34

»Gott legt denen die schwerste Last auf, die das Gewicht tragen können.«

 

REGGIE WHITE, in die Hall of Fame
der NFL aufgenommener
Defensive Lineman und ordinierter Priester

 

 

Und so übergebe ich schweren Herzens, doch von unerschütterlicher Zuversicht erfüllt die Präsidentschaft an Vizepräsident Ennis William Chaney. Möge Gott unseren neuen Präsidenten, seine Familie, die Regierung und das Volk der Vereinigten Staaten von Amerika segnen.«

Der Plastikbehälter mit dem von Ted Williams unterschriebenen Baseball kracht mit solcher Wucht gegen den 52-Zoll-HD-Fernseher, dass der Flachbildschirm von seinem Sockel gerissen wird und auf dem Marmorfußboden in tausend Teile zerspringt.

Pierre Borgia sucht auf seinem Schreibtisch nach einem weiteren Gegenstand, mit dem er um sich werfen kann. Er greift nach der fast leeren Flasche Jack Daniel’s, trinkt die letzten Reste des kupferfarbenen Whiskeys und schleudert die Flasche dann gegen ein gerahmtes Schwarz-Weiß-Foto von Ansel Adams, das den Yosemite-Nationalpark zeigt – doch er trifft nur die Wand.

Wieder klingelt sein Handy. Borgia wirft einen Blick auf die Nummer. Dann nimmt er mit einem Stöhnen das Gespräch an. »Was?«

»Das ändert überhaupt nichts, mein Sohn, glaub mir.«

»Dir soll ich noch glauben, Onkel? Marion Rallo soll VP werden. Chaney hat mich bereits zum Rücktritt aufgefordert. Und was den Krieg betrifft: Stell dich schon mal darauf ein, dass er im Januar in der Rede zur Lage der Nation den kompletten Rückzug unserer Soldaten ankündigen wird.«

»Darum kümmern wir uns noch. Das viel größere Problem sind all die losen Enden, die du bei deiner kleinen Eskapade in Miami zurückgelassen hast.«

»Es gibt keine losen Enden. Wer auch immer mit Agler weggefahren ist, hat seine Leiche wahrscheinlich bereits in den Everglades versenkt. Was das Mädchen betrifft, so wird inzwischen im ganzen Staat nach ihr gefahndet, obwohl sie höchstwahrscheinlich auch schon tot ist.«

»Und der Wachmann?«

»Das Büro des Sheriffs ist davon überzeugt, dass Agler für Raymonds Tod verantwortlich ist. Ich habe eine entsprechende Aussage gemacht. Was willst du denn noch?«

»Du hast dir das Band immer noch nicht angesehen, oder?«

»Welches Band?«

»Pierre, erreichen dich meine Anrufe und E-Mails überhaupt? Ich habe dir Aufnahmen der Überwachungskamera im Erdgeschoss geschickt.«

»Ich habe mir die Originalbänder angesehen. Darauf war nichts zu erkennen.«

»Die Bänder zeigen, wie eine Sekunde, nachdem sich der Fahrstuhl geöffnet hat, eine Art Nebel erscheint. Bei einer Betrachtung Bild für Bild sieht man, dass es sich bei diesem verschwommenen Etwas um Samuel Agler handelt.«

Pierre ist plötzlich nüchtern. »Mein Mann schwört, dass er Agler das Mittel injizieren konnte. Es ist völlig unmöglich, dass …«

»Seine Augen waren blau. Er hat sich auf einer höheren Ebene der Existenz bewegt, als er diesen Schwachkopf Raymond erledigt hat. Der Wachmann ist nicht einfach an inneren Blutungen gestorben; seine Organe sind buchstäblich geplatzt.«

»Nehmen wir mal an, dass Agler noch am Leben ist. Dann wird er versuchen, seine Frau und seine Tochter zu finden.«

»Ich bin ganz deiner Ansicht. Ich will, dass du wieder hierher nach Groom Lake kommst. Am Flughafen Dulles wartet ein Privatjet auf dich.«

»Ich kann hier nicht einfach so weg. Wenn Chaney irgendetwas passiert, muss ich verfügbar sein.«

»Falsch, und das aus zwei Gründen. Erstens, in deinem gegenwärtigen Geisteszustand will ich dich nirgendwo in der Nähe einer Fernsehkamera sehen. Zweitens, Agler weiß nicht, wo seine Frau und sein Kind sind. Das bedeutet, er ist hinter dir her.«

Nazca, Peru

»Ahhhhh!«

Ein lautes Dröhnen in den Ohren und ein stechender Schmerz in der linken Brusthöhle lassen Immanuel Gabriel in seinem Bett in die Höhe schießen.

Mitchell Kurtz zieht die Spritze aus seinem Herzen. »Tut mir leid, Kumpel. Ich habe Anweisung, dich aufzuwecken. Ein Schuss Adrenalin schien da die beste Möglichkeit.«

Manny schnappt nach Luft. Das Dröhnen in seinen Ohren lässt nach und verwandelt sich in das entnervende Geräusch einer Sirene. Seine Arme und Beine jucken, sein Hals ist so ausgetrocknet, dass er nicht sprechen kann.

Kurtz hält ihm eine Wasserflasche an die Lippen, als könne er Gedanken lesen.

Manny trinkt, verschluckt sich und trinkt noch etwas mehr – und reißt die Augen auf, als ein jugendlicher Ryan Beck ins Zimmer kommt.

»Mann, du kannst dir nicht vorstellen, was für eine Scheiße da abläuft. Ist er wach?«

»Langsam, aber sicher. Wo sind Dom und Mick?«

»Unterwegs.«

»Sorg dafür, dass er aufsteht. Vielleicht kannst du ihm ja helfen, seine Beine zu finden.« Kurtz dreht sich zu Manny um. »Ein Profikiller hat versucht, dich umzubringen. Er hat dir ein Mittel injiziert, das innerhalb kürzester Zeit zum Herzstillstand führt. Du warst vier Wochen lang im Koma, und nach den Gesetzen der Logik müsstest du eigentlich tot sein. Aber irgendwie ist es dir gelungen, deinen Herzschlag so weit herunterzufahren, dass das Gift nicht über die Oberschenkelvene hinausgelangt ist. Du hattest Glück, dass Mick mich angerufen hat, denn ich kannte das Mittel, das der Killer benutzt hat, und ich konnte dem Notarzt erklären, wie er dich behandeln soll. Nur zwei Stunden später haben wir dich aus der Stadt geschafft. Du bist in Nazca, Peru. Heute Morgen ist die Hölle losgebrochen, und wir haben beschlossen, das Risiko einzugehen und dich aufzuwecken.«

»Welcher Tag ist heute?«

»Freitag.«

»Er meint das Datum«, sagt Beck, der Manny mit seiner Schulter stützt, um ihm auf die Beine zu helfen. »Heute ist der 21. Dezember. Übrigens, ich bin Beck. Er ist Kurtz. Wir arbeiten für Präsident Chaney.«

»Ich weiß, wer ihr seid. Ich kenne euch schon seit dem Tag, an dem ich hoffentlich mal geboren werde.«

Hinter Mannys Rücken macht Kurtz Beck ein Zeichen, dass er den Mann für verrückt hält.

»Salt und Pepper, so haben mein Bruder und ich euch beide genannt. Mitch, als ich dich das letzte Mal gesehen habe, war dein Haar salzfarben, und du hast den Frauen erzählt, dass du Filmproduzent bist, um sie ins Bett zu bekommen. Pep war Großvater und auch mit fünfundsechzig noch eine stattliche Erscheinung.«

Die beiden Leibwächter werfen einander einen unsicheren Blick zu.

Die Eingangstür zum Haus der Gabriels fliegt auf, und Mick und Dominique sehen die Waffen der beiden Leibwächter auf sich gerichtet.

»Immer mit der Ruhe, Leute.«

Kurtz schiebt seine Waffe in das Holster zurück. »Wir hatten ein Klopfzeichen vereinbart, Mick. Du kannst es entweder benutzen oder erschossen werden. Es liegt ganz bei dir.«

»Ist er wach?« Dominique eilt hinüber zu Manny. Sie sieht ihm in die Augen. »Sie sind wieder schwarz. Als ich sie das letzte Mal gesehen habe, waren sie Maya-blau. Sam, kannst du dich an irgendetwas erinnern?«

»Ich bin nicht Sam. So habe ich nie geheißen. Ich habe den Namen Sam nur als Teenager benutzt, als ich mich weigerte zu akzeptieren, wer ich wirklich bin. Mein Name ist Immanuel Gabriel. Du und Michael, ihr beide seid meine Eltern.«

Dominique starrt ihn an. Ihre Unterlippe zittert. »Dasselbe hat mir Mick gesagt. Ich wollte es nicht glauben.«

Kurtz schüttelt den Kopf. »Anscheinend bin ich mitten in eine Episode von Twilight Zone geraten.«

»Wir haben keine Zeit, darüber zu diskutieren«, sagt Mick. »Manny, heute ist der letzte Tag des fünften Zyklus. Vor einer Stunde ist die Yellowstone-Caldera explodiert. Überall gibt es Vulkanausbrüche.«

»Dasselbe ist im Jahr 2047 passiert. Das Strangelet steht kurz davor, ein letztes Mal den Kern des Planeten zu durchdringen.«

»Bitte sag mir, dass du weißt, wie man dieses Ding aufhalten kann.«

»Nein, aber ich kenne jemanden, der es weiß.«

 

In kürzester Zeit hat sich ein bedrohlicher brauner Nebel über den nördlichen Himmel verbreitet, als der Heißluftballon auf dem Nazca-Plateau landet. Beck und Kurtz sichern den Korb am Boden, während Mick und Dominique Immanuel ins Zentrum der Nazca-Spirale begleiten.

»Manny, bist du sicher, dass mein Vater gesagt hat, nur der Eine Hunahpu könne das Strangelet aufhalten? «

»Genau das waren Julius’ letzte Worte.«

»Das verstehe ich nicht«, sagt Dominique. »Wer ist der Eine Hunahpu?«

»Es ist wohl besser, wenn ich das nicht sage.«

Braune Asche fällt vom Himmel wie Schnee, als sie die Mitte der Spirale erreichen.

Mick zieht sich das T-Shirt über den Mund, bevor er spricht. Seine Blicke huschen über den immer dunkler werdenden Himmel. »Weißt du, Manny, mein ganzes Leben lang war Julius in meinem Kopf, um mich auf diesen Tag vorzubereiten. Aber ich muss gestehen, dass ich ihm erst wirklich glauben konnte, als ich die Videoaufzeichnungen an Bord deines Raumflugzeugs gesehen habe. Und selbst dann … Aber jetzt, da es so weit ist, stecken wir wirklich in ernsthaften Schwierigkeiten. «

»Mein Bruder Jacob hat mich genauso behandelt wie Julius dich. Du musst dich mehr anstrengen, Manny, die Herren der Unterwelt wollen unseren Tod. Er hat mich wahnsinnig gemacht damit. Und dann war der Tag plötzlich da. Am Himmel erschien die Balam, und es war Zeit zu gehen. Und ich habe mich geweigert. Ich wollte nichts anderes als professionell Football spielen, in einer großen Villa wohnen und ein Star sein. Stattdessen habe ich die nächsten vierzehn Jahre damit verbracht, mich zu verstecken.«

Dominique streicht ihm über den Rücken. »Eadie hat immer zu mir gesagt: Gott legt uns nur so viele Lasten auf die Schultern, wie wir auch tragen können.«

»Ich will Gott ja nicht beleidigen, aber ich glaube, unsere Familie hat mehr als das übliche Maß abbekommen. « Mannys Augen weiten sich. »Dominique, leben deine Adoptiveltern noch immer bei dir in diesem Hochhaus? «

»Ja. Was ist los?«

»Ein Tsunami kommt auf sie zu. Er ist wirklich groß. Höher als das Gebäude.«

»Oh mein Gott.« Sie schaltet ihr Handy ein, um Edith eine SMS zu schicken, ohne sich weiter darüber Sorgen zu machen, dass das FBI sie orten könnte.

Mick bemerkt eine Bewegung über ihren Köpfen. Ein metallischer Schimmer senkt sich aus den Wolken vulkanischer Asche herab. »Dom, wir müssen los.«

»Ich habe meine SMS noch nicht fertig.«

»Schreib im Ballon weiter. Unsere Freunde sind gerade eingetroffen.« Er wendet sich an Manny. »Julius hatte Recht. Es gibt keine Zufälle. Was auch immer geschehen mag, ich bin froh, dass wir einander begegnet sind.«

Manny blinzelt ein paar Tränen weg. »Ich auch.«

Vater und Sohn umarmen sich. Dann nimmt Michael Gabriel Dominique bei der Hand, und die beiden eilen zum Ballon zurück, während ein weißes Licht mit seinen tröstlichen Strahlen Manny umhüllt. Die funkelnde, energieerfüllte Aura hebt ihn vom Nazca-Plateau hoch und in die Öffnung des bauchigen außerirdischen Raumschiffs hinein.

Für einen langen Augenblick schwebt der Schnellläufer regungslos über der Wüstenzeichnung. Dann schießt er fast mit Lichtgeschwindigkeit hinauf in den Himmel. Als er den Weltraum erreicht, schließen sich ihm Hunderte weitere Raumschiffe an, deren unterschiedliche Konstruktionen verraten, dass sich in ihnen Dutzende verschiedene Unterarten außerirdischer Wesen befinden. Sie alle kommen von der erdabgewandten Seite des Mondes, um ihren so lange verlorenen Propheten zu der Bestimmung zu geleiten, die ihn erwartet.

2012 - Die Prophezeiung - Alten, S: 2012 - Die Prophezeiung - Phobos
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