18. Kapitel

Vanessa war feige. Sie tauchte zwar zum vereinbarten Zeitpunkt am Hintereingang des Lokals auf, hatte allerdings ihre beiden Freundinnen an der Seite. Nachdem sie so aufgelöst von der Toilette zurückgekommen war, hatten Annika und Leonie natürlich so lange nachgefragt, bis Vanessa mit der Wahrheit herausgerückt war. Zuerst hatten sie gescherzt und entsetzt getan, doch mit der Zeit hatten sie kapiert, dass es Vanessa ernst war und die Angelegenheit ein wenig brenzlig sein konnte. Warum sollte auch ihr Leben bedroht sein? Kurz entschlossen waren sie also mit ihr mitgegangen, um ihr beizustehen.

Als Isidora herauskam und fragend zu Vanessa blickte, zuckte die entschuldigend mit den Schultern. Zuerst schien die Kellnerin sauer zu sein, doch dann kam sie auf die drei zu und wandte sich an Vanessa.

„Okay, wenn du es nicht anders schaffst, dann nimm deine beiden Freundinnen mit. Aber versprich mir, dass man ihnen trauen kann, und dass ihr kein Wort darüber verlieren werdet. Wenn das hier nämlich rauskommt, bin ich total am Arsch.“

„Was ist denn nur los?“, fragte Annika impulsiv. „Du tust ja gerade so als wärst du vom Geheimdienst.“

„Scht“, zischte Vanessa, weil sie Isidora nicht noch mehr verärgern wollte. Und die sah derart finster zu Annika, dass die ganz kleinlaut wurde.

„Entschuldige. Ich wollte nicht blöd plappern“, murmelte sie und Isidora wandte sich wieder Vanessa zu.

„Wir müssen da lang. In zehn Minuten sind wir bei meiner Wohnung.“ Damit ging sie einfach los und blickte nicht einmal hinter sich, ob ihr die drei folgten oder nicht.

Die Wohnung war eine Altbaugarconnière und nur notdürftig eingerichtet. Außer einer kleinen Kochnische, einem großen Kasten und einem Bett befand sich nichts darin. Kein Tisch, keine Sessel.

„Wie lange wohnst du denn schon hier?“, fragte Leonie verwundert, erntete aber nur einen seltsamen Blick von Isidora.

„Das tut nichts zur Sache. Setzt Euch aufs Bett, wenn ihr nicht stehen wollt. Der Boden ist auch nicht so kalt.“ Damit ließ sie ihre Jacke einfach im kleinen Vorraum fallen und stellte die Schuhe zur Seite. Die drei Mädchen taten es ihr gleich.

„Sehr spartanisch“, murmelte Annika und Vanessa zischte sie erneut an.

„Ihr habt versprochen den Mund zu halten! Also bitte! Am besten ihr fangt jetzt gleich damit an. Bitte!“ Vanessa hatte nur leise gesprochen, doch Isidora hatte alles gehört. Sie lächelte zufrieden. Sie riskierte hier gerade ihr Leben und das ihrer Eltern, aber diese Vanessa war so ein netter Mensch. Was sie alles für Kinder tat und mit welchem Einsatz sie Freude schenkte, hatte sie schon lange tief bewegt. Vanessa war eine schöne Frau, aber immer noch so unverdorben und rein, dass sie sich wie magisch von ihr angezogen fühlte. Schon lange hegte sie Gefühle für sie. Wenn sie ehrlich war, sogar seit dem ersten Augenblick. Doch nachdem was sie war und wer, konnte sie ein romantisches „Und sie lebten glücklich bis an ihr Ende“ nur belächeln. Vanessa war nicht lesbisch veranlagt und sie war noch dazu die Auserwählte. Allerdings hatte sie gehofft, sie eine Zeit lang für sich gewinnen zu können, denn Manipulation war ihre Spezialität. Verführung ebenso. Selbst wenn sie Sex hätten, wäre Vanessa nach den Gesetzen Merenpaths noch immer unberührt. Ja, sie hatte auf eine wunderbar leidenschaftliche Nacht gehofft, doch mit zwei Leibwächterinnen an Vanessas Seite war das natürlich ein Ding der Unmöglichkeit. Denn nichts anderes war Annikas und Leonies Funktion hier. Nun gut ... neugierig waren sie sicher auch. Vielleicht erwarteten sie ja das ultimative Liebesgeständnis, worüber Isidora sogar schmunzeln musste.

„Wie gesagt ...“, begann sie schließlich und stellte in ihrer Miniküche einen Kessel mit Wasser auf den Herd. Tee war sicher ein gutes Mittel, um sie alle zu beruhigen. „... dein Leben ist in Gefahr.“ Bei diesem Satz drehte sie sich nicht einmal zu den Mädchen um, die stocksteif nebeneinander auf ihrem Bett saßen, als hätten sie einen Besen verschluckt. Annika schnaubte und Vanessa zeigte ihr mit einem Finger vor dem Mund, dass sie still sein sollte. Dann drehte sich Isidora kurz um und lächelte. Als hätte sie nicht gerade etwas über Vanessas Leben gesagt.

„Hagebutte, Rooibos oder Schwarztee?“ Es schien so eine deplatzierte Frage zu sein, dass die drei ein paar Sekunden brauchten.

„Rooibos“, antwortete Leonie schließlich als Erste. Offenbar war sie in der Situation die Coolste von den Dreien.

„Auch“, rief Annika kurz und bündig, weil sie ja offenbar Sprechverbot hatte.

„Mir auch, bitte“, lächelte Vanessa tapfer, obwohl sie längst tausend Spinnen in ihrem Magen wähnte. Es kribbelte und krabbelte überall in ihr und auf ihr. Sie wusste, dass Isidora keinen Vogel hatte und sie ahnte, dass gleich eine ganz furchtbare Wahrheit ans Tageslicht kommen würde. Selbst ihre Handfläche kribbelte wieder wie verrückt und das tat sie nun wirklich schon viel seltener als früher.

Isidora drehte sich wieder kurz um, nahm vier Teetassen aus dem Küchenschrank und gab jeweils einen Beutel Rooibos-Tee hinein. Dann wandte sie sich wieder zu den Dreien. Aus irgendeinem Grund hatte sie das Bedürfnis stehen zu bleiben und Abstand zu halten.

„Ihr wisst es nicht mehr, aber ihr hattet vor zwei Jahren ein sehr traumatisches Erlebnis“, begann sie und Annika wollte schon wieder etwas darauf sagen. Isidora aber hob nur ihr Hand und zeigte klar, dass sie jetzt erst einmal sprechen wollte. „Ihr wurdet entführt von einem Mann namens Viktor Trentz, aber dieser Mann lebt sowieso nicht mehr. Allerdings lebt der Mann, der ihn im Prinzip beauftragt hat. Sein Name ist Maslov und er ist ein wirklich großer Drogenboss und Mädchenhändler.“ Isidora machte eine kurze Pause, um zu prüfen, ob bei den Mädchen soweit alles verständlich rübergekommen war. Doch die Blicke der drei Frauen zeigten, dass sie sich an nichts erinnern konnten und auch jetzt nichts kapierten. Devil‘s Breath hatte offenbar ganze Arbeit geleistet.

„Hört zu! Egal, ob ihr Euch jetzt an das Ereignis erinnert oder nicht ... vor zwei Jahren wurdet ihr doch im Krankenhaus behandelt und an Manches von Eurer Kindheit könnt Ihr Euch bis heut nicht erinnern. Ist es nicht so? Nessi?“ Isidora sah sie auffordernd an.

„Wie hast du mich genannt?“ Vanessa schluckte, weil sie diesen Namen seit einer Ewigkeit nicht mehr gehört hatte. Annika hatte sie seit mindestens zwei Jahren nicht mehr mit diesem Namen aufgezogen oder aufgeheitert.

„Nessi. Früher wurdest du oft so gerufen. Meist von Annika“, erklärte die Ägypterin und leerte das kochende Wasser in die vier Tassen. Der Tee musste noch ein wenig ziehen, verbreitete aber schon jetzt sein angenehmes Aroma. Annika war inzwischen ziemlich blass geworden. Offenbar konnte sie sich an etwas erinnern. Sie räusperte sich kurz.

„Ich wäre fast gestorben“, murmelte sie schließlich und starrte dabei ins Leere. Ihre Hände fuhren immer wieder fahrig ihre Beine entlang. Ein Zeichen dafür, dass sie wirklich nervös war. Auch Leonie schien sich an etwas zu erinnern.

„Ich höre ständig diese Melodie von Adele. Mittlerweile ist das ja schon ein alter Schinken, aber seit zwei Jahren habe ich diese Melodie ständig im Kopf. Dabei habe ich das Gefühl, das Lied überhaupt nicht zu mögen. Ich fühle mich so ... nackt dabei.“ Ihr Körper schüttelte sich, als ob ihr plötzlich kalt geworden wäre. Isidora reichte ihr als Erste den fertigen Tee.

„Da, trink! Der beruhigt und wärmt.“ Dann reichte sie auch Annika und Vanessa eine Tasse.

„Ich habe seit zwei Jahren den totalen Blau-Tick. Ich kann gar nicht genug bekommen von dieser Farbe. Am liebsten würde ich sie fressen, inhalieren oder darin baden. Und weil ich in unserer Studentenbude nicht alles blau anmalen kann, bin ich unglücklich. Voll krank ist das, echt.“ Vanessa rieb sich die Stirn, als hätte sie Kopfschmerzen. Dann nippte sie an ihrem Tee und begann zu lächeln. „Hm, der schmeckt gut. So ganz anders als meiner.“ Isidora lächelte.

„Er hat Vanillegeschmack. So braucht man wenigstens keinen Zucker.“

„Bitte. Erzähle uns mehr“, bat Leonie und die anderen beiden nickten dazu.

„Ihr glaubt mir also, dass ihr entführt wurdet und als Prostituierte verkauft werden solltet?“ Es war eine rein rhetorische Frage. „Aber DAS ist leider noch nicht alles, den speziell Vanessa stand und steht noch immer auf einer Liste, die sie für einen sehr mächtigen Mann interessant macht.“ Und nun kam sie auf Vanessa zu und hockt sich vor sie hin.

„Vanessa. Ich arbeite für diesen Mann und ich kann dir nur raten, dich so rasch als möglich unsichtbar zu machen. Tauche unter, geh in ein anderes Land. Er weiß von dir, von Blue und von Maslovs Verbrechen an ihm. Er wird ihn jagen, bis er tot ist und er wird dich nehmen, obwohl du fast zwei Jahre über dem erwünschten Limit liegst.“ Vanessa bekam ganz große Augen. Doch so, wie Isidora vor ihr hockte, so unterwürfig und doch engagiert, traf sie mit ihren Worten mitten ins Herz.

„Blue?“, keuchte sie und die Tasse in ihrer Hand begann zu zittern.

„Ja, der blaue Mann. Der Gezeichnete. Ihr habt ihn alle drei kennengelernt, doch du hast dich in ihn verliebt und er hat dich mit seiner Magie gezeichnet. Er hat dich erwählt und dir damit die Möglichkeit zur Kontrolle über ihn gegeben. Zu dumm, dass er das selber nicht einmal weiß. Aber Merenpath weiß es und er heißt es gut. Denn, wenn er dich bekommt, hat er auch den blauen Mann unter Kontrolle. Verstehst du?“

„Nein. Um ehrlich zu sein, verstehe ich gar nichts. Ich weiß nur ... ich spüre nur ...“

„Die Liebe?“ Isidoras Blick war verständnisvoll, aber auch traurig. Schließlich war sie auch nur ein Mensch und ihre Gefühle für Vanessa offensichtlich. Meinte sie zumindest.

„Vermutlich. Aber Magie? Das klingt so fantastisch und wieso kann ich mich nicht an ihn erinnern? Ich meine, da ist dieses extreme Gefühl und dann habe ich nicht einmal ein Gesicht dazu? Nur die Farbe? Das gibt’s doch nicht!“

„Ihr habt eine teuflische Droge bekommen, damit ihr vergesst. Mit den Entzugserscheinungen habt ihr monatelang gekämpft, ohne es zu wissen. Eure Eltern wollten die Zeit Eurer Entführung vertuschen und haben Euch in dem Glauben gelassen, dass ihr einen Virus eingefangen habt. Und das mit der Magie stimmt wirklich. Blue wurde wegen eines Verbrechens gestraft und mit blauer, göttlicher Magie gezeichnet. Niemand weiß genau, warum.“

„Aber woher weißt DU das alles?“, fragte Annika, die mit offenem Mund dasaß und sich an ihrer Teetasse festhielt, als würde sie sonst vom Bett purzeln. Isidora kam in die Höhe und setzte sich neben Vanessa.

„Von Merenpath. Er ist kein normaler Mensch, müsst ihr wissen. Aber wenn ihr das mit der Magie akzeptieren könnt, dann könnt ihr Euch sicher auch vorstellen, dass es Wesen gibt, die anders sind und die eine Magie in sich tragen, die schon fast göttlich erscheint. Und Merenpath ist ein ganz besonders starkes Wesen mit magischen Fähigkeiten. Bisher hat er seine ganze Aufmerksamkeit auf seine bevorstehende Herrschaft gerichtet und ein Netzwerk unglaublichen Ausmaßes aufgebaut. Doch jetzt hat er schon viel erreicht und kann sich ein wenig zurücklehnen. Überall hat er Spitzel und Informanten. Was seine Magie nicht schafft, weiß er durch sein Netzwerk. Aus dem Grund wurde ich schon vor einem Jahr auf dich angesetzt. Ohne Dringlichkeit, ohne Einmischung. Aber so leicht ist es nicht, sich nicht einzumischen ...“ Ihre Augen tränten und Vanessa legte ihren Arm um die Schultern der Ägypterin.

„Ach, Isidora. Ich kann nicht behaupten das alles zu verstehen, aber ich habe das Gefühl, dass du ehrlich zu mir bist und mir helfen willst. Dafür danke ich dir von ganzem Herzen.“ Damit drückte sie sie fest an ihre Seite und gab ihrer neuen Freundin einen zarten Kuss auf die Wange. Annika murmelte ein leises „Iiihh“ und Leoni beugte sich vor, um einen besseren Blick auf die beiden zu erhaschen.

„Also bitte“, zischte Isidora und wischte sich die Tränen aus den Augen. „Ich falle schon nicht über eure Freundin her. Ich möchte ihr nur helfen. Wirklich.“

„Sorry“, flüsterte Annika und Leonie setzte sich ruckartig wieder auf.

„Aber was will dieser Merenpath nur von mir?“, hakte Vanessa nach, ohne Isidora dabei loszulassen. „Ich meine, ich habe doch nichts ...“

„Du hast nichts, glaubst du?“, unterbrach Isidora. „Hast du dir schon mal deine Hand angesehen?“

„Du meinst die mit dem versteckten Zeichen?“ Sie stellte die Teetasse auf den Boden und hob ihre rechte Hand, um ihre Innenfläche zu betrachten. Das Auge des Horus war noch da, allerdings nur zu erkennen, wenn man sich Zeit nahm und genauer guckte.

„Woher weißt du davon?“, fragte Vanessa.

„Wieso wissen wir nichts davon?“, fragten Annika und Leonie wie aus einem Mund, doch Vanessa winkte ab und hielt ihnen die Handfläche hin, damit sie sie genauer betrachten konnten.

„Ich weiß es, weil Merenpath es weiß“, antwortete Isidora. „Dieses Zeichen auf der Hand weißt dich als eine Mächtige aus. Als einen Menschen, der göttliche Magie kontrollieren oder filtern kann. Wie ein Sieb oder wie eine Diplomatin. Diplomatie ist ja die Kunst und Praxis des Verhandelns zwischen bevollmächtigten Repräsentanten verschiedener Gruppen oder Nationen. In dem Fall ist diese Nation halt nur göttlichen Ursprungs.“

„Ist jetzt ein Scherz, oder?“, lachte Annika, die nicht fassen konnte, dass ihre Freundin ein Auge in ihrer Handinnenfläche hatte.

„Nein, ist es nicht“, antwortete Isidora und bemerkte, wie sich Vanessa über die Handinnenfläche kratzte. Offenbar juckte das Ding manchmal.

„Zurück zu Merenpath! Bisher war er sehr beschäftigt und wenn ihr ein wenig über das Weltgeschehen informiert seid, dann wisst ihr, dass nach all dem Chaos in Ägypten jetzt ein neuer Herrscher an der Macht ist.“

„Oh! DIESER Merenpath ist das? Scheiße, der ist wirklich strange ... und saugefährlich, soweit ich das mitbekommen habe. Der richtet wahre Massaker an und nicht einmal die Amerikaner oder Russen können ihn zurzeit stoppen. Viele befürchten sogar, dass er seinen Machtbereich auch noch auf andere Länder ausweiten möchte. Und für DEN arbeitest du?“ Leonie war ganz aufgelöst. Offenbar hatte sie ein bisschen mehr Ahnung über Weltpolitik, als ihre Freundinnen. Der schönen Kellnerin aus ihrem Lieblingslokal hatte sie jedenfalls ein solches Doppelleben nicht zugetraut. Isidora nickte nur und senkte den Kopf, als würde sie sich schämen.

„Er hat uns geholfen das Land zu verlassen, als es wirklich schlimm wurde. Meine Eltern sind ihm verpflichtet und ich bin meinen Eltern verpflichtet. Das was ich jetzt mache ... was ich hier für Euch mache, bringt Schande über meine Familie und kann unser Leben kosten.“ Mittlerweile glaubten sie ihr sowieso jedes Wort, aber dass eine Fremde ihr Leben für Vanessa aufs Spiel setzte, rührte sie ungemein. Isidora zuckte hilflos mit den Schultern.

„Aber ... was hätte ich denn machen sollen? Ich bin nicht nur ein Teil des Systems. Ich bin auch ein eigenständiger Mensch mit eigenen Gedanken und einer Seele, die nichts hält von all dem Verrat und den Morden.“ Sie schniefte und Vanessa streichelte ihr sanft über den Rücken. Die Begegnung mit dieser Frau war so seltsam und neu und auf einer anderen Ebene wieder so vertraut, dass sie nicht anders konnte, als zärtlich zu ihr zu sein. Isidora bemerkte ihr Bemühen und lächelte über ihren Versuch sie zu berühren und doch keine Grenze zu überschreiten.

„Merenpath ist stets damit beschäftigt gewesen seine Vormachtstellung aufzubauen. Und jetzt, wo er das erreicht hat, kann er wieder verstärkt nach seiner Gefährtin suchen.“

„Aber warum sollte ausgerechnet ich das sein?“, fragte Vanessa vorsichtig und Isidora seufzte.

„Warum, warum. Weil das Schicksal vielleicht nicht immer fair ist? Du bist blond, hast grüne Augen, kannst göttliche Magie kontrollieren und ...“ Sie hob den Finger. „.. bist Jungfrau.“

„Ha! Falsch“, unterbrach sie Vanessa. „Ich bin keine Jungfrau mehr. Die Ärzte im Krankenhaus haben das vor zwei Jahren bestätigt.“

„Schon“, meinte Isidora und tätschelte ihre Hand, als wäre sie ein kleines Mädchen, das keine Ahnung vom Leben hat. „Aber du hattest trotzdem noch nie einen Mann in dir. DAS ist es nämlich was Merenpath unter jungfräulich versteht. Er hat mir zwar nie gesagt, wie du defloriert wurdest, aber ein Mann war es offenbar nicht.“

„Oh.“

„Dazu gab es noch eine Alterseinschränkung, doch die sieht er offenbar nicht ganz so eng. Du bist jetzt 22, stimmt das?“

„Ja, seit fast einem halben Jahr.“

„Okay, das scheint ihn nicht abzuschrecken. Es hat nur verhindert, dass er dich nicht schon früher gefunden hat.“

„Aber wenn er in Ägypten sitzt, von wem weiß er denn, dass ich hier bin? Schließlich sind wir von Deutschland nach Österreich gezogen, weil meine Eltern ...“

„Die haben sich übrigens nicht verspekuliert. Die haben all ihr Geld in Eure Befreiung gesteckt und einem Martin Brandt einen so horrend hohen Betrag in den Rachen geschoben, dass ihr kurz vor dem Privatkonkurs gestanden seid.“ Die drei Mädchen keuchten überrascht. Von einem solch großen Opfer ihrer Eltern hatten sie nichts gewusst. „In Wahrheit aber habt ihr Euer Leben eigentlich nur einem Mann zu verdanken und der heißt Blue. Merenpath möchte das nicht an die große Glocke hängen, weil er da offenbar Konkurrenz wittert, aber ich habe es durch Zufall erfahren. Die ganze Angelegenheit wird eher vertuscht, aber ich weiß zum Beispiel, dass euer mieser Entführer namens Maslov sterben soll. Er ist der Hauptverantwortliche für den Betrug an Merenpath, auch wenn dieser Blue die Fäden gezogen hat. Was aus dem blauen Mann wird, weiß ich allerdings nicht.“

„Aber wie hat er mich jetzt gefunden?“, fragte Vanessa fassungslos und hob ihre Teetasse vom Boden, um sie in einem Zug auszutrinken. Beruhigung durch Tee konnte jetzt nicht verkehrt sein, denn dieses ägyptische Mädchen ließ einen solchen Schwall an neuen Informationen aus, dass sie sich erst einmal sammeln ... und auf das Wesentlichste konzentrieren musste: Auf sich selber.

„Durch ... äh ... mich“, antwortete Isidora und blickte verlegen zu Boden. „Damals wusste ich es noch nicht besser und ich mochte dich noch nicht so, wie ich dich jetzt mag.“

„Puh, mir ist richtig schlecht“, meinte Annika und Vanessa fuhr sie an.

„Jetzt hör schon auf! Was ist dabei wenn eine Frau eine andere Frau mag?“

Liebt, meinst du“, ergänzte Leonie.

„Nein, mir ist wirklich schlecht“, erwiderte Annika und hielt sich den Bauch.

„Oh. Mir ist auch ein wenig komisch.“

„WAS?“ Isidora sprang in die Höhe und sah sich die beiden blassen Freundinnen genauer an. Dann ging sie zur Küche und fischte die Teebeutel aus dem Mist. „Scheiße, dass ich darauf hereingefallen bin, glaub ich jetzt nicht! Sie haben Ketamin in den Teebeutel gefüllt“, schrie sie aufgebracht, als Vanessa zeitgleich mit ihren Worten den ersten Schwindelanfall verspürte.

„Ketamin? Was’n das?“, lallte Annika und fiel einfach nach hinten um. Auch Leonie sackte mehr und mehr in sich zusammen und fiel genau neben ihrer Freundin aufs Bett.

„Scheiße, Scheiße, Scheiße. Wir haben nicht viel Zeit. Wir müssen ... oh.“ Auch Isidora spürte den starken Schwindel und wusste, dass sie ebenfalls unter Drogen gesetzt worden war. Vanessa kannte den Stoff noch von den Anfängen ihres Medizinstudiums. Ketamin war ein Arzneistoff, der in der Human- und Tiermedizin zur Behandlung von Schmerzen und zur Einleitung einer Narkose eingesetzt wurde. Sie wusste also, dass sie jeden Moment wegkippen würde. Seltsamer Weise tröstete es sie, dass Isidora offenbar nichts davon geahnt hatte und daher keine Betrügerin war. Dann fiel sie ebenfalls in Ohnmacht.