15

 

Eines Morgens kam Dr. Horton in die Leihbücherei, als Pippa allein war, und erklärte: »Doris scheint sich zu Hause endgültig eingelebt zu haben. Ich händigte heute Mr. West den Brief aus.«

Pippa nickte nur und dankte ihm, weiter nichts. Offenbar erwartete er weder eine Begründung, noch lag ihm etwas daran. Was für ein wunderbar unaufdringlicher Mensch er war, höchst angenehm, ja, man konnte schon sagen, überaus sympathisch.

Bei Wests schien alles in glattes Fahrwasser gekommen zu sein. Mrs. West schonte sich zwar noch, stand aber wieder auf und gewann erneutes Interesse am Leben durch ihren kleinen Enkel, dem sie alte Kinderreime beibrachte, und Doris zeigte allmählich wieder etwas von ihrer früheren sorglosen Fröhlichkeit. Auch Sam West machte nicht den Eindruck, als litte er unter den veränderten Verhältnissen. Vielleicht konnte er sich in der Familie nicht mehr als unumschränkter Diktator aufspielen, dafür aber hatte er jetzt jemanden, der das Haus tadellos in Ordnung hielt, und langsam kam er sogar zu der Erkenntnis, daß der kleine Bill kein Schandfleck, sondern ein reizendes Kind war, auf das er mit Recht stolz sein durfte. Doris erzählte Pippa, jedoch ohne ersichtliche Anzeichen von Freude, daß er sich bereits brüste, der Kleine sei ganz der Großvater. Eines Tages erkundigte sich Pippa bei Jane Harding, ob irgend etwas über den Vater des Kindes bekannt sei, aber sie schüttelte den Kopf.

»Doris hat sich darüber nie geäußert. Schwester Price gab sich die größte Mühe, aber alles, was sie herausbekam, war, daß es sich um einen Sommergast handelte und sie in ihrer Torheit und Ahnungslosigkeit geglaubt hatte, es im Trinken mit den Mädchen aus der Stadt aufnehmen zu können. Aber wer es auch immer gewesen sein mag, das Resultat ist jedenfalls ein sehr netter kleiner Bengel.«

»Ob sie einmal heiraten wird? Sie ist doch erst einundzwanzig und sieht so hübsch und anziehend aus.«

»Das glaube ich sicher. Kein vernünftiger Mann wird ihr einen Vorwurf machen. Sie war noch so blutjung damals.«

Anfang März trudelte Pam mit der quietschvergnügten Ankündigung ein: »So, jetzt bleibe ich, bis ich wieder nach Hause beordert werde. Schätze, mindestens zwei Monate. Natürlich alle Ausgaben hübsch geteilt.«

Mit einem Schlag war das Leben völlig verwandelt, alles machte auf einmal doppelt soviel Spaß. Pippa hatte eine Unmenge zu erzählen, nur über Sam Wests Niederlage bewahrte sie strenges Stillschweigen. Allerdings konnte sie ihre Natur nicht so weit verleugnen, sich auch aller Andeutungen zu enthalten, und Pam war begeistert: »Sag kein Wort mehr, Liebling, ich kann’s mir denken. Du hast den fiesen Alten erpreßt. Wie herrlich! Ich habe mir schon immer gewünscht, mal jemanden zu erpressen. Aber was für ein Glück, daß er nicht versucht hat, dich umzubringen wie in Kriminalromanen.«

Unnötig zu erwähnen, daß Mark prompt nach Pams Ankunft auf der Bildfläche erschien. Pam war bereits über ihre Aufgabe instruiert worden und hatte feierlich geschworen, ihm eine kurze, gepfefferte Lektion zu erteilen, um seine Seele vor dem Verderben zu retten. Es versprach auch nicht allzu schwierig zu werden. Pam sah blendend aus, und ihre Schönheit konnte sogar der grellen nördlichen Sonne standhalten. Die beiden entdeckten sofort reichlichen Gesprächsstoff — Reiseerlebnisse, Erinnerungen an England und den Kontinent und sogar gemeinsame Bekannte in der Stadt. — Von diesem Augenblick an wurde Mark ein nimmersatter Leser.

Pam half Pippa in der Bibliothek und vertrat sie auch manchmal. Eines Nachmittags kehrte Pippa von einem Spaziergang mit Mohr zurück und fand sie erregt und sichtlich verärgert.

»Ich wette, Nelson Warren war hier, mit dem geht’s immer so.«

»Widerliches Scheusal! Ich hab’ mir die Beine ausgerissen, aber er guckte bloß an mir vorbei seinen Bruder an und sagte, es sei doch unverantwortlich, die Bücherei der Aufsicht einer unfähigen Assistentin zu überlassen. Und der arme Bruder wäre am liebsten in den Erdboden versunken. Das ist auch ein bemitleidenswerter Mann, was?«

»Und ob! Aber entspricht Nelson nicht den schlimmsten Vorstellungen? Die meisten Menschen haben doch mal einen Ausnahmetag, an dem sie einigermaßen umgänglich sind, aber er... Ach, wenn ihn nur jemand abmurksen würde, damit sich Jane und Philip kriegen und glücklich werden könnten.«

Diese Aussicht schien jedoch in weiter Ferne zu liegen. Eines Abends, als Pam mit Mohr fortgegangen war, kam Jane und besuchte Pippa. Im Lauf des Gespräches sagte sie plötzlich: »Sicherlich wissen Sie es auch längst, Pippa, daß ich Pech in der Liebe hatte... Das ganze Dorf tratscht ja darüber.«

Sie versuchte dabei zu lachen und fuhr dann sehr rasch fort: »Mr. Warren ist anscheinend fest davon überzeugt, daß mein Großvater die Bombe persönlich auf ihn abgeworfen hat. Selbstverständlich schäme ich mich nicht im geringsten, daß er bei der deutschen Luftwaffe war. Er soll sehr tapfer gewesen sein, und es ist doch ganz klar, daß man seinem Land hilft, durch dick und dünn. Aber Nelson Warren sieht das nicht ein. Alles vergeblich. Was ich Ihnen erzählen wollte: Philip kommt nach Hause. Ich habe ihn endlich dazu überredet.«

»Oh, wie herrlich, Jane. Dann wird alles gut werden.«

»Nein, ich gehe nämlich fort. Philip und ich könnten nicht am selben Ort wohnen, das wäre für uns beide zu schwer. Aber Philip wird in Warrenmede gebraucht, auf der Farm klappt es nicht recht. Nelson mischt sich in alles ein, verkracht sich mit jedem Verwalter, und Douglas hat die ganzen Jahre hindurch schon zuviel erduldet, er kann nicht mehr. Und Philips Platz ist doch schließlich daheim.«

»Aber Jane, Sie dürfen nicht weggehen! Wir alle würden Sie hier schrecklich vermissen. Nein, es wäre nicht mehr Rangimarie ohne Sie, und denken Sie doch an die arme Schwester Price.«

»Sie sind ein liebes Menschenkind, Pippa«, antwortete Jane, »und ich bin froh, daß wir uns kennengelernt haben — aber ich muß fort. Bei der Oberschwester habe ich heute für nächsten Monat gekündigt; ich wollte, daß Sie es gleich erfahren. Besuchen Sie sie öfters, wenn ich nicht mehr da bin, sie mag Sie so gern. Und versprechen Sie mir, ihr immer recht gefühlvolle hübsche Liebesgeschichten auszusuchen.«

Ihre Worte klangen so endgültig und entschlossen, daß Pippa nichts mehr darauf erwidern konnte, aber später, im Bett, beriet sie alles mit Pam, und sie beide entwarfen sofort die wildesten Pläne, wie man diese Katastrophe verhindern könnte. Doch am Ende meinte Pippa: »Es läßt sich nichts dran ändern, Pam. Bestimmt ist Mr. Warren verrückt, das sieht man ihm ja an den Augen an, aber man kann ihn nicht ins Irrenhaus sperren, und somit ist nichts zu machen. Es sei denn, wir fänden jemanden, der ihn um die Ecke bringt.«

Kein Zweifel, Mark hatte sich in den letzten Tagen erstaunlich verändert und dabei offenbar viel von seinem schlagfertigen Witz eingebüßt. Er verbrachte auffallend viel Zeit bei den beiden Mädchen, so daß Pippa einmal in leicht gereiztem Ton bemerkte, er scheine wohl überhaupt nicht mehr zu arbeiten.

»Sie leben wie die Lilien auf dem Felde«, stichelte sie, geplagt von Eifersucht, weil sich Pams Interesse jetzt nicht mehr uneingeschränkt auf sie konzentrierte.

»Weit gefehlt. Ich schufte wie verrückt. Ärgerlich ist nur, daß ich so selten Zeit für mich habe«, versetzte er.

Immer öfter erfand Pippa Ausreden, um daheim bleiben zu können, wenn er Pam an schönen, warmen Abenden, an denen die Luft schwer war von süßen, tropischen Düften und die See still und glatt dalag, zu langen Ausfahrten oder Spaziergängen abholte. Sie wolle lieber am Strand sitzen, erklärte sie meistens, dem schläfrigen Gezwitscher der Vögel in den Pohutukawa-Bäumen lauschen und den Mondschein auf dem Wasser betrachten.

Zum Doktor meinte sie eines Tages, sie geriete langsam in eine Stimmung entsagender Beschaulichkeit, zufrieden, andere glücklich zu sehen und selbst im Hintergrund zu bleiben.

Er lächelte über dieses wunderliche Geständnis, ganz im Gegensatz zu James, der auf das Schlimmste gefaßt gewesen wäre, hätte er es gehört.

Margaret besuchte Pippa in diesen Tagen häufiger als sonst, und obwohl sie vorgab, über Marks Vernarrtheit zu lachen, überraschte sie sie plötzlich mit den Worten: »Sagen Sie mal, Pippa, die Möglichkeit, daß Pam es ernst meint, besteht wohl kaum, wie?«

Sie war so verblüfft, daß sie gar nicht antwortete, und Margaret fuhr fort: »Die ganze Affäre hat in meinen Augen etwas absolut Einmaliges, und wenn Mark neulich nicht seinen dreißigsten Geburtstag gefeiert hätte, würde ich sagen, er stehe lichterloh in Flammen. Keiner seiner bisherigen Flirts hat auch nur annähernd dieses Stadium erreicht. Aber Pam wird sicherlich nicht auf ihn fliegen, sie ist nicht der Typ.«

Pippa hörte mit Betroffenheit ihre eigenen geheimen Zweifel so unverblümt in Worte gefaßt. Pam und den Kopf verlieren? Ausgeschlossen. Ganz undenkbar, daß ein Mädchen wie sie, die so weit in der Welt herumgekommen war und ständig, von ihrem achtzehnten Lebensjahr an, einen Riesenschwarm von Verehrern um sich gehabt hatte, auch nur im entferntesten daran dachte, sich ausgerechnet in einen Farmer aus dem neuseeländischen Busch zu verlieben. Sie war zu erfahren, zu sehr an die Huldigungen junger Männer gewöhnt, um das geschehen zu lassen.

Margaret mußte ihr die Gedanken wohl von der Stirn gelesen haben, denn sie sagte: »Natürlich nicht. Wäre ja auch zu schön, um wahr zu sein. Pam dürfte voraussichtlich demnächst eine großartige Partie machen, und Mark wird bis dahin längst über alles hinweg sein. Er wird eins seiner üblichen, hübschen Gratulationstelegramme verfassen — mit der gewissen Zärtlichkeit im Ton, die genügt, den Bräutigam zu beunruhigen —, ihr ein kostbares Geschenk übersenden, und damit hat sich der Fall. Es wäre nicht das erste Mal, daß ich das erlebe. Aber was mich stutzig macht, ist eben dieser ungeheure Ernst, den ich bisher bei ihm noch nie bemerkt habe.«

Mit der Zeit fühlte sich Pippa ein wenig als lästige Dritte. Gewiß, die beiden baten sie jedesmal inständig, sie auf ihren Ausflügen zu begleiten, an ihren abendlichen Gesprächen teilzunehmen, aber sie schützte meistens Arbeit in der Bibliothek vor oder unternahm mit Mohr weite Spaziergänge die Küste entlang.

Eines Abends, als sie damit begonnen hatte, einen Katalog ihrer Bücher anzulegen, klopfte Dr. Horton an die Tür. Sie war erfreut, ihn zu sehen, mochte er auch nicht so lustig und amüsant sein wie Mark, aber dafür hatte seine Gegenwart etwas Angenehmes und Beruhigendes. Er sagte: »Lassen Sie sich in Ihrer Arbeit nicht stören, ich warte nur auf einen Anruf und dachte, Sie würden mir hier inzwischen ein stilles Plätzchen gewähren.«

»Einen Anruf?«

»Ja, zu einer Entbindung, hier m der Nähe. Ich habe mir erlaubt, Ihre Adresse anzugeben, damit man mich verständigen kann, wenn’s soweit ist. Im Krankenhaus ist kein Bett frei, und die Atmosphäre einer Wochenstube ist nicht sehr beschaulich.«

Anscheinend fand er es dagegen bei ihr ganz besonders beschaulich, denn er ließ sich in einem ihrer bequemen Sessel nieder, streckte die langen Beine von sich und seufzte befriedigt auf. Pippa freute sich. In letzter Zeit hatte er sie öfters besucht, aber dies war das erste Mal, daß er sich so freundschaftlich ungezwungen benahm.

»Sie sind müde. Haben Sie eine anstrengende Nacht hinter sich?«

»Bis drei Uhr früh. Rangimarie ist im Augenblick äußerst fruchtbar.« Er schloß die Augen, und sie fuhr in ihrer Arbeit fort. Plötzlich fragte er mit einer Geste zum Wohnzimmer hin, aus dem gedämpftes Stimmengemurmel drang: »Ist es schon so weit gediehen, daß man sie sich selbst überläßt?«

»Ja — sozusagen. Ach, aber das bedeutet natürlich nichts, und Mark wird es bestimmt verwinden. Es war sowieso höchste Zeit, daß er mal eine Lektion bekam.«

Er verdaute das eine Weile schweigend, dann meinte er: »Sie sind aber reichlich grausam. Schließlich ist Miss Mannering eine verführerische junge Frau.«

Sie fühlte einen eifersüchtigen Stich im Herzen. Daß der Doktor auf das Aussehen von Frauen achtete, war ihr bisher nicht aufgefallen, jedenfalls hatte er nie eine Bemerkung darüber gemacht. Beschämt über sich selbst antwortete sie: »Pam ist das schönste Mädchen, das ich kenne, das heißt, Jane vielleicht ausgenommen, aber Pam hat so viel Schwung und Witz und Geist...«

»Kurz und gut, sie ist Ihre Freundin. Kennen Sie sich eigentlich schon lange?«

»Seit wir zusammen in den Kindergarten gingen.« Sie schob ihre Bücher beiseite und fing an, von ihrer frühesten Jugend zu berichten, von ihrer Schulzeit, den glücklichen Jahren bis zum Tod ihrer Eltern, den schwierigen, die darauf folgten.

Er lehnte sich in den Sessel zurück, drehte den Kopf herum, so daß er sie an ihrem Schreibtisch besser betrachten konnte, und irgend etwas in seinem Ausdruck mußte wohl daran schuld sein, daß sie ihm Dinge erzählte, die James niemals erfahren hatte, und manches, das sogar Pam verborgen geblieben war, von Freunden, die sich nicht mehr an sie erinnern wollten, von kleinen Demütigungen, dem Kopfzerbrechen um ein neues Kleid, von arroganten Bürovorstehern, die ihr das Leben sauer gemacht hatten und zänkischen Zimmervermieterinnen... Plötzlich blickte sie mit einem Ausruf der Überraschung auf die Uhr.

»Oh, seien Sie mir nicht böse. Sie kommen hierher, um ein bißchen Frieden zu genießen, und ich schnattere die ganze Zeit, schlimmer als Kitty.«

»Ich fand’s nett.«

»Sie machen es einem so gefährlich leicht, zu reden. Sicher werden Sie oft das Opfer derartiger Herzensergüsse. Ich glaube, es liegt daran, daß Sie Arzt sind, übrigens der erste, den ich näher kennenlerne.«

»Ich hatte heute gerade einen freien Abend. Das kommt auch manchmal vor, wissen Sie.«

»Daraus ist nicht viel geworden. Die Leute jammern Ihnen wahrscheinlich dauernd die Ohren voll.«

»Bei Freunden ist das ein Unterschied.«

Sie errötete, weil ihr plötzlich zum Bewußtsein kam, wieviel ihr daran lag, mit diesem großen, ernsten, zurückhaltenden Mann befreundet zu sein, der nie ironisch war und nur ganz selten mal Vernunft predigte. Sie sprang auf und sagte: »So, jetzt haben Sie sich aber ein Abendbrot verdient, nach diesem Wortschwall. Es wird auch Zeit, die beiden da drinnen in ihrem endlosen Palaver zu unterbrechen.«

Die beiden schienen die Unterbrechung nicht übelzunehmen. Pam erklärte gerade lachend: »Vornamen klingen so unerhört vertraulich. Habe ich nicht recht, Doktor? Mark fragte mich nämlich eben nach meinem. Reichlich vorwitzig von ihm. Übrigens, weshalb nennen wir Sie eigentlich immer nur >Doktor<? Irgendwo haben Sie doch auch einen Taufnamen, den Sie uns schmählich vorenthalten.«

»Einen ziemlich abgenutzten.«

»Ich wette, es ist John. Stimmt’s? Gefällt mir am besten von allen. John sollen Sie von jetzt an heißen. Und warum, frage ich Sie, sagen Sie zu Pippa >Miss Knox<? Pippa, rede ihm das aus, und du mußt ihn >John< nennen.«

»Ich weiß nicht, für mich war er nie etwas anderes als der >Doktor<. Ich glaube, ich bleibe dabei.«

Er lächelte traurig. »Zu alt und verknöchert, um noch beim Vornamen genannt zu werden. Ja, das kommt davon, wenn man noch aus der vorgestrigen Generation stammt.«

»Sie sind nicht die Spur vorgestrig oder verknöchert«, entgegnete Pam rasch. »Es kommt nur daher, daß man einem Arzt besondere Achtung zollt.«

»Das war einmal. Ich fürchte, diese Aura des Besonderen verblaßt langsam.«

Pippa beteiligte sich nicht an der Unterhaltung, denn sie war mit den Vorbereitungen zum Abendbrot beschäftigt und erklärte den anderen, daß der Doktor zu einer Entbindung müsse und das Baby womöglich nicht warten würde, bis sie gegessen hätten. Und richtig. Der Anruf kam fünf Minuten später. Dr. Horton setzte die Tasse, aus der er gerade trinken wollte, wieder ab und ging ohne ein Wort der Klage seiner Pflicht nach.

»Die verblassende Aura«, zitierte Pam spöttisch. »In Rangimarie strahlt sie jedenfalls noch in voller Glorie.«

Ostern kam und ging in einer Flut von Besuchen und wildem Geschäftsandrang vorüber. Mit dem Geld, das sie einnahm, bestellte Pippa wieder neue Bücher. Dr. Horton, der sie beim Registrieren und Stempeln antraf, bemerkte kopfschüttelnd: »Das wird ja allmählich zur Manie. Bücher und nochmals Bücher. Ich glaube, Sie lesen nicht die Hälfte davon.«

»Natürlich nicht, aber ich habe meine Freude daran, sie in die Regale einzureihen und die Leute sagen zu hören, daß sie in der Stadt seit Monaten vergeblich versuchen, sie zu bekommen.«

»Spießbürgerstolz — oder, noch schlimmer, intellektueller Snobismus. Was bedeutet schon ein neues Buch?«

»Für einen Abonnenten alles. Und ich hungere ja nicht, um sie zu bezahlen. Seit Pam hier ist, leben wir in Saus und Braus.«

Denn Pam besaß eine verführerische Art zu sagen: »Weshalb soll ich keine Trauben kaufen? Wenn du so widerlich stolz bist und mir so bescheidene Vergnügen nicht gönnst, kann ich ja nach Hause fahren.«

Morgens und abends war die Luft jetzt schon merklich kühler, so daß sich die Gespräche der beiden Mädchen mehr und mehr um den herannahenden Winter und lodernde Kaminfeuer drehten. Sie begannen, auf Ausflügen Holz zu sammeln und in den ersten Pilzgerichten zu schwelgen. Beide gingen leidenschaftlich gern auf Entdeckungsreisen, und kamen auf ihren Beutezügen weit in der Gegend herum.

Eines Nachmittags erschien Mark nicht zur gewohnten Zeit. Pam tat es mit leichten Worten ab, aber Pippa vermutete, daß sie sich gestritten hatten. Na, vielleicht war es ganz gut so. Pam würde sowieso eines schönen Tages wieder abfahren, und Pippa wollte dann keinen verlassenen jungen Mann mit gebrochenem Herzen trösten müssen.

»Laß uns doch heute mal einen richtigen Ausflug unternehmen, der sich lohnt«, schlug Pam vor. »Wir packen deinen Primuskocher ein und machen irgendwo ein Picknick.«

Es war ein wundervoller Herbsttag, und sie kamen bis an die Stelle der Küste, wo Pippa damals, in der ersten Nacht, kampiert hatte. Sie füllten die große Kiste, die Freddy auf dem Gepäckträger von Pams Wagen befestigt hatte, im Nu mit dürren Ästen und sammelten ihre Körbe voll Pilze, die in Mengen an den Wiesenhängen wuchsen. Dann machten sie ausgiebig Rast, kochten, schwatzten, lasen, rauchten oder träumten ab und zu schweigend, während Mohr nach Karnickeln jagte. Es dämmerte beinah, als sie endlich wieder einstiegen, und Pam meinte: »Fahren wir noch ein Stück weiter. Wir haben massenhaft Zeit, bis es ganz dunkel wird.«

Kurz darauf erblickten sie ein Schild, das Pippas Aufmerksamkeit an jenem Novembernachmittag entgangen sein mußte, und dessen Aufschrift lautete: >Nach Warrenmede. Privatgrund. Zutritt streng verboten.< Pam las die Worte laut vor.

»>Zutritt streng verboten<, unglaublich«, rief sie entrüstet. »Ein recht ungehobelter Ton«, und ohne einen Moment zu zögern, steuerte sie um die Biegung. »Das ist eine glatte Herausforderung«, fügte sie noch hinzu. »Wir werden uns diesen Familienbesitz mal aus der Nähe betrachten.«

»Wir können doch nicht einfach eindringen. Mr. Warren schmeißt uns womöglich ‘raus, und der arme Douglas gerät dadurch in eine entsetzlich peinliche Situation... Bitte, kehre um!«

»Unmöglich. Ich sterbe vor Neugier. Das ist wahrscheinlich eine Sehenswürdigkeit. Nein, Pippa, ich halte nicht an. Wir fahren nur bis ans Haus, drehen um und kommen wieder zurück. Dann können sie annehmen, es sei irgend jemand, der sich im Weg geirrt hat. Ich muß mir das anschauen.«

Die Anfahrt war steil, aber als sie die Höhe endlich erreichten, bot sich ihnen, obwohl es bereits dämmerig war, ein großartiger Anblick. Im Vordergrund sanft abfallende Wiesenhänge, noch braun von der ausdörrenden Sommerhitze, aber dessenungeachtet fruchtbares Weideland, und darauf grasende Schafe und Kühe, die selbst auf die unerfahrenen Mädchen einen wohlgenährten und aufs beste gepflegten Eindruck machten.

»Donnerwetter«, staunte Pam anerkennend. »Jetzt verstehe ich, weshalb man Warrenmede immer als Musterbeispiel für den ganzen Norden hinstellt.«

In einem Landstrich, der zum größten Teil von kleinen Milchfarmern bewirtschaftet wurde und dessen einziger ausgedehnterer Grundbesitz die Schaffarm der Marvells war, wirkte dieses prächtige Anwesen beinah wie ein Anachronismus. Das gleiche Gefühl überkam den Beschauer beim Anblick des stattlichen Herrenhauses, das in einem herrlich angelegten Park stand. Es glich nicht den schablonenhaft schönen, von emporgekommenen Pionieren Neu-Seelands bevorzugten rechteckigen Kolonialbauten und sah gerade dadurch nach Gediegenheit und Reichtum aus.

»Zolldicke Teppiche. Antike Möbel. Ölgemälde«, taxierte Pam in schnippischen Ton. »Trotz alledem, mich lockt’s nicht, an dem imponierenden Portal vorzufahren Wir machen an der Parkmauer kehrt und ziehen uns bescheiden wieder zurück.«

Aber genau in diesem Moment geschah das völlig Unvorhergesehene.

Knapp zehn Meter vor der höchsten Stelle der Auffahrt bockte der sonst so zuverlässige Wagen plötzlich, gab ein paar knallende Geräusche von sich, stotterte, würgte und stand. Pam betätigte in ohnmächtiger Wut den Starterknopf, aber nichts rührte sich.

»Verdammt und zugenäht... Was zum Teufel ist jetzt los? Wahrscheinlich Dreck im Benzin... Sieht aus wie eine Panne. Wenn wir wenigstens dieses letzte Stück noch schafften, vielleicht würde er dann beim Abwärtsrollen wieder anspringen. Du könntest wohl nicht versuchen zu schieben?«

Wie aus der Pistole geschossen war Pippa draußen. Sie schielte ängstlich zum Haus hinüber, aber zum Glück wurde es bereits dunkel, und die dicken alten Bäume behinderten die Sicht. Sie mühte sich verzweifelt ab, doch ohne jeden Erfolg. Pam stieg ebenfalls aus und half, ließ aber die Tür offen, um sofort wieder zurückspringen zu können. Aus dem Fond ertönte Mohrs aufgeregtes Jaulen. Sonst war weit und breit kein Lebewesen zu sehen. Schließlich mußte sie die Hoffnung aufgeben, den Wagen, sei es auch nur das kurze Stück, bergauf zu schieben. Sie blickten sich ratlos an und brachen dann in ein etwas klägliches Lachen aus.

»Ausgerechnet hier muß das passieren. Mitten in der Höhle des Löwen. Tut mir schrecklich leid, Pippa. Ich wage es und gehe hinein.«

»Nein, laß mich, du bleibst beim Wagen, aber halte um Gottes willen Mohr fest. Wenn irgend jemand vorbeikommt, bitte ihn, mit anzupacken — und vergiß nicht zu hupen, dann renne ich gleich zurück.«