14

 

Pippa wußte sich überhaupt keinen Rat. Freilich waren ihr von Fußballspielen her und dem Volksgedränge bei der Auffahrt der Königin solche Zwischenfälle mit den plötzlich sich ansammelnden kleinen Menschengruppen nichts Neues, aber persönlich kannte sie niemanden, der schon einmal in Ohnmacht gefallen war; sie hielt das für eine aus der Mode gekommene Schwäche der Viktorianischen Zeit. Sie schaute einen Moment hilflos auf Kitty nieder, faßte sich dann ein Herz und rüttelte sie an der Schulter.

»Wach auf«, rief sie naiv und brachte, als dieser Befehl ohne Echo blieb, ein Glas Wasser herbei, das sie zwischen die bläulichen Lippen zu pressen versuchte. Diese bläuliche Farbe war es, die sie mit einem Male überzeugte, daß es sich hier um etwas Ernstes handelte, nicht bloß um eingebildete >Vapeurs< aus Enttäuschung über die ernüchternde Wahrheit.

Zum Glück war Kitty leicht. Pippa hob sie vollends aufs Bett, stopfte ihr aus irgendeiner unklaren Vorstellung heraus ein Kissen unter die Füße und rannte auf die Straße. Drüben auf der anderen Seite erblickte sie Mrs. Foster vor ihrem Kolonialwarenladen. Sie winkte ihr aufgeregt zu, und die gutmütige, rundliche Frau kam eilends herübergelaufen.

»Mrs. Foster, was tut man, wenn jemand ohnmächtig ist? Kitty Moore liegt in meinem Schlafzimmer und tut keinen Mucks mehr.«

Mrs. Foster erschrak zuerst, wurde aber dann sofort sehr sachlich und energisch. Sie verschwendete nicht viel Zeit mit guten Ratschlägen, sondern nahm sich der Sache umsichtig an. Nach einem langen, forschenden Blick auf das bewußtlose Mädchen wendete sie sich um und sagte: »Ich kümmere mich um sie. Laufen Sie hinüber und rufen Sie den Arzt an. Wenn Sie sich beeilen, erwischen Sie ihn noch vor der Sprechstunde.«

Dr. Horton hörte schweigend zu und versprach, in fünf Minuten dazusein, Mrs. Foster wüßte wahrscheinlich, was in der Zwischenzeit zu tun sei. Als er kurz darauf eintraf, steuerte er schnurstracks ins Schlafzimmer. Und Mrs. Foster sagte zu Pippa: »Sie erholt sich langsam, und beim Doktor ist sie ja in den besten Händen. Sie brauchen sich keine Sorge mehr zu machen, meine Liebe, und ich kann schnell wieder nach Hause gehen, um für meinen Alten das Mittagessen zu kochen. Auch eine arge Zumutung für Sie, nicht wahr? Hoffentlich kommt ihr Mann bald zur Vernunft und holt sie«, eine Bemerkung, aus der klar hervorging, daß sich der Dorfklatsch bereits mit Eifer der Affäre bemächtigt hatte und ganz Rangimarie über den neuesten Krach bei den Moores erschöpfend informiert war.

Während Pippa dasaß und auf den Doktor wartete, machte sie sich über Kittys merkwürdigen Schwächeanfall Gedanken. Kitty, die immer so kerngesund gewesen war. Sie erinnerte sich, wie sie über Kopfschmerzen und Müdigkeit geklagt hatte, und fühlte Gewissensbisse wegen des scharfen Tempos, zu dem sie sie auf Spaziergängen und beim Schwimmen angetrieben hatte, um sie aus ihrer trüben Stimmung zu reißen.

Als Dr. Horton endlich herauskam, schloß er die Schlafzimmertür hinter sich und sagte: »Sie schläft jetzt. Wenn sie aufwacht, wird es ihr besser gehen. Lassen Sie sie ganz in Ruhe.«

»Haben Sie noch Zeit für einen Kaffee? Ich versuche schon seit einer Stunde zu frühstücken.«

Er sah auf seine Uhr.

»Zehn Minuten noch bis zur Sprechstunde. Ja, vielen Dank.«

Am Kaffeetisch machte er dann den Vorschlag: »Ich rufe Moore an, sobald ich nach Hause komme, und bitte ihn, mich aufzusuchen. Behalten Sie seine Frau am besten bis heute abend hier und lassen Sie sie ruhen.«

»Kitty will nicht, daß jemand Alec anruft, sie hat mir sogar das Versprechen abgenommen.«

»Ich habe keine Versprechungen gemacht.«

Darauf schien es keine Antwort zu geben, und nach einer Pause bemerkte Pippa: »Sie ist seit vier Tagen hier.«

»Ich weiß. Das ist schon in ganz Rangimarie herum. Und der Grund ebenfalls.«

»Der Grund hat sich aus dem Staub gemacht. Ich rief heute morgen in Uplands an.«

»So kann man es wohl kaum nennen. Marvell plante diese Reise seit Monaten. Ich nehme nicht an, daß er mit einem ernsten Zwischenfall rechnete.«

»Dieser elende Bursche... Das Schlimme ist nämlich... Oh, ich komme mir so gemein vor, Kitty zu verraten, aber — ja, sie bildet sich fest ein, daß...«

Er sah plötzlich viel älter und sehr gütig aus und sagte ernst: »Sie können ihr daraus keinen Vorwurf machen, denn sie ist noch ein Kind, und ein törichtes obendrein. Moore hätte eben nicht eine Achtzehnjährige heiraten und von ihr abgeklärte Weisheit verlangen sollen. Marvell ist ein gutaussehender Junge und hat ihr den Kopf verdreht.«

»Ich könnte ihn dafür ermorden.«

Er lächelte. »Nicht gleich so hitzig werden! Er tat es nicht in böser Absicht und hat auch bestimmt noch nie darüber nachgedacht, was er damit anrichtet. Es ist heutzutage etwas außerordentlich Seltenes, ein so ahnungsloses, um nicht zu sagen unbedachtes Geschöpf zu treffen wie dieses arme Kind.«

»Es war so deprimierend, sie zu beobachten. Sie saß nur immerfort da und wartete auf Mark oder Alec — ich wußte nicht, wen von beiden sie sich herbeisehnte.«

»Und sie selbst am allerwenigsten, aber jetzt ist es ihr klar. Das übrige müssen wir Moore überlassen.«

»Aber wird er verständnisvoll und nett zu ihr sein? Nach ihren Worten scheint er sie doch endgültig satt zu haben.«

»Schon möglich. Trotzdem ist es seine Sache.«

»Ich mache mir tatsächlich Vorwürfe, mich in letzter Zeit so wenig um sie gekümmert zu haben, aber es gab so viel anderes. Zuerst Freddy und dann Mrs. West.«

Er schaute sie mit undurchdringlichem Gesicht an.

»Ja, ja, ja, all die guten Taten«, meinte er. »Pippa braust vorüber wie ein Wirbelsturm.«

Das ärgerte sie. »Sie sind unfair. Ich habe doch keine Verwüstungen hinter mir zurückgelassen. Aber wenn nun Alec mit seinem Dickkopf stur bleibt? Natürlich kann ich sie hierbehalten.«

»Schwerlich bis sie ihr Baby kriegt.«

»Was — ?«

Sie war dermaßen perplex, daß er schmunzelnd sagte: »Das soll bei verheirateten Leuten vorkommen, wissen Sie.«

»Aber weshalb erzählte sie es mir denn nicht? Sie muß es doch gewußt haben.«

»Nach gewissen Symptomen zu urteilen, beziehungsweise deren Ausbleiben, offenbar nicht. Es ist noch im allerfrühesten Stadium.«

»O lieber Gott, ich schäme mich richtig. Da habe ich sie Meilen um Meilen am Strand entlanggaloppieren und wie ein Aal schwimmen lassen, sie mit Freiübungen gequält, und die ganze Zeit über — «

»Und die ganze Zeit über fühlte sie sich hundserbärmlich und wußte nicht, was mit ihr los war. Aber trösten Sie sich, vielleicht war es das Beste, was Sie tun konnten.«

»Ach, das wird überhaupt der Grund sein, weshalb sie so unverträglich mit Alec und so närrisch mit Mark ist.«

»Man könnte es so auslegen, wenn man will... Ja, ich muß jetzt gehen, sonst komme ich zu spät zur Sprechstunde. Auf jeden Fall rede ich ein Wörtchen mit Moore, bevor er seine Frau sieht. Erlauben Sie ihm nicht, sie zu stören. Ich nehme an, sie wird schlafen.«

Aber er war noch nicht lange fort, als Kitty nach ihr rief. Sie saß aufrecht im Bett, und von ihrem hübschen Aussehen war erschreckend wenig übriggeblieben.

»Pippa, es ist grauslich. Ich bekomme ein Kind.«

»Na und? Was ist daran grauslich? Ich finde es sehr nett.«

»Aber wenn Alec mich nun nicht zurückhaben will? Was dann?«

»Darüber würde ich mir keine Sorgen machen. Er wird schon wollen.«

»Aber ich mag kein Kind kriegen. Ich bin erst neunzehn, und es verdirbt das Aussehen. Die Figur ist ein für allemal futsch. Ich habe mich schon so jämmerlich gefühlt und dachte, es sei wegen der Zankereien, aber wahrscheinlich wird’s mir nun die ganze Zeit so gehen.«

»O nein, bestimmt nicht. Die meisten sind nach den ersten zwei Monaten kreuzfidel und munter, nur der Anfang ist scheußlich. Und paß mal auf, wie du dich über dein Baby freuen wirst, Kitty. Du bist nie wieder einsam, und Alec wird mächtig stolz auf dich sein. Nun sei nicht mehr bedrückt, das ist so anstrengend für alle Beteiligten.«

Kitty sah mit trüben Augen vor sich hin, ohne zu weinen, und Pippa dachte bei sich: >Allmählich scheint sie doch erwachsen zu werden, aber es muß ein schmerzhafter Prozeß sein.<

Laut und aufmunternd sagte sie: »Denk nur, was für eine fabelhaft junge Mutter du sein wirst, und stell dir vor, mit vierzig kannst du es sogar schon zur Großmutter gebracht haben.«

Das scheuchte Kitty aus ihrer Apathie auf. Sie starrte Pippa entsetzt, beinah voll Abscheu an, und diese merkte, daß sie in ihrem Eifer zu trösten nicht gerade die glücklichste Form gewählt hatte.

»Großmutter? Ich will keine Großmutter werden. Widerwärtiger Gedanke. Nie im Leben.«

»Nein, natürlich nicht«, beeilte sich Pippa, ihren Fehler wieder gutzumachen. »Das hat ja noch unendlich viel Zeit, Jahre und Jahre. O Kitty, leg dich wieder hin, du siehst so elend aus.«

»Ich wünschte, ich würde richtig krank, dann bekäme ich das Kind vielleicht gar nicht.«

»Na, also darauf würde ich mich nicht unbedingt verlassen«, meinte Pippa sachlich. »Nachdem du all die Streitereien, die Weinkrämpfe, das viele Schwimmen und Spazierengehen heil überstanden hast, scheinst du mir eher zu den Leuten zu gehören, die noch Babys kriegen, wenn’s Atombomben regnet.«

Nach dieser phantasiebeflügelten Rede zog sie sich in die Bibliothek zurück und überließ die werdende Mutter ihren düsteren Grübeleien, denn die Aussicht auf Alecs baldige Ankunft, die unvermeidliche Versöhnung und die strahlende Abfahrt des Liebespaares langweilte und ärgerte sie zugleich. Ärgern? Pippa riß sich zusammen. Kam das nicht womöglich ein bißchen daher, daß sie neidisch war? Ein demütigender Gedanke, den sie, im Gegensatz zu ihrer sonst so ehrlichen Selbsterkenntnis, sehr entschieden von sich wies.

In Wirklichkeit verlief die Szene nachher ganz anders, als Pippa sie sich vorgestellt hatte. Alec kam zwar sehr erregt, aber durch die Unterredung mit Dr. Horton sichtlich geläutert an. Es war noch während der Geschäftszeit, und sie bat ihn, gleich zu Kitty ins Schlafzimmer zu gehen, froh, daß sie diesmal nicht Zeuge der überschwenglichen Gefühlsergüsse zu sein brauchte.

Aber als sie eine halbe Stunde später selbst hineinkam, war wenig von Überschwang zu merken, wenigstens nicht von Kittys Seite. Sie saß weder auf Alecs Knien, noch hatte er beschützend den Arm um sie gelegt, sondern sie lag mit abgewandtem Gesicht auf Pippas Bett und klagte über Übelkeit. Alec sah aus, als seien ihm sämtliche Felle weggeschwommen, aber Pippa richtete ihn auf: »Schlecht ist anfangs allen, nur eins der üblichen Symptome. Machen Sie sich keine Sorgen, Alec. Lassen Sie sie in Ruhe, bis sie sich besser fühlt, und dann soll sie etwas Tee trinken.«

»Tee!« jammerte die werdende Mutter. »Um Himmels willen sprich nicht von Tee... Ich hatte schon die ganze Zeit einen solchen Ekel davor, wußte aber nicht, warum. Oh, ich wollte, ich wäre tot.«

Alec bekam eine tragische Miene, aber Pippa nahm ihn energisch am Arm und führte ihn hinaus.

»Regen Sie sich nicht auf. Sie ist vollkommen in Ordnung, nur Ruhe braucht sie.«

Gerührt und auch ein wenig belustigt merkte sie, daß er zitterte.

»Ein Grobian bin ich gewesen. Aber woher sollte ich es ahnen? Sie wußte es ja selbst nicht.«

Kitty erklärte sich eine Weile darauf imstande, nach Hause zu fahren, >wenn ich unbedingt muß<, und um fünf Uhr winkte ihnen Pippa vom Gartentor aus ein freundliches Lebewohl nach. Der Aufbruch war ganz anders vonstatten gegangen, als sie erwartet hatte: Kitty war verdrießlich und apathisch, Alec ängstlich und nervös. Das einzige restlos zufriedende Mitglied der Familie war der greuliche Tommy, der in Kittys matten Armen saß und von seinem sicheren Hort aus bis zum letzten Augenblick Gift und Galle gegen Mohr spie. Als sie endlich fort waren, rief Pippa den Hund und lief hinunter zum Strand, um Amanda zu erlösen, die dort seit neun Uhr angepflockt war und seitdem sehnsüchtig ihrer Befreiung harrte.

Zufällig begegnete sie Dr. Horton, der aus einer der Fischerhütten kam. Er blieb stehen und fragte: »Na, wieder allein?«

»Ja, Gott sei Dank«, erwiderte sie mit einem Stoßseufzer.

Sie wendete sich zum Weitergehen, aber er sagte schnell: »Wenn Sie Ihren Spaziergang noch weiter ausdehnen, lasse ich meinen Wagen stehen und komme mit, wenn ich darf. Ein bißchen Auslauf kann nicht schaden, und ich muß erst in einer halben Stunde im Krankenhaus sein.«

Sie gingen eine Weile in kameradschaftlichem Schweigen nebeneinander her, bis Pippa sagte: »Wie schön, mal nicht unentwegt reden zu müssen. In der Beziehung sind Männer angenehmer als Frauen. Sie schnattern nicht.«

»Ich vermute, in den letzten Tagen sind Sie damit voll auf Ihre Rechnung gekommen, aber wenn Sie weiter auf Ihrer Missionarrolle bestehen... Wann fängt denn nun der Urlaub an?«

»Heute abend. Wenn irgendeiner mit seinem Klagelied bei mir erscheint, bin ich nicht zu sprechen und schicke ihn statt dessen zu Ihnen. Schließlich ist das Aufgabe eines Arztes, nicht einer Bibliothekarin.«

»Bravo. Halten Sie daran fest.«

Das tat sie, und die nächsten vierzehn Tage verliefen beinah unheimlich friedlich. Mrs. West kam aus dem Krankenhaus, Doris kehrte mit ihrem kleinen Buben heim, und Pippa ging sie besuchen, nachdem sie sich vorsorglich einen Tag ausgewählt hatte, an dem der Gemeinderat eine Versammlung hatte und der Vorsitzende seines Amtes walten mußte. Diese Tat war ein Meisterwerk, brüstete sie sich stolz. Alles war wieder im Lot dank ihres mutigen, wenn auch illegalen Eingreifens.

Sie arbeitete in ihrer Leihbücherei, lag so oft wie möglich am Strand in der Sonne, verbrachte viel Zeit mit Jane und blieb über ein Wochenende, während Mark verreist war, bei Margaret Marvell. Nach und nach begann sie doch Rangimarie als ein >friedliches Paradies< zu empfinden.

»Man lebt sich ein«, sagte sie zu Margaret, als sie rauchend in der großen kühlen Gutshalle saßen. »Bald werde ich in ausgelatschten Turnschuhen rumlaufen und die Schnürsenkel baumeln lassen.«

»Ja, man wird bei uns langsam so, das liegt am Klima, glaube ich. Niemand ist hier wirklich reich, außer den Warrens natürlich, aber alles läßt sich verhältnismäßig leicht an, und jeder kann sich ohne große Mühe durchbringen. Ein Leben ist das im Grunde eigentlich nicht.«

Pippa betrachtete das kühle, feingeschnittene Gesicht und erwiderte impulsiv: »Jedenfalls nicht Ihr Leben. Sie müßten von Rechts wegen — na, wie soll ich mich ausdrücken — in einem großen Gesellschaftsraum oder im Ballsaal einer Großstadt Empfänge geben.«

Margaret lachte. »Warum sagen Sie nicht gleich, in einem >Salon<?« Ich bin nicht der Typ, Pippa, aber ich muß gestehen, ich möchte doch ganz gern noch etwas von meinem Leben haben, bevor ich zu alt bin, um es zu genießen.«

Pippa focht einen kurzen, heftigen Kampf mit sich aus. Wenn sie Margaret dazu bringen könnte, sich ihr anzuvertrauen, wäre sie vielleicht imstande, ihr zu helfen. Aber die Erinnerung an Dr. Hortons spöttisch schmunzelndes Gesicht brachte sie wieder zur Vernunft, und so sagte sie nur leicht: »Weshalb verheiraten Sie Mark nicht und ziehen in die Stadt? Sie haben doch eine Menge Geld.«

»Eine Menge ist übertrieben, aber Schaffarmern geht es zur Zeit ganz annehmbar, und ein Haus in der Stadt könnte ich schon erschwingen. Aber wozu? Ich bin nicht darauf versessen, und Mark zeigt keine Anzeichen von Heiratslust. Manchmal glaube ich, er wird sich nie dazu aufraffen, und wir zwei werden in alle Ewigkeit zusammen wohnen, gute Freunde sein, aber uns zuzeiten ziemlich auf die Nerven gehen — wie so manches ältliche Geschwisterpaar, das am Leben vorbeigegangen ist.«

»Ach, das klingt so fürchterlich trist. Natürlich wird er heiraten.«

»Ich wünschte, es käme mal eine Frau, die ihn völlig umkrempeln und durchrütteln würde, er wächst sich nach und nach zu einem ewigen Casanova aus. So hervorragend er die Farm leitet, was man ihm gar nicht zutrauen möchte, und wie sehr die Leute auch an ihm hängen, in bezug auf Mädchen ist er ein hoffnungsloser Fall. Ich glaube, Sie sind die einzige, die er ehrlich respektiert, und trotzdem fallen sie alle auf ihn herein — nicht nur kleine, dumme Dinger wie Kitty, sondern auch die mit Erfahrung und Verstand. Ich kann nicht begreifen, was es ist — denn mit Schönheit ist er doch weiß Gott nicht gesegnet.«

»Na, hoffen wir, daß er bald an die Richtige gerät, denn augenblicklich ist er ein regelrechter Stein des Anstoßes.«

Der Stein des Anstoßes besuchte sie zwei Tage nach seiner Rückkehr. Ausnahmsweise war er sogar ernst und gesittet und schlug Pippas Vorwürfe nicht einfach in den Wind.

»Tut mir diesmal wirklich aufrichtig leid, Pippa. Glauben Sie mir, es war der reinste Zufall. Ich habe mich konsequent von Ihnen ferngehalten und wollte Sie nie wieder damit behelligen. Muß scheußlich für Sie gewesen sein.«

»Nicht annähernd so scheußlich wie für die arme kleine Kitty — die zudem im Begriff steht, sich ein Baby zuzulegen.«

»Ein Baby, tatsächlich? Alle Achtung. Na, dann werden sich ihre diversen Probleme ja von selbst lösen. Und die meinigen ebenfalls. Nun nennen Sie mich nicht gleich wieder einen gewissenlosen Flegel. Ich weiß, ich bin ein haltloser Narr hübschen Frauen gegenüber und ganz besonders, wenn sie sentimental werden und sich unverstanden glauben. Das ist bei mir psychologisch bedingt, ich schwöre Ihnen, wahrscheinlich irgendein verdrängter Komplex. Ich habe schon überlegt, ob ich nicht deswegen mal zu einem Psychiater gehen soll, aber diese Kerle wühlen ja in einem das Unterste zuoberst, so daß man nie sicher sein kann, was sich am Ende alles dabei herausstellt — bei mir womöglich eine heimliche Leidenschaft für meine Großmutter.«

Es war sinnlos, ihm die Leviten lesen zu wollen, sie, konnte nur noch lachen. Man konnte ihm nicht widerstehen, auch Pippa nicht. Schuld daran war seine entwaffnende Liebenswürdigkeit und sein lausbubenhafter Humor. Sie freute sich jetzt schon darauf, das Treffen zwischen ihm und Pam zu beobachten. Sie würden sich einander nichts nachgeben, aber sie tippte selbstverständlich auf Pams Sieg.

Ein paar Tage später traf sie Dr. Horton am Strand, wo sich ihre Wege in letzter Zeit mehrmals gekreuzt hatten, da er in einer der Fischerhütten einen Patienten zu besuchen pflegte. Oft kehrte er dann um und begleitete sie ein Stück, wobei sie mit Interesse feststellte, daß Mohr den Arzt mittlerweile voll anerkannte und mit Schweifwedeln begrüßte, sobald er auftauchte. Einmal war er sogar so weit gegangen, ihm einen Stock zu apportieren, den der Doktor mit großer Kraft und Zielsicherheit für ihn geschleudert hatte. Heute blieb Horton wieder stehen, gab Pippa die Hand und sprach ernsthaft zu dem Hund.

»Er mag Sie gern. Sie sind überhaupt der einzige Mensch, den er beachtet, obwohl er Mark auch duldet, aber wer tut das schließlich nicht, trotz seines schlechten Betragens.«

»Das ist das Geheimnis des Charmes. Hat er mit Ihnen wieder Frieden geschlossen?«

»Ja, aber abwarten. Meine Freundin Pam Mannering kommt nächstens für längere Zeit zu mir, und die scheint mir die geeignete zu sein, ihm eine kurze, gepfefferte Lektion zu erteilen und Kitty zu rächen.« Er blickte mit komischer Verzweiflung auf sie herab.

»Sind Sie eigentlich völlig unverbesserlich? Werden Sie niemals lernen, die Leute mit ihren Angelegenheiten in Ruhe zu lassen?«

Sie schaute ganz entrüstet auf.

»Aber bis jetzt hat mir ja der Erfolg recht gegeben, und außerdem muß ich doch für meine Freunde sorgen. In meinem Leben geschieht ja nichts.« Kaum waren die Worte heraus, da ärgerte sie sich, weil sie so pathetisch geklungen hatten, und setzte rasch und schroff hinzu: »Und ich will es auch gar nicht. Macht viel mehr Spaß, zuzusehen.«

Er schien die Abwehr in ihrem Ton nicht gemerkt zu haben.

»Um so besser«, erwiderte er nur. »Als Arzt ist man es so gewohnt, Zuschauer zu sein, daß man alles andere darüber vergißt.«

Sie brach mit der unvermittelten Plötzlichkeit, die James stets irritierte, die dieser Mann dagegen bezaubernd fand, in helles Lachen aus.

»Wie alt und weise wir uns unterhalten, wie zwei Mummelgreise, die Lebensregeln aufstellen.«

»Na, ich nähere mich wohl auch mit Riesenschritten diesem wenig verlockenden Alter«, meinte er etwas resigniert. »Sie haben immerhin noch einen weiten Weg bis dahin.«

»Oh, ich weiß nicht recht. Ich entwickle bereits eine matronenhafte Lethargie. Bald werde ich fett und behäbig sein, mit mir und der Welt zufrieden, meine Abonnenten mit >liebe Kinder< anreden und nicht mehr hinter meinen Schreibtisch passen.«

Er musterte ihre schlanke Figur und sagte: »Dazu scheint mir wenig Aussicht zu bestehen. Wie ist das, kochen Sie sich eigentlich vernünftig? Leute, die allein leben, pflegen diesen Punkt ja meistens sehr stark zu vernachlässigen, besonders Frauen.«

»Jetzt sprechen Sie so streng wie James. Mir geht wirklich nichts ab. Diesen Monat halte ich nur ein bißchen Diät.«

»Aber nicht wegen Übergewicht, vermutlich.«

»Nein, wegen Überbeanspruchung der Kasse. Ich konnte dem Werbekatalog eines gewissenlosen Buchhändlers nicht widerstehen, und nun stottere ich die Bücher ab, deshalb heißt die Parole: >Gürtel enger schnallen.< «

Zum Kuckuck, warum hatte sie ihm das jetzt wieder erzählen müssen? Weshalb weihte sie diesen Mann immer in ihre persönlichen Angelegenheiten ein? Wahrscheinlich lag es an dem sachlich neutralen Fluidum, das einen Arzt umgab. Es entstand eine lange Pause, und sie machte sich bereits auf einen Vortrag über den Unfug ungenügender Nahrung, die Wichtigkeit von Vitaminen und die Rücksicht, die sie ihrer Gesundheit schuldig sei, gefaßt, aber er bemerkte in leichtem Ton: »Nun, inzwischen müssen Sie doch einen ganz hübschen Vorrat an Büchern beisammen haben, und jetzt, in der toten Saison, hat es nicht viel Sinn, Geld in Neuanschaffungen zu stecken. Denken Sie zur Abwechslung mal an sich selbst. Es steht Ihnen nicht, wenn Sie zu dünn sind.«

Damit verabschiedete er sich freundlich von ihr und ließ sie etwas betroffen über den geringen Eindruck, den ihr heroisches Opfer für die Kultur auf ihn machte, zurück. Auf Alecs dringende Einladung fuhr sie in der gleichen Woche hinaus auf die Mooresche Farm.

»Vielleicht sind Sie imstande, Kitty ein bißchen aufzumöbeln. Sie schleicht herum wie ihr eigener Schatten.«

»Arbeitet sie denn, oder bleibt sie einfach im Bett und denkt über ihre Symptome nach?«

»Sie hat den Haushalt besser in Schuß als früher, aber essen tut sie wie ein Piepmatz, und sonst heult sie die meiste Zeit. Nicht vor mir, aber ihre Augen sind dauernd rot verschwollen, und ihre Nase auch.«

Wenn Kitty sich so weit gehenließ, daß sie ihre Nase rot und glänzend zeigte, mußte es schon miserabel um sie stehen, dachte Pippa. Als sie sie dann tatsächlich vor sich sah, war sie sprachlos. Kitty schien ein völlig anderer Mensch geworden zu sein. Sie schwatzte nicht, setzte sich nicht in Pose, sie vergaß ihren unschuldsvollen Augenaufschlag, und von Lachgrübchen war überhaupt keine Spur zu merken. Pippa fragte sich erschüttert, ob ihr am Ende das Herz gebrochen sei vor Kummer über diesen elenden Mark. Aber was diesen Punkt anbelangte, so erhielt sie bald Gewißheit.

Alec benutzte die erste Gelegenheit, sie allein zu lassen, nachdem er Pippa einen vielsagenden Blick zugeworfen hatte, der bedeuten sollte: >Sehen Sie zu, ob Sie mit ihr irgendwie zu Rande kommen können.< Und schon fing Kitty an: »Du warst großartig, Pippa. Wirklich, du bist die beste Freundin, die ich gehabt habe. Ich muß ja eine schreckliche Plage für dich gewesen sein, mich einfach bei dir einzunisten. Und so dumm obendrein. Ich weiß gar nicht mehr, was ich eigentlich alles gesagt oder getan habe und was in mich gefahren war, daß ich mir einbildete, in Mark Marvell verliebt zu sein... Wahrscheinlich war es nur — ich meine, es hätte ebensogut ein x-beliebiger sein können.«

»Na, nun hast du es ja überwunden und vergißt es am besten möglichst schnell. Ich tue es jedenfalls. Du warst auch keine Plage, ich habe mir nur Sorgen um dich gemacht. Aber nun geht’s dir wieder gut, nicht wahr, Kitty? Und ist Alec jetzt verständnisvoller? Ich weiß, er steht tausend Ängste um dich aus, aber zeigt er es dir auch?«

»O ja, er ist nie mehr gereizt und bemüht sich, mir jeden Wunsch von den Augen abzulesen«, antwortete sie in gleichgültigem Ton. »Er ist sehr rücksichtsvoll, aber ich habe alle Männer satt.«

Das war geradezu bestürzend, und Pippa konnte sich noch lange nicht darüber beruhigen. Natürlich erzählte sie es Dr. Horton, als sie ihn das nächste Mal traf.

»Glauben Sie, daß etwa ihr Vertrauen gelitten haben könnte? Ich finde, daß Kitty die Männer satt hat, läßt das Schlimmste befürchten.«

Sie sagte es vollkommen ernst, und er bog sich vor Lachen.

»Machen Sie sich keine Sorgen. Alles Nerven. In ein oder zwei Wochen hat sie diesen Tick wieder überwunden.«

Nein, dachte sie, Dr. Horton urteilte doch reichlich unbekümmert, beinah verantwortungslos, über Dinge, die er als unwichtig betrachtete.