18

Colonel Jemal Jordan, der, wie Markowitz Andy zuflüsterte, General Trahns Nachrichtenoffizier war, nahm Andy und Markowitz in seine Obhut. Tom entfernte sich, offenbar auf dem Weg zu einer Unterredimg mit Trahn. Die Frau mit den Insignien des Thaumaturgi-schen Korps auf ihrem langen Ledermantel ging mit ihm, doch der Rest der Besatzung des Kommandofahrzeugs blieb in der Nähe des Wagens. Andy sah, wie sie die Köpfe zusammensteckten und eine Unterhaltung anfingen, als er abgeführt wurde.

Die Magierin verwirrte ihn. Sie hatte sich für Andy eingesetzt, als er Tom anrief, seitdem jedoch kein Wort mehr gesagt. Nicht, weil sie nicht interessiert gewesen wäre. Er hatte mehrmals bemerkt, daß sie sie auf der Fahrt beobachtete, während sie angeblich schlief. Magier verfolgten eigene Pläne, das sagte jeder. Andy fragte sich, wie die ihren aussahen. Sie machte ihm ein wenig angst, aber er nahm an, das lag in erster Linie daran, daß er noch nie zuvor einem Magier begegnet war.

Natürlich war da noch Kit, aber Andy hatte Probleme, sie sich als Magierin vorzustellen. Sie war zu...

Nun, dies war weder die Zeit noch der Ort, um darüber nachzudenken.

Sie wurden in ein Gebäude geführt, dessen Dach mit Antennen übersät war. Drinnen gingen sie eine Treppe hinunter, dann durch mehrere nichtssagende Flure, bis sie einen Raum betraten, der mit Konsolen und daran arbeitenden Leuten gefüllt war. Jede Station war mit einem Sichtschirm ausgerüstet, der die Computerprojektionen ausschließlich auf die Person direkt davor beschränkte. Niemand sah bei ihrem Eintreten von seinem Arbeitsplatz auf, aber die Wachposten nahmen von ihnen Notiz. Stählerne Blicke fixierten sie, sobald sie auftauchten.

Der Raum konnte durch zwei Türen und drei Bogengänge, alle bewacht, verlassen werden. Sie gingen durch den mittleren Bogengang und einen weiteren Flur. Andy wurde in einen Raum ohne Tür gesteckt. Der Eingang wurde von zwei Posten bewacht. Colonel Jordan führte Markowitz weiter durch den Flur, bis sie aus Andys Blickfeld verschwanden.

Andy fühlte sich noch mehr allein als nach seinem Ausstieg bei Telestrian, der zumindest freiwillig erfolgt war. Er sah sich um. Keine Fenster. Das Licht kam von einer Leuchtstoffröhre an der Decke und erhellte schmutzig-beigefarbene Wände und einen abgewetzten grauen Betonboden. In dem Raum standen ein schlichter Holztisch und vier Stühle, ebenfalls aus schlichtem Holz. Die Stühle sahen nicht sehr bequem aus. Andy marschierte auf und ab.

Ein Offizier - ein Captain, dachte Andy - kam herein. Auf seinem Namensschild stand »Stratton«.

»Nimm doch Platz«, sagte Captain Stratton, indem er sich selbst einen Stuhl heranzog.

Der Captain kannte Andys richtigen Namen, was nicht weiter überraschend war, wenn man bedachte, daß er ihn Tom zugerufen hatte. Die Fragen des Cap-tains verrieten Andy, daß er viel mehr wußte als nur Andys Namen. Er wußte, daß Andy für Telestrian gearbeitet und am Montjoy-Projekt teilgenommen hatte und daß sein »Tod« vorgetäuscht gewesen war. Der Captain wollte wissen, ob Andy Markowitz bei seinem Montjoy-Run von innen unterstützt hatte und wie lange er Markowitz' Shadowrunner schon kannte. Andy hielt es für eine schlechte Idee, diese Fragen zu beantworten, und für eine noch schlechter zu lügen.

»Ich glaube, ich würde gerne mit einem Anwalt reden«, sagte er.

»Tatsächlich?« Captain Stratton lächelte höflich. »Wäre das ein Anwalt von Telestrian, der die Interessen des verstorbenen Bürgers Andrew Walker vertreten soll, der keinen Rechtsbeistand mehr braucht? Oder wäre das ein Pflichtverteidiger, der sich für den namenlosen, SINlosen Abschaum aus der Gosse einsetzen soll, der hier ohne jede Bindimg an Recht und Gesetz vor mir sitzt, und dem ohnehin kein Pflichtverteidiger zusteht?«

»Schon gut.«

»Schön. Ich hoffe, du siehst langsam den Wert einer Zusammenarbeit.«

»Ich schätze, ja«, sagte Andy, aber in Wirklichkeit stellte er sich den Ärger vor, den er bekommen würde, wenn er die Zusammenarbeit verweigerte.

»Gut.« Der Captain wiederholte seine Fragen.

Andy antwortete Stratton diesmal, wobei er die reine Wahrheit sagte, wenn die Frage auf etwas aus seinem Leben bei Telestrian abzielte, das sich nachprüfen ließ. Als das Thema des Datendiebstahls zur Sprache kam, retuschierte Andy die Tatsachen, indem er sagte, er sei gezwungen worden, und seine Hilfe verschwieg, die er Yates in der Matrix hatte angedeihen lassen. Er sagte Stratton, wiederum wahrheitsgemäß, daß es zuvor keinerlei Verbindung zu Markowitz oder einem seiner Runner gegeben habe.

»Wenn du nichts mit der Sache zu tun hattest, warum hast du dich dann abgesetzt?« fragte Stratton.

»Ich hatte Angst.« Und das war die reine Wahrheit. Andy hatte seinen Tod aus Angst vorgetäuscht, mit dem Datendiebstahl in Verbindung gebracht zu werden, und das sagte er dem Captain auch. »Es war vielleicht nicht das Klügste, was ich je gemacht habe.«

Stratton nickte, als stimme er ihm zu. »Erzähl mir, was danach geschehen ist.«

Andy erzählte ihm, daß er Markowitz auf der Straße begegnet war und wie er von der Ork-Gang zusammengeschlagen worden war, womit er sich ein wenig Mitgefühl zu verdienen schien.

»Das war also der Grund dafür, daß du dich in Markowitz' Gesellschaft befandest?«

»Ja. Es war reiner Zufall. Er half mir, nachdem ich zusammengeschlagen worden war. Ich wußte nicht, daß er der Bursche war, der den Run gegen Telestrian inszeniert hatte. Er hat versucht, mir dabei zu helfen, ein neues Leben aufzubauen.«

»Sehr nett von ihm«, sagte Stratton auf eine Weise, die besagte, daß seiner Ansicht nach Nettigkeit überhaupt nichts damit zu tun hatte. »Und in welche Aktivitäten war Mr. Markowitz in letzter Zeit verwickelt? Das heißt, abgesehen von der, dir zu helfen.«

»Das weiß ich nicht.«

»Du hast ihm nicht bei seinen Geschäften geholfen? Vielleicht eine Gefälligkeit mit einer Gefälligkeit erwidert?«

Andy wurde bei seiner Antwort unterbrochen, als die Magierin hereinschaute. »Und?« fragte sie.

»Mr. Walker und ich kommen prima zurecht«, sagte Stratton. Er lächelte Andy liebenswürdig zu.

Die Magierin nickte. »Wo ist Jordan?«

»Den Flur entlang. Er wartet auf Sie«, sagte Stratton.

Die Magierin ging. Captain Stratton hatte »noch ein paar Fragen«. Andy blieb bei seiner Geschichte von Markowitz' Hilfe, die er dergestalt aussponn, daß Markowitz versucht habe, eine Bleibe und eine Arbeit für Andy zu finden. Überraschenderweise schien Stratton sich mit dieser Geschichte zufriedenzugeben.

»Geh nicht weg«, sagte er zu Andy, als er ging.

Allein gelassen zu werden war nicht so toll. In dem Raum gab es nichts zu tun, also dauerte es nicht lange, bis Andy sich langweilte. Er marschierte wieder auf und ab und malte sich aus, in welchen Schwierigkeiten sie steckten. Er fragte sich, was wohl mit Markowitz geschehen war, als die Stimme der Magierin durch den Flur hallte.

»Bringen Sie mir meine Ritualtasche aus dem Wagen.« Dann ein wenig lauter, als riefe sie jemandem hinterher, der bereits unterwegs war: »Und bringen Sie auch die Ratten mit. Die Straßenratten, nicht die aus dem Labor.«

Die Ritualtasche verstand Andy mehr oder weniger. Magier brauchten Werkzeuge, um sich ihren Geschäften zu widmen. Aber die Ratten?

Er verstand das »Was« der Anforderung, als ein Soldat mit einem Stahlkäfig voller lebender Ratten an dem Eingang vorbeiging, aber das »Warum« war ihm ein Rätsel. Es sei denn...

Es sei denn, sie waren für ein Opfer vorgesehen. Nein. Die Armee konnte sich nicht mit schwarzer Magie abgeben, oder?

Als Tom Andy schließlich fand, wo Jordan ihn eingesperrt hatte, fing dieser sofort an, etwas von schwarzer Magie zu plappern. Tom sagte dem Jungen, er solle sich beruhigen und alles noch einmal erzählen. An dessen Geschichte wäre nicht besonders viel dran gewesen, wenn er Furlann nicht gekannt hätte. Nicht, daß Tom je mehr als nur einen Argwohn hinsichtlich ihrer magischen Moralvorstellungen gehabt hätte, aber eine Magierin, die der Präsident wegen ihrer magischen Verbrechen begnadigt hatte, war nicht die Art Person, die die Kirche für ihre Exorzismus-Staffeln in Betracht zog. Das Thaumaturgische Korps der UCAS war da weitaus weniger wählerisch. Der Junge mochte recht haben.

»Wohin haben sie Markowitz gebracht?« fragte Tom.

»Keine Ahnimg«, sagte Andy. »Sie haben mich hier eingesperrt und sind mit ihm weitergegangen. Es kann nicht weit sein, wenn ich hören konnte, wie die Magierin ihre Opfertiere anforderte.«

»Schon gut, Andy. Schon gut. Bleib ruhig.« Tom wußte nicht recht, was er tun sollte. Wenn Andy recht hatte, war eine schlimme Sache im Gange, und sie platzen zu lassen war ein Gebot der Ehre. Aber wenn Andy sich irrte, war möglicherweise Tom derjenige, der platzte. Trotzdem, er mußte es wissen. »Ich werde das überprüfen.«

»Ich will mitkommen.«

»Das ist nicht sehr klug.« Nichts von alledem war das.

»Und mich hierzulassen soll klüger sein?« bettelte Andy. »Komm schon, Tom. Du bist außer Markowitz der einzige Freund, den ich hier habe. Du kannst mich jetzt nicht allein lassen. Wenn sie schwarze Magie gegen ihn einsetzen, wie lange wird es dann dauern, bis sie auch bei mir damit anfangen?«

Ein zusätzlicher Zeuge konnte nicht schaden. »Also schön, aber bleib nah bei mir.«

»Kein Problem.«

Draußen im Flur war ein Problem. Eigentlich sogar zwei. Die Posten würden Befehl haben, dafür zu sorgen, daß Andy blieb, wo er war. Doch was war, wenn er tiefer in den Komplex hineinging?

»Ich bringe diesen Gefangenen zu Colonel Jordan«, sagte Tom zu den Posten, als er mit Andy im Schlepptau den Raum verließ.

Die MPs wechselten einen Blick, sagten jedoch nichts. Ein Austausch von Grüßen, und Tom und Andy waren an ihnen vorbei und gingen den Flur entlang.

Tom hatte Vorbereitungen getroffen, um sich zu schützen, wenngleich dies nicht ganz das war, was er erwartet hatte. Im Gehen zog er einen kleinen Videore-corder aus der Seitentasche seiner Uniformhose, schaltete ihn ein und hakte ihn am Gürtel fest, wobei er sich noch einmal vergewisserte, daß er gut sichtbar war. Er hatte ähnliche Geräte in Denver benutzt, wenn er an Orten, Wo Gefangene ausgetauscht wurden, oder bei anderen heiklen Zusammenkünften mit ausländischen Nationen zu tun gehabt hatte und die Leute zu Hause ganz genau wissen mußten, was vorgefallen war.

Sie passierten zwei weitere Wachen, und Tom wiederholte seine Halbwahrheit. Ein Stück weiter war eine Tür, geschlossen. Tom preßte sein Ohr dagegen und hörte Furlanns Stimme. Er identifizierte die Sprache als Latein, konnte jedoch nicht mehr als ein oder zwei Worte verstehen. Es reichte jedoch, um Andys Behauptungen zu stützen. Tom hatte sich davor gefürchtet, herauszufinden, daß Andy recht hatte. Jetzt sah es so aus, als hätte er recht.

Tom testete die Tür und stellte fest, daß sie unverschlossen war. Er klopfte einmal, stieß sie auf und marschierte dann in den Raum, ohne auf eine Antwort zu warten. Furlann, die sich über ein Räucherfäß-chen gebeugt hatte, unterbrach ihren Singsang und sah auf. Colonel Jordan fuhr zur Tür herum und gab den Blick auf Markowitz frei, der auf einem Stuhl saß, welcher eine bemerkenswerte Ähnlichkeit mit der Behandlungscouch eines Zahnarztes aufwies. Er bewegte sich nicht. Jordans Hand lag auf dem Kolben seiner Dienstpistole, aber er zog sie nicht. Diese Drohgebärde war es nicht, die Tom innehalten ließ, sondern die bunten Kreidelinien auf dem Betonfußboden. Er streckte den Arm aus, um Andy, der ihm dicht auf den Fersen war, daran zu hindern, den Ritualzirkel zu durchbrechen.

»Was geht hier vor, Colonel?« fragte Tom in dem Bemühen, der Frage einen Unterton mitzugeben, der berechtigtes Verlangen nach Information zum Ausdruck brachte.

Jordan funkelte ihn an und verbiß sich eine Antwort, als er den Recorder an Toms Gürtel bemerkte. Die Funktionslämpchen leuchteten. Der Colonel würde wissen, daß das Gespräch nicht nur aufgezeichnet, sondern auch in Toms Kommandofahrzeug übertragen wurde, wo automatisch eine Kopie abgespeichert wurde.

»Wir verhören einen Gefangenen«, sagte Jordan, nachdem er sich gefaßt hatte. »Nicht, daß Sie daß etwas angehen würde, Major.«

»Ich habe diesen Mann hergebracht, Colonel. Ich fühle mich für ihn verantwortlich.«

»Was Sie tun, könnte man als Insubordination betrachten«, sagte der Colonel zu ihm.

»Fragwürdige Befehle müssen in Frage gestellt werden, Sir.«

»Ich habe Ihnen keine fragwürdigen Befehle erteilt.«

»Sie haben mir befohlen, Ihnen diesen Mann auszuliefern, Sir. Das lag durchaus im Rahmen Ihrer Befugnisse. Anschließend erfuhr ich, daß offenbar unorthodoxe Methoden benutzt werden, um ihn zu verhören. Ich hielt es für erforderlich, mich davon zu überzeugen, daß dies nicht der Fall ist. Bei allem Respekt, Sir, genau deswegen bin ich gekommen. Es scheint so, als wären meine Befürchtungen nicht ganz unbegründet gewesen, Sir.«

Tom nickte in Richtimg der rituellen Gegenstände, um die Furlann sich kümmerte. Er war kein Magier, aber sein Job machte es erforderlich, daß er ausreichende theoretische und praktische Kenntnisse besaß. Was er sah, deutete auf die eher düsteren Aspekte der Magie hin. Die ausgeweidete Ratte war das i-Tüpfelchen. Er mußte schlucken, um seine Kehle so anzufeuchten, daß er weiterreden konnte. »Verstehen Sie das Wesen von Captain Furlanns Ausrüstung, Colonel?«

Jordans Augen verengten sich. Seine Antwort fiel kühl aus. »Das tue ich. Ich glaube aber, daß Sie den Zweck dieser Anordnung mißverstehen.«

»Ich bin anderer Ansicht, Sir.« Tom vergewisserte sich, daß die Kameralinse des Recorders Furlanns Arrangement in allen Einzelheiten erfaßte. »Wenn Ihnen tatsächlich klar ist, was Captain Furlann hier aufgebaut hat, dann muß Ihnen auch klar sein, daß die Verfahrensweisen, für deren Anwendung Sie hier die Vorbereitungen treffen, illegal sind, auch und sogar für den Militärischen Nachrichtendienst, wenn er Sicherheitsfragen innerhalb des Militärs verfolgt. Im Hinblick auf Zivilisten, einschließlich mutmaßlicher feindlicher Agenten, sind solche Verfahrensweisen nur statthaft, wenn in einer Situation des nationalen Notstands, der noch nicht ausgerufen wurde, ausreichende Gründe geltend gemacht wurden. Da das Kriegsrecht noch nicht verhängt wurde, sind die bürgerlichen Freiheiten noch nicht außer Kraft gesetzt«, stellte Tom fest.

»Für den Augenblick«, erwiderte Jordan.

»Was bedeutet, daß für den Augenblick alle Gefangenen, insbesondere Zivilpersonen, so behandelt werden müssen, wie es das Gesetz vorschreibt. Und das Gesetz schreibt vor, daß ein Zivilist nicht verpflichtet ist, sich in ein Verhör zu fügen. Mr. Markowitz ist daher nicht verpflichtet, Ihre Fragen zu beantworten. Ganz sicher nicht ohne seine ausdrückliche Erlaubnis und höchstwahrscheinlich nicht ohne Beisein eines Anwalts.«

»Wollen Sie einen Anwalt, Mr. Markowitz?« fragte Jordan.

Markowitz grinste. »Nein, aber da ich einmal Gelegenheit zum Reden habe, möchte ich anmerken, daß ich nach Hause gehen will.«

Jordan lächelte dünn. »Dann stehen Sie auf und gehen Sie. Laut Major Rocquette können Sie das - ganz legal - tun. Zeigen Sie es uns.«

Markowitz rührte sich nicht.

Tom hatte Erfahrung mit Magie und kannte Fur-lanns Fähigkeiten. »Furlann soll ihre Zauber fallen lassen, Colonel. Magische Beeinträchtigimg ist ebenfalls Zwang.«

Mit finsterem Blick nickte Jordan Furlann zu. Einen Augenblick später hatte sich Markowitz von der Couch erhoben.

»Wir sprechen uns wieder, Mr. Markowitz«, sagte Jordan.

Markowitz seufzte, während er sich die Arme rieb. »Ich hoffe nicht, Jemal. Sie haben mir besser gefallen, bevor Sie Trahns Bluthund wurden. Ich hoffe, er füttert Sie gut, weil Sie in ziemlich guter Form sein müssen, wenn Sie mich fangen wollen.«

»Deswegen machen wir uns keine Gedanken«, sagte Furlann, indem sie ein kleines Kästchen schloß und es in eine Manteltasche steckte. Sie flüsterte Jordan etwas zu. Er nickte.

»Da Sie nicht bereit sind, im Interesse Ihres Landes mit uns zusammenzuarbeiten, Mr. Markowitz, steht es Ihnen frei zu gehen.«

»Bekomme ich freies Geleit von der Basis?«

»Das wird nicht nötig sein. Vertrauen Sie mir nicht?«

»Das fragen. Sie noch?« Markowitz zuckte die Achseln. »Einen Passierschein zu haben würde mir auch nichts nützen, wenn Sie mich zurückholen wollten. Komm schon, Junge. Laß uns von hier verschwinden.«

»Einen Augenblick«, sagte Jordan, als Tom sich zur Tür wandte und Andy vor sich her schob. »Der angebliche Andrew Walker ist kein Bürger. Ihm steht es nicht frei zu gehen.«

Andy schluckte hörbar.

»Er hat in Gegenwart von Captain Stratton seine Aussage gemacht. Wollen Sie das etwa bestreiten?« fragte Tom.

»Sie ist noch nicht überprüft worden«, sagte Jordan.

»Er ist einzig und allein aus dem Grund hier, weil ich ihn hergebracht habe«, sagte Tom. »Ich gestehe Familieninteressen ein, weil Andrew Walker mein Halbbruder ist. Ich gestehe außerdem, daß ich die Behandlung ablehne, die ihm hier zuteil wurde.«

»Das ist Ihr gutes Recht. Er wird trotzdem zum Verhör gebraucht.«

Jordans Gefühllosigkeit erzürnte Tom. »Ach? Warum?«

»Wegen seiner Verbindimg zu Markowitz.«

Er hatte gehofft, daß Jordan das sagen würde. »Tatsächlich? Nun, in der Mitteilung über Mr. Markowitz stand ausdrücklich, daß jeder, der mit ihm in Verbindung steht, ebenfalls hergebracht werden sollte. Andy hat Captain Stratton bereits gesagt, daß ihn nicht mehr als eine Zufallsbekanntschaft mit Mr. Markowitz verbindet. Seine Verbindung zu Mr. Markowitz ist rein zufälliger Natur.«

»Er wurde zusammen mit Markowitz auf der Brücke verhaftet.«

»Wenn Sie sich darauf berufen wollen, werden Sie ein ziemlich überfülltes Verhörzimmer haben. Es sind eine Menge Leute zusammen mit Mr. Markowitz verhaftet worden. Wollen Sie etwa behaupten, daß sie alle mit ihm in Verbindung stehen?«

»Machen Sie sich nicht lächerlich, Rocquette.« Jordan rieb sich mit einem Finger über die Wange. »Sie haben im Fall Markowitz stichhaltige Argumente vorgebracht«, räumte er ein. »Nehmen Sie ihn mit und verschwinden Sie. Was Walker angeht, so haben Sie verloren. Er bleibt hier.«

Andy packte Toms Arm. Tom hatte diesen Wink nicht nötig. »Wenn Andrew Walker hier bleibt, habe ich die Absicht, Ihr Verhör zu beobachten.«

»Sie überschreiten Ihre Befugnisse«, sagte Jordan.

»All meine Bedenken hinsichtlich Mr. Markowitz gelten auch für Andrew Walker. Daher muß ich darauf bestehen zu bleiben. Falls ich irgend etwas sehe oder höre, das die Grenzen der üblichen Verfahrensweise überschreitet, werde ich eine Beschwerde beim Kriegsgerichtsrat einreichen.«

»Treiben Sie es nicht zu weit, Rocquette«, warnte Jordan.

Tom war der Ansicht, das bereits getan zu haben. Ein wenig weiter konnte jetzt auch nicht mehr schaden. »Außerdem gehe ich davon aus, daß Mr. Markowitz sehr bald die Internationale Vereinigung zum Schutz der Bürgerrechte anrufen wird«, sagte Tom in der Hoffnung, daß der Mann mitspielen würde.

Jordan lächelte. »Das wäre nur ein Beweis für seine Verbindung zu Walker, was die Notwendigkeit rechtfertigen würde, sie beide zu verhören.«

»Eigentlich nicht«, sagte Markowitz, der den Wink offenbar verstanden hatte. »Nennen Sie es eine gute Tat. Sie wissen schon, man hilft jemandem, der in Not ist und keine Freunde hat, um ihn vor bösen, anmaßenden Regierungen und Militärs zu retten. Für mich klingt das wie die Tat eines guten, besorgten Bürgers.«

Furlann flüsterte wieder etwas in Jordans Ohr. Tom fragte sich, wie gut die Verstärker ihre Worte auf der Aufzeichnimg erfaßt hatten. Er wollte wirklich wissen, was sie zu Jordan sagte. Wahrscheinlich war es ein vergeblicher Wunsch. Falls Furlann belastende Dinge sagte, war sie zu gerissen, um nicht irgendeinen Verzerrungszauber einzusetzen, der eine exakte Aufzeichnung verhinderte. Den würden die Verstärker nicht durchdringen können.

Was sie zu Jordan auch gesagt hatte, es machte ihn nachgiebig.

»Also gut, Major Rocquette. Ich akzeptiere die Stichhaltigkeit Ihrer Besorgnis. Ihre Einwände wurden zur Kenntnis genommen, aber da nichts geschehen ist, sind auch alle Schuldzuweisungen überflüssig. Sowohl Markowitz als auch Walker können gehen. Ihre Freilassung erfolgt auf Ihr Ersuchen. Wir können nur hoffen, daß Sie damit nicht die nationale Sicherheit kompromittiert haben. Ich gehe davon aus, daß Sie sie aus der Basis führen und dafür sorgen, daß ihnen kein weiteres Unheil widerfährt.«

Mit diesem letzten Schuß bürdete Jordan Tom eine Last auf und sicherte sich gleichzeitig ab. Tom hoffte, daß er seine Laufbahn nicht völlig ruiniert hatte. Er hielt es nicht für wahrscheinlich, aber das konnte nur die Zukunft erweisen.

Jordan entließ sie. Furlann, die eine der überlebenden Ratten hielt und streichelte, beobachtete sie schweigend. Das spöttische Lächeln auf ihrem Gesicht rief in Tom die Frage wach, was er übersehen hatte.

»Haben Sie gehört, was er gesagt hat?« fragte Markowitz, als sie das Gebäude verlassen hatten. »Für den Augenblick. Für den verdammten Augenblick, als seien bürgerliche Freiheiten und verfassungsmäßige Rechte eine vorübergehende Unannehmlichkeit. Was sie für ihn und seine Herren und Meister auch sind, nehme ich an. Sie werden ihren Willen bekommen. Ja, das muß es sein! Das Komplott muß bereits geschmiedet sein. Passen Sie auf - die Politiker werden jetzt jeden Augenblick um Hilfe rufen, um den Aufruhr niederzuschlagen.«

Tom hatte die Morgennachrichten gehört und wußte, daß der Hilferuf bereits unterwegs war. »Und was dann?«

»Trahn wird den sogenannten Aufruhr sehr blutig niederschlagen«, prophezeite Markowitz. »Wenn er die Chance bekommt, wird er mit allem losschlagen, was er hat.«

»Warum sagen Sie das?« Tom wollte wissen, warum dieser Mann, der noch nie mit Trahn gesprochen hatte, denselben Eindruck hatte wie Tom selbst.

»Vielleicht will er so tun, als sei er wenigstens im Herzen bei dem Rest der Jungens in Chicago. Vielleicht will er auch nur mit seinem Spielzeug spielen. Ich weiß es nicht.« Markowitz zuckte die Achseln. »Aber es wird geschehen. Nennen Sie es eine Ahnung. So nenne ich es, wenn ich etwas in den Knochen spüre und keine unterstützenden Beweise haben. Ich habe sehr zuverlässige Knochen.«

»Man kann nicht handeln, nur weil man eine Ahnung hat.«

Markowitz betrachtete ihn forschend. Tom rechnete mit einer weiteren gewitzten Bemerkung, doch statt dessen sagte Markowitz nur: »Nein, das kann man nicht, oder?«

Tom nickte. »Sie brauchen Beweise, um Ihre Behauptungen zu erhärten. Also beschaffen Sie sie, wenn Sie können. Bis dahin sind Sie nur ein Windhauch, der versucht, am Ruf eines guten Mannes zu zupfen.«

»Und ein gescheiter Mann läßt seinen Hintern nicht im Wind hängen«, sagte Markowitz nickend. »Vielleicht habe ich Sie falsch eingeschätzt, Rocquette.«

»Ich bin sicher, das haben Sie«, sagte Tom. Als spielte das eine Rolle.

Ein gescheiter Mann tat sich nicht auf Gedeih und Verderb mit einem Haufen schattiger Charaktere zusammen, solange es noch andere Möglichkeiten gab, auch dann nicht, wenn einer davon sein Halbbruder war. Was Tom für sie getan hatte, ging bereits darüber hinaus. Jede Schuld, die er seinem Blut gegenüber hatte, war bezahlt. Wenn dies das letzte war, was er von diesen beiden sah, war er mit Sicherheit besser dran. Warum erwog er also, noch mehr zu tun? Glaubte er wirklich, daß Markowitz' linkslastige Paranoia eine Grundlage in der Realität hatte?

Tom vergewisserte sich, daß die beiden die Basis verließen. Fort Belvoir war so weit von dem Ärger in der Innenstadt entfernt, daß die Busse fuhren. Tom sorgte dafür, daß sie in einen davon stiegen, wobei er den Fahrpreis mit seinem eigenen Kredstab bezahlte. Kurz bevor er einstieg, kritzelte Andy eine E-Mail-Adresse auf einen Zettel, gab ihn Tom und sagte: »Laß uns in Verbindung bleiben.«

»Klar«, sagte Tom wenig begeistert. Mit etwas Glück würde der Junge vom Angesicht dieser Erde verschwinden. Er hatte schon zuviel von Toms Leben verpfuscht.