7

 

Wenige Tage nach Weihnachten erschien Mark mit einer jungen kleinen Ziege auf dem Arm. Sie war rabenschwarz, ohne ein einziges weißes Haar, hatte ein spiegelblankes Fell und einen putzig altklugen Ausdruck. Er trug sie feierlich in den Garten hinter dem Haus, machte sie mit Mohr bekannt, der schwer beleidigt auskniff und sich in Pippas Schlafzimmer verkroch, und band sie an einer Ecke des Schuppens fest.

»Oh, ist die süß!« rief Pippa zurück. »Und was frißt sie?«

»Eigentlich alles, vorzugsweise allerdings Schuhe und Bücher. Aber besonders wachsen, blühen und gedeihen wird sie von Gras und Unkraut, etwas trockenem Brot, hin und wieder mal einem Stückchen Wurst und auch gelegentlich einer Schüssel Milch, wenn Ihnen Ihre Verehrer unter den ansässigen Farmern welche mitbringen. Sie hat ihre Mutter schon vor längerer Zeit verloren und ein hartes, gefahrvolles Leben geführt, wird aber bald zahm werden — zu zahm, fürchte ich.«

»Ich finde ihr pfiffiges kleines Gesicht so köstlich und die spitzen Hörner. Wie ein richtiger Teufel sieht sie aus.«

»So. Na, darin haben Sie wohl mehr Erfahrung als ich. Aber sie wird jedenfalls einen drolligen Spielgefährten abgeben, nur gestatten sie ihr keine Freiheiten. Seien Sie so streng mit ihr wie mit vorwitzigen jungen Männern.«

»Das wird mir sehr schwerfallen. Ich danke Ihnen vielmals, Mark. Wie soll ich sie nennen?«

»Sie heißt Amanda«, erklärte er ernst, »und ich habe sie eigenhändig in dem ersten größeren Fluß, an dem wir vorbeikamen, getauft, so daß Sie sich damit keine Mühe mehr zu machen brauchen. Ihr Hund hat sich inzwischen an Sie gewöhnt, wie ich sehe.«

»Ja. Am ersten Weihnachtsfeiertag faßte er plötzlich Zutrauen. Ich freue mich natürlich sehr darüber. Jetzt binde ich ihn gar nicht mehr an, er läuft frei im Haus herum und schläft bei mir im Zimmer.«

»Beneidenswerter Hund. Ja, es geht nichts über Neufundländer. Was sagt er denn zu Ihren Abonnenten?«

»Ach, aus der Bibliothek muß ich ihn immer aussperren. Er hat so krasse Sympathien und Antipathien — meistens das letztere — und knurrt die Leute, die er nicht riechen kann, furchtbar an. Leider ist Freddy auch einer von denen.«

»Freddy? Klingt ja verdächtig intim. Wer ist Freddy?«

»Der Spediteur, der den Schuppen als Abstellraum benutzt.«

»So. Na, Mohr wird schon seine Gründe haben. Im allgemeinen trügt ihn seine Nase nicht.«

»Aber Freddy ist doch durch und durch harmlos. Wollen Sie tatsächlich ein Buch mitnehmen?«

Sie waren wieder in der Bibliothek angekommen und bummelten müßig zwischen den Regalen herum.

»Ich möchte gern, aber Sie müssen mir helfen. Ich weiß, daß Sie ein weiches Herz für die Alten und Schwachen haben, und ich brauche so händeringend Rat und Beistand — in bezug auf Bücher und auch in vielen anderen Dingen.«

Sie lachte hell auf. »Jetzt soll ich wohl wahnsinnig geschmeichelt sein und in schwesterlichem Mitleid dahinschmelzen? Freilich brauchen Sie guten Rat, aber Sie würden ihn bestimmt nicht annehmen, deshalb wäre es Zeitverschwendung. Also was für ein Buch?«

Er wollte gerade heftig protestieren, als aus der Küche eine Stimme ertönte.

»Pippa, wo sind Sie nur? Hier steht Ihr großes Hundevieh und scheint zu glauben, ich wollte was klauen. Ach, ist die kleine Ziege süß... O je, ich ahnte nicht, daß noch jemand da ist.«

Auf der Schwelle erschien Kitty, in einer Hand einen großen Topf mit Milch, in der anderen einen kleineren mit Sahne, und guckte in überaus reizvoller Verwirrung Mark an, der charmant auf sie herablächelte.

»Sieh da, unser Kitty-Kätzchen! Mit runden Kulleraugen und ganz furchtbar erschrocken beim Anblick eines fremden Mannes — als hätte sie meinen Wagen nicht draußen stehen sehen. Aber es kleidet Sie entzückend, das erstaunte Gesicht, das halbgeöffnete Mündchen — das Ganze macht sich sehr gut.«

Kitty versuchte zu schmollen, aber ihre Lachgrübchen behielten die Oberhand, und Pippa blickte ziemlich verdutzt über diesen neckenden Ton von einem zum anderen. Aha, die beiden kannten sich also auch. Kein Wunder bei Mark, sie hätte sich an ihren fünf Fingern abzählen können, daß kein hübsches Mädchen in der ganzen Gegend seiner Aufmerksamkeit entging. Schon hatte er sie mit geradezu ungalanter Eilfertigkeit stehenlassen und Kitty die Milchtöpfe abgenommen.

»Die gehören in Pippas Küche, da wollen wir sie gleich hinbringen. Schnell, Kitty. Ich sehe einen ganzen Schwarm von Strandsirenen durchs Gartentor marschieren. Wir empfehlen uns und versöhnen unsere gestrenge Bibliothekarin nachher mit einem frischgebrauten, starken Kaffee.«

Kitty sträubte sich scheinheilig, bat Pippa, sich ja zu beeilen, und ging nur allzu bereitwillig mit. Pippa sah ihnen nach, teils belustigt über dieses prompte Einverständnis, teils aber auch leise beunruhigt. Mark war der geborene Herzensbrecher, aber hatte Kitty Erfahrung genug, ihn zu durchschauen? Und wo blieb Alec? Sie wollte keine Szenen in ihrer Bibliothek, und das Schlimme war, daß weder Kitty noch Alec den geringsten Sinn für Humor hatten, Mark dagegen ein tüchtige Portion zuviel. Sie fertigte die Badenixen in aller Eile ab, indem sie ihnen ein paar Romane heraussuchte, mit denen sie beglückt von dannen zogen, und machte, daß sie in die Küche kam.

Das Bild, das sich ihr bot, entsprach genau ihren Erwartungen. Mark in lässiger Eleganz gegen ihren beängstigend zerbrechlichen Küchentisch gelehnt, die langen Beine nonchalant beinah durch den ganzen Raum gestreckt, und Kitty ganz in der Rolle des ahnungslosen Engels, mit kokett klappernden Wimpern, verführerischen Grübchen und staunenden Unschuldsaugen. Pippa schoß Mark einen grimmigen Blick zu und merkte beschämt, daß sie große Lust hatte, Kitty an die Gurgel zu fahren.

»Wie ich sehe, brodelt der Kaffee lustig und vergnügt«, sagte sie spitz, »und ich hasse gekochten Kaffee. Mark, stehen Sie von dem Tisch auf, er sackt gleich unter Ihnen zusammen. Danke Ihnen tausendmal für die Milch, Kitty, und wenn Sie sich etwas zur Seite bemühen würden, könnte ich vielleicht auch die Tassen herausholen.«

Kitty starrte sie betroffen an, aber Mark lächelte nur anzüglich.

»Auftritt des Anstandswauwaus, moralisch tief entrüstet... Erheben Sie sich, meine Süße«, und mit beiden Händen Kitty vom Stuhl hochziehend, feixte er Pippa herausfordernd über die Schulter an, als wollte er sagen: >Na, was halten Sie davon?<

Sie hoffte, daß ihm ihr hochmütiges Achselzucken als Antwort genügte, aber er fuhr unbeeindruckt zu Kitty gewendet fort: »Kommen Sie, wir schauen uns mal Amanda an«, und Pippa hörte vom Garten her seine Stimme: »Weshalb haben Sie mich neulich bei unserer Tanzverabredung so schnöde sitzenlassen? Ich kann mich noch heute nicht von dem Schlag erholen. Erst versprechen Sie fest zu kommen, ich rase, was ich kann, die vielen Kilometer hin, und was finde ich? Keine Kitty weit und breit, nur ein Rudel draller Dorfschönheiten.«

So, also Mark war der »Schweinehund« gewesen. Pippa wurde immer unruhiger.

»Es war wirklich nicht meine Schuld. Alec konnte wegen einer Kuh nicht weg.«

Sie kamen wieder in die Küche zurückgeschlendert, und Mark erwiderte leichthin: »Typisch. Pippa, lassen Sie sich rechtzeitig warnen und heiraten Sie keinen Milchfarmer, dem seine Kühe über alles gehen, selbst über die bezauberndsten Frauen. Lieber einen Schaffarmer. Der hat wenigstens Herz.«

»Aber anscheinend kein Hirn«, versetzte Pippa schnippisch und mußte unwillkürlich lächeln.

»Wer möchte schon mit einem Hirn verheiratet sein? Frauen wünschen sich jemanden, der ihnen die Hand küßt und beteuert, daß er sie anbetet, und Männer wollen...«

»...ein Mädchen, das dumm genug ist, ihnen zu glauben«, ergänzte sie, aber schon schaltete sich Kitty, ängstlich darauf bedacht, sich nicht aus ihrer Hauptrolle verdrängen zu lassen, wieder ein und sagte: »Ja, ich finde auch, vor klugen Leuten muß man sich richtig fürchten, besonders wenn sie nicht reden, wie zum Beispiel Doktor Horton. Bei dem hat man immer das Gefühl, er durchbohrt einen förmlich mit den Augen und weiß genau, was man denkt.«

»Der Himmel steh dem armen Doktor bei, wenn er riskieren sollte, mit seinem Blick Ihre hübsche Stirn zu durchbohren, mein Herzchen«, rief Mark lachend. »Das könnte ihm nur vollends die Sprache verschlagen. Ganz im Gegensatz zu mir, ich liebe Ihre komischen, krausen Ideen, Ihre niedlichen Grübchen und...«

»Und was noch? Ist die Liste bald zu Ende?«

Natürlich, das war Alec! Genau wie Pippa es vorausgeahnt hatte. Wutentbrannt und mit tierischem Ernst platze er in diese Salonkomödie. Sie sagte strahlend: »Oh, hallo, Alec. Gerade rechtzeitig zum Kaffee. Wir wollen drüben im Wohnzimmer trinken. Vielen Dank übrigens für die Milchspende.«

»Nicht der Rede wert. Nein, ich möchte nicht warten, danke. Komm nach Hause, Kitty.«

Er benahm sich wirklich wie ein Elefant im Porzellanladen. Kein Wunder, daß Kitty rot wurde, aber unverschämt war es von Mark, zu lachen und zu frotzeln: »Schnell, schnell — immer brav mit Herrchen gehen, wie das ein artiges Kätzchen tut.«

»Ich will aber jetzt noch nicht. Ich war gekommen, um Pippa zu sprechen.«

»So. Na, das dauert mir zu lange. Tut mir leid, Pippa, aber ich bin in Eile. Wenn du jetzt nicht mitkommst, Kitty, wie gedenkst du dann später nach Hause zu kommen?«

»Oh, ich finde schon etwas«, der kokette Blick, den sie Mark zuwarf, war nicht mißzuverstehen, und dieser ging auch sofort darauf ein.

»Selbstverständlich fahre ich Sie nach Hause. Ich bin nie in Eile, wenn ich Gelegenheit habe, mich mit zwei so charmanten Damen zu unterhalten.«

Pippa versuchte abzubiegen. »Also, ich würde mich auch sehr gern unterhalten, aber ich habe noch eine Menge zu tun. Wir wollen nur unseren Kaffee trinken, und dann muß ich Kitty leider fortschicken. Jetzt setzen Sie sich erstmal friedlich hin, Alec. Die fünf Minuten für eine Tasse Kaffee werden Sie bestimmt noch erübrigen können, und Ihre eigene gute Sahne gibt’s dazu. Entschuldigen Sie, Kitty, daß ich Sie so kurzerhand abschiebe, aber ich möchte nicht...«

»Möchte nicht einem gefährlichen Schürzenjäger Vorschub leisten«, vollendete Mark spöttisch. »Das meint doch unser gestrenger, kleiner Zensor, stimmt’s, Pippa?«

Das war zuviel. Pippa merkte, wie ihr die Situation über den Kopf wuchs. Mit einem dankbaren Stoßseufzer vernahm sie in diesem Moment einen Schritt in der Bibliothek, und eine Stimme, die ihr unbekannt war, rief: »Heute was Neues auf Lager, Miss?«

Sie öffnete die Tür und stand Dr. Horton gegenüber, der sie freundlich lächelnd begrüßte.

»Das ist doch wohl die übliche Art, mit einer Bibliothekarin ins Gespräch zu kommen, soviel ich davon verstehe«, meinte er. »Hallo, allerseits. Nanu, Sie haben ja Gesellschaft und ah! — Kaffee rieche ich auch.«

Er roch mehr als nur Kaffee, vermutete Pippa. Seine gescheiten Augen machten ganz den Eindruck, als könnten sie auf einen Blick alles erfassen. Aber er fuhr ungezwungen fort: »Fällt auch eine Tasse für einen schwergeplagten Medizinmann ab? Oh, und sogar Sahne. Das wird eine beliebte Besuchsstunde werden, Miss Knox, wenn Sie so üppige Gastereien veranstalten.«

Er plauderte leicht mit ihr und Mark, aber sie fühlte genau, daß er den beiden anderen nur Zeit zum Abkühlen geben wollte. Mark war natürlich völlig gelassen, ja, er amüsierte sich sogar noch. Pippa hatte keine schlechte Wut auf ihn. Wenn er sich einbildete, ihr Haus für seine Flirts benutzen zu können, dann wollte sie ihm schon heimleuchten. Ganz abgesehen davon, daß es gewissenlos war, seine Tricks an einem einfältigen Ding wie Kitty auszuprobieren.

Dr. Horton war noch nie bei ihr gewesen. Er zeigte sich sehr interessiert und äußerte sich höchst anerkennend, machte einen Abstecher in den Garten, um Amanda zu bewundern und schloß auf Anhieb mit Mohr Freundschaft, der entgegen seiner üblichen gelangweilten Zugeknöpftheit vor Fremden erstaunlicherweise so etwas wie Sympathie bewies.

»Wie komisch, so benimmt er sich sonst nie zu Fremden. Mit welchen Zauberkünsten haben Sie ihn denn behext?«

»Mit nichts als daß ich Hunde gern mag.«

»Ist es nicht ein Glück für mich, ein so schönes Tier zu besitzen?«

»Besitzen? Ich glaube kaum, daß Sie das behaupten können. Sie werden bald das Gegenteil merken, nämlich daß er Sie besitzt. Die Erfahrung habe ich bei Hunden stets gemacht, aber es lohnt sich.«

Durch seine zwanglose Art hatte sich die gewitterschwüle Atmosphäre verzogen. Er gab sich so selbstverständlich und natürlich, daß der Streit dagegen nicht wirkte und abklang. Offenbar kannte er sie alle gut, und Pippa begriff nicht, weshalb Kitty ihn zum Fürchten fand. Ihr kam er klug und humorvoll vor, vielleicht ein wenig ernst und solide, doch entschieden ein Mensch, der vor James’ Augen Gnaden gefunden hätte.

Sie tranken Kaffee, sprachen über Weihnachten und die Badegäste, und bald darauf verabschiedeten sich Alec und Kitty, wenn auch nicht gänzlich ausgesöhnt, so wahrten sie doch zumindest den äußeren Schein, und mehr konnte man im Augenblick nicht verlangen, fand Pippa.

»Moore ist ein prächtiger Kerl«, bemerkte der Doktor in seiner bedächtigen Art. »Ich kenne ihn nun schon, seit er hierherkam. Ein feiner Charakter.«

Sollte das eine Spitze sein? Mark griff sie sofort auf und meinte träge herablassend: »O ja, durch und durch vertrauenswürdig. Bieder und enorm fleißig, ein typischer Milchfarmer.«

Pippa verteidigte ihn hitzig. »Weshalb lästern Sie immer über Milchfarmer? Aus welchem Grund kommt Ihr Schafzüchter euch so himmelhoch überlegen vor? Alec ist ein Prachtmensch, auch wenn er nicht Ihren albernen Sinn für Humor hat.«

»Den Sie genauso besitzen, und das wissen Sie sehr gut, trotz Ihres allerliebsten, spröden Getues.«

»Da irren Sie sich aber gewaltig. Ich finde es absolut nicht komisch, bloß aus Jux Zwietracht und Unruhe zu stiften. Und für solche hinterwäldlerischen Don Juans wie Sie habe ich schon gar nichts übrig. Aufgeblasen und nichts dahinter.«

»Au weh, das saß! Ein zerschmetternder Hieb... Wir können aber ganz schön in die Luft gehen. Das spuckt ja förmlich Gift und Galle.«

Etwas in seinem Ton und dem belustigten Blick, mit dem Dr. Horton sie ansah, brachten Pippa wieder zur Besinnung. Sie lächelte und sagte: »Der arme Doktor Horton. Kommt zu einer gemütlichen Tasse Kaffee, und wir benehmen uns wie eine aufgescheuchte Wahlversammlung. Und außerdem bin ich ein undankbares Geschöpf, Mark. Bitte, glauben Sie mir, daß ich mich schrecklich über Amanda gefreut habe.«

»Na, dann ist’s ja gut. Ich hatte schon Angst, Sie würden den guten alten Spruch von den Griechen mit den trügerischen Geschenken wieder aufwärmen. Ja, für mich wird’s leider Zeit, zu gehen. Vergessen Sie nicht, daß Sie und Jane uns draußen besuchen wollten. Übrigens, Peg sagte, sie würde morgen auf einen Sprung vorbeikommen.«

Als er fort war, stand auch Dr. Horton auf. Sie hatte ihn im Verdacht, daß er es, korrekt wie er war, vielleicht unschicklich fand, sich allein mit einer Dame in deren Wohnung aufzuhalten, und amüsierte sich im stillen. Er benahm sich stets so gesetzt und würdig, daß man es ihm ohne weiteres zutrauen konnte, genau wie James. Apropos James, dabei fiel ihr etwas ein. »Was ich Sie fragen wollte, Doktor, mein Vetter James Maclean, der sich übrigens nach wie vor als mein Beschützer und Vormund betrachtet, kam neulich, um mir Mohr zu bringen, und er glaubt, Sie vom Krieg her zu kennen. Erinnern Sie sich an ihn?«

»War er Major? Ein langer Kerl mit buschigen Augenbrauen?«

»Stimmt, das ist James. Kolossal ernst und gewichtig und hat immer an allem was auszusetzen.«

Er schüttelte den Kopf. »Aber nicht der gute alte Mac, dann müßte er sich gewaltig geändert haben. Es war ziemlich ruhig, aber ein Unikum und in der Offiziersmesse immer der Mittelpunkt.«

»Nein, das kann unmöglich James sein. Er war noch nie Mittelpunkt von irgend etwas.«

Beim Vergleich von Daten und Militäreinheiten stellte sich indessen heraus, daß es damit seine Richtigkeit hatte, und Pippa stieß einen komischen Seufzer aus. »Liebe Güte, da hat er sich aber tatsächlich schwer verändert. Jetzt ist er ein vertrockneter, alter Schulmeister und hält mir dauernd Predigten.«

»Aber weshalb denn?«

»Hauptsächlich aus Gewohnheit, aber vor allen Dingen wollte er nicht, daß ich mit Mr. Murdochs Geld eine Leihbücherei aufmache. Redete immerzu von >Sicherheit< und >auf weite Sicht< und >investieren<. Können Sie sich so etwas Langweiliges vorstellen?«

Und ehe sie sich’s versah, war sie schon mitten im Erzählen, berichtete ihm von ihrer Erbschaft und wiederholte sogar den Wortlaut des Testamentes. Er blickte sie nachdenklich an.

»Ich habe nur noch eine sehr nebelhafte Erinnerung an Brownings Pippa, aber war sie nicht das Mädchen, das allein durch sein flüchtiges Vorübergehen das Leben anderer beeinflußte?«

Und schon begann Pippa mit jenem bedauerlichen Mangel an Zurückhaltung, den James so verurteilte, ihm zutraulich zu beichten, wie sehr sie sich gewünscht hatte, dasselbe zu tun, und er lachte sie beileibe nicht aus, sondern sagte ganz ernst: »Das werden Sie möglicherweise auch. Die meisten von uns tun es, bewußt oder unbewußt. Jedenfalls lohnt es sich, danach zu streben.«

»Und James fand es einfach albern. Er behauptete, ich würde mich in die größten Unannehmlichkeiten bringen, und er hätte keine Zeit, mich dann immer wieder aus der Patsche zu ziehen.«

Horton lächelte. »Ich glaube nicht, daß er das wirklich so gemeint hat, und ich würde mich dadurch auch nicht beirren lassen an Ihrer Stelle.«

Plötzlich überlegte sie, ob das alles nicht reichlich eingebildet und selbstherrlich geklungen hatte, aber er schüttelte nur den Kopf, als sie ihn fragte. »Ich weiß gar nicht, warum ich Ihnen das alles erzähle. Eigentlich sollte kein Mensch etwas davon erfahren.«

»Ärzte sind es gewohnt, Beichten zu hören, besonders wenn kein ständiger Pfarrer am Ort ist«, antwortete er selbstverständlich. »Und die meisten sind weitaus törichter als Ihre.« Da war sie gleich wieder beruhigt.

Nachdem er mit zwei ihrer neuesten und schönsten Bücher bewaffnet gegangen war, kam sie wieder einmal zu der Feststellung, daß er doch sehr nett sei. So müßte James sein. Man konnte ihm das Herz ausschütten und er gab einem nie das Gefühl, daß man dumm und kindisch war. Ihr Leben hätte in den letzten acht Jahren wahrscheinlich anders ausgesehen, wenn manchmal ein Mensch dagewesen wäre, an den sie sich hätte wenden können. Sie begann über Dr. Horton nachzudenken. Weshalb er wohl nicht verheiratet war? Jane würde doch eigentlich großartig zu ihm passen. Sie mußte versuchen, die beiden zusammenzubringen.

Obgleich er nicht mehr jung und auch keineswegs aufregend war, wie Mark zum Beispiel, würde er doch ein wunderbarer Ehemann sein, aufmerksam und rücksichtsvoll. Und Ärzte sollten sowieso Schwestern heiraten, weil die doch auch etwas von Medizin verstanden. Sie mußte in dieser Beziehung entschieden etwas unternehmen.

Als sie in den Garten hinausging, sah sie die kleine Ziege heftig an ihrem Strick zerren. Bei Pippas Anblick meckerte sie ängstlich, suchte blindlings zu entkommen, hopste behende auf Mohrs Hundehütte zu und schrie ihn um Hilfe an. Es klang weinerlich klagend wie bei einem Kind, aber Mohr machte verdrossen kehrt und drehte ihr mit einer Miene gekränkter Würde den Rücken. Pippa tröstete ihn.

»Ärgert sie dich? Dann komm mit mir ins Haus. Sie soll ja kein Schoßtier sein, weißt du, sondern nur eine besonders praktische Art Rasenmäher.« Doch als sie das sagte, ahnte sie noch nichts von den verteufelten Schmeichelkünsten, deren eine kleine Ziege fähig ist.

Am nächsten Morgen kam Margaret Marvell, um sie zu besuchen, und brachte einen riesigen Kuchen mit. »Nein, bitte seien Sie vernünftig. Sie können doch nicht den halben Distrikt füttern. Wir kommen liebend gern, aber Sie müssen uns erlauben, daß wir etwas dazu beitragen, sonst sind wir einfach gezwungen, in eine von diesen scheußlichen Milchstuben zu gehen.«

»Na schön. Wenn das die Bedingung ist, dann will ich in Zukunft eine großzügige Abnehmerin sein.«

Später, nachdem die Bibliothek geschlossen war, tranken sie zusammen Tee.

»Ich hoffe, die kleine Ziege wird Mohr nicht vor Eifersucht zum Wahnsinn treiben«, sagte Margaret.

»O nein, ich habe ihm schon erklärt, daß sie nur ein nützliches Haustier sein soll. Ist er nicht ungeheuer brav, wie er sich an mein Verbot hält und während der Geschäftsstunden nie in die Bibliothek kommt? Der Mann hat ihn fabelhaft dressiert.«

»Ich bin nur froh, daß Sie ihn haben. Waren Sie vorher nie ängstlich?«

»Nein, ich hatte viel zuviel zu tun und bin das Alleinsein gewohnt. Außerdem kam Pat O’Brien gleich am ersten Tag aus seiner Billarddiele herüber und versicherte, wenn mir >greislich< wäre, brauchte ich >bloß Juhu zu schreien<, und er würde fixer da sein, als man Schaum vom Bierglas runterpusten könnte.«

»Na wenn schon, da würde ich mich an Ihrer Stelle lieber auf Mohr verlassen. Mark erzählte, gestern hätten Sie hier einen regelrechten Kaffeeklatsch veranstaltet mit den Moores und dem Doktor. Vermutlich hat er sich wieder unmöglich aufgeführt wie üblich. Er sagt, Sie hätten ihm den Standpunkt klargemacht.«

»Das brächte kein Mensch fertig, aber ich war böse auf ihn, weil er mit Kitty flirtete. Sie ist sehr jung, kann außerdem nicht bis drei zählen, und Alec regt sich gräßlich auf. Ziemlich unangenehm alles.«

»Arme Pippa. Ja, das kommt davon, wenn man das Vertrauen des ganzen Dorfes genießt, und das scheint doch offenbar Ihr Schicksal zu sein. Aber weshalb machen Sie sich über andere Sorgen? Schaffen Sie sich einen Panzer an wie ich. Mark und ich gehen schon seit Jahren jeder seinen Weg für sich, schon seit er aus dem Krieg zurück ist — er kam gleich von der Schule zur Luftwaffe, wissen Sie. Wahrscheinlich sollte ich als ältere Schwester beständig auf ihn aufpassen, aber das ist mir einfach zu lästig. Egoistisch von mir, nicht wahr, aber bequem. Glauben Sie mir, es zahlt sich nicht aus, sich allzuviel um andere zu kümmern.«

Sie sagte das in einem etwas müden, resignierten Ton. Fast bitter, fand Pippa. Aber weswegen sollte Margaret Marvell bitter sein? Sie entbehrte doch wahrhaftig nichts. Nagte ein geheimer Kummer an ihr? Womöglich gab es hier ebenfalls ein Rätsel... Es war zu befürchten, daß Margarets Redewendung >Vertrauen des ganzen Dorfes< zusammen mit dem mitfühlenden Verständnis des Doktors Pippa zu Kopf gestiegen war.

Natürlich kam die Sprache auch auf Jane Harding.

»Offen gestanden wäre ich nicht überrascht gewesen, wenn Mark Feuer gefangen hätte«, meinte Pippa. »Sie ist ja hinreißend schön, und jeder Mann muß sich doch vom Fleck weg in sie verlieben, nicht wahr?« Das war ein kühn ausgestreckter Fühler, um Dr. Hortons innere Einstellung zu ergründen.

»Ich glaube, das haben auch viele getan, aber Jane gehört zu denen, die Treue bewahren.«

»Hat sie jemanden geliebt, der gestorben ist?«

»Das nicht, aber sie kann — oder will — den Mann, den sie liebt, nicht heiraten, und für andere hat sie nichts übrig. Manche Frauen sind halt so, arme Närrinnen.«

Wieder dieser enttäuschte Ton. Pippa antwortete hoffnungsvoll: »Aber da kann man doch sicher irgend etwas tun? Ich meine, vorausgesetzt, daß er sie mag.«

»Er mag sie sogar sehr gern, trotzdem kann man nichts dagegen tun, es sei denn, jemand erklärte sich bereit, einen Mord zu begehen.«

Sie lachte, als sie das sagte, aber Pippa hatte das Gefühl, als sei es nicht nur scherzhaft gemeint gewesen. Mord? Sie brannte darauf, mehr zu erfahren, zähmte ihre Neugier jedoch aus Rücksicht auf Jane. Vielleicht würde sie eines Tages selbst alles erzählen, und bis dahin wollte sie warten.

Aber als sie am Abend mit Mohr ihren gewohnten Spaziergang machte, kehrten ihre Gedanken wieder zu Jane Hardings Geheimnis zurück. Wer in diesem >Friedlichen Paradies< könnte verdienen, ermordet zu werden? Es gab nur zwei Personen, die sie nicht leiden mochte, Sam West und Nelson Warren. West war ein widerliches Ekel, aber sicherlich nicht bedeutend genug, daß man sich seinetwegen in Unkosten stürzte. Nelson Warren? Sie entsann sich wieder des harten Ausdrucks in Janes Gesicht, als sie von ihm sprach. Ja, wahrscheinlich spielte er hierbei die Rolle des schurkischen Bösewichtes. Aber leider, dachte Pippa mit Bedauern, war sie Mr. Warren gegenüber ziemlich machtlos, sie konnte sich nicht vorstellen, wie er sich ihrem sanften Einfluß beugen würde. Ihre Abneigung schien durchaus auf Gegenseitigkeit zu beruhen.

Sie rief Mohr und wendete sich heimwärts. Als sie durch die hintere Gartenpforte kamen, drang, wie des öfteren in letzter Zeit, aus dem Schuppen schwaches, abgeblendetes Licht, bei dessen Anblick Mohr drohend zu knurren anfing. »Sei still, Mohr. Was hast du nur immer gegen den armen Freddy?« Aber Mohr hörte nicht auf zu knurren, und jetzt antwortete ihm ein helles, greinendes Wimmern. Pippa knipste ihre Taschenlampe an und sah zu ihrem Ergötzen, daß Amanda von der Hundehütte Besitz ergriffen hatte. Pippa klopfte Mohr beruhigend den Rücken und ermahnte ihn, nicht so egoistisch zu sein. »Du weißt doch, du gehst sowieso nur hinein, wenn du schmollen willst. Also gönne sie ihr. Mein Schlafzimmer ist ja auch viel gemütlicher.«

In der Tür blieb Mohr noch einmal zögernd stehen, glotzte hinaus und brummte leise, ob wegen Freddy oder der kleinen Ziege, wußte Pippa nicht. Dann warf er sich quer vor die Schwelle ihres Schlafzimmers, bereit, jedem Feind an die Kehle zu springen. Pippa lachte.

»Du bist ein mustergültiger Leibwächter, Mohr, aber es droht wirklich keine Gefahr. Ich bin nicht so schön wie Jane oder so hübsch wie Margaret, nicht einmal wie Kitty. Mich wird kein Mann belästigen.«

Der Gedanke hatte etwas Trostloses, aber Mohr stand auf, legte seinen Kopf auf ihr Knie und versicherte ihr, daß sie für ihn das vollendetste Geschöpf der Welt sei, und Pippa war getröstet. Schließlich hatte sie sich vorgenommen, auf das Leben anderer einzuwirken; daß in ihrem eigenen nichts geschah, durfte sie nicht kümmern.