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E

s schneit. Nur noch vier Tage bis Weihnachten. Vielleicht ist das ja Jesus, da in meinem Leib. Ich werde ihn Noel nennen. Ich drehe mich auf die Seite, weil mich das Pulsieren meiner Aorta stört, wenn das Baby darauf drückt. Das habe ich in Biologie gelernt. Aorta. Die Hauptschlagader, die das sauerstoffreiche Blut vom Herzen wegtransportiert. Als wir im Unterricht die Fortpflanzung durchgenommen haben, habe ich bestimmt gefehlt. Und jetzt bin ich schwanger. Heißt das nun, dass ich gut oder schlecht in Sexualkunde bin? Das Baby tritt. Ich ziehe meinen Pullover hoch und sehe, wie kleine Wellen über die straff gespannte, fast durchsichtige Haut an meinem Bauch laufen. Ich liebe das Baby.

Der Schnee sammelt sich auf dem Fenstersims. Draußen ist es dunkel. Ich stehe jetzt am Fenster, die Ellbogen auf die Fensterbank gestützt, die Nase dicht an der Scheibe, und folge mit den Augen wie hypnotisiert den fallenden Schneeflocken. Dem Baby ist bestimmt schwindlig, weil ich zu schnell aufgestanden bin. Es versetzt mir ein paar schmerzhafte Boxhiebe.

Da klopft es an meine Tür. Zweimal. Ich warte, bis ich sicher sein kann, dass sie wieder weg ist. Oder er. Ach ja, es ist ja Freitag, Bridgeabend. Sie ist also nicht zu Hause. Ich öffne die Tür und sehe das Tablett auf dem Treppenabsatz. Schon wieder Kotelett und dazu Kartoffelbrei und Möhren und ein winziges bisschen Sauce, so als hätte sie für mich den Topf ausgekratzt.

»Essen, Noel.« Probeweise sage ich seinen Namen. Ich hole das Tablett herein, setze mich aufs Bett und esse das Kotelett. Das ist etwas schwierig, weil auf meinem Schoß kein Platz für das Tablett ist. Also stelle ich es aufs Bett und beuge mich beim Essen darüber. Ich versuche, keinen Fleck auf meinen Pullover zu machen, aber natürlich passiert es doch. Ich kleckere Sauce auf Noel, und als ich sie abwische, tritt er mich wieder.

Seit fast drei Monaten bin ich in diesem Zimmer. Sie haben mir netterweise einen Fernseher hineingestellt, und dann gibt es ja auch noch meine Bücher. Einmal in der Woche bringt Mutter mir Blumen, gewöhnlich am Freitag, und wenn ich Glück habe und brav bin, darf ich eine Runde im Garten spazieren gehen. Mutter und Vater wissen es nicht, aber wenn sie nicht zu Hause sind, schleiche ich mich hinunter und stibitze ein paar Leckereien. Letzte Woche habe ich mir eine ganze Schachtel schon leicht angestaubte Pralinen geholt und sie alle still und heimlich und mit Heißhunger aufgegessen.

Natürlich habe ich darüber nachgedacht, aus dem Fenster zu klettern, in den Garten hinunterzuspringen und wegzulaufen. Aber dabei würde ich Noel verletzen und außerdem – wo sollte ich denn hingehen?

In zwei Wochen wird mein Baby auf der Welt sein. Es kommt mir so vor, als wäre damit meine Zukunft zu Ende. Als wenn danach nichts mehr käme, nur eine einzige große Leere. Ich weiß nichts über Babys. Ich habe noch nie eines im Arm gehalten. Mutter hat mir ein Buch über die Geburt gegeben und ein paar altmodische Babysachen aus einer Kleidersammlung. Sie riechen ein wenig nach Schimmel und Erbrochenem.

Atmen ist wichtig, heißt es in dem Buch. Daher übe ich es manchmal. Ein ganzes Kapitel handelt von schmerzstillenden Maßnahmen, aber ich glaube kaum, dass ich mehr als eine Aspirin bekomme. Ich werde mein Kind zu Hause zur Welt bringen. Mutter wird neben mir sitzen und mich damit nerven, dass sie mir einen nassen Lappen auf die Stirn presst. Vater wird auf dem Treppenabsatz hin und her laufen, um nur ja nicht seine Tochter sehen zu müssen, die heulend und mit gespreizten Beinen daliegt. Ich würde das alles lieber nicht durchmachen, aber, ehrlich gesagt, habe ich etwa die Wahl?

Ich stelle das leere Tablett auf den Treppenabsatz und schüttele die Kissen auf meinem Bett auf. Wirklich bequem ist es nie. Ich lege mich hin, um ein bisschen fernzusehen, und Noel fängt wieder an zu treten, als wollte er schon raus.

»War das Kotelett nichts für dich, mein Schätzchen?«, frage ich und reibe mir kräftig den Bauch, bis er sich wieder beruhigt hat. Ich werde eine gute Mutter sein, auch wenn ich erst fünfzehn bin.