01. Kapitel
Er hasste es. Gott, wie er es hasste.
Und Gott war der eigentliche Grund warum er hier kniete, obwohl der unmittelbare Aggressor ein anderer war. Verzweiflung übermannte ihn, wollte einen Schrei brutal aus seiner Kehle reißen. Doch er biss die Zähne zusammen. Diese Genugtuung wollte er ihnen nicht geben. NICHTS wollte er ihnen geben und doch holten sie es sich jeden Tag von ihm: Seine Gott verfluchte Niederlage.
Maslov, der Mensch, hatte ihn gefangen, aber Gott hatte ihn für alle Zeiten gezeichnet. Nein, eigentlich hatte er ihn tatsächlich verflucht, denn seit jenem dunklen Tag, an dem er einen Fehler begangen hatte – einen einzigen, beschissenen Fehler – war er zu einem Aussätzigen geworden, zu einer menschlichen Abart, zu etwas Unmöglichem. Seitdem hatte er alles verloren, sprach kaum mehr ein Wort und schon gar nicht über den Vorfall oder die Zeichen auf seinem Körper. Die Macht, die für seinen Zustand verantwortlich war, konnte jeden Ursprung haben, doch göttliche Strafe erschien ihm plausibel, passte irgendwie zu seinem Vergehen ... seinem unwiderruflichen, unverzeihlichen Verbrechen. Seitdem gab es den jungen Andreas Sternitzer nicht mehr. Nun nannten sie ihn Blue, reduzierten ihn auf die Farbe und auf das Wesentlichste. Aber das dafür in klingender, runder Sprache!
Als hätte er das Bedürfnis international zu werden!
Oder überhaupt noch IRGENDEIN Bedürfnis! In Wahrheit stand der Name für etwas Unmenschliches und für eine Farbe, die im Prinzip nur Kälte ausstrahlte. BLUE.
„Dein Auftritt ist in fünf Minuten“, höhnte eine Stimme von außerhalb und eine Faust klopfte dumpf gegen das Holz der Tür.
Als müsste er wach gerüttelt werden!
Dabei hatte er seit Tagen nicht mehr wirklich geschlafen. Die meiste Zeit seiner Gefangenschaft kniete er auf hartem Boden, mit nichts am Leib, als seinen Jeans aus festen Spezialfasern. Die Schuhe hatten sie ihm auch gelassen, nur um ja nichts zu riskieren. Sein Gefängnis war ein abgesicherter Raum, der sonst nur für SM-Spielchen diente, aber auch hier gab es Substanzen, die abgefackelt werden konnten. Es war sehr kühl in dem schmuddeligen Zimmer, aber auf seiner Haut perlte Schweiß. Kalter Schweiß. Ein heller Schimmer überzog die blauen Zeichen, die sich über seine Muskeln schlängelten und in bizarren Formen über die gesamte Landschaft seines Körpers verliefen. Er vermutete eine Botschaft dahinter, womöglich eine Art göttlicher Sprache. Doch die konnte niemand lesen oder verstehen, am wenigsten er selbst. Und er hatte aufgegeben nach dem Sinn zu fragen, konnte nur die Strafe darin sehen, den Fluch. Stellenweise war noch seine ursprüngliche Haut zu sehen, in heller, nussbrauner Farbe und seine Jeans saß tief genug auf den Hüften, um erkennen zu lassen, dass auch seine Beine mit eben diesem Muster überzogen waren. Selbst seine Zehen wiesen diese ungewöhnlichen Zeichen und geradlinigen Verläufe auf. Noch nie zuvor hatte er so ein einfaches und doch kompliziertes Muster gesehen. Es war wie ein Oxymoron, nur ohne Worte, von dem nur sein Gesicht verschont geblieben war. Die letzten, dünnen Ausläufe seiner Schande, rankten sich von seinem Rücken aufwärts über den Hals bis knapp hinter seine Ohren.
In nur einer Nacht war er von den Göttern gezeichnet worden. In einem Sturm aus Wahnsinn und Schmerz. In einem wahren Höllenritt überirdischer Magie. Irgendwann hatte er das Bewusstsein verloren, doch das Grauen des Irrsinns, die Qualen auf seiner Haut und den Schmerz in seiner Seele würde er nie wieder ausblenden können. Sein Körper erinnerte ihn jeden Tag und jede verfluchte Minute an seinen tödlichen Fluch. Er war nicht einfach nur mit göttlichem Blau gebrandmarkt worden, um als Sünder erkannt zu werden, oder um sich die Schande jeden Tag aufs Neue in Erinnerung zu rufen. Nein, das Ganze ging viel weiter. Viel tiefer. Seinen Zeichen haftete nämlich eine tödliche Magie an, die ihn jede Sekunde seines Daseins zu absoluter Isolation verdammte.
Wieder ein Klopfen an der Tür. Sein Körper begann zu zittern, wusste was auf ihn zukam. Maslov war ein Monster in Menschengestalt. Er war reich und skrupellos. Als Zuhälter, Drogendealer und Menschenhändler musste er das vermutlich sein, aber dieser Mann war der größte Abschaum und der schlimmste Albtraum für jeden, der nicht auf seiner Seite stand oder sein Geschäftspartner war. Brutalität war sein eigentlicher Vorname und Rücksichtslosigkeit sein verhasster Zuname. Wer nicht spurte, wurde erpresst, ermordet oder auf Mafia-Manier bestraft. Auch Blue sollte auf seine Seite wechseln, ein Handlanger Maslovs werden und sein Verbündeter in allen Lebenslagen sein. Mit seiner Magie am Leib war das jedoch nur mit einem Vertrag dämonischen Ursprungs möglich. Nur der konnte ihn und seine blauen Zeichen kontrollieren und eben an einen Menschen binden. Doch noch hatte Blue die Unterschrift verweigert und selbst beim größten Druck und den ständigen Misshandlungen noch die Kraft aufgebracht, sich gegen diese Übernahme zu wehren. Irgendwie. Denn seine Magie schützte ihn zwar vor Kugeln und Messerattacken, aber nicht vor dem Einfallsreichtum, dieses abscheulichen Mannes. Im Grunde war er nur wegen eben dieser Magie gefangen genommen worden und musste hier knien. Die Ketten an seinen Armen waren schmerzhaft, aber die Stange, die seinen Hals fixierte, war die reinste Qual. Und dennoch konnte er sich nicht dazu durchringen Gott oder die Götter – was wusste er schon, wer dafür zuständig war! – um Hilfe zu bitten. Noch nicht. Nicht so.
„Los geht’s, Kleiner!“ Tom Butin, einer von Maslovs Schlägern, öffnete die schwere Tür und kam mit wuchtigen Schritten auf Blue zu. Mit 1,87 Metern Größe und 103 Kilogramm war er immer noch kleiner und schmächtiger als Blue, aber solange der Gefangene kniete, witzelte er gerne über die Größe des anderen.
Vor dem SM-Raum begann das erste Gejohle.
„Er kommt! Gleich kommt er“, kreischte eine Frau so schrill, dass Blue bei jedem Wort zusammenzuckte. Menschen sind schon eine seltsame Spezies, dachte er bei sich. Alle diese Frauen stehen unter Zwang, werden sexuell missbraucht, geschlagen und oft genug unter Drogen gesetzt, aber wenn ich auftauchte, meinen sie plötzlich am anderen Ende der Machtkette zu ziehen. Blue konnte es nur als primitives Machtspiel und Perversität erkennen, doch in Wahrheit war er einfach umwerfend schön und die meisten Frauen durch seinen Anblick wie entfesselt. Selbst die Männer fühlten sich von ihm angezogen und spürten den Reiz der Gefahr durch den tödlichen Fluch.
Knurrend kam Blue in die Höhe, während Tom seine Fesseln per Fernbedienung fixierte. Aus sicherer Entfernung packte er dann die Stange, die an einem Metallring um Blues Hals befestigt war und löste sie von der Wand. Mit dieser Stange konnte er ihn gut in Schach halten, auch wenn ihm das mit reiner Körperkraft vermutlich nicht gelungen wäre. Mit Strom jedoch war das kein Problem, denn den konnte er Blue mit dieser Stange bei Bedarf sogar mehrmals durch den Körper jagen. Und Bedarf gab es scheinbar öfter als die Notwendigkeit dafür, denn speziell bei Blue konnte Tom schon ein bisschen eigen werden. Lässig strich er sich eine seiner blonden Haarsträhnen hinters Ohr und lächelte dem Gefangenen spöttisch zu. Machtspielchen machten ihn ziemlich an und den magischen Mann zu kontrollieren, gehörte eindeutig dazu.
Blues Haut schimmerte vor Anstrengung ein paar Nuancen heller. Stellenweise wurden die Linien zu einem fluoreszierenden Türkis, was die Zeichen lebendig erscheinen ließ, wie bewegt. Sein perfekt muskulöser Körper, die magische Farbe und Blues markantes Gesicht brachten Eisberge zum Schmelzen, doch der zusätzliche Reiz für die Menschen war das Wissen um die Gefahr hinter dieser Schönheit, denn jede noch so kurze Berührung seiner Haut war tödlich. Bedingungslos und unwiderruflich. Alles Lebendige ging durch den bloßen Kontakt mit seiner Haut in magischen Flammen auf. Bis zum Tod. Bis zur Asche.
DAS war sein Fluch und sein Gott verdammtes Leben.
Der Transport und die Bewegung seines Körpers war eine gefährliche Sache und nur mit Fesseln, der Stange und einer Menge Strom möglich. Doch die Gefahr schreckte die Wenigsten ab. Niemand in Maslovs Haus ließ sich den Anblick von Blue entgehen, wenn er in den Vorführraum gebracht wurde. Im Gegenteil, sie waren immer außer Rand und Band, drängten sich auf den Gängen, den Stiegen und den anderen Zimmern. Allen voran standen immer die Frauen, die versuchten einen Blick auf ihn zu erhaschen und sich dabei gegenseitig anstachelten, immer lauter und intensiver zu jubeln. Genau das war es, was Blue von diesen Menschen mitbekam ... abgrundtiefe, hässliche Sensationsgier. Und er hasste sie alle dafür. Selbst die schönsten Frauen, die möglichen Opfer, die eventuell zu Bedauernden. Liebend gerne hätte er sie von seiner Magie kosten lassen. Allen voran Maslov, dem er die Schmerzen, die Erniedrigungen und diesen verfluchten Zirkus zu verdanken hatte. Ja, er würde sie ohne mit der Wimper zu zucken töten, nur indem er sie der Reihe nach in die Arme schloss. Seine Berührung war immer tödlich, ob er wollte oder nicht. Aber in dem Fall würde er wollen und wie auch noch! Zum ersten Mal hätte sein blauer Fluch endlich einen Sinn. Auch wenn es nichts an seiner Lage oder seiner Einsamkeit ändern würde ... für einen kurzen Moment hätte er Genugtuung.
Verdammt. Immer wenn er an seinen Fluch dachte, schrie seine Seele kläglich um Hilfe. Alles Lebendige aus Fleisch und Blut wurde durch den Kontakt seiner bloßen Haut verbrannt. Aber auch ein paar leblos wirkende Materialien waren manchmal mit Vorsicht zu genießen. Das genaue Muster oder die Gesetzmäßigkeit dahinter war ihm unklar. An manchen Tagen versengte er etwas mit seiner Magie, an anderen wiederum nicht. Das Dumme an magischen Flammen war, dass sie kaum zu löschen waren. Herkömmliches Wasser half überhaupt nicht. Antibrennpasten ebenso wenig. Nur Stahl und Stein konnte er immer bedenkenlos ohne Handschuhe angreifen. Holz war grenzwertig. Aus dem Grund hatten sie ihm auch die Hosen gelassen und die Schuhe. Sonst hätte er vielleicht noch wertvolles Mobiliar oder Vorhänge abgefackelt. Feste Materialien, spezielle Fasern, Sicherheitsschuhe und Handschuhe waren für Blue zu einem Teil seines Alltags geworden, zumindest bevor er diesem Spinner Maslov ins Netz gegangen war. Doch selbst mit Spezialgewand aus hohem Anteil feinster Glas- und Kupferfasern, sowie Handschuhen aus Polyvinylchlorid hatte er immer darauf achten müssen, niemanden unabsichtlich in Brand zu setzen. PVC-Handschuhe waren nur in Ausnahmefällen durch seine Magie entflammbar. Vor allem dann, wenn der Kunststoff durch Benzol, Ether oder Salzsäure beschädigt worden war. Der Kunststoff war nicht ideal für seine Haut, doch im Prinzip fühlte er sich wie Kunstleder an und sah auch so aus.
So war sein Leben vor Maslov zwar nicht schön gewesen, aber zumindest halbwegs kontrollierbar. Vorsicht und spezieller Umgang mit seiner magischen Krankheit hatten ein recht normales Leben in Aussicht gestellt, wenn auch eines in völliger Isolation. Kontakt mit anderen war nicht möglich, Berührungen undenkbar. Als Andreas Sternitzer hatte er sich darüber nie Gedanken gemacht. Damals hatte er für eine Elitetruppe gearbeitet, sein Leben gelebt und auch genügend Frauen konsumiert. Beziehungen hatten ihn nie interessiert, Körperkontakt schon. Doch von einem Tag auf den anderen war eben diese lächerliche Selbstverständlichkeit zur Unmöglichkeit geworden. Berührung war tödlich. Immer und ausnahmslos. Und er vermisste das Gefühl von Haut auf Haut, die Wärme einer Frau und ihre verführerische Weichheit. Selbst das Fühlen ohne Berührung vermisste er. Gott, und wie sehr auch noch! Dabei war er erst seit fast einem Jahr mit dieser Magie verunstaltet und somit abstinent. Und davor hatte er kaum ein Augenmerk auf diese Nebensächlichkeiten verwendet. Die Frauen waren stets willig gewesen und der harte Drill in seinem Job, hatte seinen Körper auf andere Weise gefordert und spürbar gemacht. Körpergefühl war selbstverständlich gewesen und nicht weiter der Rede wert. Doch der Fluch hatte ihm recht bald klar gemacht in welche Einsamkeit er ihn letztendlich trieb. Natürlich war er auch früher manchmal einsam gewesen, doch er hatte stets die Möglichkeit gesehen, etwas daran zu ändern, eine Wahl zu haben. So, wie man sich entscheiden konnte entweder nett zu sein oder nicht. Für ihn war es reine Kopfsache und persönliche Entscheidungskraft gewesen, die sein Leben bestimmt hatte. Doch genau das war ihm genommen worden. Durch den Fluch befand er sich in einer Sackgasse, in der er nicht mehr selbst entscheiden konnte und in der es keine Hoffnung mehr gab. Göttliche Strafe konnte grausam sein und mit ihr hatte er alles verloren: Seinen Job bei der Eliteeinheit, die Frauen zum Vergnügen, das Leben an sich. Und von so etwas wie Liebe brauchte er nicht einmal zu träumen.
Wenn er die Zeit zurückdrehen könnte, würde er in seinem Leben vermutlich manches ändern, womöglich die Menschen mehr respektieren und sich auf die Schönheit des Lebens konzentrieren. Doch diesen einen, schwerwiegenden Fehler würde er vermutlich wieder begehen. Wieder und immer wieder ... und letztendlich genauso enden wie jetzt. Denn es war ein Ende. Definitiv.
Blue schluckte hart und die Erinnerung an frühere Zeiten überrollte ihn, ohne dass er es wirklich wollte. Damals hatte noch alles so gut angefangen...
Als junger, militärgedrillter Kämpfer hatte er sich bei Evok, der Spezialeinheit für die Bekämpfung von menschenfeindlichen Dämonen beworben. Evok stand für Evokation und stand nicht ausschließlich für Beschwörung, sondern auch für das Recht von übergeordneten politischen Instanzen, Entscheidungen von nachgeordneten Entscheidungsebenen an sich zu ziehen. Natürlich passte das Wort auch zu all dem magischen Kram, der mit abartigen Spezies wie Dämonen zu tun hatte, aber es ging auch darum, im Notfall das absolute Sagen zu haben. Denn, die Menschheit wusste nicht viel über Dämonen und Magie. Das Meiste passierte im Verborgenen und wurde auch bewusst vertuscht, um die Menschen nicht in Angst und Panik zu versetzen. Die Evok-Einheit war eine Ansammlung unterschiedlichster Kämpfer und war stets die höhere Instanz bei ungewöhnlichen und menschenfeindlichen Vorkommnissen. Sie hatten auch den besseren Wirkungsgrad gegenüber herkömmlichen Sonderkommandos, denn sie waren extrem militärisch gedrillt und dämonisch geschult. Sprich, sie wussten die abartigen Viecher richtig an den Eiern zu packen, sofern sie welche hatten.
Damals fühlte sich Andreas noch berufen Menschen zu beschützen und extreme Jobs zu erledigen. Schon in sehr jungen Jahren war er der Mann fürs Grobe gewesen, hatte sich mit Extremkampfsport in die Höhe gearbeitet und sich bei den Evoks mit Arroganz und eisernem Willen bis an die Spitze der zehn besten Kämpfer vorgearbeitet. Dabei war er nur ein einfacher Mensch und nicht etwa ein Halbdämon, wie so manch anderer in der Einheit. Aber er war gut, verteufelt gut sogar. Er legte keinen Wert darauf gemocht zu werden, war ausschließlich zielgerichteter Krieger und ein Gewinner durch und durch. Nettigkeiten waren nur etwas für Warmduscher. Für ihn zählten Effizienz, Fokus und Rücksichtslosigkeit im Kampf. Andreas hatte keinen Gedanken an Ehre oder Gerechtigkeit verschwendet, sondern wie ein Irrer gegen unfassbare Abscheulichkeiten gekämpft, sie brutal und unerbittlich zur Strecke gebracht. Bis zu jenem Tag, wo er einmal an den Falschen geriet und ihn aus purer Angst eliminierte. Ihn, den unverzeihlichen Fehler. Ihn, dessen Name er nicht aussprechen wagte und ihn, dessen Wesensart er nicht einmal in Gedanken zulassen konnte. Auch heute nicht. Selbst nach einem Jahr der Strafe nicht.
Damals hatte er mit einem Schlag alles verloren. Sein Leben, seinen Job und seine angeblichen Freunde.
Blue verzog angewidert den Mund. Er hasste die Erinnerung an sein altes Leben. Was vorbei war, war vorbei und so wie es aussah, krähte sowieso kein Hahn nach ihm. Außer vielleicht Maslov, der es regelrecht auf ihn abgesehen zu haben schien. Zum Teil wunderte er sich über seine Vehemenz, doch auf der anderen Seite war er eine Waffe an seiner Seite, die keine Munition brauchte und ohne Spuren töten konnte. Blue war auch nicht wirklich verwundbar und brauchte kaum Nahrung. Er war er also recht pflegeleicht und sicher ein guter Bodyguard, wenn er erst einmal vertraglich unter Kontrolle stand. Es war also verständlich, wenn ein Subjekt wie Maslov Interesse zeigte. Wobei Blue in den Augen seines Gegners ein viel tieferes Interesse erkannt hatte, als der in ihren Gesprächen erkennen hatte lassen. Maslov war ein machtgieriger Mensch und auch wenn er einen guten Bodyguard gebrauchen konnte, so faszinierte ihn doch vor allem Blues Magie. Vermutlich war der Zuhälter der irrigen Meinung, diese göttliche Macht irgendwann selbst beherrschen zu können. Was schlicht lächerlich war. Niemand wusste woher die Zeichen kamen oder was sie bedeuteten. Selbst ihre Wirkung variierte, war unvorhersehbar, ... obgleich sie immer tödlich endete.
Tom schob ihn mit der Stange in den verhassten Showraum und drückte ihn auf der Bühne erneut in die Knie. Dann fixierte er die Ketten und zog Blues Arme straff nach rechts und links. Übertrieben weit, bis Blues Schultergelenke kurz vor der Luxation standen, denn nur so kamen seine Muskeln extrem zur Geltung. Blue atmete tief durch, versuchte den Schmerz zu verdrängen und sich erneut an die demütigende Haltung zu gewöhnen. Lediglich sein zusammengepresster Mund und die angespannten Sehnen seines Halses zeigten, wie sehr er mit dieser Haltung kämpfte. Die Stange um seinen Hals wurde fixiert und in eine spezielle Vorrichtung an der Wand befestigt, um ihn absolut bewegungsunfähig zu machen. Ein Mann mit derart tödlichen Kräften durfte sich bei einem Geschäftstreffen niemals alleine bewegen. Nicht auszudenken, wenn ein bedeutender Geschäftspartner irrtümlich abgefackelt wurde, nur weil der Kerl sich vielleicht einen Millimeter zu weit in die falsche Richtung bewegte. Maslov war schlau genug Blue, selbst nach Tagen der Gefangenschaft, nicht zu unterschätzen. Einerseits wollte er ihn auf diese Weise mürbe machen und auf seine Seite ziehen, andererseits liebte er das Schauspiel, die Provokation und das Leid anderer.
„So ist’s gut, Blue. Meine Ladies flippen immer aus, wenn du kniest und deine Muskeln spielen lässt.“ Maslov trat in sicherem Abstand vor ihn hin und kicherte belustigt. Er war ein drahtiger Kerl von vierzig Jahren, fast so groß wie Tom und hatte kalte, eisblaue Augen. Seit Jahren rasierte er sich eine Glatze, weil sein Haar viel zu schütter geworden war und die Mädels darauf standen. Glaubte er zumindest.
Blues Dermaglyphen schimmerten auf seiner Haut, jeder Muskel war angespannt und in perfektem Schwung. Maslov stand nicht auf Kerle, aber diese Laune der Natur war auch für ihn ein besonders erhebender Anblick. Und das im wahrsten Sinne des Wortes, denn der Kerl war verflucht geil und zugleich saugefährlich. Eine Kombination, die ihn antörnte. Als hätten die Götter diesen Mann nicht nur mit tödlichen Zeichen, sondern auch mit einem speziellen Aphrodisiakum versehen. Zum Glück hatte er sich gut überlegt wie er mit dem Gefangenen umgehen musste und darauf verzichtet ihn voreilig zu töten. Dabei hatte er im letzten Jahr seinem Geschäft ganz schön geschadet und einer Menge anderer Leute Schwierigkeiten bereitet. Die einen hatte er ausgeliefert, doch die meisten gleich gekillt. Dieser Blue war nach seinem Ausscheiden aus Evok eindeutig zu einem Problem für das organisierte Verbrechen geworden. Als hätte er es sich in den Kopf gesetzt die Welt zu retten oder einfach nur zu sterben. Denn, wer startete schon freiwillig eine One-Man-Show gegen das wirklich große, illegale Geschäft? Sich zum Feind der Russen zu machen, war eine Sache und meist tödlich. Sich aber zu seinem Feind zu machen, bedeutete viel mehr als den Tod. Maslov machte kaum Gefangene und wenn, dann nur für kurze Zeit. Doch dieser blaue Mann hatte ihn von Anfang an fasziniert. Er wollte ihn nicht einfach nur auf seine Seite ziehen und für seine Zwecke nutzen, sondern vor allem das Geheimnis seiner Macht ergründen, ihn studieren, erforschen und ihn immer wieder ... erniedrigen. Solch große Macht mit noch größerer Macht zu unterjochen, kam schon verdammt nahe an den ultimativen Kick heran, den er viel zu lange schon suchte.
Die wochenlange Observation hatte sich wahrlich gelohnt, denn schon bald war er auf das wohl größte Geheimnis dieses Mannes gekommen: Er war schlicht und ergreifend nicht mehr wirklich menschlich. Dieses Wesen brauchte so gut wie keine Nahrung und hatte solch einen niedrigen Stoffwechsel wie er es sonst nur von Dämonen kannte. Dennoch war er nicht dämonischer Herkunft. Dafür war er einfach zu wenig hässlich. Trotzdem verhielt er sich wie einer, brauchte kaum Essen und Trinken. Die Magie versorgte ihn offenbar mit allem, was er benötigte. Und sie beschützte ihn auch! Herkömmliche Waffen konnten ihm kaum etwas anhaben, prallten von einer Art Energiefeld ab. Keine noch so präzise abgefeuerte Waffe hatte ihn bisher getroffen oder wirklich verletzt. Alle Kugeln, Messer und Spritzen waren bisher stets rechtzeitig von seinem Körper abgelenkt worden. Es grenzte schier an ein Wunder, dass er Blue überhaupt in die Finger bekommen hatte. Aber so war Maslov eben. Er machte stets das Unmögliche möglich. Für seine Kunden, seine Opfer und für sich selber. Wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, konnte er eben wirklich hartnäckig sein und eine geradezu teuflische Schlauheit beweisen.
Maslov lachte böse in sich hinein. Eine Absonderlichkeit wie Blue beherrschen zu können, zeigte wie wichtig es war, von sich selbst überzeugt zu sein und die Basics von Magie und Dämonologie zu beherrschen. Dennoch hatte ihm vor allem geholfen, den Alltag von Blue zu studieren. Die Intervalle seiner Nahrungsaufnahme hatte er sich notieren lassen und danach die beste Gelegenheit abgewartet, um ihm unauffällig etwas ins Getränk zu mischen. Ja, ja! Die gute alte Welt der Drogen! Da konnte der Mann zaubern was er wollte, denn der richtige Mix zwang selbst ein achtes Weltwunder wie Blue in die Knie.
Zwei dunkelhaarige Schönheiten gesellten sich zu Maslov, blickten entzückt auf den Gefangenen und seine angespannte Haltung. Mit schnellen, fließenden Bewegungen begannen sie ihren Chef zu verwöhnen. Wenn eine Hinrichtung auf der Tagesordnung stand, wurden sie alle immer so scharf, dass sie meist im Vorfeld einen kleinen Spannungsabbau brauchten. Vor allem, wenn der Henker und die Waffe ein und dieselbe Person war und so schön und hilflos in Ketten hing. Der blaue Schimmer seiner Haut war nur ein zusätzliches Highlight, sein markantes Gesicht und die harten Muskeln die eigentliche Attraktion.
„Von den Göttern gezeichnet“, lachte Maslov mit abfälliger Miene. „Und was nützt dir der ganze Scheiß jetzt? Liegst in Ketten vor mir auf den Knien, mit nichts an deinem Körper als deiner alten Hose. Was für ein erbärmliches Ende für einen Krieger, der einst gegen Dämonen kämpfte und danach gegen mich in den Krieg zog. Ja! Du warst vielleicht mal einer von den Guten, aber sei doch ehrlich, Blue ... was hat es dir gebracht? Keiner hat sich je bei dir bedankt, oder? Ebenso wenig hat es auch nur einen deiner Freunde gekümmert, was in jener Nacht aus dir geworden ist. Ausgestoßen haben sie dich, verhöhnt und verspottet. Als Gezeichneter warst du nicht mehr tragbar für Evok. Aber richtige Freunde gab es sowieso nie in deinem Leben. Ebenso wenig wie Wertschätzung. Aber du wolltest ja unbedingt weiter den Helden spielen und dich mit der ganzen Welt anlegen. Vor allem mit dem Teil, der aus Verbrechern besteht.“ Er lachte rau. „Und mit mir. Was dein größter Fehler war!“ Mit bösem Grinsen kam Maslov einen Schritt näher auf seinen Gefangenen zu. Die beiden Damen folgten ihm wie zuckersüße Klebestreifen und versuchten ihre Erotikarbeit nicht zu vernachlässigen.
„Soll ich dir sagen, was dein eigentliches Problem ist? Du warst bei Evok ein derart arrogantes Arschloch, dass dich einfach keiner gemocht hat. Wir beide wissen auch warum! Du hast alles was dir in die Quere gekommen ist, flach gelegt ... sowohl im Kampf, als auch in weiterem Sinne.“ Maslov lachte und die Damen mit ihm, aber Blue zeigte keine Reaktion, schenkte Maslov nicht einmal einen Blick. Er stierte die ganze Zeit wie gebannt ins Leere und ließ die Worte des Manns offensichtlich an sich vorbeigehen. Maslov hatte gelernt sich nicht darüber zu ärgern, denn er wusste, dass er jedes Wort verstand und das Zuhören nicht verhindern konnte. Und Worte waren ein ewig unterschätztes Machtinstrument.
„Ein kleiner Drink hat dir das Genick gebrochen mein Freund. Klar braucht jeder Mal auch ein bisschen Whiskey. Hey, mir brauchst du das nicht zu sagen! Zu dumm nur, dass ich von diesem Laster wusste, obwohl du lächerlich selten zur Flasche greifst. Aber selbstgerecht, wie du nun mal bist, hast du nicht damit gerechnet verwundbar zu sein. Ein kleiner Drink in einer dunklen, verruchten Bar. Ach, Blue! Und dann noch nicht einmal in einer von meinen!“ Er lachte laut und schüttelte den Kopf über so viel Dummheit. Dazu bewegte er seine Fingerspitzen, als würde er eine Prise Salz in einen Drink geben. „Und schon bist du mit einem Schlag mein Sklave und bald bester Mitarbeiter.“ In Wahrheit hatte er diesem Drink so viel Amylnitrit und Benzodiazepine beigemengt, dass selbst ein Rhinozeros daran zugrunde gegangen wäre. Bei solch einer Naturgewalt wie dem magischen Mann war er lieber auf Nummer sicher gegangen. Blue war an dem Zeug auch tatsächlich nicht krepiert, hatte nur das Bewusstsein verloren und nun ein paar Gedächtnislücken zu verbuchen. Aber er war noch bei bester, verfluchter Gesundheit. Und der Fluch war in dem Fall gut. Amylnitrit wurde in Maslovs Kreisen als Popper-Droge gehandelt, hatte eine aphrodisierende und zugleich entspannende Wirkung. Wenn Maslov es also recht bedachte, hatte vielleicht sogar er mit seinem Drogencocktail einen ordentlichen Anteil dazu beigetragen, dass Blue plötzlich diese göttliche Geilheit ausstrahlte. Der Typ sah zwar gut aus, aber seine Wirkung ging deutlich über das Maß seines Aussehens hinaus.
Egal.
Ihm sollte es nur Recht sein! Für seine Partys und Gangbangs war Blue der ideale Anheizfaktor und sollte er sich irgendwann doch noch auf seine Seite stellen, würde er ihn mit einem Vertrag der magischen Sonderklasse binden. Nur so war seine Macht kontrollierbar und keine Gefahr für ihn selber.
„Dabei wäre es so leicht, du Idiot! Du kannst jederzeit die Fronten wechseln und in meine Dienste treten. Das ist gar nicht so ein schlechtes Leben wie du vielleicht glaubst.“ Er schnalzte selbstgefällig mit der Zunge. „Aber solange du das nicht willst, bist du mein Gefangener und nur zum Vergnügen anderer da.“ Damit wandte er sich der kleinen Gruppe am Ende des Showraumes zu, denn die Party war natürlich längst im Gange. Drei der fünf Geschäftspartner lagen bereits mit Maslovs weiblichen und männlichen Sexdienern auf lauschigen Plätzen, ließen sich verwöhnen und genossen den guten Ausblick auf die Showbühne.
„Nicht wahr meine lieben Gäste?“ Die Männer hoben nur kurz den Blick und nickten ihrem Gastgeber zu, die Nutten taten nicht mal das. Maslov war dennoch zufrieden und wandte sich wieder an Blue.
„Okay, diejenigen die sterben, haben mit dir wohl eher kein Vergnügen“, ergänzte er sarkastisch und verzog plötzlich das Gesicht. Mit einem wütenden Laut stieß er eine der beiden Nutten von seinem Körper. „Keine Zähne, du Hure. Das nächste Mal kannst du gleich bei Blue weitermachen, verstanden?“ Lilly rutschte auf Knien von ihm fort und zitterte am ganzen Leib. Sie wusste, wie tödlich der blaue Mann war, und dass Maslov durchaus auch Frauen opferte.
„Verzeihung“, stieß sie hervor und beugte demütig den Kopf. Ein paar der Gäste fanden das ganz amüsant und lachten über die ängstliche Reaktion der Frau. Maslov hingegen knirschte mit den Zähnen und überlegte erste Maßnahmen. Er war ein Tyrann durch und durch und er hatte in seinem Reich alle Macht der Welt. Seine Stimmungsschwankungen und sein Zorn waren legendär und Folgen seines Drogenmissbrauchs. Aber das kümmerte ihn nicht sehr. Damit mussten seine Angestellten klarkommen, gehen ... oder sterben. So waren manchmal Zähne ein Muss, dann wieder vollkommen verkehrt. Nie wusste eine Gespielin, wie er es wirklich wollte und worauf sie sich gerade einließ. An guten Tagen bedeutete das ein paar Ohrfeigen, in krassen Fällen den Tod. In genau diesem Fall aber kam Lilly die andere Gespielin zu Hilfe.
„Blue soll seine Hose ausziehen“, flötete sie Maslov ins Ohr, während sie Maslovs Hinterbacken massierte. Sie hatte richtig Feuer gefangen beim Anblick des Mannes und wollte von dem Fehler ihrer Freundin ablenken. „Bitte nur heute! Ein einziges Mal!“ Der Gefangene sah so hinreißend schön aus, dass sie einmal mehr sehen wollte, als nur seinen beeindruckenden Oberkörper.
„Du kannst sie ihm ja ausziehen, Süße“, ätzte Maslov. „Schutzanzug gibt es allerdings keinen.“ In seinen Augen glühte ein höllisches Feuer. Diese Nelly war einfach nur eine dumme Nuss, noch nicht lange bei ihm und konnte nicht mal bis zehn zählen. Dafür waren ihre Brüste sensationell und ihre Lippen super aufgespritzt. Mit Eigenfett.
„Ich könnte es ja mal probieren“, zwitscherte sie allen Ernstes und einer der Gäste applaudierte spontan, um seine Zustimmung zu dem Himmelfahrtskommando zu geben. Ein Todesfall mehr oder weniger war auf solchen Partys schließlich kein Weltuntergang.
„Spinnst du?“, schrie Lilly aufgebracht, weil sie nicht wollte, dass ihre Freundin so mit ihrem Leben spielte. „Noch niemand hat das überlebt. Kein Mensch ist immun gegen die Magie. Jeder der seine Haut berührt geht in Flammen auf. In magischen Flammen. Du hast es doch schon einmal gesehen, Nelly! Du kannst doch nicht allen Ernstes ...“
„Still!“ Maslov hatte es nicht so gerne, wenn andere etwas erklärten. „Lass sie doch, wenn sie möchte.“ Er grinste böse und stieß die dumme Nutte vorwärts. Die Gäste johlten fröhlich und Maslov zwinkerte ein paar Mal in die Runde. Doch das Mädchen hatte begriffen, dass das Ablenkungsmanöver plötzlich in eine sehr reale, tödliche Richtung schwenkte. Blue mordete zwar nicht weil er wollte, konnte es aber auch nicht verhindern, wenn er nicht wollte. Unbeholfen stakste sie auf ihren extremen High Heels vorwärts, um den Stoß Maslovs abzufangen, dann aber blieb sie abrupt stehen und blickte wie erstarrt zu dem schönen Gefangenen. All seine Muskeln befanden sich selbst in dieser unwürdigen Stellung in einem solch harmonischen Schwung, dass ein Teil von ihr ihn tatsächlich am liebsten angefasst hätte. Blue hob den Kopf. Seine Augen waren silbern und klar und starrten sie direkt an. Beinahe unmerklich schüttelte er den Kopf und deutete dem Mädchen, nicht näher zu kommen. Ihr Herz begann zu flattern, ihre Hände zu schwitzen. Endgültig begriff sie, wie tödlich ernst Maslov es meinte. Er hatte ein Herz aus Stein und für nichts und niemanden wirklich etwas über. Nelly aber wollte nicht sterben. Mit ängstlichem Blick wandte sie sich wieder um und stöckelte langsam zurück zu ihrem Boss. Maslov packte sie unsanft am Arm.
„Nein? Magst du ihn doch nicht anfassen, du Dummchen?“ Sein Griff wurde härter. „Gut, dann aber ab mit dir auf die Knie und ja keine Zähne!“ Nelly tat sofort wie ihr geheißen wurde, öffnete Maslovs Hose und legte sich augenblicklich ins Zeug. Maslov knurrte zufrieden und schenkte Lilly noch einen kurzen, abschätzenden Blick. „Und du kannst dich verdrücken. Ich brauch dich heute nicht mehr.“ Das musste er ihr nicht zweimal sagen. Aus irgendeinem Grund war Maslov milde gestimmt. Auch Nelly schien glimpflich davonzukommen, denn schließlich gab es weit schlimmere Jobs als die von Mr. Blow vor versammelter Mannschaft.
Als Lilly zur Tür hinaus stolperte, wurde zeitgleich ein junger Mann in den Raum gestoßen. Seine Hände waren auf den Rücken gebunden und ein riesiger Knebel steckte in seinem Mund ... ein Ball, der mit einer Schnur um seinen Kopf befestigt worden war. Offensichtlich ein Requisit aus Maslovs SM-Raum. Kreidebleich ließ sich der Mann auf die Knie fallen und flehte Maslov in stiller Verzweiflung um Vergebung. Seine Schultern bebten und jeder konnte sehen, dass er weinte und um sein Schicksal wusste. Doch Maslov hatte für heute schon genug Milde gezeigt. Lilly war zu schön, um sie hart zu bestrafen und die Neue hatte noch eine Chance verdient, weil sie gerade wirklich gut an ihm saugte. Für Verräter aber hatte er nichts über, schon gar keine Vergebung.
„André, du mieses, kleines Arschloch! Du hast mir diese Woche ein kleines Vermögen gekostet.“ Maslov zischte den Rest des Satzes wie eine böse gewordene Schlange. Er ärgerte sich, dass André versucht hatte einen Teil der letzten Drogenladung für sich abzuzweigen. Zusätzlich hatte sich Nelly gerade mächtig ins Zeug gelegt. Seine Hand auf ihrem Kopf bestätigte, dass der Zischlaut wohl eher wegen ihr erfolgt war. Mit lüstern verdrehten Augen packte er sie noch fester an den Haaren, dann deutete er seinen beiden Wachhunden mit der Aktion zu beginnen. Er liebte es zu kommen, wenn ein anderer ging und er schaffte es jedes Mal sich über das primitive Wortspiel zu amüsieren. Uh, diese Nelly gab wirklich Gas. Mit einer schnellen Bewegung deutet er seinen beiden Muskelprotzen, dass sie sich zu beeilen hatten. Auch seine Gäste waren längst soweit, dass sie zusätzlich zum Verwöhnprogramm noch einen gehörigen Kick gebrauchen konnten. Andrés Knebel wurde entfernt, seine Fesseln natürlich nicht. Etwas Geschrei war durchaus anregend, aber die Sicherheit der Gäste durfte nicht aufs Spiel gesetzt werden. Menschen, die dem Tode ins Gesicht sahen, konnten ganz leicht durchdrehen und zu einem Risiko werden. Maslov aber wollte hier nichts riskieren. Er war zwar einer der wirklich bösen Jungs auf diesem Planeten, doch er hatte eine Menge über für ... Sicherheit. André hatte für seinen Verrat zu sterben und was lag da näher, als damit seine Gäste zu unterhalten? Die meisten Geschäftspartner liebten diese Shows über alles. Die ersten klatschten bereits heftig Beifall, schnupften nebenbei Kokain und ließen sich weiterhin auf alle erdenklichen Arten von den Damen und Herren des Hauses verwöhnen. Gangbang auf Maslov-Art eben.
André kreischte panisch und versuchte der vorgegebenen Richtung mit seinem ganzen Körpergewicht gegenzusteuern. Doch die beiden Schlägertypen waren unerbittlich, schoben ihn weiter zur Bühne. Näher und immer näher kam er dem blauen Mann, der mit versteinerter Miene auf das Unausweichliche wartete.
„Ich wurde reingelegt“, brüllte André. „Ich wusste es nicht. Ich habe doch nur ...“ Ich, ich, ich. Seine Verzweiflung war offensichtlich, das Festhalten am ICH eine logische Konsequenz, kurz vor dem großen Verlust.
„Fester!“, knurrte Maslov Nelly an und „Schneller!“, forderte er fast zeitgleich von seinen beiden Lakaien. Genau das war in seinen Augen die Kunst einer perfekten Inszenierung. Er musste dirigieren, vorgeben und den kollektiven Orgasmus schüren. Und er hatte ein ganz gutes Händchen dafür, dass beinahe immer alles gleichzeitig oder eben zur rechten Zeit passierte. Nur so war es perfekt und nur so konnte er es richtig genießen. Die kopulierenden Gäste im Hintergrund, ihr Stöhnen, das Jammern des Todgeweihten, Maslovs eigener, nahender Höhepunkt ... es war ein geniales Szenario. Dazu Blues angespannter Körper und letztendlich der Tod eines Verräters. Niemand konnte bei solchen Spielchen Maslov das Wasser reichen, niemand auch nur im Entferntesten seine Qualität erreichen.
André erhielt einen kräftigen Stoß und kam ins Straucheln. Blues Oberkörper spannte sich an, erwartete das Unausweichliche. Jeden Moment konnte der Aufprall des jungen Mannes geschehen und damit der quälende Schmerz des Feuers. Das Zischen der Haut, der Gestank von verbranntem Fleisch, ... all das konnte Blue kaum noch ertragen. Doch er biss die Zähne zusammen, hatte keine Chance sich zu wehren. Die tödliche Magie der Zeichen funktionierte, ob er wollte oder nicht.
Zehn, neun, ... in Gedanken zählte er die Sekunden. Der Mann hatte gleich Kontakt mit seiner Haut – mit seiner Gott verfluchten Haut – und war in spätestens fünf Minuten nichts weiter als Asche. Und das Schlimmste daran war die furchtbare Leere danach.