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I

ch hatte recht. Jo-Jos Po ist klatschnass. Sie liegt nackt auf dem weichen Teppich in dem Zimmer, das ich für Sarahs Baby eingerichtet habe. Wie eine kleine rosige Krabbe sieht sie aus.

Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, was mit Sarah ist. Sie hat mir doch versprochen, vorbeizukommen und mir ihr Kind zu zeigen! Aber das ist jetzt auch egal. Jo-Jo macht gerade ein Pfützchen auf den Teppich. Ich hebe sie hoch und gehe mit ihr ins Bad. Eine Hand habe ich unter ihren schrumpeligen Po gelegt, mit der anderen stütze ich ihren schwachen Rücken. So habe ich Natasha auch immer gehalten.

Ich drehe den Wasserhahn auf, gieße ein wenig Schaumbad in die Wanne und warte, bis genug Wasser eingelaufen ist.

Kaum halte ich sie ins Wasser, fängt Jo-Jo an zu schreien. Offensichtlich ist sie es nicht gewöhnt, gewaschen zu werden. Ich knie mich auf den Boden, beuge mich über den Wannenrand und lasse Wasser über ihr dickes Bäuchlein laufen. Dabei stütze ich ihren Kopf mit der anderen Hand. Mit einem Waschlappen rubbele ich an den Schmutzrändern an ihrem Hals herum.

Ihre Mutter hat sich nicht besonders gut um sie gekümmert; deshalb plagt mich auch kein schlechtes Gewissen, dass ich ihr Jo-Jo weggenommen habe. Diese Frau hat noch vier andere Kinder, die wahrscheinlich genauso schmutzig sind. Bestimmt ist sie froh, dass ich ihr eins abgenommen habe. Jetzt muss sie eins weniger verhauen.

Jo-Jo kreischt und brüllt, dass ihre kleine belegte Zunge nur so zittert. Ihr Geschrei wirbelt durch meinen Kopf und bringt Erinnerungen zurück. Albträume.

Nach dem Bad hülle ich sie in ein warmes Handtuch und drücke sie an meine Brust. Ich tanze mit ihr durch die Gegend, bis sie zu schreien aufhört. Dann bringe ich sie in das Zimmer, das jetzt ihres ist. Dort wickle ich sie und ziehe ihr einen von den Strampelanzügen an, die ich für Sarahs Baby gekauft habe. Der Strampler ist ein klein wenig zu kurz, weil er für ein Neugeborenes gedacht ist. Damit Jo-Jo die Zehen nicht krümmen muss, trenne ich den Saum an den Füßen auf.

Sie schreit schon wieder. Vermutlich hat sie Hunger; also lege ich sie in den Weidenkorb und schaue in der Küche nach, was ich ihr geben könnte. Der Keks, den ich ausgespuckt habe, liegt noch auf dem Fußboden und irgendetwas riecht schlecht. Wahrscheinlich der Mülleimer. Im Kühlschrank ist noch ein bisschen fettarme Milch, die gestern abgelaufen ist. Das muss im Augenblick reichen, bis ich richtige Babynahrung kaufen kann. Weil ich keine Nuckelflasche habe, schütte ich ein wenig Milch in eine Schüssel und stelle sie kurz in die Mikrowelle. Dann nehme ich einen Löffel und gehe mit der Milch in Jo-Jos Zimmer. Sie schreit immer noch.

Ich setze sie auf meinen Schoß und bette sie in die Armbeuge. Mit dem Löffel schöpfe ich ein winziges bisschen Milch und streiche ihr damit über die Lippen. Sie verstummt für eine Sekunde, dann schlägt sie mir den Löffel aus der Hand. Die Milch spritzt auf ihren sauberen Strampler.

»Ach, Natasha!«

Schweigend, mit großen, feuchten Augen schaut mich die Kleine an. Sie lächelt zahnlos und quietscht. Ich greife nach einer flauschigen Stoffente und drücke sie gegen ihre Handfläche. Sie hält das Spielzeug für einen Augenblick fest, lässt es aber gleich wieder fallen und schreit los. Ich versuche es mit einem weiteren Löffel Milch – mit demselben Ergebnis. Nachdem ich mich zehn Minuten lang abgemüht habe, hat das Baby noch keinen einzigen Tropfen getrunken. Dafür muss ich sie umziehen, weil ihr Strampler über und über bekleckert ist. Und die ganze Zeit über brüllt sie ununterbrochen.

»Halt die Klappe!«, schreie ich und schlage mir gleich darauf die Hand vor den Mund. Das war wirklich nicht nett von mir. »Tut mir leid. Es tut mir ja so leid!« Ich presse ihr Gesicht gegen meine Schulter und dämpfe so ihr Geschrei. »Gehen wir in den Garten. Die frische Luft und die Sonne werden dir guttun.«

Das hat Sheila immer gesagt. Frische Luft ist gut für Babys. Ich grübele über die Ratschläge nach, die sie mir während meiner Schwangerschaft und nach Natashas Geburt gegeben hat. Ich wünschte, ich hätte sie befolgt. Ich fühle mich nicht in erster Linie schuldig, weil ich mein Baby verloren habe, sondern wegen der vielen Kleinigkeiten, die ich hätte besser machen können. Aber das ist alles nicht mehr schlimm, jetzt, wo ich ein neues Baby habe. Ich nehme Jo-Jo auf den Arm und gehe mit ihr in den Garten.

Das Gras müsste dringend gemäht werden; es ist schon kniehoch. Blumen und Sträucher gibt es nicht. Die sind nicht so mein Ding. Am Ende des Gartens steht ein knorriger alter Apfelbaum, dessen Äpfel ich aber nie esse. Sie sind nämlich sauer und voller schorfiger Stellen und haben jede Menge Maden. Mein Garten ist nur so breit wie mein Haus, also knapp vier Meter, dafür aber fast dreißig Meter lang. Rechts und links bildet ein Drahtzaun die Grenze zu den gepflegten Gärten meiner Nachbarn.

»Eines Tages werde ich mich aufraffen, Tash. Wir quengeln einfach so lange, bis Daddy den Rasenmäher herausholt, was?« Ich kitzle ihr die Wangen, und zum ersten Mal lacht sie. Wegen der Sonne hat sie die Augen zu Schlitzen zusammengekniffen.

Ich streife durch das hohe Gras, wobei ich einen großen Bogen um die Betonplatte mache, die auf dem alten Brunnen liegt, und setze mich in den Schatten unter den Apfelbaum.

Das Baby liegt auf meinen gekreuzten Beinen, schaut zu mir hoch und kaut auf seinem Fäustchen. Zäher, klarer Speichel tropft ihm vom Kinn. Ich wische ihn mit einem Zipfel meines langen Rocks ab.

Die Sonne scheint mir warm auf den Rücken. Mein Nacken ist noch immer ganz steif vom Schlafen auf dem Fußboden, da hilft es auch nichts, dass ich die verspannten Muskeln durchknete. Ich blicke durch den langgestreckten Garten zu meinem Haus und beobachte lächelnd, wie die hellgelben Schlafzimmergardinen in der leichten Brise wehen.

Doch der Friede währt nicht lange, denn schon fängt das Baby wieder an zu schreien. Es dreht und windet sich auf meinen Beinen, bis es ins Gras plumpst. Daraufhin beginnt es noch lauter zu brüllen und ich hebe es hoch und gehe mit ihm zurück ins Haus.

»Ich glaube, du brauchst ein Schläfchen, Miss Natasha.« Ich lege sie oben in den Babykorb und knalle die Tür hinter mir zu.

Sie schreit und schreit, und ich sinke auf dem Treppenabsatz zusammen, den Rücken gegen die Wand. Meine Hände und Beine zittern, weil ich endlich mein Baby wiederhabe.