr nach Schwierigkeiten. Ich mag solche Ehen gar nicht.«
»Ich auch nicht, aber die beiden brauchen das. Ihre größte Angst ist, daß ihnen die Beständigkeit langweilig werden könnte. Sie wünschen sich Abwechslung und Abenteuer, und ich nehme an, das werden sie miteinander erleben... Es wird Zeit, daß die Moores endlich eintrudeln, und der Doktor verspätet sich auch.«
»Und desgleichen James, mein Vetter. Ich habe Ihnen noch gar nicht von ihm erzählt. Ach, da ist er ja selbst, da können Sie ihn gleich in Augenschein nehmen.«
Margaret tat es, und alle Farbe wich aus ihrem Gesicht. James war durch die Küchentür hereingekommen, um Pippa zu suchen, aber jetzt stand er da und sah nicht sie an, sondern starrte auf die große, junge Frau neben ihr.
»Meg«, sagte er schließlich, aber es war gar nicht James’ Stimme.
Pippa sprang schnell ein: »Oh, ihr kennt euch schon? Das wußte ich nicht, aber wie sollte ich auch, ich hatte ja deinen Namen nicht erwähnt. Und von Ihnen habe ich ebenfalls nichts erzählt, Margaret, weil ich Pams Geheimnis hüten wollte.«
Sie sprach rasch und ohne Pause, um ein unbehagliches Gefühl loszuwerden, denn James stand noch immer wie ein Holzklotz da und starrte Margaret an — hatte er sie wirklich >Meg< genannt? — mit einem Ausdruck, den sie sich nicht erklären konnte. Und Margaret brachte nur völlig perplex heraus: »Nanu, Jimmy...« Ja, tatsächlich — >Jimmy< sagte sie. Pippa prustete beinah heraus. Die Vorstellung, James mit >Jimmy< anzureden! Dann antwortete Margaret auf Pippas Frage: »Ja, wir sind uns schon einmal begegnet, aber es ist lange her.«
James’ Stimme klang jetzt wieder kühl und beherrscht: »Aber du mußt uns trotzdem miteinander bekannt machen, Pippa. Ich weiß Megs — ich weiß den Nachnamen deiner Freundin nicht.«
»Wieso?« fragte Pippa verblüfft. »Es wird immer noch derselbe sein: Margaret Marvell. Das mußt du doch wissen, James, oder habt ihr euch nur beim Vornamen genannt, auch in früheren Zeiten?«
Kaum waren ihre Worte über die Lippen, da ärgerte sie sich, weil sie so taktlos gewesen war. Als wollte sie damit ausdrücken, daß sie die beiden schon zum alten Eisen rechnete. Aber sie hörten gar nicht zu.
James fragte sehr leise und zögernd: »Dann hast du also Jameson damals nicht geheiratet?«
Und Margarets beinah geflüsterte Antwort darauf war: »Natürlich nicht. Ich hatte nie die Absicht. Aber du nahmst dir ja nicht die Mühe, dich zu vergewissern.«
An diesem Punkt wurde die Situation selbst Pippa unerträglich. Sie stürzte so schnell hinaus, daß sie in der Tür fast mit Dr. Horton zusammenstieß. Sie packte ihn am Arm.
»Kommen Sie«, zischelte sie aufgeregt, »kommen Sie mit. Zu Mohr oder Amanda — irgendwohin — nur nicht dort rein.«
Er tat ihr den Gefallen und fragte nur nachsichtig: »Warum nicht? Was ist denn nun schon wieder los?«
»Oh, etwas wahnsinnig Spannendes ist passiert. Wissen Sie, ich glaube, Margaret ist die unglückliche Liebe von James gewesen.«
Er verdaute diese Neuigkeit einen Moment schweigend, ehe er sagte: »Ich hatte ursprünglich den Eindruck, Sie und Ihr Vetter seien miteinander verlobt.«
Pippas Schrei war so schrill, daß Amanda im selben Ton ein helles Wimmern ausstieß.
»Ich und James? O Schreck, das glauben Sie wohl selbst nicht! James würde glatt in Ohnmacht fallen. Und wie könnte ich mich in jemanden verlieben, der mich behandelt, als wäre ich ein Dorfdepp?«
Dr. Horton holte tief und hörbar Luft. »Ja dann«, begann er, »wenn das so ist...«
Aber Pippa mit ihrer fatalen Angewohnheit, andere zu unterbrechen, fuhr schon fort: »Nein, ich möchte lieber jemanden haben, der mich vielleicht manchmal ein bißchen albern findet, der aber auch albern sein kann. Einen, der mich nicht ummodeln und korrigieren will.«
Dr. Horton versuchte es noch einmal: »Wenn das die Voraussetzungen sind, dieser Jemand dürfte doch nicht schwer zu finden sein. Die meisten Männer würden gar nicht den Wunsch haben, Sie umzumodeln. Ich, zum Beispiel...«
Pippas Gedanken dagegen verfolgten beharrlich ihren eigenen Weg.
»Und außerdem möchte ich einen Menschen, der über dieselben Witze lacht wie ich, der nicht so feierlich und langweilig ist. Und James wäre doch viel zu alt.«
Es entstand eine Pause, und dann sagte John Horton: »Zu alt. Ja, genau drei Jahre älter als ich. Für ein Mädchen wie Sie natürlich schon reichlich betagt. Wollen wir hineingehen? Ich glaube, das ist Moores Wagen.«
Kitty sicherte sich einen glänzenden Auftritt. Sie kam als letzte und sah strahlend hübsch aus. Kein Anzeichen deutete darauf hin, was Pippa bei sich >ihren Zustand< nannte. Sie raschelte in einem neuen Cocktailkleid herein, ihre Kulleraugen sprühten und blitzten, sie wirkte jünger und beschwingter als alle anderen zusammen. Als Pippa die Gelegenheit wahrnahm, ihr ein Kompliment zu machen, bekam sie vor Freude tiefe Lachgrübchen.
»Dieses Kleid hat mir Alec vorige Woche geschenkt. Chic, nicht? Er ist neuerdings wie ausgewechselt. Ich glaube, Pippa, Männer verändern sich genauso wie Frauen, wenn sie ein Baby erwarten, nicht wahr?«
»Na, vielleicht nicht ganz so, aber sie müssen wohl sehr glücklich und mächtig stolz auf ihre Frauen sein. Alec läßt kein Auge von dir.«
»Ach, das tut er nur, weil er mein Mann ist. Ich weiß schon, daß ich nicht so blendend aussehe wie deine Miss Mannering, ich meine, wenn man überhaupt etwas für diesen Typ übrig hat. Sie scheint heute abend besonders lustig zu sein.«
»Es ist ja auch ihre Party, genaugenommen. Zur Feier ihrer Verlobung.« Pippa sagte es mit absichtlicher Betonung. Besser, Kitty wußte vor der allgemeinen Ankündigung Bescheid, falls die Nachricht sie erschüttern sollte. Eine Szene würde doch zu peinlich sein.
»Verlobung?« wiederholte Kitty unbeteiligt, indem sie an Pippa vorbei in den Spiegel schaute und sich eine Locke zurechtzupfte. »Mit Mark Marvell vermutlich. Wie schön, sie werden sicher gut zueinander passen. Alec meinte gerade neulich, sie seien alle beide so >leichtsinnige Hühner< wie er es nannte... Und sie kann ja von Glück sagen, denn so schrecklich jung ist sie doch nicht mehr, oder?«
»Schrecklich nicht, wir sind gleichaltrig, weißt du.«
»Oh, aber du bist doch ganz anders, Pippachen. Du — na, also du kannst dich doch gar nicht mit solchen Mädchen vergleichen. Du strebst nie nach Bewunderung und willst nicht auffallen — «
»Ein Segen für mich, sonst wäre ich schon vollkommen gelb und verbittert.« Sie entzog sich Kittys warmen Beteuerungen, >Alec sagte auch< und >sie fände immer, Pippa sei so besonders apart<, und eilte in die Küche zurück, voller Neugier, was sie wohl vorfinden würde.
Aber sie fand nichts und niemanden. Der Raum war leer, weder von Margaret noch von James eine Spur. Das war ein bißchen unangenehm, denn es wurde Zeit, die Verlobung zu verkünden. Peinliches Aufsehen zu erregen, sah Margaret nicht ähnlich und James erst recht nicht. Konnte es möglich sein — ja, war das überhaupt vorstellbar —, daß sie das Versäumte nachholen wollten? In diesem Fall brauchte sie dann nur noch den >Schlußchor< — als einsames Solo — anzustimmen und ihr >Vorübergehen< ein für allemal an den Nagel zu hängen, denn das würde die Krönung aller ihrer guten Taten bedeuten, und danach könnte sie sich getrost ins Privatleben zurückziehen.
Unterdessen war die Party in vollem Schwung. Wenn Pippa wegen ihrer plötzlichen Verschwendungssucht geneckt wurde, und man sie fragte, aus welchem Anlaß denn gefeiert würde, lachte sie immer nur und antwortete: »Ist denn unbedingt ein Anlaß nötig, wenn man fröhlich sein will?«
Aber inzwischen hatten es wahrscheinlich alle gemerkt, denn weder Pam noch Mark benahmen sich heute mit der lässigen Überlegenheit, auf die sie sich sonst soviel zugute taten. Ihre Augen trafen sich fortwährend, und Mark trug sein Glück und seine Anbetung wie ein Aushängeschild vor sich her. Seine Begrüßung mit Kitty hatte Pippa mit heimlicher Belustigung beobachtet. Zum erstenmal war er verlegen geworden, Kitty dagegen hatte die Situation lächelnd beherrscht, in einer mütterlichen, leicht herablassenden Art mit ihm geplaudert wie eine erfahrene Frau, die einem schüchternen Jüngling durch ihren gütigen Charme über eine dumme Ungeschicklichkeit hinweghelfen will. Wenn Pippa an das elende Häufchen Unglück zurückdachte, das sich tagelang nach einem Wort dieses flatterhaften Don Juans verzehrt hatte, gönnte sie Kitty neidlos den Triumph.
Ganz unbemerkt und so, als hätte sie sich nie aus dem Haus entfernt, war Margaret wieder mitten unter den Gästen aufgetaucht. Pippa betrachtete sie forschend, konnte aber kein verräterisches Anzeichen der vorangegangenen Gemütserregung mehr auf ihrem Gesicht entdecken, es war sorgfältig zurechtgemacht und trug den gewohnten Ausdruck leicht gelangweilter Liebenswürdigkeit. Auch James hatte sich wieder eingefunden und unterhielt sich in der Küche zwanglos mit John Horton. Pippa hätte gar zu gern gewußt, wie es den beiden gelungen war, so geschickt und unauffällig zu verschwinden und wieder zu erscheinen.
Und dann horchte alles auf, als Mark plötzlich Pams Arm nahm und eine kleine Ansprache begann. Seine Freunde hätten Grund, ihm zu gratulieren, sagte er, denn er sei der glücklichste Mensch auf der Welt... Weiter kam er nicht, denn Schwester Price eilte ihm zu Hilfe, indem sie mit Stentorstimme erklärte: »Aber klar, mein Junge, das tun wir alle mit Begeisterung. Sie verdienen Pam zwar nicht, aber wir wünschen Ihnen beiden von Herzen Glück und Segen.«
Alles lachte und trank dem Paar mit lärmender Fröhlichkeit zu.
Man bildete einen Kreis um sie, und der Doktor intonierte mit überraschend wohllautender Baritonstimme: »Hoch soll’n sie leben.« Pippa war hingerissen, daß sie selbstvergessen mit einstimmte und hinterher hoffte, der Doktor hätte es nicht gehört.
Die Party dauerte an, obwohl Horton sich entschuldigte, er müsse in seine Praxis, und die Schwester ihn bat, sie beim Krankenhaus abzusetzen.
»Weil man ja nie weiß, was diese Puten wieder alles anstellen, wenn auch im Moment niemand da ist, den sie umbringen können.«
Aber die anderen blieben noch, bis Douglas, der den ganzen Abend stillvergnügt gestrahlt, jedoch nur zwei Cocktails getrunken hatte, mit Jane und Philip nach Hause fuhr und Alec Kitty in ängstlich besorgtem Tone ermahnte, es sei schon längst Zeit für sie, im Bett zu liegen.
Als zum Schluß alle gegangen waren und die beiden Mädchen zusammen am Feuer saßen, lachte Pam plötzlich auf und sagte: »Deine kleine Kitty mag mich nicht. Ich hörte zufällig, wie sie James Maclean erklärte, es sei für leichtfertige Menschen das einzig Wahre, wenn sie untereinander heirateten. Dabei machte sie ihm riesige Unschuldsaugen, und er stimmte aus tiefster Seele zu. Und nicht nur das, er wich keinen Schritt mehr von ihrer Seite und hat wahrscheinlich im Lauf des Abends noch mehr Perlen der Weisheit aus ihrem Munde gesammelt.«
»Ja, Kitty war ganz groß in Fahrt heute. Als sie sich verabschiedete, sah man ihr richtig an, wie zufrieden sie mit sich und der Welt war.«
»Und wie steht’s mit dir? Du hast wieder den aufreizend geheimnisvollen Blick in den Augen, Liebling. Du heckst doch nicht etwa neues Unheil aus?«
Aber Pippa wollte nicht mit der Sprache heraus. Sie schaute verträumt in die Flammen und entwarf verlockende Pläne für James und Margaret.