34. Kapitel

Er presste sie gegen die Wand und rang die Gestalt seines göttlichen Vogels nieder, um sie so zu küssen wie er sich das vorstellte. Nachdem sie einen Machtkampf daraus gemacht hatte, wollte er nicht länger warten und auch auf keine göttlichen Vorschriften mehr Rücksicht nehmen. Eine Verweigerung konnte er nicht so leicht hinnehmen. Dazu war er zu sehr auf Tausend, voller Testosteron vom Mann und voller Pheromon vom Tier. Mit einem einzigen Ruck riss er ihr das Kleid in zwei Teile. Dazu brauchte er seine Hände und ließ dafür die ihren für einen Moment los. Vanessa aber war von seinem Vorgehen so schockiert, dass sie selbst mit freien Händen keine Gegenwehr zeigte. Sie stemmte sich zwar gegen seine nackte Brust, doch sie schlug nicht zu und trat auch nicht. Dafür war sie zu durcheinander und zu aufgewühlt. Sie konnte einfach nicht fassen, wie schnell sich die Situation zum Schlechteren gewandelt hatte und wie machtlos sie doch in Wirklichkeit war. Von einer Sekunde auf die andere, war ganz klar, dass sie diesem Halbgott nie ebenbürtig gewesen sein war und es auch nie sein würde. Und wie auch? Sie war nur ein Mensch und er ein magisches Wesen und viel stärker als sie.

Merenpath ignorierte ihre Hände auf seiner nackten Brust und betrachtete stattdessen mit feurigem Blick ihre schönen Rundungen, die durch die Fetzen des Kleides sichtbar waren. Dann holte er sich mit aller Entschlossenheit ihren Mund zurück, während eine Hand zu ihren Brüsten und den harten Nippeln wanderte. Natürlich war es ein Märchen, dass Frauen deswegen automatisch erregt waren, doch die Vorstellung alleine war schon der halbe Weg zum Glück. Der Drang nach Vereinigung wurde durch die Berührungen noch viel stärker, als der Wunsch es den Göttern recht zu machen. Er konnte nicht auf Freiwilligkeit Rücksicht nehmen oder bis zur morgigen Hochzeit und das Zeremoniell warten. In seinen Augen war dieser süße Happen endgültig soweit vernascht zu werden und er hatte von Anfang an einen Plan B gehabt, falls er die Geduld verlieren würde. Wie eben jetzt. Dieser Plan hieß schlicht und ergreifend Bindungszauber und der trat in Kraft, wenn er sie in Besitz nahm. Er packte sie an den Schultern und wollte ihr gerade die Reste ihres Kleides herunterreißen, als er den ungewöhnlichen Lärm vor seinem Zimmer hörte.

Sofort ließ er von Vanessa ab und lief zur Tür, doch noch ehe er etwas tun konnte, splitterte bereits Holz und das Metall der Verankerung brach. Blue trat die Tür so derart schnell ein, dass Merenpaths Sicherheitssystem nicht greifen konnte. Merenpath selbst bekam sogar einen Teil der Tür auf den Kopf und taumelte zwei Schritte rückwärts, anstatt sich auf den Angreifer zu stürzen. Blue aber war die Ruhe selbst und nutzte die kurze Desorientierung des Ägypters, um sich einen Überblick zu verschaffen. Vanessa entdeckte er sofort, wie sie weiter hinten am Boden hockte und offensichtlich unter Schock stand. Für einen Moment schnürte es ihm die Kehle zu, weil sie ihn nicht einmal ansah, sondern nur weinend an der Wand hockte und die Hände vors Gesicht geschlagen hatte. Ihr Kleid war zerfetzt, befand sich aber zumindest noch an ihrem Körper. Alles deutete darauf hin, dass er rechtzeitig gekommen war.

Blue stürmte mit gezogener Waffe auf Merenpath zu und schoss ohne Vorwarnung. Er dachte nichts, forderte nichts und erwartete noch weniger. Trotzdem schoss er sein ganzes Magazin leer, ehe er begriff, dass der Halbgott durch seine Magie ebenso geschützt war wie er. Alle Kugeln wurden wie von einem unsichtbaren Schutzfeld abgelenkt. Keine einzige Kugel traf ihr Ziel. Merenpath lachte kurz auf und starrte seinen Rivalen mit hasserfüllten Augen an.

„Und jetzt bin ich dran“, schrie er und sprang Blue mit nichts als seinen beiden Fäusten entgegen. Doch die hatten es ganz schön in sich und trafen Blue mit einer Schnelligkeit, die für das normale Auge kaum sichtbar war. Der direkte Kontakt mit Blues Haut blieb auch jetzt für den Ägypter ohne tödliche Konsequenzen, doch Blue hielt natürlich nicht einfach nur still. Er boxte mit allem was er hatte und war dem Halbgott in Effizienz und Schnelligkeit nicht unterlegen. Allerdings enthielten Merenpaths Fäuste eine ordentliche Ladung Magie und machten sie nicht nur stark, sondern auch heiß. Sichtbare Verbrennungen blieben dennoch aus, ebenso offene Wunden. Noch schützte sie ihre gegensätzliche Magie, lediglich der Schmerz fühlte sie beide so intensiv, als würden sie sich tatsächlich gegenseitig verwunden. Dennoch kämpften sie weiter und sahen dabei aus wie zwei Bullterrier, die nicht mehr zu trennen waren.

In der Zwischenzeit stürmten Martin und Annika ebenfalls in den Raum und während Martin in der Nähe der beiden kämpfenden Männer Aufstellung nahm, stürmte Annika sofort zu ihrer Freundin.

„Scheiße, Nessi. Hat er dir was angetan?“, flüsterte sie, hockte sich zur ihr auf den Boden und nahm sie in den Arm. Vanessa stand unter Schock und war noch so durcheinander, dass sie Blue noch nicht einmal bemerkt hatte. Sobald der Krach losgegangen war, hatte sie sich nur noch zusammengekauert und geweint. Auch jetzt weinte sie noch und klammerte sich wie eine Ertrinkende an ihre Freundin.

„Ich habe mich so geirrt“, schluchzte sie. „Ich bin nicht so stark, wie ich gedacht habe. Ich bin ein Niemand und ...“

„Scht, Süße. Du bist alles andere als das. Wenigstens sind wir rechtzeitig gekommen.“

„Wir?“, fragte Vanessa und blickte erstmals zu den Kämpfenden hinüber. Den Krach hatte sie natürlich die ganze Zeit schon mitbekommen, doch sobald Merenpath von ihr abgelassen hatte, war sie völlig zusammengebrochen und wie neben sich gestanden. Nichts hatte sie mehr interessiert, als ihre Niederlage hinauszuheulen. Doch nun erkannte sie, wer da für sie kämpfte, bekam große Augen und ein solch irres Herzklopfen, dass es schon schmerzte.

„Blue!!!“, schrie sie mit solcher Inbrunst, dass der einen Moment abgelenkt war und den vollen Kinnhaken von Merenpath kassierte. Kurz schien er Sterne zu sehen, doch dann zeigte er Vanessa ein strahlendes Lächeln und ihr wurde ganz warm ums Herz. Selbst als der Kampf weiterging, reichte nun sein Anblick, seine Kraft und die Erinnerung an sein Lächeln, um sie endgültig aus ihrem Schockzustand herauszuholen. Mit aller Entschlossenheit löste sie sich von Annika und kam in die Höhe. Die Zeit des Jammerns war vorbei, jetzt wollte sie sich nur noch ins Kampfgetümmel schmeißen und Blue helfen. Ohne länger zu zögern ging sie in seine Richtung. Annika hielt sie mit ganzer Kraft zurück.

„Bist du blöd? Du kannst doch nicht mit den beiden mithalten. Bleib hier! Martin und Blue werden den Typen schon irgendwie ausschalten.“ Doch so wie der Kampf zurzeit aussah, waren Blue und Merenpath gleich stark und offenbar immun gegen die Magie des anderen. Sie schenkten sich zwar nichts, würden sich aber vermutlich noch eine Ewigkeit prügeln, ehe sie etwas erreichen konnten. Das allerdings kostete Zeit und die hatten sie nicht. Denn, so wie Vanessa das Personal von Merenpath in Erinnerung hatte, würden schon in den nächsten Minuten eine Menge Wachmänner hier auftauchen.

Martin kam offenbar gerade zum gleichen Schluss und zielte mit seiner Waffe aus nächster Nähe auf Merenpaths Kopf. Die Kugel verfehlte jedoch nicht nur ihr Ziel, sie lenkte den Halbgott noch nicht mal von seinem nächsten Schlag ab. Blue wich geschickt aus und brüllte Martin einen Befehl zu.

„Bring die Mädchen raus und dann lauft! Ich werde mit dem Typen schon irgendwie fertig!“

„Vergiss es Brandt“, brüllte nun Merenpath. „Einen Schritt zu den Frauen und du bist tot.“ Und dazu ballte er seine Faust so eigentümlich, dass Vanessa jeden Moment mit einem magischen Vernichtungsschlag rechnete. Eine Art Kugelblitz oder weiß der Kuckuck was sonst. Doch das war dann offenbar doch zu utopisch. Insgeheim wunderte sie sich ja sogar, dass die beiden sich hier wie ganz normale Menschen prügelten. Aber entweder hob sich bei den beiden die Magie gegenseitig auf oder aber sie waren nicht ganz so gefährlich wie alle immer glaubten.

Die Situation war irgendwie festgefahren und die Uhr tickte. Vanessa wusste sich nicht anders zu helfen, als auf ihre Eingebung zu hören und die sagte ihr, dass sie sich von Merenpath lösen musste und zwar so laut sie konnte.

„Ich wähle Blue als meinen Gefährten und nicht Merenpath. Habt ihr das gehört, ihr Götter? Ich liebe nur Blue!“ Sie schrie es so laut, dass die beiden Männer tatsächlich in ihrem Prügelmarathon inne hielten. Selbst Martin wandte sich zu ihr um, starrte sie allerdings an, als hätte sie völlig den Verstand verloren. Was sollten auch schon einfache Worte gegen zwei verkeilte Bullterrier ausrichten? Auch Merenpath schien ihren Versuch als lächerlich anzusehen. Zumindest grinste er bösartig.

Doch die Wahrheit war eine andere, denn mit einem Mal fing die Erde an zu beben. Merenpaths leicht spöttisches Grinsen wurde zu einem Ausdruck des Staunens. Auch Blue schien verblüfft zu sein. Die Möbel wackelten, der monströse Kristallluster klirrte und erste, kleine Gegenstände purzelten durch die Gegend. Annika und Vanessa hielten sich gegenseitig fest, Martin versuchte sein Gleichgewicht zu halten und Blue und Merenpath richteten sich zu ihrer vollen Größe auf. Etwas ganz Eigentümliches ging hier vor, denn das Beben war echt und wurde mit jeder Sekunde stärker.

„Raus hier!!!“, brüllte Blue und meinte damit vor allem Vanessa, aber auch Martin und Annika. So stark wie das Erdbeben bereits war, konnte der Palast schon in den nächsten Minuten einstürzen. Und sie befanden sich schließlich im zweiten Stock!

„Los zu den Nottreppen!!!“, brüllte er noch eindringlicher, doch Merenpath übertönte ihn.

„Nichts da! Keiner rührt sich vom Fleck“, schrie er und seine Konturen verschwammen bereits wieder. Offenbar hatte er Mühe sich nicht sofort in einen Vogel zu verwandeln, aber seine Stimme war wie immer machtgewohnt. Nichts deutete auf Stress oder Sorge hin. Lediglich seine Augen glühten so grell, dass sie nur noch als unnatürlich zu bezeichnen waren. Die Wände aber wackelten bereits so stark, dass sie wie Pappe aussahen. Jeden Moment konnte hier alles zusammenbrechen!

Blue stürzte sich erneut auf Merenpath, damit die drei anderen zur Nottreppe fliehen konnten. Doch genau in dem Moment drehte sich der Ägypter blitzschnell um und rannte los. Fort von Blue und hin zu den Frauen. Wie ein Wirbelwind preschte er vorwärts, ignorierte Martins Schüsse und warf sich mit beeindruckender Präzision über drei Meter Entfernung auf Vanessa. Es war wie eine Szene aus einem völlig durchgeknallten Matrixfilm. Alles passierte gleichzeitig. Die Erde bebte und erste Mauertrümmer flogen durch das Zimmer. Blue fluchte laut und wollte Merenpath noch am Fuß erwischen, Martin ballerte wie verrückt sein Magazin leer und wich diversen Kleinmöbeln aus. Annika entdeckte – völlig unsinniger Weise – eine schöne, blaue Feder am Boden und tat das auch laut kund ... und über all dem Irrsinn flog ein menschlich aussehender Halbgott mit beeindruckender Präzision auf seine zukünftige Gefährtin zu.

Vanessa stand da wie erstarrt und meinte die Zeit wäre stehen geblieben. Ihr kam es sogar so vor, als hätte sie die Gabe dieses skurrile Gesamtbild einzufrieren und irgendwo als Bild zu bewahren. Doch das war Unsinn, denn gleich nach diesem Eindruck ging plötzlich alles viel zu schnell. Grelles Licht explodierte vor ihren Augen und ein heftiger Schmerz durchzuckte ihren Körper, als Merenpath direkt auf ihr Einschlug. Doch es war viel mehr als nur ein heftiger Zusammenstoß. Vanessa spürte wie Dimensionen verschoben und Welten bewegt wurden, wie die Zeit in viele kleine Teile gerissen und durcheinander gewürfelt wurde. Es war ein höchst eigenartiges, sehr verwirrendes Gefühl, dann wurde ihr übel und allesverschwamm vor ihren Augen.

Als das grelle Licht endlich nachließ, waren Merenpath und Vanessa verschwunden.