24
Tom dirigierte das Kommandofahrzeug an einen »weniger exponierten Ort«, dann nahmen er und Sergeant Jackson den Fahrer mit und stiegen aus. »Haltet die Ohren steif«, war seine abschließende Bemerkimg. Markowitz schloß die Rampe hinter ihnen.
»Er läßt euch im Stich«, sagte Furlann, sobald sie verschwunden waren.
»Sie hat niemand gefragt«, sagte Markowitz. »Vielleicht hätte das aber jemand tun sollen. Ihr braucht nicht alle mit ihm unterzugehen. Ich kann...« »Halten Sie's Maul!« befahl Markowitz. Er zwang Furlann zum Gehorsam, indem er sie wieder knebelte, und zwar wirkungsvoller, als Cinqueda dies getan hatte. Er benutzte eine Magier-Kapuze aus einem der Stauräume des Ranger. Die Kapuze war eine Art komplizierte Tüte mit zahllosen Bändern und einen flachen Platte, die Markowitz in Furlanns Mund zwängte. Sie bedachte ihn mit einem mörderischen Blick, bis er ihr die Tüte über den Kopf zog, so daß sie nichts mehr sehen konnte. Das einzige, was man von ihrem Gesicht noch sehen konnte, war die Nase, die durch ein Loch in der Kapuze ragte - damit sie nicht erstickte, nahm Andy an.
Als Markowitz die Magier-Kapuze holte, war Cin-queda in den Turm des Kommandofahrzeugs gewechselt. »Ich gehe auf Beobachtung«, sagte sie. Daß sie aber offenbar früher irgendeine Beziehung zu Furlann gehabt hatte, fragte sich Andy, ob ihr nicht mehr daran gelegen war, nicht zu beobachten, was mit der Magierin geschah.
Andy war ein wenig verstimmt, daß sie sich den Platz im Turm gesichert hatte. Er hatte selbst daran gedacht hinaufzusteigen, um nach Toms Rückkehr Ausschau zu halten. Nicht, daß er an Toms Rückkehr zweifelte. Es war nur so, daß...
Er hätte sich keine Sorgen zu machen brauchen. Zehn Minuten später stieg Cinqueda wieder in die Kabine zurück und öffnete die Rampe. Tom und die Besatzung des Fahrzeugs waren zurück und brachten einen Infanterie-Lieutenant mit. Draußen konnte Andy mehr Soldaten sehen, die eine Handvoll Lastwagen bestiegen, welche mit ihnen aufgetaucht waren. Der Fahrer des Ranger stürmte an ihm vorbei und in sein Abteil. Sekunden später war das Kommandofahrzeug wieder unterwegs.
»Das ist Hanley. Er und seine Leute sind okay«, stellte Tom die Neuankömmlinge vor. Er machte keine Anstalten, Hanley zu sagen, wer sie waren. Dann fiel sein Blick auf die kapuzetragende Furlann. »Hat sie irgendwas versucht?«
»Ich war es leid, ihr Gesicht zu sehen«, sagte Markowitz.
»Sie versuchte uns davon zu überzeugen, daß du nicht zurückkommen würdest«, sagte Andy.
»Diese Schlange«, meldete sich Sergeant Jackson zu Wort. »Sie ist alles, was der Major Ihnen gesagt hat, und noch mehr, Lieutenant.«
Hanley musterte Tom. »Haben Sie diese Leute in ihren Plan miteinbezogen, Major?«
»Gute Frage«, sagte Markowitz. »Wie sieht Ihr Plan überhaupt aus, Rocquette?«
»Ich werde tun, was ich schon zuvor hätte tun sollen, und Trahn ins Scheinwerferlicht zerren. Er ist mit seiner Einstellung, daß der Zweck die Mittel heiligt, viel zu weit gegangen.«
»Das ist doch keine persönliche Sache, oder?« fragte Markowitz.
»Und ob.« Der Ausdruck auf Toms Miene besagte: Was geht Sie das an, doch dann seufzte er und zuckte die Achseln. »Aber es ist mehr als das. Wenn wir seinen Absichten einen Riegel vorschieben, können wir uns vielleicht endlich ernsthaft um die Konföderierten kümmern, bevor das Land an allen Ecken und Enden brennt.«
»Hier«, sagte Cinqueda, indem sie Tom ein Chip-Etui hinhielt. »Das könnten Sie vielleicht brauchen.«
»Was ist das?« fragte er.
»Eine Aufzeichnimg von Furlanns Aussage«, sagte Cinqueda. »Falls sie später auf die Idee kommen sollte, sie zu ändern.«
Tom nahm das Etui und bot es Hanley an, der sich an Markowitz vorbeizwängte und sich an eine Konsole setzte, um sich die Aufzeichnimg anzusehen.
Andy konnte verstehen, warum Hanley die Aufzeichnung sehen und eine Bestätigung für das wollte, was Tom ihm erzählt hatte. Sie hatten einen Tiger am Schwanz gepackt. In so einer Situation war es wichtig, sich davon zu überzeugen, daß man das Richtige tat. Andy war überzeugt, daß Tom alles Notwendige tun würde, aber irgendwie kam es ihm nicht so vor, als sei es die richtige Lösung, in die Höhle des Löwen zu marschieren. »Ich glaube immer noch, wir hätten eine Menge Leute überzeugen können, wenn es uns gelungen wäre, alle Fakten publik zu machen. Diese Rakete, die sie auf uns abgeschossen haben, zeigt, daß jemand anders derselben Ansicht war.«
»Niemand will das Risiko eingehen, von einer zweiten Rakete erwischt zu werden«, sagte Markowitz.
Andy wußte nicht, ob Markowitz für alle sprach, aber niemand im Kommandofahrzeug äußerte etwas Gegenteiliges. Andy glaubte dennoch, daß sie es noch einmal im MilNet versuchen oder einen anderen unabhängigen Nachrichtenpiraten suchen oder auf jeden Fall irgend etwas anderes tun sollten, als in die Höhle des Löwen zu marschieren, aber niemand schien sich für seine Ideen zu interessieren.
»Wie wollen Sie am Sicherheitsdienst der Basis vorbeikommen?« fragte Markowitz Tom.
»Ich werde mir schon etwas ausdenken. Wenn es sein muß, kämpfen wir uns hinein. Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Wir setzen Sie ab, bevor das Problem akut wird.«
»Nein, das werden Sie nicht tun. Ich habe selbst noch ein paar Rechnungen offen«, sagte Markowitz.
»Sie werden magische Unterstützimg brauchen«, fügte Kit hinzu. »Illusionen öffnen viele Tore, denen man mit Gewalt nichts anhaben kann.«
»Und ich habe einen Großteil des Beweismaterials«, sagte Andy, indem er gegen seine Datenbuchse tippte. Wenn Kit bereit war mitzukommen, würde er nicht dahinter zurückstehen.
Die einzige Person, bei der überhaupt die Möglichkeit bestand, sie könnte nicht mitmachen, war Cinqueda. »Ich bin auch dabei, wenn ich einen Bonus bekomme. Schließlich hat der Run das vereinbarte Maß längst gesprengt. Wir haben es hier mit zusätzlichen...«
»Keinen einzigen Nuyen«, sagte Markowitz.
»Harry«, sagte Kit leise. »Wir brauchen vielleicht ihre Hilfe und werden ganz bestimmt keine Zeit haben, sie dann zu rufen.«
Markowitz machte einen gequälten Eindruck. »Okay, okay. Bonus für Bonus, du erpresserische Söldnerin.«
Cinqueda lächelte.
»Wenn alles vorbei ist«, fügte Markowitz hinzu.
Während sie noch hin und herredeten, hatte Andy über die Situation nachgedacht. »Tom, wie wär's, wenn wir deine Konfrontation mit Trahn live übertragen würden? Wenn er nicht weiß, daß er auf Sendung ist, rutscht ihm vielleicht das eine oder andere heraus. Er wird hinterher nichts abstreiten können, wenn es haufenweise Zeugen gibt.«
»Hört sich theoretisch gut an«, sagte Tom. »Wie willst du es machen?«
Andy freute sich, daß Tom annahm, er habe vorausgedacht. Er hatte und war begierig, es zu beweisen. »Dies ist ein Taktisches Kommandofahrzeug vom Typ Ranger für eine Sonderressourcen-Einheit, richtig? Also ist es so bestückt, daß es notfalls als Kontrollzentrum für Drohnenkriegführung dienen kann. Das bedeutet, haufenweise Sender, Empfänger und Kommunikationskreise, die alle über ein Interface mit Rigger-Zugangs-möglichkeit arbeiten. Es müßte eine Tonne Ersatzteile geben, um auch die Drohnen bestücken zu können.«
»Der Wagen hat nur eine Vierteltonne bei sich«, sagte Sergeant Jackson.
»Ich meinte, bildlich gesprochen.« Andy konzentrierte sich wieder auf das Thema. »Ich kenne Rigs in-und auswendig und kann ein System improvisieren, mit dem wir alles aufzeichnen können, was du siehst. Eine Videoübertragung wird wesentlich überzeugender sein als eine bloße Audioaufzeichnung.«
»Mit dem Video hast du recht, aber es wird nicht klappen«, sagte Markowitz. »Trahn kann es nicht übersehen, wenn Rocquette eine Drohnen-Kamera mit sich herumschleppt. Die Linsen sind nicht miniaturisiert.«
»Cinqueda hat eine Kamera, die bestens geeignet ist.« Andy hatte gesehen, wie sie sie in dem ITRU-Lie-ferwagen benutzt hatte. Er hoffte, sie hatte nichts dagegen, wenn er sie sich auslieh.
»Die Auflösimg ist ziemlich gering«, sagte sie, aber das war der einzige Einwand, den sie erhob.
»Dann müssen wir noch ein Verstärkerprogramm auf den Datenstrom ansetzen.« An den Umständen gemessen, war es ein triviales Problem. »Schließlich wollen wir keine Luftaufklärung betreiben. Es wird reichen. Und sobald wir das Signal bekommen, tja, wir haben eine vollständige Sendeausrüstung, oder?«
»Aber damit sind wir wieder beim alten Problem«, sagte Markowitz. »Dort, woher die erste Rakete kam, gibt es bestimmt noch mehr. Sie haben eine losgeschickt, und sie werden nicht zögern, noch eine zu schicken.«
Daran hatte Andy auch gedacht. Der ganze Plan war riskant, in vielerlei Hinsicht, aber nicht in dieser. »Trahn ist nicht so verrückt, sein eigenes Hauptquartier beschießen zu lassen, oder?«
»Wahrscheinlich nicht«, sagte Markowitz.
»Seien Sie nicht albern«, sagte Tom. »Warum, Andy?«
»Ich schätze, daß wir sowieso in seinem Hauptquartier sein werden, warum sollen wir dann nicht seine Ausrüstung benutzen? Würde ihm ganz recht geschehen.«
»Wie willst du dir Zugang verschaffen?«
Er hatte sich eindeutig vorgenommen, keine Einzelheit ungeprüft hinzunehmen. Andy war beeindruckt. Er hatte gewußt, daß Tom clever war, aber nicht, daß er so detail-orientiert war. Unglücklicherweise hatte Tom einen schwachen Punkt in Andys Plan entdeckt. »Nun, wir haben immer noch die Codes der Einheit, um ins MilNet zu gelangen.«
»Sie werden diese Codes sperren. Wahrscheinlich haben sie das bereits getan«, sagte Tom.
Das war es, was Andy befürchtet hatte. »Dann muß ich sie eben umgehen. Ich hatte Zugang und habe gesehen, nach welchem Schema die Schutzvorrichtungen angelegt sind. Ich weiß, was ich tue.« Andy hoffte, daß er nicht nur Schaum schlug.
»Dann mach dich an die Arbeit. Wenn du mich überzeugen kannst, daß du die technische Seite hinbekommst, werden wir es versuchen. Andernfalls...« Tom bot keine Alternative an, aber seine düstere Miene besagte, daß er mehrere erwogen hatte und ihm keine sonderlich gefiel. »Wir wollen hoffen, daß dein Plan durchführbar ist.«
Andy ging an die Arbeit. Es war nicht leicht in dem fahrenden Wagen, aber er schaffte es. Die Chips, die Cinquedas Kamera steuerten, waren für direkte Kabelübertragung ausgelegt, aber Andy konnte sie überbrücken und die optischen Schaltkreise mit einem Sender verbinden, was jedoch zu Lasten der Autofo-kus-Leistung ging. Die Reichweite der Kamera war nicht mehr besonders groß, aber schließlich bekam er sie zum Laufen, nachdem er einen Sendeverstärker in Betrieb genommen hatte, der die von der Kamera aufgenommenen Bilder aufnahm, verstärkte und weitergab. Das war gut. Es bedeutete, daß Tom keine verräterischen Drähte mit sich würde herumschleppen müssen. Aber es bedeutete auch, daß jemand mit dem Verstärker in der Nähe bleiben und jemand anders sich um die Fokussierung kümmern mußte. Sein Test zeigte, daß das System funktionierte.
»Wir sind so weit«, verkündete Andy in der Hoffnung, daß er recht hatte.
»Gut«, sagte Tom. »Das da vorne ist das Tor von Fort Belvoir.«
Tom blieb an Bord des Ranger. Er stand in der Kommandeursluke, während Hanley mit den Wachposten am Tor der Basis redete und ihre »Befehle« präsentierte.
Angeblich tat Kit irgend etwas, um Tom magisch zu tarnen, aber sie waren übereingekommen, sich nicht auf ihren Zauber zu verlassen. Kits Kräfte waren bereits ziemlich strapaziert, da sie die Einheitenabzeichen von Hanley und seinen Männern verwischte, falls bereits allgemein bekannt war, daß die Einsatzgruppe Furlann - nun wieder Einsatzgruppe Rocquette - meuterte. Kits Illusionen erstreckten sich nicht auf die Runner und die gefangene Magierin, die sich in der Kabine verbargen, also gab es einen zusätzlichen Grund für Tom, ruhig zu bleiben. Er versuchte ernsthaft und über den Dingen stehend auszusehen, während er hoffte, seine Rangabzeichen würden die Soldaten am Tor so stark einschüchtern, daß sie es nicht wagten, in das Kommandofahrzeug zu schauen.
Hanley kehrte mit einem Lächeln auf dem Gesicht aus der Wachstube zurück und kletterte wieder in den Ranger. Er warf Tom das Chip-Etui mit ihren »Befehlen« zu. »Der Trick des Jungen hat geklappt. Der Computer sagt, es habe seine Richtigkeit, daß wir hier sind.«
Andys Stimme drang aus der Kabine nach oben. Offenbar hatte er zugehört. »Ich sagte doch, daß es klappen würde. Ich brauchte nur...«
»Verschon uns damit«, sagte Markowitz, und der Junge verstummte.
Einsatzgruppe Rocquette rollte durch das Tor.
In der Basis waren nur wenige Truppen. Belvoirs Standardbesatzimg und die wegen der Krise herbeigerufenen anderen Truppen waren im Herzen der Stadt beschäftigt. Die Basis verließ sich, was ihren Schutz betraf, im wesentlichen auf die Posten am Tor, auf ein Netz Rigger-kontrollierter Sensoren und Verteidigungsdrohnen und auf eine einzige Kompanie von Jordans MPs. Mit der Überwindung des Tors hatten sie den äußeren Verteidigungskreis hinter sich gelassen. Tom wußte, wo die Kompanie stationiert war, und wählte den Weg so, daß er ihr auswich, während sein Ranger und die Lastwagen der Taktischen Operationszentrale entgegenrumpelten. Nur die unmittelbaren Abwehranlagen der TOZ mußten noch überwunden werden.
Der gegenwärtigen Doktrin entsprechend, befand sich die TOZ nicht in einem Gebäude, sondern außerhalb. Die Vorteile der Solidität und Stabilität eines Gebäudes waren für weniger offensichtliche aufgegeben worden: eine mobilere geistige Einstellung, eine lok-kere Verteilung, um diese Einstellung auszunutzen, und bessere Anpassimg an die magischen Abwehrvorrichtungen der TOZ wie zum Beispiel das Verschwinden der Hindernisse für die Astralsicht, wie sie Gebäude darstellten. Daß sich die TOZ draußen befand, bedeutete keineswegs, daß sie ungeschützt war. Weit gefehlt.
Die eigentliche Basis war die erste Verteidigungslinie - und von der Einsatzgruppe Rocquette bereits durchbrochen. Andys technisches Kunststück mit ihren »Befehlen« machte sie für die computergesteuerten Abwehreinrichtungen zu Verbündeten. Die zweite Linie bestand aus magischen Schutzvorrichtungen. Die grundlegenden Schutzvorrichtungen waren simpel und so ausgerichtet, daß sie einen Alarm auslösten, falls sich jemand anders als ein Soldat näherte, was bedeutete, daß sie Andy und die anderen Runner entdecken würden. Diese Linie durchbrachen sie ebenfalls.
Furlann, die Architektin der magischen Schutzvorrichtungen, war bei Toms letzter Auseinandersetzung mit Trahn unterwegs gewesen. Sie hatte bisher nicht die Möglichkeit gehabt, sie umzurüsten. Als ehemaliger Kommandeur der Abteilung Sonderressourcen kannte Tom die Codes, die erforderlich waren, um die meisten Schutzvorrichtungen zu neutralisieren. Er benutzte diese Codes, um seinen Leuten den Weg freizumachen. Zwar konnte er die verbleibenden, anspruchsvolleren magischen Fallen nicht abschalten, aber wenigstens wußte er von ihnen. Er gab dieses Wissen an Kit weiter, und sie erwies sich als mehr als fähig, sie zu neutralisieren. Die dritte und letzte Verteidigungslinie der TOZ bestand aus Leuten: aus den Wachposten und dem Stab der Zentrale. Dabei handelte es sich ausschließlich um Soldaten. Dieser Teil war es, der Tom das größte Kopfzerbrechen bereitete.
Der Fahrer hielt den Ranger an. Tom überprüfte seine Konsole. Dies war der vorgesehene Haltepunkt. Warum machte er sich Sorgen? Ihre Aktion gegen die TOZ verlief bisher absolut reibungslos. Und warum auch nicht? Wer würde schon glauben, daß sie verrückt genug waren, so etwas zu versuchen?
Tom versammelte alle um sich, als sie die Fahrzeuge verließen. Er ging den Plan noch einmal durch und beendete sie improvisierte Einsatzbesprechimg mit den Worten: »Ich will noch einmal betonen, daß wir möglichst zurückhaltend vorgehen wollen. Die meisten Soldaten in der TOZ wissen wahrscheinlich nicht das über Trahn und seine Pläne, was wir wissen. Die Soldaten und Schreibtischhengste sind nicht der Feind. Sie tun nur ihren Job. Also, so wenig Gewalt wie möglich. Verstanden?«
Nicken und »Jawohl, Sir« von allen Seiten.
»Also gut. Dann los. Hanley lassen Sie dem Räumkommando zwei Minuten Vorsprung, dann können Sie die Leute zu ihren Einsatzzielen schicken.«
Tom führte Sergeant Jackson, Kit und einen Zug von Hanleys Soldaten. Im Schutz eines Lautlosigkeitszaubers von Kit bewegten sie sich wie Geister durch den Wald, der die Operationszentrale umgab. Der erste Posten hörte sie nicht kommen. Als ihm plötzlich klar wurde, daß ein Dutzend Waffen auf ihn gerichtet waren, ließ er sich widerstandslos entwaffnen. Jackson fesselte dem Mann die Hände und ließ ihn zu den Lastwagen zurückbringen, um ihn dort in Gewahrsam zu halten. Der nächste Posten stieß einen Alarmruf aus, der jedoch wie alle anderen Geräusche, die er machte, von Kits Zauber verschluckt wurde. Jackson und einer der Soldaten schlugen ihn nieder. Keiner der anderen Posten bereitete ihnen Schwierigkeiten.
Während Tom und der Zug den Kreis schlossen, verteilten sich die Infanteristen, die ihnen folgten, kreisförmig um die Lichtung, in der die TOZ stand. Sie befand sich direkt jenseits der Baumlinie. Tom wurde plötzlich klar, daß er sie von dem Platz aus betrachtete, an dem Trahn mit Osborne konferiert hatte. Er konnte fast die Konsole sehen, an der er gearbeitet hatte.
Die Lastwagen, Kommandowagen und Kurierfahrzeuge der TOZ waren alle mit der Front nach außen geparkt, um ohne Verzögerung abfahren zu können - falls sie in Bereitschaft gewesen wären. An keinem der Fahrzeuge lief der Motor, und alle Fahrerabteile, die Tom sehen konnte, waren leer und geschlossen. Tarnnetze und dünnes Schockfasergewebe waren ausgebreitet und aufgehängt, um die Anzahl der Zugangswege zur Kreismitte zu begrenzen. Bei seinem Rundgang hatte Tom gesehen, daß alle Zugänge bis auf einen gesperrt worden waren. Eine Reaktion auf sein letztes Auftauchen? Es spielte keine Rolle. Für ihre Zwecke war diese Anordnung sogar besser.
Tom sagte Kit, sie solle den Wirkungsbereich ihres Lautlosigkeitszaubers ausdehnen, in dessen Schutz sie sich nähern würden. Er ließ Cinqueda zurück, um die kleine asiatische Magierin zu schützen, und gab dann das Signal zum Vorrücken. Sie mußten sich beeilen, um die TOZ zu erreichen, bevor die Arbeiter in der Zentrale merkten, daß etwas nicht stimmte.
Tom, Hanley und Jackson führten Furlann zum Eingang, die Waffen bereit, doch mit aufwärts gerichteten Läufen, als bewachten sie einen Gefangenen. Wie Tom vorausgesehen hatte, zog der Anblick einer Frau mit einer Magier-Kapuze, die einen Mantel des Thaumatur-gischen Korps trug, die Aufmerksamkeit der Wachmannschaft auf sich. Den MPs entging, daß Hanleys Männer näher rückten.
Drei Meter vom Eingang entfernt ließ Tom die Maske fallen und richtete die Waffe auf die Wachen. Hanley und Jackson folgten seinem Beispiel. Die Wachen waren zu sechst und sie nur zu dritt, aber sie hatten ihre Waffen im Anschlag und die Wachen nicht. Jordans MPs waren nicht dumm, und keiner von ihnen wollte als erster sterben. Sie ließen die Waffen fallen und hoben die Hände. Tom sah ihre Enttäuschimg, als die Waffen beim Aufprall auf den Boden keinen Lärm erzeugten. Er bedeutete den MPs, zur Seite zu gehen, dann ging er zur Kontrolltafel für die Abwehranlagen und desaktivierte die Schocknetze. Er reckte die Waffe in den Himmel, das Zeichen für Kit, den Zauber zu beenden. Er hatte seine Wirkung getan. Sie hatten die TOZ erreicht, ohne einen Alarm auszulösen.
Markowitz und Andy rannten über das freie Feld, als Tom, flankiert von Hanley und Jackson, die Zentrale betrat. Ein paar Techs sahen auf, offenbar schockiert vom Anblick auf sie gerichteter Waffen, aber die meisten bekamen die Vorgänge einstweilen nicht mit - eingestöpselte Techs schenkten ihrer Umgebung nicht viel Aufmerksamkeit. Fürs erste konnten diejenigen, die sich in der Matrix befanden, ignoriert werden. Während Hanleys Männer die TOZ besetzten, forderte Tom die Anwesenden auf, sich zu ergeben.
»Wenn sich keiner rührt oder sonst etwas Dummes unternimmt, geschieht keinem etwas«, sagte er zu ihnen. »Wir sind nicht die Konföderierten.«
Im Angesicht von fast sechzig bewaffneten Soldaten wollte keiner der Anwesenden in der TOZ ein Held sein. Mehrere der anwesenden Offiziere sahen jedoch so aus, als zögen sie es in Erwägung.
»Wir wollen lediglich ein paar Dinge mit General Trahn klären«, sagte Tom in der Hoffnung, die nervös aussehenden Offiziere würden ihm die Möglichkeit dazu geben.
Markowitz' Ankunft mit der gefesselten und geknebelten Furlann im Schlepptau schien mehr zu ihrer Einschüchterung beizutragen als die Waffen oder das, was Tom gesagt hatte. Verfolgt von feindselig funkelnden Blicken, machte eine Abteilung von Hanleys Männern die Runde durch die TOZ und warf die Techs mit Gewalt aus der Matrix, indem sie sie einfach ausstöpselte. Als die TOZ gesichert war, führte Tom Andy zur Hauptkonsole. Andy hockte sich auf den Sitz und stöpselte sich ein.
Sie hatten es geschafft!
Oder nicht? Trahn war ebensowenig anwesend wie Jordan oder Lessem. Tom hatte im Grunde nicht damit gerechnet, Lessem zu erwischen. Auf Jordan hatte er gehofft, konnte aber mit der Enttäuschung leben, solange sie nur Trahn erwischten. Doch der General war nirgendwo zu sehen. »Wo ist Trahn?«
Als er keine Antwort bekam, wiederholte Tom seine Frage, wobei er sie diesmal ausdrücklich an den ranghöchsten anwesenden Offizier richtete, ein Colonel namens Addison.
»Wir wollen mit dem General sprechen, Colonel Addison. Sie werden uns sagen, wo er ist.«
»Fahren Sie zur Hölle«, knurrte Addison. »Jeder, der mit diesen Männern redet, wird...« Addison verstummte mit einem Ächzen, als ihm Jackson den Kolben seines Gewehrs in den Magen rammte.
Der Sergeant beendete den Satz für ihn. »...wird, wenn er viel Glück hat, der Anklage wegen versuchten Mordes entgehen, die den General erwartet.«
Der Einschüchterungsversuch des Sergeants mißlang. Niemand sagte ein Wort.
Markowitz flüsterte in Toms Ohr. »Er muß in der Nähe sein, sonst wären sie nicht so verschlossen. Wäre er weit weg, wären sie hämischer.«
Tom war zu demselben Schluß gelangt. Der Wohnwagen des Generals war geschlossen. Trahn schloß ihn gewöhnlich nur, wenn er hineinging, um zu schlafen.
Addison lag immer noch auf dem Boden und übergab sich, also fragte Tom einen anderen Offizier.
»Also schön, Major Ridley, Sie sind an der Reihe. Der General ist in seinem Wohnwagen, nicht wahr?«
»Nein«, sagte Ridley, aber sein Blick, der zum Wohnwagen irrte, strafte seine Worte Lügen.
»Alleine?« fragte Tom.
»Dort ist er nicht«, beharrte Ridley.
»Das klingt so, als würde sich Major Ridley der Beihilfe schuldig machen«, sagte Markowitz.
»Wir wollen dem General nur ein paar Fragen stellen«, sagte Tom.
»Sind die Anschuldigungen wahr?« fragte Ridley.
»Ich bin derjenige, den er umbringen lassen wollte«, sagte Tom.
Ridley musterte forschend Toms Gesicht und traf eine Entscheidimg. »Der General wollte sich vor dem Beginn des Angriffs auf die von den Aufrührern gehaltenen Metro-Stationen um 2400 Uhr noch ein wenig hinlegen.«
Tom hatte nichts von diesem Unternehmen gewußt. Die Uhr in der Zentrale besagte, daß das Unternehmen in wenigen Minuten anlaufen würde. Wenn der General die Befehle nicht gab, würde der Angriff auf sich warten lassen. Vielleicht war ihr verrückter Plan doch noch zu etwas nütze. Wenn alles vorbereitet war...
Andy signalisierte mit dem hochgereckten Daumen, daß er die Kontrolle des MilNet-Zugangs von Trahns Kommandozentrale übernommen hatte. Tom nickte bestätigend. Sein Mund war trocken, als er die direkte Leitung zu General Trahns Wohnwagen aktivierte.
»General, Sie wollten gerufen werden, wenn die nächste Phase der Operation bevorsteht.«
Der General antwortete zwar schnell, klang jedoch verwirrt. »Rocquette?«
Die Rampe fuhr aus, und Trahn verließ seinen Wohnwagen. Er stand oben auf der Rampe und nahm die Si-tuation auf, indem er die Szenerie so kühl und gelassen musterte, als habe er alles völlig unter Kontrolle. Sein eisiger Blick ließ mehr als einen von Hanleys Soldaten zusammenzucken. Tom wußte, wie sie sich fühlten. Trotz allem, was vorgefallen war, kam es ihnen nicht richtig vor, ihre Waffen auf einen General zu richten, besonders nicht auf einen, der so hochdekoriert war und so verehrt wurde wie Nathan Trahn.
Trahn schnitt ein finsteres Gesicht. »Dafür könnte ich Sie erschießen lassen, Rocquette.«
»Das haben Sie bereits versucht, General. Es hat nicht geklappt. Furlann hat uns alles erzählt. Ihr Machtspiel ist vorbei.«
»Sie sind derjenige, der das Machtspiel veranstaltet«, sagte Trahn wie aus der Pistole geschossen. »Ich weiß nicht, was Sie vorhaben, Rocquette, aber weder Sie noch irgend jemand von denen, die so dumm sind, Sie zu unterstützen, werden davon profitieren.«
»Wir wissen, was los ist, General«, sagte Hanley, indem er Furlann vorwärts schob. Der Lieutenant band die Kapuze los und nahm sie Furlann ab, so daß Trahn sehen konnte, wer sie über ihn informiert hatte. Er versetzte Furlann einen Stoß. Die Magierin stolperte und landete vor dem General auf dem Boden.
Auf Toms Signal startete Andy die vorbereitete Sendung und ließ sie über alle Monitore der TOZ laufen. Die Aufzeichnung begann mit einem Bericht Toms, der Colonel Lessems Befehle und seine anschließende Weigerimg schilderte, sie zu befolgen. Es folgte Cinquedas Aufzeichnung von Furlanns Geschichte. Obwohl Furlann ihn stark belastete, blieb Trahn ungerührt.
»Falsche Anschuldigungen und ein gefälschtes Videoband von Captain Furlann«, sagte Trahn. Er half der gefesselten Furlann auf.
»Wir können das Gegenteil beweisen«, sagte Tom zu ihm.
Trahn zuckte die Achseln. »Dann eben erzwungene Lügen. Sehen Sie sich doch an, wie Sie Captain Furlann hergebracht haben. Ich bin sicher, sie hat eine interessante Geschichte zu erzählen, wenn Sie alle vor dem Kriegsgericht stehen.«
»Einige von uns sind Zivilisten, General«, sagte Markowitz.
»Für Sie reicht auch ein normales Gericht. Hochverrat ist immer noch ein Kapitalverbrechen.«
»Komisch, daß ausgerechnet Sie von Hochverrat reden«, sagte Markowitz. »Hey, Junge, steht die Verbindung mit den Netzen schon?«
»Ist geöffnet und überträgt«, erwiderte Andy.
»Sorg dafür, daß alle Dateien eingespeist werden. Alle sollen sehen, wie der gute General hier die Tumulte für seine eigenen Zwecke inszeniert hat.« Markowitz richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Trahn. »Sie haben uns mit einem Gerichtsverfahren gedroht, und vielleicht erwartet uns tatsächlich eines. Aber Sie, General, stehen jetzt vor Gericht. Vor dem Gericht der Öffentlichkeit, die Sie so rücksichtslos gefährdet haben. Diese bedauerliche Szene wandert zusammen mit den Daten, die wir haben, direkt an die Medien und ins MilNet.«
»Es stimmt, General«, sagte Furlann. »Rocquette hat die Beweise.« Sie wich einen Schritt zurück, als wolle sie sich von ihm lossagen.
Er ignorierte sie, duchbohrte Tom mit seinem Blick. »Sie verstehen gar nichts, nicht wahr? Nein, ersparen Sie sich die Mühe einer Antwort. Sie wäre doch nur wieder eine Lüge. Ich könnte Sie fragen, warum, aber das hat keinen Sinn. Ich kann nur annehmen, daß Ihr Herz ebenso verunstaltet ist wie der Körper Ihres Vaters. Sie sind genau wie er - kein echter Soldat. Sie sind nur ein weiteres Symptom der Krankheit, die unser Land von innen verfaulen läßt.«
»Die einzige Krankheit ist die in Ihrem Kopf«, sagte Tom, dem zu seinem Bedauern aufging, daß es sich tatsächlich so verhielt.
»Sie irren sich, Rocquette. Und zwar gründlich. Und was Sie hier tun, ist falsch. Sie werden das noch bitter bereuen. Die Strafe für Verrat ist hoch, und ich werde dafür sorgen, daß Sie ihr nicht entgehen.«
Das alles entwickelte sich nicht so, wie Tom erwartet hatte. Trahn verhielt sich so, als habe er immer noch alles unter Kontrolle.
»Tom?«
Andys Stimme zitterte vor Unsicherheit. Tom befürchtete eine unvorhergesehene Komplikation und fragte: »Was ist los?«
»Wir bekommen einen verschlüsselten Anruf. Von der Air Force One.«
»Auf Monitor eins legen«, befahl Trahn.
Die Anzeige auf dem großen Bildschirm wechselte von einer grafischen Darstellung der Datenübertragung, die immer noch lief, auf ein Bild des Oberkörpers eines äußerst bestürzt wirkenden Präsidenten Steele. Trahn nahm Haltung an und wandte sich dem Monitor zu. »Was geht bei Ihnen vor, General? Wir bekommen einige äußerst beunruhigende Sendungen von Ihrem Hauptquartier herein. Die Netze sind hyperaktiv.«
»Es besteht kein Grund zur Beunruhigimg, Mr. President.«
Steele öffnete und schloß den Mund, da er sich offenbar eine zuvor geplante Bemerkung verkniff. Seine Augen weiteten sich. »Kein Grund? Reden Sie so weiter, und Sie überzeugen mich davon, daß Sie tatsächlich so wahnsinnig sind, wie Sie von der Hälfte der Medienvertreter bereits bezeichnet werden.«
»Wir erleben gerade einen weiteren Angriff der Desinformations-Decker der Konföderierten«, sagte Trahn. »Wir kümmern uns bereits darum.«
Tom mußte sich fragen, ob der General glaubte, was er dem Präsidenten erzählte. Trahn klang, als glaubte er es.
»General, wir reden hier über Sendungen, die aus Ihrem eigenen Hauptquartier stammen. Die Sicherheit wurde kompromittiert. Das sieht nicht besonders gut aus, und ich brauche Antworten auf die Fragen, die mir gestellt werden. Sie bringen mich in eine peinliche Lage, und das ist noch sehr gelinde ausgedrückt.«
»Wie ich schon sagte, Mr. President, wir kümmern uns bereits um die Angelegenheit. Im Augenblick brauche ich Ihre Unterstützung. Das Land braucht Ihre Unterstützung. Wir müssen unser Programm fortsetzen.«
Auf Tom machte der Präsident einen entschieden unbehaglichen Eindruck. »Ein Haufen Leute sagt mir, Sie seien das Problem, General.«
»Diese Leute begreifen die Situation nicht, Mr. President.«
»Zum Teufel, Trahn! Ich weiß nicht, ob ich die Situation noch begreife. Die Angelegenheit entwickelt sich nicht so, wie Sie das vorhergesagt haben.«
»Sie müssen Vertrauen haben, Mr. President.«
Tom ging zu Andy. »Wird das auch übertragen?«
»Jedes Wort.«
»Weiß das der Präsident?«
»Ich kann mir nicht vorstellen, wie ihm das entgangen sein sollte.«
Das ließ die Dinge in einem anderen Licht erscheinen. Ziemlich viel von dem, Was Steele sagte, hörte sich nach Absicherung an. Trahn wurde der Rücken nicht so gestärkt, wie er es anzunehmen schien.
Präsident Steele straffte die Schultern. »Wir haben bisher immer offen miteinander geredet, General, also bin ich auch jetzt offen. General Trahn, sind Sie ein Verräter?«
»Nein, Sir!« In Trahns Stimme lag nichts als ehrliche Überzeugimg.
Welche Definition legte Trahn zugrunde?
»Und Sie haben nicht getan, was diese Leute behaupten?« fragte Steele.
Trahn seufzte. »Sehen Sie denn nicht, was vorgeht?«
»Erklären Sie es mir, General. Der Stuhl wird ziemlich heiß unter meinem Hintern.«
»Wir tun, was getan werden muß«, begann Trahn. Er hielt eine leidenschaftliche Ansprache, in der er rechtfertigte, was er getan hatte. Im Zuge seiner Erklärimg bekannte er sich zu praktisch allem, was Tom und die Runner von seinem Plan aufgedeckt hatten: die Komper als Vorwand zu benutzen, um die Aufmerksamkeit auf die »Notlage« der Armee zu lenken. Laut Trahn war all das für eine gute und notwendige Sache geschehen. Das Opfer war gerechtfertigt, um die UCAS stark zu machen. »Es geht nur darum, Ihnen und allen anderen die Wahrheit vor Augen zu führen, die akzeptiert werden muß, wenn dieses Land wieder zu seiner einstigen Größe finden will.«
»Ich habe genug gehört«, sagte der Präsident mit versteinerter Miene. »Als Oberkommandierender der Armee ordne ich den sofortigen Stop aller militärischen Operationen im Bundesdistrikt an. Alle militärischen Einheiten halten sich in Bereitschaft, und alle Offiziere melden sich in ihren Basen, bis diese Angelegenheit einer eingehenden Untersuchung unterzogen worden ist. Das Gemetzel wird aufhören.«
Während der Präsident seine Befehle gab, wurde Trahn sehr still.
»Es ist bereits im MilNet«, krähte Andy. »Zusammen mit Trahns Amtsenthebung. Der Militärdistrikt Südost untersteht ab jetzt dem Befehl von General Ravierez.«
»Ich hoffe um Ihretwillen, daß Ihr Name reingewaschen wird, General. Aber ich muß tun, was ich tun muß. Ich bin sicher, Sie verstehen das«, sagte Steele. Der Schirm wurde dunkel.
Sie hatten es geschafft. Tom fühlte sich wie betäubt.
Trahns Miene hatte einen harten Ausdruck angenommen. Mit kaum hörbarer Stimme sagte er: »Jetzt sehen wir den wahren Verräter.«
Trahn wirbelte herum und stieß Furlann in seinen Wohnwagen, während er die Kontrolle für die Rampe betätigte. Die Hydraulik heulte auf, als das Paar im Innern des Wohnwagens verschwand. Jemand gab einen Schuß auf den fliehenden General ab, doch die Kugeln prallten von der Panzerung der sich schließenden Tür ab. Tom realisierte verlegen, daß er der Schütze war. Er senkte seine Waffe.
Was spielte es für eine Rolle? Trahn ging nirgendwo-hin. Der TOZ-Wohnwagen hatte keine Verbindimg zwischen Kabine und Fahrerabteil, und einen Fahrer gab es ohnehin nicht. Dafür hatte Tom gesorgt. Trahn würde nirgendwohin gehen. Früher oder später mußte er herauskommen.
»Also schön, die Schau ist vorbei. Jetzt geht es nur noch ums Aufräumen«, sagte Tom. »Verbindung zu den Medien abbrechen.«
Doch einige von Trahns Offizieren machten immer noch einen mürrischen Eindruck. Tom flüsterte Hanley zu, daß er sie besonders sorgfältig beobachten solle. Dann überzeugte er sich davon, daß die TOZ Bestätigungen des Bereitschaftsbefehls von allen Einheiten erhielt.
»Trahn verschafft sich Zugang zu den Funkkanälen«, sagte Andy.
»Zeig es mir«, befahl Tom. Dieser Zug kam nicht unerwartet.
Andys Finger huschten über die Konsole. »Der grüne Schirm zeigt die Befehle, die er gibt. Auf dem blauen Schirm sieht man das Signal seines Senders. Der gelbe Schirm gibt Aufschluß, welche Kanäle und Zugänge er benutzen will.«
Tom sah Zeilen von Computercode über den Schirm wandern, als Trahn sich für den TOZ-Computer identifizierte. Als dieser ihn akzeptierte, erschien sein Gesicht auf dem blau umrandeten Schirm. Versuchte er einen Hilferuf zu senden?
»Offener Zugang zum MilNet.« Trahns Stimme klang wieder völlig ruhig. »Hier spricht Trahn. Plan Vernunft ausführen. Wiederhole, Plan Vernunft ausführen. Bestätigungscode folgt.«
Tom öffnete die Direktverbindung zum Wohnwagen. »Was ist Plan Vernunft, General?«
Trahns Gesicht verschwand vom Monitor. Er hatte seine Nachricht abgeschickt und die Verbindung unterbrochen. Seine Stimme ertönte über den Lautsprecher der Direktverbindung.
»Der Name spricht für sich selbst. Jene von uns, die den Wahnsinn erkannt haben, dem unser Land verfallen ist, haben ein Programm erstellt, um uns wieder auf den richtigen Kurs zu bringen, den Vernünftigen Kurs.«
»Eine Militärjunta?« Plötzlich hatte Tom den Eindruck, daß sein Großvater recht gehabt hatte, was die geheimen Cliquen und Intrigen innerhalb des Militärs betraf.
»Ich bin sicher, einige der linksgerichteten Medienvertreter werden es so nennen. Ich will nicht abstreiten, daß der Kern der besorgten Leute innerhalb des Militärs entstanden ist, aber unsere Koalition ist nicht auf aktiv Diensttuende beschränkt, nicht einmal auf Leute, die eine gewisse Zeit ihres Lebens in Uniform verbracht haben. Wir haben eine breite Plattform der Unterstützung bei jenen, die nicht gewillt sind, sich wie Schafe zur Schlachtbank führen zu lassen.«
»Mit anderen Worten, ein Staatsstreich«, sagte Markowitz. »Für mich klingt das ziemlich unamerikanisch.«
»Der erste Präsident dieses Landes war ein General«, erwiderte Trahn. »Seine größten Präsidenten waren alle Männer des Militärs oder Zivilisten, die klug genug waren, auf Militärs zu hören. Gedient zu haben ist kein Hindernis, die politischen Vorgänge zu begreifen, von denen das Land bestimmt wird. Vielmehr ist es ein großer Vorteil. Ich brauche wohl kaum zu erwähnen, daß der wehrhafte Bürger eine der stolzesten Traditionen unseres Landes ist.«
»Ihr Verständnis davon ist ebenso verzerrt wie Ihre Sichtweise von anderen Dingen«, sagte Markowitz. »Ihr Staatsstreich hat nicht die geringste Chance.«
»In diesem Augenblick werden bereits vertrauenswürdige Männer aktiv«, sagte Trahn zuversichtlich. »Der Präsident zwingt uns dazu, weil er zu nachgiebig ist. Mittlerweile dürfte sein Flugzeug abgeschossen sein, und es wird keine Überlebenden geben. Im Hinblick auf die gegenwärtigen Probleme bin ich davon überzeugt, daß es sich bei den Verantwortlichen um Attentäter aus den Konföderierten Staaten handelt. Ein ziemlich unkluger Schachzug von ihnen. Wir könnten ihnen deswegen den Krieg erklären. In Kürze werden ich Sie davon unterrichten.«
»Das heißt also, daß Sie die Regierung übernehmen?« fragte Tom.
»Nur vorübergehend. Schließlich leben wir in einer Demokratie. Ich bin sicher, die Öffentlichkeit wird einen guten Mann wählen, wenn ihr ihre Wahlmöglichkeiten vernünftig aufgezeigt werden.«
»Und ich bin sicher, daß Sie diese Chance nicht bekommen werden.« Tom wandte sich an Andy. »Leg mein Mikro auf den sicheren Kanal und leg die Verbindung auf diesen Monitor.«
Als die Verbindung geöffnet wurde, wandte sich Tom an den besorgten Mann auf dem Bildschirm. »Mr. President, Sie haben zugehört?«
»Major Rocquette, diese Frage kann ich bejahen. Es hat den Anschein, als sei Ihre überstürzte Handlungsweise unabhängig vom Wahrheitsgehalt Ihrer früheren Anschuldigen gerechtfertigt gewesen. Sie haben Ihrem Land heute einen großen Dienst erwiesen. Ich fürchte aber, die unmittelbare Belohnung dafür ist eher eine Last. Ich möchte, daß Sie die Kommandozentrale übernehmen, bis General Ravierez eintrifft. Nehmen Sie General Trahn bis dahin in Haft. Wenn Sie es einrichten können, einige seiner Komplizen zu verhaften, tun Sie es.« Steele räusperte sich. »Und, Major...«
»Ja, Sir?«
»Sie haben meinen persönlichen Dank. Es ist gut zu wissen, daß es in diesem Land noch loyale Männer wie Sie gibt.«
»Vielen Dank, Sir«, sagte Tom höflich. Er hatte das alles nicht für Steele getan.
Als das Gespräch mit dem Präsidenten vorbei war, sagte Tom zu Trahn: »Wie Sie sehen konnten, ist der Präsident noch am Leben. Sie haben Ihre Trümpfe ausgespielt und stehen mit leeren Händen da. Ihre Komplizen außerhalb der TOZ haben nichts gehört, nada, kein einziges Wort.«
»Ich kontrolliere die Sendungen«, fügte Andy schelmisch hinzu. »Keine einzige Sendung verläßt diesen Ort ohne meine Genehmigung. Das schließt auch Ihren Zugang ein, General. Sie hätten die Rückmeldungen lesen sollen, die Sie nach Ihren Zugangsversuchen erhalten haben. Dann hätten Sie gesehen, daß Ihre Sendimg nirgendwohin gehen würde.«
»Sie haben sich isoliert und exponiert, General. Es ist alles vorbei«, sagte Tom, der froh darüber war.
»Ihr seid alle Narren, wenn ihr glaubt, daß es damit zu Ende ist!« rief Trahn. »Ich...«
Die Verbindung riß ab. Toms Blick wanderte zum Wohnwagen des Generals. Irgend etwas war darin vorgefallen.
Niemand sprach. Die Konsolen summten in der Stille vor sich hin, die sich plötzlich über die Zentrale gesenkt hatte. Das Nachrichtenbord piepte stetig, da es auf eingehende Anrufe aufmerksam machte.
Das leise Klicken des Verschlußmechanismus der Rampe klang übermäßig laut. Die Rampe schwang nach unten und schlug krachend auf den Boden. Die durch den Fall der Rampe verdrängte Luft brachte den Gestank nach verbranntem Plastik und den süßlichen Geruch nach gekochtem Schweinefleisch mit sich. Fur-lann schlenderte die Rampe hinunter, wobei sie sich die Hände rieb, vermutlich um den Blutkreislauf anzuregen.
»Was, zum Teufel, haben Sie getan?« fragte Tom entsetzt. Er hatte eine gute Vorstellung, wie die Antwort ausfallen würde. Trahn war vermutlich der einzige, der sie mit der Verschwörung in Verbindung bringen konnte.
»Sie haben ihn doch gehört«, sagte Furlann. »Seine eigenen Worte haben ihn den Gesetzen unseres Landes entsprechend als Hochverräter entlarvt. In Kriegszeiten steht darauf der Tod. Aber abgesehen davon hieß es nur: er oder ich.«
»Das hier ist kein Krieg«, stellte Andy fest.
»Versuch mal, die Wirklichkeit herunterzuladen, Junge«, riet Furlann ihm.
Seltsame Worte von jemandem, dachte Tom, der die Wirklichkeit so sehr zurechtbog, um sie seinen eigenen Bedürfnissen anzupassen.