21. Kapitel

Die Explosion riss ihn von den Füßen. Scheiben zersplitterten, Schutt fiel von der Decke. Blue rollte sich instinktiv zusammen, obwohl ihm eigentlich nichts von all dem wirklich etwas anhaben konnte. Nicht einmal die Flammen, die durch sein Zimmer züngelten. Sein Gewand war feuerfest und seine Magie schützte ihn vor dem Rest. Die Menschen in der Wohnung hatten nicht einmal mehr die Zeit zu schreien. Dafür war die Explosion zu massiv, die Zerstörung vollkommen.

Das Höllenspektakel dauerte nur ein paar Sekunden, aber von außen sah es wohl so aus, als hätte jemand mit einer riesengroßen Bazooka einfach den Teil des Stockwerks von der Bildfläche gefegt und die Wohnung Maslovs gezielt ausradiert. Staub und Rauch wirbelte noch durch die Luft, machten das Atmen schwer. Blue stöhnte und erhob sich langsam aus dem Dreck. Die schlechte Luft brachte ihn zum Husten. Sein Gesicht war mit einer dünnen Staubschicht überzogen und er musste sich erst die Augen sauber wischen, um etwas erkennen zu können. Kleine Flammen züngelten noch an manchen Stellen, doch das Hauptfeuer war bereits wieder erloschen. Als hätte es jemand mit einem riesigen Strohhalm ins Freie gesaugt.

Blue schüttelte sich den Dreck aus den Haaren und ging ein paar Schritte vorwärts. Die Druckwelle der Explosion hatte ihn zwar nicht verletzt, doch er fühlte sich schwindelig und erschöpft. Offenbar hatte es seiner Magie sehr viel Kraft gekostet, DAS hier zu überleben. Schutt knisterte unter seinen Füßen und das Gerümpel machte es ihm schwer, nicht zu stolpern. Aber er hetzte so schnell er konnte zum ehemaligen Wohnzimmer der Wohnung, um nach Maslov zu sehen. Denn, das Einzige was zählte war, ob der Mann überlebt hatte oder nicht.

Blue wusste nicht was er erwartet hatte, aber als er nichts als Schutt und Asche und ein paar zerfetzte Körperteile in allen Himmelsrichtungen fand, ließ er sich auf die Knie fallen und begann zu schluchzen. Herzergreifend und laut. Alles was er sich erträumt hatte, alles was er je wirklich gewollt hatte, war mit dieser Explosion ein Stück näher gerückt. Er weinte nicht um den Abschaum, der hier sein Leben verloren hatte. Er weinte ausschließlich vor Freude. Keiner hatte überlebt. Keiner außer ihm.

Doch von einer Gasexplosion konnte hier nicht die Rede sein. Niemals! Solche Zufälle gab es nicht. Hier waren mit Sicherheit Profis am Werk gewesen und die hatten offenbar die Möglichkeit eine ganze Wohnung einfach so wegzubomben. Und das war sein großes Glück! Denn Maslovs Macht über ihn reichte per Vertrag nur bis zum Ende seines Lebens, das er ja wiederum um jeden Preis zu schützen gehabt hatte. Blue hatte nie selbst die Hand erheben dürfen oder einen Mordanschlag in Auftrag geben können. Zumindest nicht gegen seinen Boss. Also hatte jemand anderer es für ihn getan.

Gott? Das konnte doch nicht sein! Blue fuhr sich mit zittrigen Händen über sein Gesicht. Er hatte doch nicht einmal ernsthaft gebetet und seit wann hatten Bitten solch derartige Wirkung? Deswegen konnte doch nicht gleich ein halbes Gebäude in die Luft fliegen, oder doch? Er kniete immer noch im groben Schutt, während der Putz von der maroden Decke rieselte und der Rest der stehenden Wände jeden Moment einstürzen konnten. Und doch hatte er die Ruhe nach einem Zeichen zu suchen, nach einem Hinweis, der ihm die Endgültigkeit von Maslovs Tod bestätigte und damit die Endgültigkeit seiner Befreiung. Er hob einen kleinen Teil des Couchtisches auf und fand darunter tatsächlich einen Fetzen aus Fleisch und Blut mit dem typischen Ring am kleinen Finger. Es war ein skurriler und befremdender Moment und er sogar kurz am überlegen, den Ring wie eine Trophäe an sich zu nehmen. Doch dann schüttelte der den Kopf. So tief wollte er dann doch nicht sinken. Nie wieder wollte er das, sondern nur noch in die Höhe steigen und frei sein. Frei für den Rest seines Lebens. Wie Phönix aus der Asche.

Ein Plöpp in seinen Ohren nahm den Druck aus seinem Schädel und milderte die leichte Taubheit, die er durch die Explosion abbekommen hatte. Dafür hörte er nun ein komisches Rattern, als würde sich in seinem Kopf eine Art Ventilator drehen. Wirklich konzentrieren konnte er sich darauf natürlich nicht, denn er überlegte gerade, wer für den Bombenanschlag verantwortlich sein könnte.

Die Antwort folgte auf dem Fuß, denn ein olivgrüner Helikopter tauchte genau vor dem Loch auf, wo bis vor zwei Minuten noch die Außenmauer des Wohnzimmers gestanden hatte. DAS erklärte dann wohl auch das eigentümliche Rattern in seinem Kopf.

Blue war verblüfft, denn mit einem Militärhubschrauber hatte er nun wirklich nicht gerechnet. Demnach war keine Bombe gelegt, sondern tatsächlich eine Rakete von einem Heli abgeschossen worden. Und zwar punktgenau. Eine derartige Aktion war mit normalem Menschenverstand jedenfalls nicht zu erklären. Ein Hubschrauber mit Flugabwehrraketen war in dichtbesiedeltem Gebiet nicht gerade unauffällig und vor allem für die Zivilbevölkerung eine große Gefahr. Die Männer im Hubschrauber waren zwar Profis und hatten tatsächlich nur die Wohnung Maslovs ausradiert, doch solch eine Aktion konnten niemals offiziell freigegeben worden sein. Aber wer sonst als die Regierung verfügte über einen eigenen Kampfhubschrauber? Der Ägypter! Blues Gedanken überschlugen sich, wurden aber von einer klaren Aufforderung aus einem Lautsprecher des Hubschraubers unterbrochen.

„Ganz ruhig, sonst schießen wir noch einmal!“ Und nun konnte Blue auch die zweite Rakete sehen, die noch an der rechten Seite des Hubschraubers hing und geradewegs auf ihn zielte.

Blues Miene versteinerte. Diese Männer waren offenbar nicht nur wegen Maslov gekommen, sondern auch wegen ihm. Vermutlich wussten sie über ihn und seine Magie Bescheid und das konnte nur eines bedeuten: Sie wollten ihn mitnehmen ... für den nächsten Sklavenjob. Doch das würde er nicht ertragen.

NEIN, brüllte es in seinem Kopf, als er langsam in die Höhe kam. Seine Knie schmerzten vom Schutt und den spitzen Teilchen, auf denen er gekniet hatte, doch er wollte hier nicht sterben und er wollte auch nicht gefangen genommen werden. Er musste handeln, irgendetwas tun. Niemals mehr wollte er so tief sinken und für jemanden Sklave und Henker in einem spielen.

Er spannte alle seine Muskeln an und sprintete er los, hechtete in einem waghalsigen Sprung zurück in sein Zimmer und schnappte sich die Reste seines Koffers. Das Gewand darin war essentiell für ihn, überlebenswichtig – wenn auch nicht für ihn, sonder für die anderen. Aber wenn er überleben sollte, brauchte er es, ebenso wie ein wenig Geld ... und beides befand sich nun einmal in seinem Koffer. Gut, der war von der Explosion ziemlich zerschrammt und hielt nur noch notdürftig zusammen, doch er hielt. Mehr zählte nicht.

Der Hubschrauber aber war ihm gefolgt und stand nun genau vor seinem Zimmer. Auch dort fehlte die Wand nach außen. Blue umklammerte den Koffer wie einen Rettungsanker, dabei wusste er, dass er nicht sehr viele Möglichkeiten hatte. Wenn er zur Haustür floh, würden sie schießen, wenn er in ein anderes Zimmer flüchtete, würden sie schießen. Warum sie es bisher noch nicht getan hatten, konnte er nur erahnen: Vermutlich sollten sie ihn lebendig einfangen. Doch das würde er zu verhindern wissen!

Der Koffer war Blödsinn. Er konnte sich gar nicht erklären, warum er wegen Gewand und Geld sein Leben oder eine Gefangennahme riskiert hatte. Vermutlich hatte er doch so etwas wie einen Schock und sich kurz an alte Verhaltensmuster geklammert oder an die Dinge, die ihm immer vermeintliche Sicherheit vorgegaukelt hatten. Doch je länger er hier stand und vom penetranten Scheinwerfer des Hubschraubers angeleuchtet wurde, desto genauer wusste er auch, was zu tun war. Er ließ den Koffer fallen und sprintete erneut los. Allerdings nicht vom Hubschrauber fort, sondern direkt auf ihn zu. Mit aller Kraft, mit ganzer Dynamik. Am Ausdruck des Piloten konnte er sehen, dass der mit dieser Aktion nicht gerechnet hatte, ein kurzes Schlingern der Maschine zeigte auch, dass seine Hand offenbar kurz vom Steuerungshebel abgerutscht war. Doch das konnte Blue nicht weiter irritieren. Er hatte ein Ziel und auf das lief er geradewegs zu. Das Gesicht des Piloten kam Blue bekannt vor, doch dann stand die Maschine wieder still und Blue konzentrierte sich darauf die Kufen des Hubschreibers mit einem Hechtsprung zu erwischen.

Genau in dem Moment feuerte der Pilot seine zweite Rakete ab.