30. Kapitel

Isidora und Leonie befanden sich wohlbehalten in einem Büro des Bundesministeriums für Inneres im ersten Wiener Gemeindebezirk und warteten auf ihre Eltern. Der Transport von Italien nach Wien hatte sich etwas verzögert, aber letztendlich waren sie innerhalb eines Tages hier eingetroffen. Da ihr gesundheitlicher Zustand als sehr gut bezeichnet wurde, hatten die Beamten die Gelegenheit wahrgenommen, den beiden Mädchen eine Aussage abzuknöpfen. Die gaben zwar Auskünfte, aber so dürftig, dass niemand auch nur im Ansatz auf den derzeitigen Machthaber in Ägypten kommen würde.

„Vielen Dank, das haben Sie sehr gut gemacht“, lobte Herr Oberlechner, der zuständige Beamte. Die Aussage der beiden war zwar mehr als dünn und beruhte hauptsächlich auf Spekulationen, doch mit mehr hatte er sowieso nicht gerechnet. Die Mädchen waren betäubt worden, hatten ständig die Augen verbunden gehabt und nichts erkannt. Keine Personen, keine Nummernschildern, rein gar nichts. Es war die übliche Sackgasse, wenn Mädchen derart professionell entführt wurden. Seine Kollegen waren dennoch an dem Fall dran, suchten nach einem gewissen Martin Brandt und verfolgen seine Spur derzeit bis nach Afrika. Vermutlich waren die Mädchen wirklich bis dorthin verschleppt worden, doch der Verantwortliche blieb weiter im Verborgenen. Ebenso wie es unklar blieb, warum gerade die beiden von den vier Mädchen zurückgeschickt worden waren. Die beiden anderen wurden immer noch vermisst.

Mit einem festen Handschlag verabschiedete er sich von den beiden hübschen Dingern und ließ sie in dem Büroraum alleine. Kein Wunder, dass diese jungen Schönheiten in den falschen Kreisen Aufsehen erregen konnten. Beide Frauen würden in einem Nobelpuff eine Menge Geld bringen. Zumindest für die Zeit, in der sie am Leben blieben. Grimmig biss er die Zähne zusammenund verfluchte all den Abschaum dieser Erde. Er war mit Sicherheit kein Moralapostel, aber all die Drogen- und Hurenbosse dieser Welt sollten endlich einmal begreifen, dass Schönheit nicht mit Gewalt konsumiert, sondern nur vernichtet werden konnte.

Kopfschüttelnd ging er weiter und versuchte sich seinen Frust nicht anmerken zu lassen. Nette Menschen waren eine Seltenheit. Nette und schöne Menschen noch mehr. Warum nur war der Abschaum dann gerade an diesen wenigen Exemplaren so interessiert? Unschuld und Schönheit zu rauben, um sie dann zu zerstören war für ihn ein viel größeres Verbrechen, als jemandem das Geld aus der Tasche zu ziehen. Doch die Gesetze sahen das oft anders und er musste sich schließlich damit abfinden, dass er die Welt nicht verbessern konnte.

In der Zwischenzeit machten es sich Leonie und Isidora in dem kühlen Raum gemütlich. Wenigstens hatten sie Kaffee bekommen und ein paar Kekse.

„Glaubst du er hat das alles geschluckt?“, fragte Leonie leise und Isidora nickte.

„Klar. Wir haben ja kaum was erzählt. Schließlich haben wir versprochen, nichts zu verraten. Nicht auszudenken, wenn wir zu viel sagen und es die beiden anderen büßen müssen.“

„Haben wir das echt versprochen?“

„Naja, so ähnlich. Der – eh schon wissen – hat ein wenig gezaubert, denke ich.“

„Hast du gesehen ... sie haben dort auch Blue erwischt.“ Leonie schob den grässlichen Kaffee endgültig zur Seite und hielt sich mehr an die Kekse.

„Ja, ich habe es gesehen und es stimmt mich nicht sehr zuversichtlich, dass er dort ein Gefangener ist.“ Isidora schlürfte weiter. Für sie war der Kaffee offenbar nicht ganz so schlimm.

„Vielleicht kann er Vanessa ja noch einmal helfen, hm?“

„Das kann ich mir nicht vorstellen, schließlich ist Merenpath ein Halbgott.“ Jetzt war ihr doch noch sein Name herausgerutscht, dabei hatte er sie doch mit einem Sprechbann belegt! Vielleicht wurde der aber auch nur bei Personen wirksam, die nicht bei der Entführung dabei gewesen waren. Mit Leonie konnte sie also alles besprechen, ohne gleich in einen magisch indizierten, kranken Zustand zu verfallen.

„Und als Halbgott übertrifft seine Magie die von Blue vermutlich bei weitem. Dazu ist er derjenige, der die Schlüssel zu Blues Zelle hat. Der arme Kerl ist vermutlich nicht nur magisch schwächer, er wird sicher auch in einem Gefängnis gehalten, wenn er nicht längst tot ist.“ Daraufhin begann Leonie zu schluchzen. Vermutlich hatte sich bis jetzt an die Vorstellung geklammert, dass der blaue Hero Vanessa und Annika auch noch ein zweites Mal retten würde. Isidora stellte ihren Automatenkaffee sofort zur Seite und nahm ihre Freundin in den Arm.

„Ach, komm! Alles der Reihe nach! Jetzt freu dich mal auf deine Eltern und danach sehen wir weiter. Es wird schon alles gut werden.“ Tröstend streichelte sie über Leonies Oberarm und musste sich eingestehen, dass sie diese Frau mittlerweile auch mehr mochte, als es einer üblichen Freundschaft entsprach.

„Und du?“, fragte Leoni und richtete sich ein wenig mehr auf. „Wie geht es jetzt bei dir weiter? Deine Eltern holen dich jeden Moment ab. Wirst du jetzt nicht von ihnen zur Rechenschaft gezogen. Immerhin hast du ...“ Leonie wollte noch sagen, dass sie Merenpath verraten hatte, doch Isidora verschloss ihr den Mund mit einem unschuldigen Kuss.

„Pssst. Sprich es bitte nicht aus!“ Leonie bekam große Augen. Noch nie hatte eine Frau sie auf die Lippen geküsst, die homosexuell veranlagt war. Der Kuss war unschuldig und doch auch ... erotisch. Was eigentlich ein Widerspruch in sich war und nicht zusammenpasste. Isidora bemerkte ihre Verwirrung.

„Verzeih! Ich wollte dich nicht durcheinander bringen. Es ist nur ... ich mag dich mittlerweile sehr gerne, Leonie.“

„Ich ... mag dich auch, Isidora. Aber ich bin nicht ...“

„Ich weiß. Sprich auch das bitte nicht aus!“ Leonie taste nach ihren Lippen, spürte ein fremdes Verlangen. Dann sah sie das eigentümliche Glimmen in Isidoras Augen und den verräterischen Glanz. Ihre Freundin war offenbar sehr damit beschäftigt nicht loszuweinen. Das rührte dann doch Leonies Herz und sie kam ohne weiter zu überlegen näher. Außerdem war sie neugierig geworden.

„Küss mich richtig! Bitte! Ich möchte so gerne wissen, ob das überhaupt stimmt, was ich die ganze Zeit gedacht habe ... über mich und die Männer.“ Leonie war sich plötzlich wirklich nicht mehr sicher, ob sie ausschließlich auf Männer stand. Die Zeit mit Isidora im Flugzeug, dann im Zug, die angespannte Situation durch die Entführung und die Angst ums nackte Überleben ... das hatte eine Nähe zu dieser schönen, exotischen Frau aufgebaut. Alleine durch ihre Anwesenheit und ihre innere Einstellung hatte sie vielleicht gerade Leonies persönliche Grenze verschoben, denn so grenzenlos wie sie sich gerade fühlte, wollte sie nun von diesen Lippen kosten. Schon länger hatte sie sich das heimlich vorgestellt, sich aber selbst nie eingestanden. Ständig hatte sie Vanessa vorgeschoben und sich gefragt, wie sie es wohl empfunden hatte, wie ihr es wohl dabei gegangen war. Doch in Wirklichkeit wollte sie selber wissen, wie es ihr dabei gehen würde. Ja, sie wollte diese Lippen kosten, die Zärtlichkeit dieser schönen Frau genießen und dann ... tja, was dann? Leonie guckte nachdenklich, Isidora seufzte leise und ihre Augen verloren ein wenig von dem tragisch-verzweifelten Ausdruck.

„Weißt du, Leonie. Ich weiß nicht, ob ich das kann. Du bist meine Freundin und sollst es auch bleiben. Außerdem ...“ Sie stockte kurz. „... eine Zurückweisung danach würde ich kaum verkraften.“

„Unsere Eltern tauchen jeden Moment hier auf und wir können ihnen nicht mal alles sagen. Eigentlich haben wir nur uns beide und doch werden wir uns vermutlich nicht mehr so schnell wiedersehen. Deine Eltern werden dich in Sicherheit bringen und ich werde ... ganz alleine sein. Ich weiß, dass ich zuerst etwas anderes gesagt habe, und dass mein Wunsch egoistisch ist, aber ...“ Ohne Vorwarnung stoppte Isidora ihren Redefluss indem sie den Zeigefinger auf Leonies Lippen legte. Dann nahm sie den Finger weg und ersetzte ihn durch ihre vollen, schönen Lippen.