Der Hund und der Dinosaurier

Warum ist unser Körper
dauerhaft warm?

V03.tif

Die Welt wurde über 100 Millionen Jahre lang von Reptilien beherrscht. Die bekanntesten sind die Dinosaurier. Doch klammheimlich kam etwas Neues: Tiere, die ihren Körper Tag und Nacht, jahrein, jahraus gleichbleibend warm hielten, und zwar fast immer wärmer als die Temperatur der Umgebung. Aber wieso wurde das plötzlich wichtig, wenn es doch vorher so lange Zeit auch anders gut geklappt hatte und die konstante Körperwärme so viel zusätzliche Energie kostete?

Der Vorteil liegt zwar auf der Hand, aber die Kosten sind gewaltig. Daher beschäftigt diese Frage seit Langem die Evolutionsforscher. Sehen wir uns zunächst ein vertrautes Beispiel aus der Technik an, nämlich ein Auto: Es war abgestellt. Wir starten den Motor. Es dauert ein wenig, bis er auf Touren kommt. Lassen wir die Kupplung zu schnell los, wenn der Motor noch kalt ist, würgen wir ihn ab. Ist der Motor erst warmgelaufen, können wir starten. Mit viel Gas und sehr hohen Drehzahlen lässt sich ein ebenso verschwenderischer wie die Umwelt belastender »Kavalierstart« hinlegen. Wer in wenigen Sekunden auf Tempo 80 oder 100 Stundenkilometer kommen will, verbraucht ein Vielfaches an Sprit, verglichen mit dem Normalbetrieb. Ein strapaziöser Kaltstart im Winter tut dem Motor gar nicht gut. Durchaus ähnlich verhält es sich mit dem Körper eines Tieres, das plötzlich Höchstleistungen vollbringen soll, weil ein Feind naht, vor dem es flüchten muss, oder weil es umgekehrt eine attraktive Beute gesichtet hat. Wenn der Stoffwechsel bereits auf Hochtouren läuft, kann die Höchstleistung ohne Zeitverzögerung vollbracht werden. So weit, so klar. Leider ist das zu kurz gedacht. Das Problem ist der Spritverbrauch.

Lassen wir den Motor immer im Leerlauf, auch wenn wir längere Zeit gar nicht fahren, frisst uns sein Spritverbrauch regelrecht auf. Wir sparen teure Energie, wenn wir den Motor nur bei wirklichem Bedarf anwerfen. Eigentlich sollte es mit dem Körper auch so sein. Bewegung kostet Energie. Am meisten verbraucht der Flug der Vögel. (An zweiter Stelle folgt übrigens unser Gehirn, aber das ist ein anderes Thema. Behalten wir es im Hinterkopf.) Wechseln wir mit unseren Überlegungen nun also zu uns selbst. Wir müssen uns ja nicht extra warmlaufen wie ein Motor, wenn die Umgebung, in der wir uns aufhalten, warm genug ist. Und wenn es für alle außen gleich warm ist, hat keiner einen Vor- oder Nachteil, wenn es ums Laufen geht, sei es auf der Flucht oder auf der Jagd nach Beute. Deshalb ist die hohe Körpertemperatur in den Tropen, die uns müde und leistungsschwach macht, sogar eher eine Belastung als ein Vorteil. Wir wünschen uns dann Kühlung und ziehen um die heiße Mittagszeit die Hängematte anstrengender Arbeit vor.

Eine andauernd hohe Körpertemperatur ist dann gut, wenn es darum geht, zu verhindern, dass wir frieren, aber eine Belastung, wenn die Umgebung sehr warm ist. Deshalb lohnt sie sich am meisten in den Gebieten mit sogenanntem gemäßigtem Klima, wo aufgrund von Winter und kühlen Nächten die Durchschnittstemperaturen um 15 bis 20 Grad Celsius unter der Temperatur liegen, bei der ohne körperliche Anstrengung ein Ausgleich zwischen der inneren Wärmeerzeugung und der Außentemperatur zustande kommt. Bei uns Menschen liegt diese Temperatur bei 26 bis 28 Grad Celsius, also rund zehn Grad unter unserer normalen Körpertemperatur. Wird unsere Umgebung kälter, müssen wir »nachheizen«, also zusätzliche Wärme durch Bewegung oder Arbeit erzeugen oder uns entsprechend dicker bekleiden. Steigt die Außentemperatur über den Neutralwert, kühlt der Körper automatisch mit Schwitzen. Eigentlich sollte daher der Nullwert für unsere Thermometer auf 27 Grad Celsius festgelegt werden. Was darunter fällt, geht ins Minus, was darüber ansteigt, ins Plus.

Die zusätzliche Körperwärme wirkt sich besonders dann günstig aus, wenn es kühl geworden ist. Richtige Kälte überstehen wir aber nur mit dicker Kleidung und besonderer Isolation nach außen. Wir Menschen sind einzigartig in der Fähigkeit, uns mit Kleidung ganz nach Bedarf warm halten zu können. (Andere Säugetiere und die Vögel können nicht einfach Fell und Federn zwischen Tag und Nacht wechseln oder sich aus- und anziehen, wie es gerade passt.)

Gleichzeitig bringt die hohe Körpertemperatur einen weiteren unschlagbaren Vorteil. Schauen wir daher als Nächstes in die Tropen: Dort leben Reptilien unterschiedlichster Größe – von kleinsten Echsen bis zu Riesenschlangen und gewaltigen Krokodilen. Sie brauchen keine Zusatzheizung, aber den Säugetieren und den Vögeln sind sie dennoch nicht überlegen. Deren Vorteil liegt nämlich darin, dass sie entweder wie sehr viele Säugetiere, vor allem solche mit hoher Körpertemperatur, schnell und gut zu Fuß sind oder, wie die meisten Vögel, fliegen können. Flugunfähige Vögel, wie etwa Strauße, laufen so schnell wie Rennpferde. Die hohe Körpertemperatur der Säugetiere und der Vögel hat ihre Leistungsfähigkeit gesteigert, sogar in den dauerwarmen Tropen. Sie sind auch in dieser Umwelt den Echsen und Schlangen und selbstverständlich den langsamen Schildkröten haushoch überlegen. »Immer schneller, immer höher, immer weiter«, so könnte das Motto dieser Leistungsträger in der Evolution der Wirbeltiere lauten. Wie auch beim Menschen und seiner Technik.

Im Zeitalter der Reptilien hieß das Motto hingegen »größer, größer, immer größer«. Die gigantischen Kolosse, die dabei entstanden, waren natürlich keine Sprinter – und auch keine Denker. Denn das Gehirn verbraucht, wie oben bereits angemerkt, außerordentlich viel Energie, und zwar umso mehr, je größer es im Verhältnis zum Körper ist. Es funktioniert dann am besten, wenn es beständig auf optimaler Temperatur gehalten wird. Die innere Wärmeerzeugung garantiert das. Ein warmes Innenleben und ein leistungsfähiges Gehirn hängen also unmittelbar miteinander zusammen.

Die Säugetiere und die Vögel entwickelten zunehmend größere und bessere Gehirne. Und das von Anfang an. Und dieser Anfang fand mit dem Erdmittelalter bereits in einer Zeit statt, in der das eigentliche Zeitalter der Dinosaurier erst im Kommen war. Damals bildeten die Kontinente eine riesige zusammenhängende Masse, und die Erde war viel wärmer als heute. Das kam den Reptilien zugute. Die zunehmende Körpergröße verringerte die nächtlichen Wärmeverluste, sie machte aber zwangsläufig langsamer.

Der berühmt-berüchtigte Tyrannosaurus Rex wäre für einen Hund keine Gefahr gewesen. Der Riese war einfach viel zu langsam. So wie heutzutage jede Gazelle einem Elefanten mühelos davonläuft, hätten flinke, warmblütige Tiere dem Giganten der Dinosaurierzeit leicht entkommen können. Das mag eine entscheidende Rolle gespielt haben, vor allem bei der Entstehung der Vögel. Denn sie sind als Seitenzweig der Dinosaurier tagaktiv, während Säugetiere viel stärker auf das Leben in der Nacht eingerichtet sind. Stark vereinfacht lässt sich das so ausdrücken: Die sich langsam entwickelnden Säugetiere wurden dank zunehmender innerer Wärmeerzeugung immer ausgeprägter dämmerungs- und nachtaktiv, während den Vögeln die Innenwärme das Abheben und den aktiven Flug ermöglichte. Sie gelangten mit sich allmählich verbesserndem Verhältnis zwischen Aufwand und Ertrag in Gebiete, in denen besonders reichliche und sehr ergiebige Nahrung vorhanden war. So wie auch beim Vogelzug der Gegenwart.

Als der Pangäa genannte Superkontinent im Erdmittelalter zerbrach und Teile davon in Richtung der Pole abdrifteten, wurde es auf den Kontinenten und in den Meeren immer kälter. Eine Entwicklung, die für die Säugetiere und die Vögel sehr vorteilhaft war.

Naturgeschichte
titlepage.xhtml
cover.html
978-3-641-05777-0.xhtml
978-3-641-05777-0-1.xhtml
978-3-641-05777-0-2.xhtml
978-3-641-05777-0-3.xhtml
978-3-641-05777-0-4.xhtml
978-3-641-05777-0-5.xhtml
978-3-641-05777-0-6.xhtml
978-3-641-05777-0-7.xhtml
978-3-641-05777-0-8.xhtml
978-3-641-05777-0-9.xhtml
978-3-641-05777-0-10.xhtml
978-3-641-05777-0-11.xhtml
978-3-641-05777-0-12.xhtml
978-3-641-05777-0-13.xhtml
978-3-641-05777-0-14.xhtml
978-3-641-05777-0-15.xhtml
978-3-641-05777-0-16.xhtml
978-3-641-05777-0-17.xhtml
978-3-641-05777-0-18.xhtml
978-3-641-05777-0-19.xhtml
978-3-641-05777-0-20.xhtml
978-3-641-05777-0-21.xhtml
978-3-641-05777-0-22.xhtml
978-3-641-05777-0-23.xhtml
978-3-641-05777-0-24.xhtml
978-3-641-05777-0-25.xhtml
978-3-641-05777-0-26.xhtml
978-3-641-05777-0-27.xhtml
978-3-641-05777-0-28.xhtml
978-3-641-05777-0-29.xhtml
978-3-641-05777-0-30.xhtml
978-3-641-05777-0-31.xhtml
978-3-641-05777-0-32.xhtml
978-3-641-05777-0-33.xhtml
978-3-641-05777-0-34.xhtml
978-3-641-05777-0-35.xhtml
978-3-641-05777-0-36.xhtml
978-3-641-05777-0-37.xhtml
978-3-641-05777-0-38.xhtml
978-3-641-05777-0-39.xhtml
978-3-641-05777-0-40.xhtml
978-3-641-05777-0-41.xhtml
978-3-641-05777-0-42.xhtml
978-3-641-05777-0-43.xhtml
978-3-641-05777-0-44.xhtml
978-3-641-05777-0-45.xhtml
978-3-641-05777-0-46.xhtml
978-3-641-05777-0-47.xhtml
978-3-641-05777-0-48.xhtml
978-3-641-05777-0-49.xhtml
978-3-641-05777-0-50.xhtml
978-3-641-05777-0-51.xhtml
978-3-641-05777-0-52.xhtml
978-3-641-05777-0-53.xhtml
978-3-641-05777-0-54.xhtml
978-3-641-05777-0-55.xhtml
978-3-641-05777-0-56.xhtml
978-3-641-05777-0-57.xhtml
978-3-641-05777-0-58.xhtml
978-3-641-05777-0-59.xhtml
978-3-641-05777-0-60.xhtml