12
Das Begräbnis ging fast so schmerzlos vonstatten, wie Tom es zuvor nur hatte hoffen können. Es hatte sich eine anständige Menschenmenge versammelt, darunter auch zwei steife Exec-Typen, die den üblichen, formellen Konzern-Beileidsbesuch machten - wenngleich die Art, wie sie sich die meiste Zeit im Hintergrund hielten, Tom eher an Sicherheitsoffiziere als Beerdigungsbesucher erinnerte. Barnaby war ebenfalls anwesend, unternahm jedoch keinen Versuch, mit Tom zu reden, was hervorragend war. Sogar die dritte Schwester, Asa, war irgendwann im Laufe der Nacht angekommen. Sie stand bei ihren Schwestern und weinte während der ganzen Zeremonie, und die drei sahen in ihrer schwarzen Beerdigungskluft wie schluchzende Krähen aus. Geringfügige Unterschiede in ihrer Kleidung ermöglichte es ihm, sie auseinanderzuhalten, aber Tom konnte der richtigen Frau immer noch nicht den richtigen Namen zuordnen, was er bewies, als sich die Menge zerstreute. Nach der Beerdigungszeremonie auf dem Friedhof war ein Leichenschmaus geplant, aber Tom hatte Genifers Sicherheitsbefürchtungen ausgenutzt, um sie zu überreden, nicht daran teilzunehmen. Sie hatten ihre Pflicht erfüllt.
»Andy war ein guter Junge«, sagte Shayla anstelle einer Abschiedsfloskel.
Tom nahm an, daß sie wohl recht hatte. Er hatte praktisch keine Erinnerung mehr an den Jimgen. Das, was ihm noch geläufig war, paßte zu der lobenden Beschreibung des Pfarrers eines aufgeweckten und eifrigen Jungen, der wohl etwas von einem Langweiler an sich gehabt hatte. Gar nicht so übel, vermutete Tom. Er war selbst einmal jung und nervtötend gewesen. Und letzten Endes konnte man Andy nicht die Schuld für die Sünden seines Vaters geben. Tom konnte das ganz gewiß nicht. Den Sohn für die Verfehlungen des Vaters verantwortlich zu machen, war eine Haltung, die Tom sich nicht leisten konnte. Wenn überhaupt, dann steckte in Andy weniger von Matthew Walker als in Tom.
Genifer sagte nicht viel auf der Heimfahrt, aber nicht deshalb, weil sie sich über seine beharrliche Weigerung ärgerte, an der Feier teilzunehmen. Sie war einfach in nachdenklicher Stimmung. Tom war ebenfalls still. Es kam ihm richtig vor. Als sie wieder im Haus ihrer Großeltern waren, verkündete sie, sie hätte Millionen Dinge zu erledigen, und verschwand zum Telekom, um sich darum zu kümmern.
Nun, da die Morgenverpflichtung erfüllt war, nutzte Tom den Rest des Tages, um nach Herzenslust zu faulenzen. Er verbrachte die Zeit in der Horizontalen oder sah sich gedankenverloren an, was das Kabel zu bieten hatte. Er mied sorgfältig alles, was nach Nachrichten oder Kommentar roch. Großmutters Abendessen war eine Übung im Überfressen. Da sie die meisten Lieblingsgerichte seiner Kindheit gekocht hatte, mußte er von allem zweimal nehmen. Nach dem Abendessen half er dem General dabei, seine Waffensammlung zu reinigen und zu ölen. Jene ehrwürdigen Waffen waren die ersten, die Tom je hatte anfassen dürfen, und sie zu reinigen war zwischen ihm und seinem Großvater schon vor langer Zeit zu einem Ritual geworden. Sie saßen zusammen und arbeiteten, und der Geruch nach gut geöltem Stahl und altem Schießpulver drang ihm in die Nase und ließ ihn unwillkürlich an alte, einfachere Zeiten denken. Die Ruhe, die Teil jener Reinigungssitzungen gewesen war, überkam ihn auch jetzt wieder.
Als das letzte Gewehr weggestellt, das Öl eingepackt, die Putzlappen weggeworfen und der Schrank verschlossen war, sagte der General: »Weißt du, ich habe ein paar Anrufe für Genifer gemacht.«
»Das würde ich dir nie vorhalten. Ich weiß, wie sie sein kann.«
»Das habe ich nicht gemeint, Tom.« Auf der Stirn des Generals stand ein besorgtes Stirnrunzeln. »Bei diesen Anrufen habe ich auch mit ein paar alten Kameraden geredet. Aus fast allem, was sie gesagt haben, glaube ich einen Unterton herausgehört zu haben. Ich habe das Gefühl, daß eine Menge Unruhe im Offizierskorps herrscht. Viel mehr als zur Zeit meiner Pensionierimg. Jetzt bist du der Mann im Feld. Spürst du etwas von dieser Strömung?«
»Ich war noch ein Grünschnabel, als du ausgemustert wurdest, also kann ich keinen Vergleich anstellen, aber ich muß sagen, daß du recht hast - es gibt viele Unzufriedene in Uniform. Es gibt einen Haufen Leute, die nicht viel Respekt vor unserem Oberkommandierenden haben.«
»Wäre nicht das erste Mal.«
»Vielleicht nicht. Aber ich habe ein paar Leute davon reden hören, daß sie seinen Befehlen nicht folgen würden, wenn er sie gäbe. Das ist ernst.«
»Aber ist es ihnen ernst genug, um etwas deswegen zu unternehmen?«
»Schwer zu sagen. Ich glaube, einigen schon.«
»Hat sich jemand mit dir darüber unterhalten?«
»Nicht direkt, obwohl mir schon einige hypothetische Fragen untergekommen sind.«
»Und?«
»Und ich hoffe, daß sie mir meine Antworten, oder vielmehr das Ausbleiben derselben, nicht übelgenommen haben. Politik ist nicht Sache des Soldaten, auch wenn man im Dienst in begrenztem Ausmaß damit konfrontiert wird. Das hast du mir selbst beigebracht.«
»Ich habe nicht viele Schüler im aktiven Dienst.«
»Das ist mir auch aufgefallen.«
Der General lehnte sich zurück und seufzte müde. »Kommt mir so vor, als würden unsere Waffengattungen mehr als nur ein wenig lahmen. Man muß gar kein altes Schlachtroß wie ich sein, um das zu erkennen. Es ist einfach alles anders geworden, seit die Luftwaffe den größten Teil ihrer strategischen Aktiva und die Marine die Marines an die Konföderierten Staaten verloren hat und praktisch auf einen Ozean und die großen Seen beschränkt ist. Unserer Waffengattung ist es besser ergangen, aber nicht gut. Wir sind schrecklich weit von der Supermacht entfernt, die wir am Ausgang des letzten Jahrhunderts waren. Könnte sein, daß sich das Land auf sich selbst zurückgezogen hat, vielleicht ein wenig zu sehr. Wir sind immer noch größer und mächtiger als England zu den Zeiten, als die Sonne über seinem Imperium nie untergegangen ist.«
»Imperium? Von Wirtschaftsimperien abgesehen, ist diese Welt vor langer Zeit untergegangen.«
»Es gibt genug Leute, die dir sagen würden, daß das, was geht, auch wiederkommt.«
Unterhielt sich Tom gerade mit einem dieser Leute? Er war es nicht gewöhnt, solche Dinge von dem General zu hören.
»Tom, du siehst mich an, als sei mir gerade ein zweiter Kopf gewachsen. Was, glaube ich, die Antwort ist, die ich hören wollte. Ich bitte um Verzeihung, falls ich dir zu nahe getreten bin, aber du bist auch früher schon in schlechte Gesellschaft geraten.«
»Das ist längst Vergangenheit. In den Zeiten meiner halsstarrigen Jugend.«
»Deine Halsstarrigkeit ist wohl kaum Vergangenheit. Frag nur Genifer.«
»Das mag sein, aber was ich sonst auch sein mag, ich bin meinem Land gegenüber loyal.«
»Ich bin froh, das zu hören, Tom. Sehr froh. Und ich bin froh, daß du nachdenkst. Das ist wichtig.« Der General hielt einen Augenblick inne, was auf einen Themawechsel hindeutete. »Du bist in General Osmolskas Kommando für Sonderressourcen. Was hältst du von der Cyberisierungs-Strategie?«
»Wie du schon sagtest, ich bin in General Osmolskas Kommando. Wie du weißt, auf eigenen Wunsch.«
»Also befürwortest du die ganze Sache?«
»General Osmolska betrachtet jede Diskussion, die nicht seinen Standpunkt wiederholt, als politisch, und ich habe meine Ansicht zu politischen Aussagen bereits geäußert.« Der General hob daraufhin das Kinn, also fügte Tom rasch hinzu: »Bei allem gebührenden Respekt, Sir.«
»Du bist nicht die Marionette des alten Russki geworden, oder?«
»Nein. Aber ein guter Offizier verhält sich loyal gegenüber seinem Vorgesetzten.«
»Nun, so, wie ich das sehe, warst du nicht loyal genug, um dich für das Programm Cyberverstärkte Soldaten zu melden. Ich sehe nicht einmal eine Datenbuchse.«
»Das ist richtig. Rein äußerliche Hilfen versetzen diesen Soldaten immer noch in die Lage, seinen Job zu erledigen.« Womit Tom der Aussage, daß er Osmolskas Programm Cyberverstärkte Soldaten für einen Fehler hielt, so nah kam, wie es ihm überhaupt möglich war. Die mit der Rückkehr eines Soldaten ins Zivilleben verbundenen psychologischen Faktoren waren schon immer ein Problem gewesen. Eine physische Komponente hinzuzufügen machte es nur noch schlimmer. Das geringste Problem dabei würde die Frage sein, wie man einen Soldaten mit eingebauten Waffen entwaffnete, wenn es an der Zeit war, ihn zu entlassen.
»In Denver hast du einen Zug mit Gefechts-Riggern geführt, nicht wahr?«
»Offiziell waren wir eine Gefechtseinheit, aber wir wurden nur für Grenzpatrouillen und Schmuggelbekämpfung eingesetzt. Nichts, was ich Gefecht nennen würde.«
»Und alle deine Soldaten hatten Datenbuchsen. Die Offiziere auch?«
»Datenbuchsen sind ziemlich weit verbreitet.« Für die meisten Leute war das Einsetzen einer Datenbuchse ein so normaler Vorgang wie eine Korrektur der Sehstärke. Tom war von Offizieren anderer Einheiten oft wegen der Tatsache gehänselt worden, daß er sich nicht wie sie einstöpseln konnte.
»Eine Datenbuchse ist der erste Fuß in der Tür«, sagte der General. »Ich weiß, ich klinge wie ein Fossil, aber ein Mann ist nun mal, was er ist. Weißt du, die Fernlenk-Revolution war bereits zu meiner Zeit im Gange und sickerte in alle Bereiche der Armee ein, die es gibt. Ich kann dir sagen, sie ist keine Antwort. Dieser ganze Rigger-Kram ist auf seine Art schlimmer als Interkontinentalraketen. Entmenschlichend, das ist er. Was ist ein Krieg ohne das menschliche Element? Dieser Verstärkungs-Kram ist noch schlimmer. Er überträgt die Entmenschlichimg auf die persönliche Ebene. Ich kann nicht verstehen, warum er vorangetrieben wird.«
»Präsident Steele steht dahinter.«
»Steele, der Technokrat.« Der General schüttelte traurig den Kopf. »Er will kleinere, wirkungsvollere Einheiten und hält hochtechnisierte Einheiten mit geringer Mannschaftsstärke für die Lösung. Er vergißt wieder einmal die Leute. Typischer Technokrat. Präsident Adams mag Demokrat gewesen sein, aber er hat wenigstens begriffen, daß wir Männer und Frauen in der Armee brauchen. Gott sei Dank ist Steele bisher zu unentschlossen gewesen, um Adams' Rekrutierungspolitik rückgängig zu machen und die Mannschaftsstärke zu reduzieren. Ich nehme an, er glaubt, wenn er die Stellen erhält, läßt ihn das wie einen Menschenfreund aussehen.«
Tom hatte gehört, daß Verringerungen der Mannschaftsstärke bevorstanden, aber jetzt, wo sich der General ohnehin schon derart ereiferte, war nicht der geeignete Zeitpunkt, das zu erwähnen. »Du hast mit der Frage, wie eine autokratische Armee in einem demokratischen Staat lebt, mehr Erfahrimg als ich. Glaubst du, die Leute würden sich bereitwilliger mit ihm abfinden, wenn Steele direkt gewählt worden wäre?«
Präsident Steele war zu Amt und Würden gekommen, als Präsident Adams am Tag nach seiner zweiten Amtseinführung einem Schlaganfall erlegen war. Wie erwartet, hatte es Gerüchte gegeben, daß daran etwas faul gewesen sei, aber die Gerüchte hatten sich rasch zerstreut.
Der General dachte nur kurz darüber nach. »Vielleicht, aber ich bezweifle es. Ein Technokrat ist ein Technokrat. Und er hätte auch nicht Booth zu seinem Vizepräsident ernennen sollen. Booth ist auch Technokrat, um Himmels willen. Steele hatte seine Vizepräsidentschaft einer Koalition zu verdanken. Adams wußte, was er tat, als er die Demokraten mit den Technokraten verheiratete. Man sollte meinen, Steele hätte es bemerken müssen, wo er doch eine ganze Regierungsperiode neben ihm verbracht hat. Ich hätte gedacht, Steele sei vernünftig genug, um zu erkennen, daß er diese Koalition noch braucht, aber ich nehme an, er ist mit der normalen Technokraten-Blindheit hinsichtlich der Bedürfnisse der Leute geschlagen. Das wird auch der Grund sein, warum er diese Sache mit der Kompensationsarmee vor seiner Haustür vor sich hinfaulen läßt.«
Ihre Unterhaltung wanderte von der tätsächlichen Armee zur sogenannten Kompensationsarmee. Die zusammengewürfelte Bettlerhorde, die den Bundesdistrikt überschwemmt hatte, war keine Armeeangelegenheit und daher etwas, worüber Tom frei seine Meinung äußern konnte. Das tat er auch und sein Großvater ebenfalls. Tom stellte zu seiner Überraschung fest, daß seine eigene Haltung härter war als die des Generals, was daran lag, daß ehemalige Armeeangehörige an dem Protest beteiligt waren. Der General hegte eine gewisse Sympathie für sie, weil sie mit ihm in den Auflösungsfeldzügen, wie der General die militärischen und paramilitärischen Operationen in Verbindung mit dem Zusammenbruch der alten Vereinigten Staaten nannte, gedient hatten. Tom glaubte trotzdem nicht, daß die Beteiligung derartiger Veteranen ein Grund war, ihren zivilen Ungehorsam einfach abzutun. Das Gespräch, das nur gelegentlich in einen Streit ausartete, dauerte bis spät in die Nacht und weiter bis zum Morgen. Sie hatten sich so lange nicht mehr gesehen, daß keiner der beiden gewillt war, die Gelegenheit zu verpassen, Versäumtes nachzuholen. Tom war gerade aufgefallen, daß sie seit einiger Zeit Vogelgezwitscher hörten, als das Klingeln des Telekoms in den morgendlichen Chor einfiel.
Der General runzelte die Stirn. »Das ist nicht das normale Klingeln unseres Anschlusses. Wer, zum Teufel, deckt um diese Uhrzeit in unsere Leitung?«
»Niemand«, sagte Tom, indem er sich erhob, um zu antworten. »Das ist mein Kontaktsignal.«
Tom loggte sich ein und nahm die Befehle on-line entgegen. Er las sie, als sie entschlüsselt waren, und fluchte laut. Soviel zu seinem Urlaub.
»Was ist los?« fragte der General, indem er Tom über die Schulter sah.
Technisch gesehen, waren Toms Befehle streng vertraulich, aber der General hatte einen Unbedenklichkeitsstatus, auf den Tom mindestens noch ein Jahrzehnt warten mußte. Er war kein Sicherheitsrisiko. Dennoch schaltete Tom den Bildschirm aus, bevor er sich von ihm abwandte. »Keine Einzelheiten. Es ist ein allgemeiner Rückruf. Alle Armeeangehörigen auf Urlaub werden zu ihrer Truppe zurückbeordert. Ich muß mich in Fort Meade melden und den ersten verfügbaren Transport zu meiner Einheit abwarten.«
»Das klingt nach einer Mobilmachung. Den Frauen wird das ziemlich mißfallen.«
»Wem nicht? Wenn ich gleich packe, bin ich weg, bevor sie aufwachen.«
»Wenn es wirklich Ärger gibt, wird es ihnen ganz bestimmt nicht gefallen, wenn du dich einfach davonschleichst. Du hast bis zum Mittag Zeit«, stellte der General fest.
Also hatte er den Bildschirm gesehen. »Ich will nicht zu spät kommen.«
»Was du nicht willst, ist, Genifer und deiner Großmutter gegenüberzutreten und ihnen zu sagen, daß du dich in Gefahr begibst.«
Der Vorwurf traf ihn um so mehr, als er berechtigt war. »Also schön, ich will mich nicht damit auseinandersetzen.«
»Du brauchst dich deswegen nicht schlecht zu fühlen, Tom.« Der Tonfall des Generals war nun, da Tom sich zur Wahrheit bekannt hatte, mitfühlend. »Ich wollte das auch nicht. Aber wenn du vorhast, noch einmal nach Hause zu kommen, rate ich dir, es zu versuchen. Ich habe das auch schon erlebt, und es ist besser, wenn sie Gelegenheit haben, sich zu verabschieden.«
Tom wußte, daß der General recht hatte, aber er ging trotzdem packen. Es brauchte nicht viel Zeit, aber er trödelte so lange herum, bis er wußte, daß er noch ein wenig länger warten sollte - wenigstens so lange, bis die Frauen wach waren. Zwar hatte er beschlossen, sich anständig zu verabschieden, aber er mußte feststellen, daß er seltsam unwillig war, das Gespräch darauf zu bringen, sobald er mit Großmutter und Genifer beim Frühstück saß.
Das Frühstück verlief schweigsam, und aus der Art, wie Großmutter immer wieder fragte, ob er noch irgend etwas wolle, schloß Tom, daß der General es ihr erzählt hatte. Doch sie war eine Soldatenfrau. Sie würde erst etwas sagen, wenn Tom das Thema anschnitt. Er bat sie, sich zu ihnen zu setzen, und wiederholte, was er dem General über seine Befehle mitgeteilt hatte. Genifer meldete sich als erste zu Wort.
»Also hast du keine Ahnimg, worum es bei diesen Befehlen geht?«
Er hatte ein paar Vorstellungen, aber dies war nicht der Ort, sie darzulegen. Das Manöver, das er mitgemacht hatte, war streng geheim gewesen. Soweit er es vernünftigerweise beurteilen konnte, brauchte niemand aus seiner Familie davon zu wissen. Außerdem war er nicht sicher, und wenn er ihnen sagte, wie gefährlich der Dienst seiner Ansicht nach wurde, würden sie sich noch mehr Sorgen machen. Sie machten sich bereits Sorgen genug.
»Hast du noch Zeit, mit uns in die Kirche zu gehen?« fragte Großmutter.
»Wenn wir in die spätmorgendliche Messe gehen«, erwiderte er. Er würde sich von der Kirche aus gleich auf den Weg machen.
Genifer, die an Tom vorbei und aus dem Fenster schaute, versteifte sich ein wenig. »Da kommt ein Allzweckfahrzeug der Armee die Auffahrt herauf.«
Alle drehten sich um, während das GMC-Allzweckfahrzeug vor dem Haus hielt. Rita Furlann saß hinter dem Steuer. Als sie ausstieg, sah Tom, daß sie Zivilkleidung unter ihrem schwarzen gepanzerten Duster des Thaumaturgischen Kommandos trug. Der Mantel verbarg größtenteils das Halfter, das sie im Widerspruch zu den Uniformvorschriften in Friedenszeiten trug. Der General ging hinaus, um sie zu begrüßen.
»Ich bin wegen Major Rocquette hier«, sagte sie, während sie einen Blick auf den in der Tür stehenden Tom warf und ihm zulächelte. »Morgen, Major.«
»Was machen Sie denn hier, Furlann?« fragte Tom.
»Sie abholen.«
Das hatte er sich gedacht. »Ich meinte eigentlich, daß ich nicht damit gerechnet habe, Sie vor meiner Rückkehr nach Schwartzkopf wiederzusehen.«
»Ich habe eine Überraschimg für Sie. Sogar Eisherzen haben Familien und Freunde, die sie im Urlaub besuchen.« Sie warf den Kopf in den Nacken, um ihr Haar aus dem Gesicht zu schütteln. »Als die Bombe geplatzt ist, hörte ich, daß Sie hier in der Gegend wären, und bekam den Auftrag, Sie abzuholen. Sind Sie abmarschbereit?«
»Ich muß nur noch meine Tasche holen.«
Und mich verabschieden, fügte er im stillen hinzu. Großmutter versprach, für ihn zu beten, Genifer verlangte E-Mail, sobald er Gelegenheit dazu bekäme, und der General schüttelte ihm schweigend die Hand. Furlann sah sich alles mit ihrer üblichen Distanziertheit an. Sie stieg in das Allzweckfahrzeug, während er seine Tasche in den Laderaum warf, und fuhr dann los, bevor er die Tür geschlossen hatte. Als sie auf die Straße bogen, fragte er: »Wissen Sie, was los ist?«
»Hier oder in Chicago?«
»Chicago?«
»Sie haben wohl keine Nachrichten gehört, wie?«
»Nein«, gab Tom zu.
»Sie sollten sich wirklich auf dem laufenden halten, sogar im Urlaub. Man wird sie ins Bild setzen. Im Moment brauchen Sie nur zu wissen, daß wir denselben Weg haben. In der Innenstadt geht es ziemlich drunter und drüber, und es ist bereits ein Osprey III zu uns unterwegs. Wir treffen so schnell wie möglich mit dem Vogel zusammen und fliegen dann weiter. Das wird viel schneller gehen, als die Straße entlangzukriechen.«
»Ich bin diese Art von Transport nicht wert.«
»Nein, aber ich. Sie haben nur den gemeinsamen Vorteil eines glücklichen Aufenthaltsortes und derselben Landezone.«