Der Ritter und das Ochsenrennen
Woher kommt unsere besondere Beziehung zu den Pferden?
Der Vorfahr des Hauspferdes, und zwar aller Hauspferde, ob groß oder klein, schwer oder grazil, ist das Wildpferd, auch Urwildpferd genannt. Es handelt sich dabei um eine Wildform, von der nur zwei enge Verwandte, das Przewalskipferd und der Tarpan, überlebten. Dargestellt wird es vielfach in eiszeitlichen Höhlenmalereien.
Wer nicht glauben möchte, dass aus dem eher kleinen Wildpferd so schwere Riesenpferde wie die »Belgier« oder die »Friesen« und so schnelle, wie die »Araber« oder so winzige wie die Shetlandponys gezüchtet wurden, soll sich die Stammtafel der Hunderassen ansehen. Jeder Wolf müsste fassungslos den Kopf schütteln, könnte er sehen, dass Winzlinge wie der Chihuahua oder der Pekinese und Riesen wie die Dogge aus seinem Stamm entsprossen sind. Doch Tatsache ist, dass für alle Pferderassen, ausnahmslos, das Wildpferd die Ausgangsform war ebenso wie der Wolf für alle Hunderassen.
Nun sind Wildpferde sehr scheu und sehr schnell. Ob sie das immer waren, lässt sich nicht nachprüfen. Ihre Pferdeverwandtschaft, die Zebras in Afrika, verminderten jedenfalls die Scheu recht schnell, als die Jagd auf sie eingestellt und große Wildschutzgebiete errichtet worden waren. Das Wildpferd muss also keineswegs seiner Natur nach scheu gewesen sein. Gejagt wurde es aber sicher. Das geht aus den Höhlenmalereien hervor, die über 30 000 Jahre vor der Zähmung der Wildpferde gefertigt wurden.
Knochenfunde beweisen, dass die Pferde über Klippen getrieben wurden, von denen herab sie zu Tode stürzten. Sicher ist auch, dass die Wildpferde in den zentralasiatischen Steppen gejagt wurden. Es ist wahrscheinlich, dass eine wichtige Methode wie bei den Indianern Nordamerikas darin bestand, einem bestimmten Pferd so lange zu folgen, bis es müde geworden war und nicht mehr fliehen konnte. Der Mensch schafft im Dauerlauf weit größere Distanzen als ein Pferd.
Ermattete Jungpferde, die selbstständig genug waren, dass sie nicht mehr auf die Milch ihrer Mutter angewiesen waren, können am Anfang der Domestikation gestanden haben. Pferde haben Familiensinn. Gut behandelt, bauen sie zum Menschen eine persönliche Bindung auf. Wer reitet, weiß das. Die Kunst, ein Pferd zu fangen, zu halten und friedlich zu stimmen, zeichnete manch einen jungen Mann aus. In weiter südlicheren Regionen hätte er sich vielleicht dem Kampf mit einem Löwen stellen müssen. Dessen Freundschaft hätte er allerdings nicht gewonnen, auch wenn er ihm großzügig das Leben geschenkt hätte. Anders beim Pferd. Beim Nachgehen ohne erkennbare feindliche Absicht kann sich die Erschöpfung zu Vertrauen wandeln, wenn das Pferd merkt, dass ihm nichts passiert, dass es gestreichelt und vielleicht sogar mit Wasser versorgt wird. Die Geschichte lässt sich leicht weiter ausmalen. Um die Details geht es hier nicht. Viel wichtiger ist, dass bei der Domestikation des Pferdes vermutlich das Zustandekommen einer Vertrauensbasis am Anfang stand. Denn ohne Milch ließe sich kein Fohlen großziehen und auf den Menschen als Artgenossen prägen. Es sei denn, das Rentier war bereits domestiziert und von den Zentralasiaten als Milchquelle benutzt worden. Die Rentierkulturen reichten in früheren Zeiten schließlich viel weiter in den Süden als gegenwärtig. Aber hierzu lässt sich nur spekulieren. Vielleicht lockten die Nomaden auch mit Salz. Jedenfalls schafften sie es, das Wildpferd zu zähmen und zu züchten, bis eigene Herden entstanden, in denen gezielte Weiterzucht betrieben werden konnte.
In jahrmillionenlanger Evolution wurde aus dem Urpferdchen (das kleine, rechts) allmählich das Wildpferd. Links: Ausgestorbene Zwischenformen.
Rasch wurde das Pferd zum Reittier. Vielleicht zuerst für Kinder und spielerisch, dann gezielt und für junge Männer. Es entstand eine Reiterkultur, die eine Revolution für das menschliche Dasein bedeutete. Der Mensch zu Pferde war nun nicht mehr auf seine eigenen Beine angewiesen. Das Pferd eröffnete ihm die Weite der Steppe. Eine zuvor nie dagewesene Phase der Mobilität setzte ein. War es anfänglich ziemlich sicher ein Luxus, ein Pferd zu besitzen, entwickelte sich das Pferd schon bald zu einem Massenfortbewegungsmittel. Der Ablauf mag dem Triumphzug des Automobils vergleichbar gewesen sein. Und so, wie motorisierte Truppen eine neue Form von Kriegsführung mit sich brachten, stellten die neuen Reiterheere die alte Ordnung auf den Kopf.
Zuerst hielt man die Reiter für ein Mischwesen aus Mensch und Pferd. Die alten Griechen nannten sie Kentauren. Auch die Azteken erschauderten, als sie die spanischen Reiter sahen. Ihr gewaltiges Reich konnte sich der kleinen Truppe des Konquistadors Hernán Cortés nicht erwehren. Ähnlich überlegen fielen die Hyksos in die antike Welt ein, später die Hunnen und schließlich im 14. Jahrhundert die Mongolen unter Dschingis Khan. Sein Reich, das größte zusammenhängende Weltreich aller Zeiten, verdankte der Steppenwolf den schnellen Mongolenpferden. Erst die modernen Gewehre und Kanonen bereiteten der Ära der Reiterei ein Ende. Millionen Pferde fielen in den Kriegen. Denkmäler erinnern daran nur ausnahmsweise.
Warum aber verlief – wie wir noch sehen werden – die Domestikation von Rind und Pferd so völlig unerschiedlich? Dafür gibt es jenseits von allen Deutungsversuchen zur Geschichte klare Befunde: Das Pferd ist ein Leistungstier, ein Läufer, der an Ausdauer fast dem Menschen gleichkommt. Mit einer großen Milz als Blutspeicher und hoher Ausdauer ist es nicht nur sehr schnell, sondern es hält auch am längsten von allen Tieren seiner Größenklasse durch. Dazu verhilft ihm eine weitere Fähigkeit, die Pferd und Mensch enger miteinander verbindet: Pferde können an weiten Teilen ihres Körpers kräftig schwitzen, und zwar so sehr, dass sie regelrecht »schäumen«. Beim Menschen funktioniert diese Hautkühlung noch besser, dank seiner Nacktheit. Im Gegensatz dazu kann der Hund nur seine Zunge so weit wie möglich aus dem Maul hängen lassen. Hunde halten lange Strecken daher nur durch, wenn es um sie herum entsprechend kalt ist.
Mit dem Reiten begann zwischen Mensch und Pferd etwas, das man als eine enge Lebensgemeinschaft, eine Symbiose, bezeichnen kann. Beide profitierten. Die Pferde wurden gezüchtet, versorgt und vor Raubtieren und, so weit möglich, auch vor Krankheiten geschützt. Die Reitervölker profitierten direkt von der Stutenmilch, die sie sogar zu einem leicht berauschend wirkenden, alkoholhaltigen Getränk vergoren. Pferde ließen sich anspannen. Die Pferdestärke wurde bis in unsere Zeit das Maß für Leistung, auch für die von Motoren. Es konnte nicht lange dauern, bis auch die Ackerbauern schließlich die Pferde buchstäblich für sich einspannten und als Zugtiere benutzten.
An der unterschiedlichen Herkunft änderte sich nicht viel. Die Pferde- und die Rinderkulturen blieben erstaunlich stark voneinander getrennt. Pferde isst »man« vergleichsweise sehr selten. Man gibt ihnen das Gnadenbrot. Pferde sind Kameraden. Pferde waren immer und bleiben bis heute Luxus. Sie prägten das mittelalterliche Bild des (edlen) Ritters, dessen Knappe zu Fuß ging. Napoleon präsentierte sich triumphierend auf einem Pferd, einem Schimmel (natürlich!). Und das Reiten als Kunstform ist geblieben. Ochsenritte macht man zur Belustigung. Oder Ochsenrennen. Welten stehen zwischen solchen Veranstaltungen und einem Ausritt zu Pferde, »hoch zu Ross«.