23. Kapitel
Blue brummte der Schädel.
Jeder noch so gute Actionstunt wäre der reinste Abklatsch gegen seinen spektakulären Hechtsprung auf den Helikopter gewesen. Perfektion bis ins kleinste Detail! Vor allem, weil zeitgleich die Rakete gezündet worden war. Special effects in real life, sozusagen! Blue hatte das Bild beinahe schön gefunden, als er mit Flammen im Rücken über einen Abgrund von mehr als 12 Metern Tiefe gesprungen war. Der Pilot hatte vermutlich vor Schreck auf den Auslöser gedrückt, aber ganze 0,03 Sekunden zu lange gewartet. Nur so war es zu erklären, dass Blue die Kufen des Helis noch erwischt hatte und sich trotz Druckwelle daran festklammern konnte. Danach hätte ihn nichts und niemand mehr von der Kufe abschälen können. Als Bodyguard seines ehemaligen Bosses – er ruhe sanft in kleinen Stücken – hatte er zumindest den Vorteil genossen, sich körperlich fit halten zu können. Blue war in Topform und konnte schon immer bestens mit außergewöhnlichen Situationen umgehen. Wenn auch – wie in diesem Fall – nicht bis zur letzten Konsequenz.
Der Pilot hatte sofort abgedreht, war aber immer noch zu nahe gewesen, um der Druckwelle ganz zu entkommen. Metall hatte geknirscht, Funken waren geflogen. Blue hatte einen heftigen Schlag gegen sein rechtes Bein verspürt, doch wie durch ein Wunder blieb der Heli unversehrt und er an ihm kleben, wie lästiger blauer Kaugummi auf einer Schuhsohle.
In rasendem Tempo waren sie dann Richtung Süden geflogen und Blue hatte sich nicht nur festgehalten, sondern mühsam weiter nach oben gehandelt. Als er schließlich die Pilotentür von außen öffnen konnte, hatte er gleich erkannt, dass Martin Brandt zu einem Verräter und Überläufer geworden war. Doch für große Enttäuschungsszenen war keine Zeit gewesen. Der Copilot hatte sofort reagiert und ihm die volle Ladung Devil’s Breath entgegengeschleudert. Natürlich hatte Blue versucht die Luft anzuhalten, doch der Copilot hatte offenbar einen ganzen Sack von dem weißen Pulver bei sich gehabt und ständig etwas von der Droge in sein Gesicht nachgepfeffert.
Seitdem war sicher eine Menge Zeit vergangen, obwohl es ihm ein Rätsel war, wie sie ihn in das Innere des Helikopters geschafft hatten ohne in Flammen aufzugehen. Vielleicht hatten sie den Vogel sogar kurz gelandet, um nichts zu riskieren, aber das war reine Vermutung. Durch die Menge der Droge war er nämlich schon nach ein paar Minuten völlig weggetreten gewesen.
Nun aber lag er im Frachtraum des Helis und war mit Kabeln so derart verschnürt, dass er sich überhaupt nicht mehr rühren konnte. Allem Anschein nach wollte Martin Brandts Auftraggeber ihn also doch lebend in die Finger bekommen.
Die Landung war sanft, die Erkenntnis wo er gelandet war, erschütternd. Als die Ladeklappe geöffnet wurde und er den großen, dunkelhäutigen Mann mit den gelbbraunen Augen sah, wusste er, dass alle Befürchtungen Maslovs sich bewahrheitet hatten. Merenpath hatte nicht nur einen mörderischen, völlig überzogenen Rachefeldzug gestartet, er hatte sich auch Maslovs stärkste Waffe angeeignet.
Blue knurrte und verfluchte Gott so sehr wie an dem Tag, als er ihn gezeichnet hatte. Das Fast-Gebet um Erlösung aus seiner Qual hatte ihm offenbar gar nichts gebracht. Er war nur vom Regen in die Traufe gekommen, denn auch hier würde er nichts weiter als ein Sklave oder Gefangener sein.
„Da haben wir ihn ja, den magischen blauen Mann“, lachte Merenpath boshaft und stieß den Muskelberg in schwarz fest mit dem Fuß an. Kunstleder war für den Halbgott das Letzte. In einem heißen Land wie Ägypten würde Blue mit dem scheiß Plastikgewand alleine schon seine Sünden abbüßen. „Derart verschnürt wirkst du nicht wirklich besonders gefährlich. Ich hoffe du bist es überhaupt wert, dass ich dich am Leben gelassen habe?“ Noch ein Kick mit festen Stiefeln in Blues Seite. Der stöhnte nicht einmal oder zeigte sonst eine Reaktion. Die Droge machte ihn auch noch ein wenig benommen ... und durstig.
„Aber das werde ich schon noch zur Genüge prüfen. In meinen Gefängnissen wartet viel Arbeit auf eine Tötungsmaschine wie dich. In einem heißen Land ist es auch nicht ratsam Leichen lange liegen zu lassen und unsere Kühlhäuser sind heillos überfordert. Solltest du aber nicht meinen Vorstellungen entsprechen, dann werden wir dir nicht nur Drogen verabreichen, sondern Gift. Deine Schwachstelle ist ja bekanntlich dein Mund und nicht wie bei anderen Männern ihr Schwanz.“ Er lachte schallend und kickte noch einmal kräftig hinein. Wieder keine Reaktion. Merenpath wirkte beeindruckt. Blue aber biss die Zähne zusammen und wünschte sich nichts anderes mehr als diesen Mann zu töten. Es war eine traurige Erkenntnis, dass seine Ziele sich zwar immer der jeweiligen Situation anpassten, aber immer unerreichbar schienen.
Auf ein Zeichen kamen zwei Männer mit Schutzhandschuhen und packten den Gefangen an den vielen Kabeln, die um seinen Körper gewickelt waren. Zeitgleich brachten zwei andere Männer die beiden Frauen, die Merenpath zurückfliegen lassen wollte zum Heli. Ja, Merenpath hielt sein Wort, allerdings wollte er die beiden Mädchen nur bis nach Italien fliegen lassen, denn die Situation in Deutschland konnte nach dem Raketeneinsatz womöglich ein wenig zu prekär sein. Außerdem mussten die Piloten erst noch ausgetauscht werden.
Blue wurde gerade auf die Ladefläche eines Pick-ups geladen, als er die beiden Mädchen aus dem Augenwinkel sah. Die Rothaarige kam ihm bekannt vor, doch ehe er genauer hinsehen konnte, landete er schon brutal auf der Ladefläche des Lasters und stieß sich den Kopf an der Metallkante. Die Männer lachten und Martin Brandt rief ihm etwas Spöttisches zu, doch das machte ihm nicht so viel aus wie die plötzliche Erkenntnis, dass die Rothaarige eine Freundin von Vanessa war. Leonie oder so ähnlich hatte sie geheißen und wenn Merenpath dieses Mädchen bereits gefunden hatte, konnte das nur bedeuten, dass er Vanessas Spur ebenfalls aufgenommen hatte. Womöglich hatte er sie sogar längst in seinen schmierigen Fingern.
Diese Möglichkeit ließ ihn laut brüllen und fluchen. Immerhin hatten sie ihm keinen Knebel gegeben, sondern nur wie einen Truthahn verschnürt. Seine Zeichen leuchteten unter seinem Gewand hell auf und sein Körper spannte sich so derart an, dass die zwei Männer, die ihn verladen hatten, schon befürchteten er würde die Fesseln sprengen. Doch die dicken Kabel schaffte selbst Blue nicht und der Elektroschocker, der letztendlich mehrfach zum Einsatz kam, knipste ihm sogar wieder das Bewusstsein aus.