14. Kapitel

Vanessa erwachte mit höllischen Kopfschmerzen in einem Krankenzimmer. Ein Schlauch führte aus ihrem linken Handgelenk zu einem rollbaren Gestänge mit Plastikbeutel. In dem Beutel befand sich eine durchsichtige Flüssigkeit, die ihr langsam tropfend eingeflößt wurde. Das Seltsame daran war nur, dass eben dieser linke Arm dafür festgeschnallt worden war ... mit einer Vorrichtung, die sie selbst nicht lösen konnte. Was soll denn das? Eben hatte sie noch am weißen Strand gelegen, das Meer bewundert und Linkin Park gehört und dann ... tja, was dann?

„Sind wir endlich munter?“, fragte eine Stimme, die ihr entfernt bekannt vorkam. Vanessa blinzelte und entdeckte den großen Mann mit dem brutalen Gesicht und den blonden Haaren. Tom oder so ähnlich. Vanessa versuchte sich zu konzentrieren. Woher kannte sie diesen unangenehmen Typen nur?

Tom beobachtete die blonde Schnecke genau. Ihr Gesicht verriet ihm, dass sie sich überhaupt nicht auskannte. Blue hat ihr mit purem Sex das bisschen Hirn aus dem blonden Schädel gefetzt. Er lachte unangenehm und hatte frivole Bilder im Kopf. Als sich ihr Gesichtsausdruck veränderte und er erste Anzeichen des Begreifens zeigte, lachte er sogar noch lauter. Ihre Augen wurden groß, ihr Mund klappte auf. Ja! Jetzt begann sie sich definitiv zu erinnern. Staunen, Angst, Panik. Tom liebte diesen Anblick, die vorhersehbare Reihenfolge und die klare Endreaktion. Das Mädchen stöhnte auf. Zu schade aber auch, dass die Kleine nichts für seine Spielchen war. Mit diesem ausdrucksstarken Gesicht hätte sie ihm viel Freude bereiten können. Doch sie war tabu und sollte schon morgen nach Ägypten verschifft werden. Je schneller, desto besser ... hatte Maslov befohlen und dabei gehetzt gewirkt wie ein Tier, das in die Ecke gedrängt worden war. Sein Boss zeigte in der Regel nie Angst oder Bedenken, außer vielleicht wenn es um die Sicherheit und Ordnung auf seinem Anwesen ging. Doch bei dem Ägypter verhielt er sich immer seltsam. Beinahe schon unterwürfig und das war ein Wort, das einem sonst im Zusammenhang mit Maslov sicher nicht in den Sinn kam. Zu dumm aber auch, dass diese Vanessa zu 100 Prozent Merenpaths gewünschtem Profil auf der Red-Watch-List entsprach.

„Was geschieht jetzt mit mir?“, fragte Vanessa, die sich mittlerweile an ihre Entführung erinnern konnte und ein Gefühl im Bauch hatte, als hätte jemand ihre Gedärme mit Blei überzogen. Irgendwo im Hinterkopf tauchte zwar beständig etwas strahlend Blaues und Faszinierendes auf, doch sie konnte nicht erfassen was genau das war. Das schöne Gefühl dazu schob sie auf ihren letzten Eindruck vor der Entführung. Auf den blauen Himmel und das türkisfarbene Meer. Was sollte es auch sonst sein? Sie befand sich in den Händen einer Verbrecherorganisation und musste mit einem grässlichen Schicksal rechnen. Sich einem diffusen blauen Gefühl zu widmen, machte daher nicht wirklich Sinn.

„Was geschieht jetzt mit mir?“, äffte Tom sie nach und zog eine Grimasse. „Es ist ganz einfach, mein blonder Engel. Dafür, dass du noch nie mit einem Mann gevögelt hast, kommst du in die Hölle. Wer hätte das gedacht, hm? Enthaltsamkeit bringt einen eben nicht immer in den Himmel. Allem Anschein nach hast du Moral und Ehre komplett falsch verstanden und dafür bezahlst du schon morgen die Rechnung. Dann wirst du nämlich deinem Käufer übergeben, ganz nach dem Motto: Engel kommt in die Hölle. Haha.“ Tom klopfte sich vor Vergnügen auf die massigen Schenkel. Vanessa verzog angewidert den Mund. Alles an diesem Mann war abstoßend. Außerdem verstand sie nur die Hälfte von dem, was er sagte. Wenigstens ging er nicht auch noch körperlich auf sie los, aber erste Tränen schossen ihr dennoch in die Augen.

„Ach, bitte! Heul nicht gleich los! Du wirst noch früh genug erfahren, wer dich bald vögeln darf.“ Er lachte gehässig und schaffte es tatsächlich, dass Vanessa lauthals zu weinen anfing.

„Bitte ... können nicht meine Eltern ...“

Was? Dich auslösen? Freikaufen?“ Sein Lachen wurde noch gemeiner. „Vergiss es, Süße! Das war nie eine Option. Maslov ist doch nicht blöd und lässt etwas so Wertvolles wie einen 100%-Treffer wieder entwischen. Außerdem kann er dich gar nicht gehen lassen, wo du ihn doch von Angesicht zu Angesicht gesehen hast. So viel Kohle können deine lieben Eltern gar nicht zusammentragen, als dass ihn das noch interessieren würde.“ Vanessa sank in sich zusammen und heulte hemmungslos. Ihr ganzes Leben schien ihr aus den Fingern zu gleiten und dann waren da ja noch ihre Freundinnen. Was würde wohl mit ihnen passieren? Würden sie zu dritt weitergereicht werden, oder sich nie wieder sehen?

Tom setzte sich zu ihr an die Bettkante und packte grob ihr Kinn. Vanessas linke Hand war festgeschnallt und ihre rechte Hand hielt er nun brutal fest. Vanessa versuchte so ruhig als möglich liegen zu bleiben und sich nicht gegen ihn zu wehren.

„Du hast voll verfickt, Kleine. Dein neuer Herr und Meister erwartet dich morgen im guten, alten Ägypten und das in der absoluten Einöde. Wenn der Transport dich nicht umbringt, dann wohl dieser Mann. Aber das soll dich nicht weiter bekümmern, denn dafür wird dein Leben nicht ewig lang scheiße sein.“ Er lachte und drückte Vanessa einen feuchten Kuss auf die Nase. „Was mich jetzt aber viel mehr interessiert ist, wie es denn war.“ Sein Blick wurde eindringlicher und seine Nase blieb ganz dicht vor ihrer. Er bedrängte sie, doch Vanessa verstand nicht einmal, was er von ihr hören wollte. Fragend blickte sie ihn an und er wurde ärgerlich, quetschte ihr Kinn noch mehr.

„Na, deinen verfluchten Höhepunkt mit Blue, meine ich natürlich!“ Und mit der Erwähnung dieses Namens hatte Vanessa plötzlich das Gefühl, als hätte dieser fiese Tom ein Licht in ihrem Kopf angeknipst. Gefühle brachen über sie herein und damit auch der Rest ihrer Erinnerung. Binnen Sekunden wusste Vanessa plötzlich wieder alles. Sie erinnerte sich an den seltsamen Folterraum, an Annikas Wiederbelebung und an den angeketteten Mann mit den blauen Zeichen auf seiner Haut. Blue! Diese Farbe hatte sich in ihr Gedächtnis eingeprägt, stammte aber nicht von der Erinnerung an einen blauen Himmel oder das herrliche Meer, sondern einzig und allein von diesem Mann. DEM Mann. Die Erinnerung an ihn trieb ihr feurige Hitze in die Wangen, durchblutete ihren Körper besonders gut an bestimmten Stellen. Blue war perfekt und er war ... tödlich. Vanessa blieb kurz die Luft weg. Er war kein gewöhnlicher Mann, vielleicht noch nicht mal menschlich, aber das änderte nichts daran, dass sie nach dem ersten Schreck eine tiefe Verbundenheit mit ihm und seiner Magie verspürt hatte. Wie zur Bestätigung begann ihre rechte Handinnenfläche leicht zu kribbeln. Jene Hand, die von seiner Magie mit dem Auge des Horus gezeichnet worden war. Zuerst blau und schmerzhaft, dann aber milder und ohne Farbe. Warum oder wie war dabei offenbar selbst ihm nicht klar.

Auch ihr Tanz zu Adeles Skyfall fiel ihr wieder ein und die magische Schwingung, die sie mit Blue gemeinsam gespürt hatte, obwohl er ein paar Meter weit entfernt gekniet hatte. Dann hatte es den Stromausfall gegeben und danach hatte sie ihn gespürt. Voll und ganz. Sie hatte seine feste Erektion berührt und mit ihm eine unglaubliche, alles zerschmetternde Explosion erlebt – den magischen Moment schlechthin, die Auflösung im Gefühl, das Überschreiten jeder noch so bekannten Grenze. Vanessas Körper begann sofort von den Zehen aufwärts bis zu ihren Wangen zu kribbeln. Sie fühlte Schmetterlinge im Bauch und sengende Hitze bis tief in ihre Seele. Mittlerweile war sie so erregt und klatschnass, dass sie den Blick senkte und ihren Unterleib unbewusst von Tom wegdrehte. Das Erlebnis war ganz klar zu intensiv für ihren Körper und ihren Geist gewesen, doch die Erinnerung daran war ein wenig milder und machte das Erlebte zu etwas Phänomenalem. Wenn sie ehrlich war, würde sie wohl alles dafür geben, es noch einmal zu wiederholen. Hätte Tom ihr Kiefer nicht mit seiner Hand wie in einem Schraubstock eingeklemmt, wäre ihr womöglich sogar ein Lächeln entschlüpft.

„Ah!“ Tom begriff plötzlich, dass Vanessa dieses Ereignis bis zu diesem Zeitpunkt ausgeblendet hatte. Mit einem leisen Lachen ließ er ihr Kinn endlich los. Die kleine Schnitte hatte sich aus lauter Selbstschutz in ein kleines Blackout gerettet. Doch die wachsenden Sternchen in ihren Augen zeigten ihm nun genau, wie sehr sie sich gerade erinnert und welchen Genuss es ihr brachte. Auch er erinnerte sich mittlerweile ohne jeden Groll an den sexuellen Überfall von Blues magischer Kraft. Die Stunden, die mittlerweile dazwischen lagen, hatten dem Vorfall die Schmach genommen und in erster Linie das intensive Gefühl als Erinnerung gelassen.

„Ich ... äh ...“, begann Vanessa, weil Tom sie immer noch vehement anstarrte und auf eine entsprechende Antwort wartete. Doch in Wahrheit wollte sie dieses Erlebnis mit niemandem teilen. Sie hob den Blick und schwindelte ihn an.

„Ich wurde ja sofort ohnmächtig, bekam nichts mit“, meinte sie so bestimmt wie möglich, aber Tom packte sie sofort wieder am Kinn und knurrte sie böse an.

„Wem willst du was vormachen? Du hast Blue einen ewig langen Orgasmus verschafft und genau gewusst, wie du das anstellst. Du bist also bei weitem nicht die brave Göre, die du ständig vorgibst zu sein. Jungfrau hin oder her ... die raffinierteste Nutte hat nicht geschafft, was du quasi mit deinem kleinen Finger erledigt hast. Also mach mir hier nichts vor und erzähle mir nicht, du hast nichts mitbekommen, nur weil du in Ohnmacht gefallen bist.“ Sein Griff wurde wieder fester und Vanessa begann zu wimmern, versuchte ihren Kopf aus seiner Umklammerung zu befreien. Zum Glück ging genau in dem Moment die Tür zum Zimmer auf und eine ältere Frau mit aufgedunsenen Wangen und total überschminkten Augen kam in das Zimmer.

„Lass das Mädchen in Ruhe, Tom! Außerdem sollst du zum Boss kommen. Dringend“, zwitscherte sie und stemmte ihre Arme in die Seite. Ihre Aussprache hatte einen russischen Akzent und ihr Auftreten zeigte, dass sie nicht die rangniedrigste Position in diesem miesen Verein hatte. Vielleicht war sie sogar Ärztin, obwohl sie eher etwas von einer Puffmutter hatte. Tom aber reagierte tatsächlich wie gefordert und ließ Vanessa los. Er stand sogar auf.

„Wir beide sprechen uns noch“, meinte er mit einem forschen Blick auf Vanessa, dann aber wandte er sich der älteren Dame zu. „Warum piept er mich nicht einfach an, wenn er was braucht?“ Die Dame zuckte mit den Schultern.

„Vermutlich findet er sein Handy wieder nicht.“

„Egal. Kümmere dich gut um das Mädchen! Schon morgen hat sie ihr grande finale.“ Er lachte unangenehm und die Frau schüttelte den Kopf.

„Zisch ab, du Sadist“, fauchte sie und schob ihn – immer noch lachend – aus dem Zimmer. Vanessa duckte sich automatisch mehr in ihr Kissen. Vermutlich würde sie jetzt gleich eine Spritze oder auf andere Art Drogen verabreicht bekommen.

„Ach, keine Angst Süße. ICH tue dir sicher nichts. Zuerst bringen wir mal deinen Kreislauf wieder auf Vordermann, dann schaue ich mir dein Hymen an.“

„Mein was?“, fragte Vanessa und duckte sich noch mehr in den Polster hinein.

„Also bitte! Hymenaios oder Hymen ... dein Jungfernhäutchen, die Scheidenklappe, der Beweis deiner Enthaltsamkeit.“ Damit zog sie sich mit einem lauten Schnalzen einen beigen Gummihandschuh über und kam mit einem Lächeln auf das Mädchen zu.

Auf dem Weg zu Maslov traf Tom plötzlich Blue. Ganz in schwarz gekleidet und ohne Fesseln. Wie vom Donner gerührt blieb er stehen und hatte einen Puls von 140. Am liebsten hätte er sich die Augen gerieben, um diese unmögliche Halluzination fortzuwischen.

„Was ...?“, krächzte er. „Das kann nicht sein und warum hast du diese Klamotten an?“, herrschte Tom ihn, in einem letzten Versuch Haltung zu wahren, an. In Wahrheit hatte er die Hose bereits gestrichen voll und versuchte unauffällig zu seiner Waffe zu greifen. Doch „unauffällig“ ging bei Blue gar nicht. Außerdem hatte er selbst eine Waffe und die hatte er schneller in der Hand, als Tom blinzeln konnte. Sofort hielt der ehemalige Sicherheitsmann in seiner Bewegung inne.

„Tom, Tom, Tom“, ätzte Blue und kam einen Schritt näher auf den Ehemaligen zu. Die Zeit der Rache war gekommen und auch wenn das Bedürfnis ein primitives war, so würde er es doch mit Genuss ausleben. Mit der Waffe zielte er auf die Stirn des Mannes. Blue selbst war vor Kugeln sicher, aber sein neues Hemd hätte ruiniert werden können. Also wollte er nicht riskieren, dass dieser Sadist zu seiner Waffe kam.

„Du wirst nicht glauben, was in der Zwischenzeit alles passiert ist, Tom ...“, lachte Blue und hielt dem Mann den Lauf seiner Schusswaffe immer näher vor die Nase. Schweiß perlte auf dessen Stirn, seine Augen waren vor Entsetzen weit und gerötet. Tom hatte längst begriffen, dass der magische Mann auf den Deal mit Maslov eingegangen war. Eine Möglichkeit, die er in hundert Jahren nicht geglaubte hätte.

„Du Scheißkerl hast doch tatsächlich unterschrieben! Aber du hast nie in Erwägung gezogen es zu tun, egal was wir mit dir ...“ Es war eine logische Schlussfolgerung und eine unausgesprochene Frage, aber Blue war inzwischen so nahe, dass Tom keine Lust mehr hatte weiterzureden. Blue war frei und hatte eine Waffe in der Hand. Nein, falsch. ER war die Waffe. Aber woher hatte er nur das ganze schwer entflammbare Zeug? Schwarzes Hemd, Handschuhe, Hose und Schuhe. Der Kerl war ja der schlichte Albtraum!

„Weißt du Tom. Niemand fand deine Spielchen je amüsant“, zischte Blue und kam noch ein wenig näher. Seine Augen funkelten böse. „Am wenigsten ich.“ Er knurrte und war knapp davor dem Widerling einen Kopfstoß zu geben. „Ja, ich habe unterschrieben und meine Seele dem Teufel verkauft, aber dafür habe ich auch ein paar Forderungen durchgesetzt, einen Deal ausgehandelt, wenn du so willst. Allerdings einen, der dir nicht schmecken wird, mein Kleiner! Denn jetzt gehört dein Arsch mir.“