35. Kapitel
Sie erwachte in einem Raum, der ausschließlich von Kerzen und Fackeln beleuchtet wurde. Das Gemäuer war aus rotbraunem Stein und wirkte wie gebrannter Ton. Es war ein kleiner Raum ohne Fenster, aber er wirkte nicht ungemütlich. Im Gegenteil. Es war warm und die Luft war erfüllt mit einem Duft, der ungewöhnlich exotisch und sinnlich war. Vanessa lag auf einem Bett mit hellen Laken und war bis auf einen winzigen cremefarbenen Bikini nackt. Ihre Haut aber war bronzefarben ihre Haare schwarz und ihr Busen größer als sonst.
„Ich träume“, flüsterte sie und fuhr sanft über ihren ungewohnt erscheinenden Körper.
„Du träumst nicht“, ertönte seine volle, kräftige Stimme und Vanessa zuckte erschrocken zusammen. Sie hatte ihn nicht gesehen, nur seine Aura erahnt.
„Wer bist du?“, fragte sie atemlos, als der schöne Mann aus dem Schatten trat und mit einem strahlenden Lächeln auf sie zukam. Seine Haut war dunkel, seine Augen ebenso. Schwarze Strich zierten seine Augen und gab dem Mann ein altägyptisches Aussehen. Auch er war bis auf eine cremefarbene, knappe Hose nackt. Sein Oberkörper war kräftig und so drahtig wie von einem Leistungssportler.
„Du weißt wer ich bin.“
„Merenpath“, flüsterte sie heiser und fragte sich, wie so etwas möglich war.
„Hast du mich verzaubert?“
„Nicht ausschließlich. Ich habe den Zeitfluss manipuliert und uns in meine ursprüngliche Zeit gebracht. Dadurch sind wir in diese hier lebenden Körper gerutscht. Ich wusste mir nicht anders zu helfen. Dein Leben stand auf dem Spiel.“
„Mein Leben ...“, flüstert sie und konnte sich erst allmählich an die letzten Ereignisse erinnern. „Der Palast, das Erdbeben ...“ Sie stockte, erinnerte sich wieder. Dann stellte sie die wichtigste aller Frage. „Was ist mit Blue, Annika und Martin? Sind sie etwa tot?“ Vanessa setzte sich kerzengerade auf und wollte schon aufstehen, als Merenpath sie sanft zurückdrückte.
„Nein. Sie sind nicht tot.“ Er grinste. „Sie sind noch nicht einmal geboren. Ich habe uns ein Zeitfenster erschaffen.“
„Ein Zeitfenster? Aber warum?“ Vanessa atmete viel zu schnell, versuchte zu begreifen und auch das mit ihrem neuen Körper zu verstehen. Sie war ins alte Ägypten gereist und hatte den Körper einer Frau von damals angenommen?
„Wie gesagt, dein Leben stand auf dem Spiel. Deine Macht hätte uns fast alle getötet.“
„Meine ... was? Ich habe doch nicht ...“
„Bitte. Ich möchte jetzt nicht darüber sprechen. Meine Kräfte sind hier begrenzt, weil ich in meinen alten Körper geschlüpft bin und unsere eigentlichen Körper in einer Zwischenwelt verharren. Daher bin ich hier ausschließlich menschlich. Das bisschen Magie, das mir geblieben ist, reicht gerade für ein paar Stunden in meiner alten Zeit und – wenn alles gut geht – auch für die Rückreise. Das Ganze ist also ein Risiko, aber ich habe es für dich getan. Für uns. Solange ich dieses Zeitfenster nämlich offen halten kann, möchte ich diese Zeit nutzen, um den Vorsprung, den der blaue Mann bei dir hat, aufzuholen.“
„Den Vorsprung?“
„Du hast dich aufgrund sexueller Handlungen in ihn verliebt. Diese Zeit hatten wir nie.“ Und dann fiel Vanessa plötzlich wieder alles ein: Ihre Entführung, sein Drängen, ihr Widerstand und seine Gewalt. Wut bahnte sich ihren Weg und ihre Augen wurden schmal.
„Keine Zeit? Ja vielleicht lag es an deiner unmöglichen Art unbedingt alles erzwingen zu wollen!“ Sie wollte erneut aufstehen und sich dem Streit aufrecht stellen, doch das ließ Merenpath nicht zu. Sanft drückte er sie wieder zurück und war ihr dabei plötzlich so nahe, dass sie seine Haut auf ihrem fast nackten Oberkörper spürte. Er war hier so anders, wirkte nicht so hart und kantig. Außerdem strömte dieser sinnlicher Duft ständig in ihre Nase.
„Du versuchst mich zu verzaubern“, keuchte sie und musste sich eingestehen, Merenpath auf männliche Weise anmutig zu finden. Zärtlich streichelte er ihr übers Gesicht und drückte sie zurück auf die weichen Kissen.
„Nicht verzaubern ... verführen. Ich werde dich nicht bedrängen oder dir Sex aufzwingen, aber ich werde dir auf meine Weise Liebe schenken. Etwas, das dein blauer Mann mit seiner tödlichen Magie niemals tun kann.“
„Aber ich liebe ...“
„Scht. Ich bitte dich um diese Gunst, denn die Karten sind ungerecht verteilt und mein Ich ist in deiner Zeit in der Wut des Kriegsgottes gefangen. Hier bin ich ein Mensch und mehr mit dem Lichtgott verbunden. Du musst wissen, dass Horus viele Seiten hat und einem Menschen nie gestatte, seine ganze Macht mit auf die Erde zu nehmen. Er ist sowohl Kriegsgott, als auch Lichtgott und sogar Schutzpatron für Kinder, aber in deiner Zeit spüre ich hauptsächlich seine machtvolle Kriegsseite. Das hier aber ...“, begann er und deutet auf sich und Vanessa indem er die schönen Linien ihres Körpers nachzeichnete. „... ist es, was ich mir mit dir wünsche. Sinnlichkeit und Nähe. Für den Anfang. Diese Wesensseite von mir kennst du nicht und doch ist sie ein Teil von mir, den ich bewahren möchte. Das weiß ich jetzt.“ Er seufzte schwer und seine braunen Augen zeigten eine Traurigkeit, die Vanessa nie bei einem herrischen Mann wie Merenpath vermutet hätte. Zumindest nicht bei jenem Merenpath aus ihrer Zeit. Er war kein Halbgott mehr und sah auch anders aus. Nicht ganz so perfekt, aber menschlicher und dadurch auch schöner.
„Auch ich bin ein Suchender und in meinem Wesen noch immer nicht ganz. Selbst in deinem Jahrhundert noch nicht. Dort verzehrt mich die Sucht nach Macht und mein Zorn wird vermutlich einmal mein Untergang sein, aber ich möchte zumindest versuchen ... ich wünsche mir so sehr ...“ Er unterbrach sich und mit einem Mal verstand Vanessa, was er ihr die ganze Zeit sagen wollte.
„Du willst die Liebe spüren. Die Hingabe. Das Glück des Moments genießen. Ohne Zwang, ohne Hinterlist und Niedertracht. Du willst die absolute Liebe. Die Vereinigung auf höherer Ebene.“ Vanessa staunte über ihre Worte. Sie sprudelten auf so ungezwungene Art aus ihr heraus, als hätte sie dieses Wissen schon immer in sich getragen. Wie bei Blue kamen ihr spontane Erkenntnisse in den Sinn, als würde sie phasenweise Zugriff auf ein Wissen bekommen, das schon sehr alt war. Merenpaths Augen begannen zu glühen, doch dieses Glühen war kein Vergleich zu dem machtvollen, das sie in ihrer Zeit kennengelernt hatte. Es war ohne Bedrohung. Sein Blick war warm und voller Bewunderung ... und er galt ihr.
Vanessa schluckte und musste sich eingestehen, dass Merenpath als Mensch durchaus faszinierend war. Seine Ausstrahlung war komplett anders. Viel milder und erotischer und mehr auf subtile Art machtvoll. Vielleicht lag es an der sinnlichen Atmosphäre hier, aber sie fühlte sich auf ganz verruchte Art zu ihm hingezogen. Die Zeitreise an sich war ja schon schwer vorstellbar, aber seine Wandlung zum Menschen war einfach nur krass.
„Ich fordere nichts von dir, Vanessa. Ich bitte dich um ein paar Stunden Zweisamkeit – ohne Gewalt, ohne Zauber und wenn du möchtest auch ohne Sex. Ich möchte dir nur die Möglichkeit geben, mich auch anders wahrzunehmen. Und ich wiederum muss dich spüren und dir nahe sein.“ Seine Fingerspitzen kreisten sanft über ihre Haut, fuhren die schönen Linien ihrer Schultern und Oberarme entlang. Vanessa fühlte keinerlei Scham oder Bedenken. Dieser Mann war so anders, die Berührungen zwischen ihnen vertraut und wie selbstverständlich. Als würden sie sich schon lange kennen.
„War die Frau in diesem Körper früher deine Geliebte?“, fragte sie und erschauerte bei seiner zärtlichen Berührung.
„Ja, das war sie“, antwortete er und lächelte sanft. „Sie war wunderschön, liebevoll und passte perfekt zu meinem sexuellen Geschmack.“
„Und hast du sie geliebt?“ Vanessa hatte plötzlich einen Kloß im Hals und Merenpath überlegte ungewöhnlich lange, was er antworten sollte.
„Auf meine Art schon“, antwortete er dann ernst. „Aber ich war damals nicht wirklich fähig zu lieben.“
„Und bist du das als Halbgott?“ Es war eine verwegene Frage, aber sie musste sie einfach stellen.
„Ich ... hoffe es, schöne Vanessa. Ich hoffe es so sehr.“ Das verblüffte sie ehrlich.
„Du bist hier ein völlig anderer Mann. So offen und ... menschlich“, stellte sie fest und berührte nun ebenfalls sein Gesicht. Teile von ihm waren wie die von Merenpath, doch ein Großteil erschien ihr gänzlich anders. Er lächelte kurz, dann wurde er wieder ernst.
„Und doch ist das ein wesentlicher Teil von mir – auch in deiner Zeit. Du hast ihn nur leider nie zu Gesicht bekommen. Dieses Zeitfenster aber gibt uns die Möglichkeit innezuhalten und genauer hinzusehen. Ich möchte nicht beschönigen, dass ich zu deiner Zeit ein Tyrann bin.“ Er seufzte schwer und Vanessa verspürte das unsinnige Bedürfnis ihn zu trösten. Dabei hatte er sich in ihrer Zeit wahrlich schlecht benommen. Sie legte dennoch ihre Hand sanft auf seine Schulter. Die Erfahrung mit ihm hätte sie eigentlich lehren müssen, dass ihm nicht zu trauen war, dass er ein gewaltbereiter Macho und Unterdrücker war, aber dieser Mann hier war einfach so verflucht anders. Als hätte er in ihr Herz gesehen und genau herausgefunden, wonach sie sich in Wahrheit sehnte.
Zärtlich streichelte ihr Hand über seine Haut. Sein Blick wurde dunkler und er unterdrückte ein Stöhnen, als könnte er die Berührung ihrer Hand kaum ertragen. Vanessa konnte seinen Genuss sehen und war beeindruckt von seiner offenen Hingabe. Sie hörte nicht auf seine samtige Haut mit ihren Fingerspitzen zu erkunden. Dafür fühlte es sich einfach zu gut an. Merenpath aber legte seine Hand auf ihre und stoppte sie. Offenbar konnte er nicht sprechen, solange sie ihn streichelte.
„Es ist wichtig, dass du mich als den erkennst der ich bin. Es gibt nicht das ultimative Böse oder das ultimative Gute. Niemand ist ausschließlich das eine oder andere und ich arbeite verzweifelt daran den Teil, den du hier siehst, in mein späteres Leben zu integrieren. Doch das ist nicht so einfach und ich brauche dabei DEINE Hilfe. Ich möchte diese Veränderung so gerne mit dir an meiner Seite bewirken.“ Nun war es Vanessa die tief seufzte und so stark zu zittern anfing, dass er sie in seine Arme zog.
„Ganz ruhig, kleine Bastet.“
„Wie bitte?“
„Das hätte ich fast vergessen“, lachte er und küsste sie auf die Nasenspitze. „Du stammst von der altägyptischen Göttin Bastet ab. Daher war ich so vermessen, dich kleine Bastet zu nennen. Bei meinem Volk wurde sie als Göttin verehrt, die oft als Katze oder Frau mit Katzen- oder Löwenkopf dargestellt wurde. Sie war Göttin der Fruchtbarkeit, der Liebe, der Freude, des Tanzes und der Musik. Ursprünglich besaß sie sowohl zornige als auch sanfte Eigenschaften. Im Laufe der Zeit aber wurde das wütende Wesen an die Göttin Sachmet abgegeben, die zum Schatten und damit zur zerstörerischen Seite von Bastet wurde. Ähnlich wie bei Horus, wo die Seite des Kriegsgottes eben den Schatten zum Licht bildet. Nur mit dem Unterschied, dass er diese Seite nicht abgegeben, sondern beibehalten hat. Bis auf den Teil natürlich, den er mir anvertraut hat.“
„Ich kann Katzen aber nicht sonderlich leiden“, motzte Vanessa, weil sie das Bedürfnis nach Erde, Boden und Einfachheit hatte bei all den tragenden Worten und Göttlichkeiten. Außerdem konnte sie sich nicht vorstellen von einer Göttin abzustammen. Dafür fühlte sie sich einfach zu menschlich. Merenpath begann zu lachen.
„Deine Augen sind aber die einer Katze, meine Schöne.“ Er lächelte immer noch, doch sein Blick zeigte nun wieder diese eigentümliche und sehr anziehende Glut. Keine Aggressivität, nur reines Begehren. Außerdem strömte von ihm schon wieder dieser betörende Duft in ihre Nase. Vanessa versuchte sich mit Worten von seiner Anziehungskraft abzulenken.
„Du willst Zweisamkeit und Sinnlichkeit, um mich davon zu überzeugen, dass ich mich in dich verlieben könnte?“
„Ja!“
„Und was ist das ...“ Sie stöhnte leise. „... für ein Duft, verdammt?“
„Verdammt?“, fragte er unschuldig und zeigte auf ein paar eigentümlich geformte Tonschalen auf dem Boden. „Das sind wohl die Öle, die ich für uns vorbereitet habe.“
„Öle?“, Vanessa war verblüfft. „Was willst du mit Ölen?“
„Dafür musst du dich schon hinlegen, meine Schöne. Ich werde nichts tun, was du nicht willst, denn ich möchte dir nur schöne Momente schenken.“
„Eine Massage? Du bringst mich in deine Zeit, um mich zu massieren?“
„Scht! Lass dich überraschen.“ Damit löste er sich von ihr und drückte sie erneut zurück in die Kissen. Wider Erwarten störte sie das nicht. Sie wurde sogar richtig neugierig. Es waren ja nur ein paar Stunden Zweisamkeit und die Atmosphäre hier war so angenehm und beruhigend. Und er hatte schließlich versprochen, nichts gegen ihren Willen zu tun.
„Bitte dreh dich um. Wir fangen mit dem Rücken an.“
„Und was soll ich dann machen?“
„Du hältst still und achtest nur auf das was du möchtest. Vielleicht siehst du Bilder vor deinem geistigen Auge, vielleicht genießt du einfach die körperlichen Freuden. Wie gesagt ... lass dich überraschen.“