1
Andy war ein Shadowrunner.
Alle seine Freunde wußten das. Ihm gefiel es, daß sie beeindruckt dreinschauten, wenn er ihnen von seinen Abenteuern erzählte. Alle außer Biddy Blackwell. Biddy beeindruckte nicht viel.
Bei diesem Run handelte es sich um einen der guten. Das konnte er bereits an der Art und Weise erkennen, wie das Treffen gelaufen war. Mr. Johnson - natürlich nicht sein richtiger Name - ließ gerade soviel offen, daß Andy genau wußte, die Sache hatte ihre Richtigkeit. Wenn der Johnson richtig ins Detail ging, bedeutete das, man mußte sich vor einem Schwindel vorsehen. Andy nahm alles, was ihm der Johnson gegeben hatte, und speicherte es in seiner Headware.
Der Johnson sagte, er repräsentiere ein Konsortium kleiner Geschäftsleute, die versuchten, sich in den Ana-costia Barrens durchzusetzen, der schlimmsten Gegend im ganzen DC-Sprawl. Mutige Kerle - wenn es sie gab. Das Problem war nur: In den Barrens ging es ungemütlicher zu als sonst. Die Halfies, die Motorradgang in der Gegend, tobten sich aus. Die Gang verwüstete Läden in den Anacostia Barrens, alles, von Freßbuden bis zu Krankenhäusern. Die Polizei sah in die andere Richtung - wie üblich -, und die Anwohner waren verängstigt - ebenfalls wie üblich. Es hieß, jemand hätte die Halfies angestiftet. Mr. Johnson wollte Schutz. Außerdem wollte er wissen, wer tatsächlich dahintersteckte -und warum.
Johnsons waren nie, was sie zu sein behaupteten, aber Andy ließ sich trotzdem auf den Run ein. Er war an Doppelzüngigkeit seitens seiner Auftraggeber gewöhnt, also zog er sich in seinen Appaloosa zurück und schaltete den Autopilot ein, so daß er sich mit anderen Dingen beschäftigen konnte.
Der Schieber, von dem er den Ferrari Appaloosa bekommen hatte, sagte, es handele sich um »Uberschuß«, was für ein Fahrzeug, nach dem eine derart hohe Nachfrage bestand, nichts anderes bedeutete, als daß es heiß war. Und heiß war es, und das nicht nur, weil er von irgendeiner Armee irgendwo requiriert worden war. Sheena, die Appaloosa, war das schnellste gepanzerte Fahrzeug auf Rädern. Auf der Straße hieß es, Sahne-Rigger Willie Williams schwöre bei Runs mit hohem Risiko auf Appaloosas, und jetzt verstand Andy auch, warum. Sheena, die mit ihrer maßgeschneiderten Panzerung wie ein Arbeitspferd von einem Lieferwagen aussah und nicht wie das Vollblut-Raubtier, das sie war, hatte ihn alle Kreds gekostet, die er sich mit seinen letzten drei Runs verdient hatte. Aber sie war es wert. Wenn er in Sheenas Armaturen eingestöpselt war, konnte Andy einen kleinen Krieg führen oder auch jeden Verfolger, ganz gleich ob Konzerne oder Bundespolizei, abhängen. Sheena war heiß wie eine Kernschmelze.
Im Augenblick brauchte er Sheenas Kampfqualitäten nicht. Alle Feuerkraft der wirklichen Welt war in der Matrix einen Drek wert. Im Cyberspace herrschten eigene Gesetze. Aber Andy war dort ebenfalls heiß. Er fing mit Kleinkram an, indem er eine Herde Smartframes vorbereitete und sie dann auf die Medien und öffentlichen Datenbänke losließ. Während sie auf der Jagd waren, stöpselte sich Andy ein und schnüffelte ein wenig in der Datenbank der Bundespolizei. Durch den äußeren IC-Kordon schlüpfte er mit einer Leichtigkeit, die sogar Fastjack beeindruckt hätte. Nicht, daß es so schwierig war, ihn zu durchbrechen. Die Polizei-Com-puter mußten zu viele Daten verarbeiten, um sie alle hinter massiven ICs zu verstecken, und die ICs, welche die eingehenden Berichte und Beschwerden sicherten, waren ein Witz, für Decker von Andys oder Fastjacks Kaliber kaum mehr als kleine Stolpersteine. Andy kopierte jede Datei über Aktivitäten der Halfies und flog zurück auf seinen Sitz an Bord Sheenas, um sich die Dateien dort in aller Ruhe und ohne die Gefahr neugieriger Blicke oder versehentlicher Entdeckung anzusehen. Andy mochte keine Zufallsbegegnungen in der Matrix. Zuviel Ärger und keine auch nur einigermaßen begründete Aussicht auf einen Vorteil.
Sicher wieder im Bauch des Appaloosa, lud er seine Beute in einen Sortierer. Als die Smartframes zurückkamen, ließ er ihre Funde folgen. Er überwachte die Suche und veränderte die Suchparameter, als sich mögliche rote Fäden herausbildeten. Der Johnson begegnete ihm als Nummer - keine Überraschung -, also hielt Andy nach Verbindungen unter den Zielen der Halfies Ausschau. Dort würden auch Mr. Johnsons Interessen zu finden sein. Andy mußte sie nur erkennen.
Auf der Liste der Ziele befanden sich auch Freßbu-den, und das widersprach den Interessen der Halfies. Auf der Straße hieß es, daß sie die meisten Läden in den Barrens kontrollierten. Warum sich die eigenen Einkommensquellen beschneiden? Vielleicht aus Gründen der Tarnung. Es gab keinen Zweifel, daß die Hal-fies ihre Späße weitertrieben, aber einige Ziele schien es härter erwischt zu haben als andere. Wie schlimm war es den Freßbuden ergangen? Nicht besonders schlimm. Die Tarnungs-Theorie sah plötzlich gar nicht so übel aus.
Wer hatte am meisten abbekommen? Eine rasche Sortierung nach der Schadenshöhe ergab eine Liste, an deren Spitze sich viele freie Kliniken und Arztpraxen befanden. Diese Art von Nestbeschmutzung, die gesamte medizinische Versorgung am Ort lahmzulegen, sah den sehr revierbewußten Halfies überhaupt nicht ähnlich. Ein genauerer Blick zeigte, daß die Motorradgang ihre Ziele offenbar nicht ganz zufällig ausgewählt hatte. So war zum Beispiel kein einziges DocWagon-Unternehmen betroffen. Andy roch eine Spur und stöpselte sich ein, um ein paar Hinweisen nachzugehen. Er kam mit der Verbindimg zurück, nach der er gesucht hatte: Alle demolierten Kliniken wurden entweder vom gentechnisch-pharmazeutischen Multi Biotechnics finanziell unterstützt oder unterhielten Programme, die der Konzern finanzierte. Eine rasche Überprüfung der Medien-Datenbänke zeigte, daß Biotechnics-Kliniken in anderen Städten nicht von einer ähnlichen Welle der Verwüstung überrollt worden waren.
Wodurch unterschieden sich die Kliniken in den Anacostia Barrens von den anderen? Andy wettete, daß Mr. Johnson oder dessen Bosse das wußten. Ein direkter Run auf Biotechnics war jetzt noch nicht angeraten, also suchte sich Andy aufs Geratewohl eine verwüstete Klinik aus und begab sich in ihren Datenbänken auf die Suche nach etwas Ungewöhnlichem. Er fand Aufzeichnungen über drei Testprogramme. In den Datenbänken einer zweiten Klinik fand sich nur eine Übereinstimmung: ein Drogentherapie-Pilotprogramm für etwas namens Azadon, Warenzeichen noch nicht eingetragen.
Vielleicht war seine Schlußfolgerung ein wenig voreilig, aber Andy war sicher, daß dieses Azadon seinem Mr. Johnson ganz besonders am Herzen lag. Er würde das später überprüfen.
Im Augenblick signalisierte Sheena gerade, daß sie ihren Bestimmungsort fast erreicht hatten. Das traf sich gut. Andy wechselte die Buchse am Armaturenbrett Sheenas und übernahm die Steuerung. Um diesen Run zu erledigen, war mehr als nur ein wenig Matrix-Schnüffelei nötig. Kein Run ließ sich nur mit etwas Decken erledigen. Auch das traf sich gut. Ihm gefiel eine gute Mischung, was die Action betraf. Es wurde Zeit, zum nächsten Schritt überzugehen. Nachdem er die Maple Avenue überquert hatte, fuhr er den Appa-loosa auf den ersten freien Parkplatz.
»Paß auf dich auf, Sheena«, sagte er zu dem Appa-loosa, als er ausstieg und die Diebstahlsicherungen aktivierte. Fairfax gehörte nicht zu den schlimmsten Bezirken im DC-Sprawl, aber dies war nicht unbedingt die beste Gegend von Fairfax. Auch wenn man das nicht, wie Andy, aufgrund früherer Erfahrungen wußte, konnte man es an den kaputten Straßenlaternen, den mit Graffiti bedeckten Mauern und den verbarrikadierten Ladenfronten erkennen.
Die Nacht außerhalb des Appaloosa barg keine Geheimnisse für ihn, weil es sich bei seinen Augen um 48er Telestrian Cyberdyne handelte, die unter Zeiss-Lizenzen gebaut wurden. Nicht das jüngste Modell, aber die Cyberaugen-Technologie hatte sich in den letzten zehn Jahren nicht gerade weiterentwickelt. Die 48er waren auch nicht mit allen Extras ausgestattet. Kein Infrarot, nur Lichtverstärker. Aber das war mehr als genug, um die Düsternis der Old Courthouse Road zu durchdringen und alle Penner und Straßenratten zu erkennen, die in Hauseingängen kauerten und in den Gassen herumschlichen. Alles Einheimische, die er kannte. Sie wußten um seinen Ruf und würden ihn nicht belästigen.
Sein Team erwartete ihn bei Eskimo-Nell, ihrer üblichen Kneipe und Sammelstelle. Heute waren nur zwei da, Buckhead und Feather. Er glaubte nicht, daß er mehr brauchen würde. Buckhead gehörte in die Abteilung Muskeln, schlicht, aber nicht billig. Der Ork war sehr, sehr gut in dem, was er tat, aber seine gesamte Persönlichkeit steckte in seiner Cyberware und in seinen Kanonen. Feather war eine Elfe und eine Magierin, und ihre Art, sich zu kleiden, eignete sich eher für eine Hauptrolle in Runner Babes als für einen echten Shadowrun, aber was sie trug - oder vielmehr nicht trug -, beeinträchtigte ihre Leistung nicht im geringsten - was sollte man dazu also noch sagen? Außerdem machte es Andy Spaß, sie anzusehen.
»Hoi, Boß. Was läuft'n so?« Das war Buckheads übliche Begrüßung.
Andy kam gleich zur Sache und erzählte ihnen von dem Job, den er ihnen beschafft hatte, und von seiner Theorie, daß die Kliniken im Brennpunkt der gewalttätigen Aktionen standen. »Man hat uns zum Schutz angeheuert, aber wir sollen auch herausfinden, wer dahintersteckt.«
»Was bringt Johnson auf die Idee, daß sich die Truppe nicht einfach nur amüsiert hat?«
»Du glaubst doch wohl nicht, daß sich die Patienten und das Krankenhauspersonal amüsieren«, sagte Feather.
»Wir müssen was unternehmen«, sagte Andy. Er war nicht in der Stimmung, herumzusitzen und die Möglichkeiten im einzelnen durchzukauen. Er und seine Runner brauchten eine Connection, und ihre beste Wette waren die Halfies. Wer würde besser als die Motorradgang wissen, warum sie sich in den Barrens austobten? »Ich finde, wir sollten uns mal mit ein paar Halfies unterhalten.«
»Ich kenne einen Unterschlupf von ihnen«, sagte Feather, was Andy überraschte.
Er wußte, daß sie einen Haufen Connections auf der Straße hatte, aber er hätte ihr nicht zugetraut, daß sie sich mit Motorradgangs auskannte. Er war ziemlich froh, daß er sich geirrt hatte. »Dann laßt uns los.«
Andy folgte Feathers Anweisungen und steuerte den Appaloosa über den Fluß und in die Randbezirke der Anacostia Barrens. Er fuhr langsam, teils aufgrund des Straßenzustands und teils wegen der Notwendigkeit, sich zu orientieren und Ausschau zu halten. Sie begutachteten das alte Betongebäude, zu dem Feather sie führte, und kamen zu dem Schluß, daß zumindest ein Teil der Motorradgang zu Hause war. Es war noch zu früh für sie, draußen die Sau rauszulassen. Die Bude war solide gebaut, was wahrscheinlich auch der Grund dafür war, warum die Gang sich dort verkroch. Worum es sich bei dem Gebäude früher einmal auch gehandelt haben mochte, jedenfalls wies es auf einer Seite zwei Zugangstore für Fahrzeuge auf. Die einzige normale Eingangstür befand sich ebenfalls auf dieser Seite. Andy entschloß sich für die direkte Vorgehensweise und jagte Sheenas Nase durch das fadenscheinige Wellplastik der linken Garagentür. Die Hausmauer würde ihre linke Flanke schützen.
Kaum waren sie durch die Tür gebrochen, als sich Buckhead bereits mit großem Getöse aus dem Appaloosa stürzte. Feather war leiser, aber nicht weniger emsig. Magische Energie umgab ihre zu Berge stehenden Haare mit einem knisternden Leuchten, vor dem sich jeder erschrecken mußte. Andy taten die aufgescheuchten Halfies - von denen zumindest einer buchstäblich mit heruntergelassener Hose erwischt worden war - fast ein wenig leid.
Nachdem er Sheena benutzt hatte, um den Unterschlupf der Halfies zu knacken, überließ Andy es gern Buckhead und Feather, sich um die Gangmitglieder zu kümmern. Kampf war einfach nicht sein Ding. Er bezog keine Kicks daraus wie andere Leute. Er würde eingreifen, wenn er mußte, aber er glaubte nicht, daß es nötig sein würde. Er hatte eine gute Truppe, und in diesem frühen Stadium des Runs war es unwahrscheinlich, daß sie auf Gegner stießen, mit denen sie nicht fertig wurden.
»Wir brauchen jemanden, der redet«, erinnerte Andy sein Team über Sprechfunk. Er bekam keine Bestätigung, aber als sich der Tumult legte, kehrten Buckhead und Feather mit einem Mitglied der Gang zurück.
»Wir könnten ihn den Bullen übergeben«, schlug Feather vor. Sie neigte dazu, die gesetzestreue Lösung vorzuschlagen. Andy dachte sich, daß sie es nur deshalb tat, damit er wußte, daß es eine gab. »Die Bundesbullen würden sich freuen, ihn zu sehen. Wenn er uns aber verrät, was wir wissen wollen...«
»Ich verrat' nix«, sagte der Halfie. Die schwarze Pigmentierung seiner oberen Gesichtshälfte verbarg fast sein entschlossenes Stirnrunzeln.
»Ich kann ihn zum Reden bringen«, sagte Buckhead. Der Ork ließ seine Chromsporne aus den Handgelenksscheiden gleiten, um die Methode zu demonstrieren, die er anzuwenden gedachte. Es war gemein, aber es mochte schnelle Resultate erbringen. Das Leben in den Schatten war nicht nett.
»Tu es«, sagte Andy, »aber sieh zu, daß er nicht soviel Lärm macht.«
Der Halfie hatte gewußt, daß er gefährlich lebte, als er Geld angenommen und sich daran gemacht hatte, Läden zu verwüsten und Unschuldige zu verprügeln.
Buckhead grinste und führte den Halfie ab. Nach exakt zwanzig Minuten kam er mit einer Adresse zurück. Die Adresse gehörte angeblich zu einem Mittelsmann.
Andy und das Team statteten dem Burschen einen Besuch ab, und der erwies sich als überraschend vernünftig. Gegen ein Honorar - das Andy Mr. Johnson als Spesen in Rechnung stellen würde - bestätigte der Schieber die Geschichte des Halfies, daß sie für einen simplen Schlägerjob angeheuert worden waren. Der Schieber konnte ihm den Auftraggeber nicht nennen, obwohl Andy ihm anbot, das Honorar zu verdoppeln, was der Behauptung des Mannes zusätzliche Glaubwürdigkeit verlieh. Für ein Zusatzhonorar gab ihnen der Schieber einen rätselhaften Hinweis. »Wollt ihr sehen, wer Schatten wirft? Fahrt die Wisconsin rauf und geht sechs Häuser südlich der Kathedrale vor Anker.«
Sie folgten seinen Anweisungen.
Andy konnte sich erinnern, daß in dem Gebäude die Büros von Micronetics, einer Saeder-Krupp-Tochter, untergebracht gewesen waren, aber ein pulsierendes Neonschild verkündete, daß es sich mittlerweile um das Eigentum der Vilanni Corporation handelte. Wenn er auf eine derartige Veränderung stieß, mußte er immer daran denken, wie schnell sich die Dinge in der Konzernwelt änderten. Oft war der kometengleiche Aufsteiger von heute der ausgebrannte Verlierer von morgen.
Der Name Vilanni war ihm nicht neu. Seine und die Wege des Konzerns hatten sich bereits gekreuzt, und er wußte, daß der Konzern so schmierig wie nur was war. Andy glaubte nicht, daß es unter seiner Würde war, Kliniken zu verwüsten, um einem Konkurrenten den Produkttest zu vermasseln. Der Gedanke an das Vermasseln von Testreihen erinnerte ihn an Vinton und den Hängedatei-Run. Die Sache, die gerade in den Barrens ablief, war genau Vintons Stil.
Doch Andys Eingebung und der Hinweis eines Schiebers, daß Vilanni hinter allem steckte, würden seinem Auftraggeber nicht reichen. Andy mußte eine überzeugende Verbindung liefern. Außerdem war da noch das Problem herauszufinden, warum Vilanni in die Sache verwickelt war. Die Johnsons waren immer erst dann zufrieden, wenn sie wußten, warum man sie aufs Korn genommen hatte.
Ihr kleiner Besuch bei den Halfies würde sich über kurz oder lang herumsprechen. Es gab keinen besseren Zeitpunkt für einen schnellen Run auf den Villani-Mainframe als jetzt. Andy fuhr noch etwa ein Dutzend Blocks die Wisconsin entlang, bevor er in eine der ruhigen schmalen Seitenstraßen Georgetowns abbog, den Appaloosa parkte und sich einstöpselte.
Der Vilanni-Mainframe hatte in der Matrix die Gestalt eines schwarzen Monolithen. Er war eine harte Nuß, aber Andy war nicht so dumm, ihn frontal anzugehen. Er versuchte etwas Neues, indem er ein Nebenprogramm startete, um die Dinge ein wenig zu verwirren. Mit müheloser Präzision konzentrierte er sich auf einen schmalen Abschnitt des Monolithen und verengte sein Blickfeld, bis sich die Unebenheiten auf der schwarzen Oberfläche zu Vertiefungen, dann zu Löchern und schließlich zu Tunnels ausdehnten. Er hatte einen dieser Tunnels schon zuvor benutzt, eine Hintertür, die von einem abtrünnigen Vilanni-Pro-grammierer eingerichtet worden war. Da er die Hintertür im Laufe des Hängedatei-Runs benutzt hatte, rechnete er halb und halb damit, daß man den Zugang mittlerweile verschlossen und verriegelt haben würde, stellte jedoch befriedigt fest, daß sein Herumgepfusche funktioniert hatte. Die Tür war auch weiterhin begehbar. Drinnen düste er zu Vintons Privatunterlagen und begann damit, in den Akten der Vilanni-Execs herumzuschnüffeln. Es dauerte nicht lange, bis er auf eine Goldader stieß: auf eine Liste mit Kliniken, Biotech-nics-Kliniken.
Während er die Liste durchging, erschien plötzlich ein Zeit-Datumsstempel neben einem der Namen. Das war das Stichwort für die Datei, eine Subroutine zu aktivieren. Andy ging das Programm durch. Irgendwo im Vilanni-Hauptquartier wurde gerade ein Anruf getätigt. Es gelang ihm gerade noch, ein Spürprogramm anzuhängen, bevor die Verbindung unterbrochen wurde. Während er auf die Rückkehr des Spürprogramms wartete, grub er weiter. Er hatte immer noch nichts von Belang gefunden, als sich das Programm schließlich mit einem Rattenschwanz von Verbindungen im Schlepptau zurückmeldete, die mehr als ausreichten, um ein Spürprogramm abzuhängen, das viel zu spät auf den Anruf angesetzt worden war. Der Empfänger des Anrufs war irgendwo in den Ana-costia Barrens, und der Speicher des Programms enthielt lediglich die Adresse der Klinik und einen Zeit-Datumsstempel. Er entsprach demjenigen auf der Liste. Andy hatte Zeit und Ort des nächsten Überfalls entdeckt.
Zeit, eine Entscheidung zu treffen. Sollte er den Run auf den Villani-Mainframe abbrechen und mit seinem Team ausrücken, um den bevorstehenden Überfall zu verhindern, oder sollte er im System bleiben, um den größtmöglichen Nutzen aus seinem Eindringen zu ziehen, und nach belastenden Hinweisen suchen, die allen Überfällen ein Ende bereiten würden? Wenn er abbrach, würde das System bei seiner Rückkehr schwerer zu knacken sein - aber wenn er blieb, wurden Leute verletzt, vielleicht sogar getötet. Andererseits würden noch mehr verletzt und getötet, wenn er das, was er brauchte, nicht aus dem Villani-Mainframe herausholte, und so eine gute Gelegenheit bot sich ihm vielleicht kein zweitesmal.
Die Wände des Datenspeichers schimmerten plötzlich, und eine Kristallspinne glitt hindurch - das Vilanni-Ice hatte ihn gefunden. Eins nach dem anderen. Er aktivierte sein Krallenhand-Angriffsprogramm. Der Kampf gegen die IC war kurz und heftig, aber der Ausgang stand nie in Frage. Vielleicht hätte Fastjack die Spinne schneller erledigt. Vielleicht.
Aber die Spinne war nur die Spitze von Vilannis Ice-Berg. Schlimmere ICs würden schnell kommen.
BLITZ!
Der Cyberspace wechselte von seiner normalen Darstellung auf ein Negativbild.
Schneller als schnell.
BLITZ!
Drek! Nicht jetzt! Er hatte eindeutig die Zeit aus den Augen verloren. Andy konnte sich jetzt nur noch ausstöpseln. Wenn er es nicht schaffte, war er erledigt.
Er drückte auf Speichern. Er würde sein Abenteuer später fortsetzen. Feather und Buckhead würden auf ihn warten. Das taten sie immer. Vilanni würde ebenfalls warten. Anders als in der wirklichen Welt.
Die wirkliche Welt hatte ihre eigenen Imperative. Und gerade jetzt hatte er es mit einem zu tun. Keine Spielchen mehr. Zeit, sich an die Arbeit zu machen.